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Dein Fortsein ist Finsternis

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am06.01.2023Auflage
Erzählen heißt Erinnern - und ohne sind wir nichts »Erzähl meine Geschichte, und ich bekomme meinen Namen zurück.« Ein Mann erwacht in einer Kirche, irgendwo tief in den Westfjorden Islands, und erinnert sich an nichts. Doch die Frau, der er auf dem Friedhof begegnet, erkennt ihn wieder. Rúna berichtet von ihrer verstorbenen Mutter, und sie schickt ihn zu ihrer Schwester Sóley, mit der ihn eine brüchige Nähe zu verbinden scheint. Mithilfe ihrer und anderer Erzählungen setzt er sein Leben neu zusammen - bis sich nicht nur sein, sondern das Schicksal aller Menschen dieses einsamen Fjords vor uns erhebt. Ein raunendes, gewaltiges Meisterwerk, das die Kraft der Literatur feiert! »Jón Kalman Stefánsson gehört zu den größten isländischen Autoren unserer Zeit.« Livres Hebdo »Ein wundervolles Fresko, voller Humanität und Poesie.« France Inter »So schillernd, zärtlich und schön, dass man sich wünscht, das Buch würde nie enden.« Le Point

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor ihm mit »Himmel und Hölle« (2009) der internationale Durchbruch gelang. Seither wurde sein Werk in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet. Jón Kalman Stefánsson war 2018 für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert, »Dein Fortsein ist Finsternis« erhielt 2022 als bester ausländischer Roman des Jahres den französischen Prix du Livre étranger. Die deutsche Übersetzung von Karl-Ludwig Wetzig wurde mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis 2023 geehrt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextErzählen heißt Erinnern - und ohne sind wir nichts »Erzähl meine Geschichte, und ich bekomme meinen Namen zurück.« Ein Mann erwacht in einer Kirche, irgendwo tief in den Westfjorden Islands, und erinnert sich an nichts. Doch die Frau, der er auf dem Friedhof begegnet, erkennt ihn wieder. Rúna berichtet von ihrer verstorbenen Mutter, und sie schickt ihn zu ihrer Schwester Sóley, mit der ihn eine brüchige Nähe zu verbinden scheint. Mithilfe ihrer und anderer Erzählungen setzt er sein Leben neu zusammen - bis sich nicht nur sein, sondern das Schicksal aller Menschen dieses einsamen Fjords vor uns erhebt. Ein raunendes, gewaltiges Meisterwerk, das die Kraft der Literatur feiert! »Jón Kalman Stefánsson gehört zu den größten isländischen Autoren unserer Zeit.« Livres Hebdo »Ein wundervolles Fresko, voller Humanität und Poesie.« France Inter »So schillernd, zärtlich und schön, dass man sich wünscht, das Buch würde nie enden.« Le Point

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor ihm mit »Himmel und Hölle« (2009) der internationale Durchbruch gelang. Seither wurde sein Werk in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet. Jón Kalman Stefánsson war 2018 für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert, »Dein Fortsein ist Finsternis« erhielt 2022 als bester ausländischer Roman des Jahres den französischen Prix du Livre étranger. Die deutsche Übersetzung von Karl-Ludwig Wetzig wurde mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis 2023 geehrt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492602754
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum06.01.2023
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse7814 Kbytes
Artikel-Nr.9112387
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Irgendein Trost findet sich immer

Möglicherweise träume ich Folgendes:

 

Dass ich in einer kalten Kirche irgendwo auf dem Land in der ersten Bankreihe sitze; die tiefe Stille draußen wird hier und da von Schafsblöken und fernem Vogelgeschrei unterbrochen, die Fenster rahmen blauen Himmel ein, Meer, Streifen von grünen Wiesen, einen kahlen Berg.

 

Ich hoffe, es ist bloß ein Traum, weil ich nichts von mir weiß, nicht einmal, wer ich bin oder wie ich hierherkam, ich weiß nicht ...

... aber ich bin nicht allein in der Kirche.

 

Ich drehe mich um, und hinten in der letzten Reihe sitzt ein Mann dicht neben einer verwitterten Fahnenstange, die quer über fünf Bankrücken liegt. Schlank, etwa mittleren Alters, hageres Gesicht, hohe Geheimratsecken, markante Falten auf der Stirn. Und er sieht mich spöttisch an.

Vielleicht bin ich schlichtweg tot.

