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Was bleibt, ist die Freude

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am01.09.2022Auflage
Man muss an das Glück glauben ... Diesmal ist Manuel Vilas auf Reisen: In Hotelzimmern und Flughäfen setzt er die Erinnerungssymphonie seines Erzählers fort. Und er bereichert sie mit einem neuen Motiv: der heiteren Freude. Auch dabei ist die Vergangenheit überall, wie der Wellenschlag am Strand: Sie ist in den Orangensaftpressen, in den Hemden, die nie weiß genug sind ... Vilas' literarische Kühnheit und seine Fähigkeit, das Intime ins Universelle zu projizieren, machen ihn zu einem der wichtigsten Autoren unserer Tage.

Manuel Vilas, 1962 in Barbastro geboren, studierte spanische Philologie und arbeitete über 20 Jahre als Lehrer. Er verfasst Lyrik und Prosa und schreibt außerdem regelmäßig für mehrere Zeitungen und literarische Zeitschriften. Vilas lebt in Iowa und Madrid.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextMan muss an das Glück glauben ... Diesmal ist Manuel Vilas auf Reisen: In Hotelzimmern und Flughäfen setzt er die Erinnerungssymphonie seines Erzählers fort. Und er bereichert sie mit einem neuen Motiv: der heiteren Freude. Auch dabei ist die Vergangenheit überall, wie der Wellenschlag am Strand: Sie ist in den Orangensaftpressen, in den Hemden, die nie weiß genug sind ... Vilas' literarische Kühnheit und seine Fähigkeit, das Intime ins Universelle zu projizieren, machen ihn zu einem der wichtigsten Autoren unserer Tage.

Manuel Vilas, 1962 in Barbastro geboren, studierte spanische Philologie und arbeitete über 20 Jahre als Lehrer. Er verfasst Lyrik und Prosa und schreibt außerdem regelmäßig für mehrere Zeitungen und literarische Zeitschriften. Vilas lebt in Iowa und Madrid.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827080615
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.09.2022
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse6863 Kbytes
Artikel-Nr.9112394
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

All jenes, was wir liebten und verloren, was wir sehr liebten, was wir liebten, ohne zu wissen, dass es uns eines Tages genommen würde, all jenes, was uns, nachdem wir es verloren hatten, nicht zerstören konnte, auch wenn es mit außerordentlicher Kraft, brutal und beharrlich auf unseren Zusammenbruch hinzuwirken schien, verwandelt sich früher oder später in Freude.

Die menschliche Seele hätte nicht auf die Welt herabsteigen sollen.

Sie hätte oben bleiben sollen, in der himmlischen Unergründlichkeit, in den Sternen, im tiefen Raum. Sie hätte sich von der Zeit fernhalten sollen; der menschlichen Seele wäre es besser ergangen, wenn sie nicht menschlich wäre, weil die Seele unter der Sonne altert, sie schmilzt, sie verfällt und entzündet sich zu Millionen Fragen, die sich über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausbreiten, die nur eine Zeit bilden, und das ist die Lebenszeit eines jeden von uns, eine Zeit, in der die Liebe eine stete, unerfüllte Sehnsucht ist, die uns die Schönheit des Lebens vor Augen führt und dann verschwindet.

Sie verschwindet.

Sie überlässt uns einer gewaltigen, bitteren und heiklen Stille.

Millionen Fragen, die menschliche Wesen waren, bevor sie sich in Fragen verwandelten. Millionen Körper, Millionen Väter, Mütter, Söhne und Töchter.

Und wir bleiben allein und erschreckt zurück.

Die menschliche Seele sind wir, wir alle, die wir Liebe suchen, alle, die wir tagtäglich danach suchen, geliebt zu werden, die wir tagtäglich darauf hoffen, dass sich die Freude einstellt, auf was sonst sollten wir hoffen.

Wie sehr wünschen wir uns alle, dass das Leben eine Ordnung und einen Sinn hat, aber es gibt nur Zeit und flüchtige Abschiede und in diesen Abschieden lebt die überaus große Liebe, die ich gerade empfinde.

Das verwirrt mich, verstört mich.

Hier stehe ich, verlassen, und gleichzeitig spüre ich die Kraft der Freude, aber auch die unbestimmte Wut des Lebens in mir.

Wie alle menschlichen Wesen.

Weil wir alle gleich sind.

Und in dieser gierigen Freude liegt alle Erkenntnis, die wir über das Leben zusammenzutragen vermochten.

Anfang 2018 veröffentlichte ich einen Roman, einen Roman, der die Geschichte meines Lebens erzählt, dieses Buch verwandelte sich in einen Abgrund.

In diesem Buch lebte die Geschichte meiner Familie.

Bach und Wagner, mein Vater und meine Mutter.

Ich packte meine Familie in ein viel beachtetes Buch, und das ist das Schönste, was ich im Leben gemacht habe.

Bist du verrückt?, sagten viele zu mir.

Nein, es