Vielleicht geht es so vor sich: Alles erlischt, das Individuum wird ausgelöscht, dann wirst du in so einer kleinen Kirche wieder hochgefahren, und der Teufel sitzt ein paar Reihen hinter dir - ist gekommen, um deine Seele zu holen.

 

Ich sehe mich schnell noch einmal um. Nein, das ist kaum der Böse persönlich. Doch etwas im Verhalten des Mannes lässt vermuten, dass er sich hier auskennt. Ich drehe mich um, blicke ihn direkt an und räuspere mich: Entschuldige, bist du vielleicht der Pfarrer dieser Kirche?

 

Der Mann starrt mich lange schweigend an. Peinlich lange. Pfarrer, wiederholt er schließlich. Sollte mich allein der Umstand, dass ich hier auf einer Kirchenbank sitze, zum Pfarrer machen? Was bist du dann, wo du doch viel näher am Altar sitzt, Bischof? Wäre ich Busfahrer, wenn ich neben einem Bus stünde, oder Arzt, wenn diese Kirche ein Krankenhaus wäre? Räuber oder Banker, wenn wir uns in einer Bank begegnen würden? Und wenn ich all das wäre, wie lange ist man, was man ist, ändert einen das Leben nicht andauernd? Sofern du auch wirklich lebendig bist, heißt das. Wann also ist man nicht länger Pfarrer oder Verbrecher und wird etwas ganz anderes? Sollte es nicht auch Antworten geben, wenn es diese Fragen gibt? Wann heißt man zum Beispiel Dingdong und wann Schnuffi, und was von beidem ist besser? Denk also daran, dass Fragen manchmal das Leben bedeuten, Antworten aber den Tod, und sei entsprechend vorsichtig, Mann!

Seine Stimme klingt nicht direkt finster, aber doch nach einem Anflug von Düsternis, und in seinem Gesicht drückt sich eine gewisse Kraft aus. In den kantigen Zügen, der gefurchten Stirn, den blauen Augen. Solche Menschen können gefährlich sein, denke ich unwillkürlich.

Du glaubst also, ich sei gefährlich, sagt der Mann.

Ich erschrecke. Ich wollte nicht ..., sage ich, aber da wedelt er mich mit einer Handbewegung fort, als wolle er mir über den Mund fahren, mich wegwischen oder auffordern, mich zu verziehen. Ich entschließe mich zu Letzterem, stehe auf, nicke ihm zu. Die alten Dielen knarren, als ich hinausgehe und ...

 

... und die alte Kirche verlasse, die nahe der Mündung eines kurzen Fjords steht, von niedrigen Bergen und einer weiten, kühlblauen Bucht weiter draußen umgeben. Die kahlen Berge steigen landeinwärts etwas an und wirken dort auch grüner. Der Friedhof ist offenbar viel älter als die Kirche, denn die ältesten Gräber sind nur noch kaum zu identifizierende Wiesenhöcker und die, die darunterliegen, längst vergessen, aber das grüne Gras fängt den Sonnenschein und leitet ihn zu ihnen nach unten in die Dunkelheit. Vielleicht gibt es doch immer einen Trost.

 

Die jüngsten Gräber liegen südlich der Kirche, und das frischeste, das ich auf meinem Weg über den Friedhof sehe, ist sorgfältig gepflegt. Der Name der Toten auf dem Grabkreuz ist zwar von Vogelkot überdeckt, aber die Inschrift darunter deutet darauf hin, dass sie geliebt wurde: »Dein Andenken ist Licht, dein Fortsein Finsternis.« Das gilt nicht unbedingt für ihren Nachbarn, einen gewissen Páll Skúlason vom Hof Oddi, denn sein Grabstein, ein großer, schwerer Uferstein, weist nur ein Zitat von Kierkegaard auf: »Wenn ein ewiges Vergessen allezeit hungrig auf seine Beute lauerte, und es keine Macht gäbe, stark genug, sie ihm zu entreißen - wie leer wäre dann das Leben, wie trostlos!«

 

Dein Fortsein ist Finsternis.

Ewiges Vergessen lauert auf deine Erinnerung.

Wo finden wir Trost?
Selbst die Toten lächeln,
und ich bin am Leben

Irgendwer - vielleicht ich - hat einen blauen Volvo so dicht an der hohen Friedhofsmauer geparkt, dass man ihn von drinnen nicht sehen kann. Zu meiner großen Erleichterung ist der Wagen nicht abgeschlossen, doch als ich gerade einsteigen will, sehe ich von dem Betonhaus auf dem Hofhügel etwas oberhalb der Kirche eine Frau auf mich zukommen. Schlank, langes, dunkles, krauses Haar, einen braunen Rucksack nachlässig über die Schulter geworfen. Sie ist nicht allein, denn ein dunkelbraunes Schaf läuft vor ihr her und schnurstracks auf mich zu, schnuppert an meinen Schuhen und springt mich dann mit demselben Eifer an wie ein Hund, sodass ich beinah hintenüberfalle. Aus, Hrefna, ruft die Frau streng, und da lässt das Schaf von mir ab.

Du musst Hrefna entschuldigen, sagt die Frau grinsend, als sie bei mir ankommt. Manchmal führt sie sich so auf. Aber herzlich willkommen! Jesus, ich kann kaum sagen, wie froh ich vorhin war, als ich aus dem Fenster guckte und dich über den Friedhof gehen sah. Froh, aber natürlich auch überrascht. Mit meinem Tod hätte ich eher gerechnet als mit dir. Wann bist du gekommen? Ich habe gar nicht mitgekriegt, dass du zur Kirche gefahren bist, obwohl man so etwas normalerweise mitbekommt; so früh an einem Sonntagmorgen sind kaum Autos unterwegs. Ich nehme an, du bist auf dem Weg zum Hotel, zu Sóley. Die wird Augen machen, wenn ich ihr sage, wer da kommt!

 

Diese Frau kennt mich! Womöglich kann sie mir bei meinem Gedächtnisverlust helfen, mir wenigstens meinen Namen nennen. Das könnte ein paar Türen öffnen.

Aber etwas hält mich zurück. Vielleicht die Worte des Pfarrers in der Kirche, wenn er denn kein Busfahrer und auch nicht der Teufel in Person war: Denk daran, dass Fragen manchmal das Leben bedeuten, Antworten aber den Tod, und sei entsprechend vorsichtig, Mann!

Die Frau sieht mich mit einem Lächeln in ihren großen, dunklen Augen an und wartet anscheinend darauf, dass ich etwas sage, doch da blökt das Schaf und schaut zum Haus, von dem ein schwarz-weißer junger Hund angefegt kommt, die Zunge hängt ihm vor Begeisterung aus dem Maul, er ist so voller Lebensfreude, dass selbst die Toten lächeln. Ich knie mich zu ihm, so brauche ich erst einmal nichts zu sagen. Während ich den Hund kraule, reibt sich Hrefna so fest an mir, dass ich nur mit Müh und Not das Gleichgewicht halten kann. Pfui, sagt die Frau streng zu dem Schaf und bittet mich dann noch einmal um Nachsicht, dieses ungewöhnliche Schaf glaube nämlich, es sei ein Hund.

Es schnuppert ständig überall herum und markiert ein Revier, statt in Ruhe zu grasen und vor Menschen wegzulaufen, wie es sich für ein Schaf ziemt. Aber es kann nichts dafür, es wurde von einer Hündin aufgezogen, die letzten Sommer von einem Ehepaar aus Norwegen überfahren wurde. Das gehört wohl zu dem Preis, den wir für die Touristenschwemme zahlen müssen. Meine arme Snotra, einen besseren Hund und Kameraden kann man sich kaum denken. Die Norweger waren tief bestürzt, das muss ich ihnen lassen, Weihnachten schickten sie eine Karte und ein Stück norwegischen Ziegenkäse, was ja nett ist, mich aber auch immer wieder an Snotra erinnert. Als ob ich vergessen könnte, wie ich sie, übel zugerichtet, am Straßenrand, an den es sie geschleudert hatte, auf die Arme nahm und mit ihr hinters Haus ging, um sie von ihren Qualen zu erlösen. Snotra sah mich die ganze Zeit an, und ihr Blick war voller Vertrauen und Gewissheit, dass ich ihr helfen würde....
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Autor

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor er sich in Mosfellsbær bei Reykjavík niederließ. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet, u.a. mit dem isländischen Literaturpreis. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit »Himmel und Hölle«, zuletzt erschienen »Etwas von der Größe des Universums« und »Ástas Geschichte«. 2018 war Jón Kalman Stefánsson für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert.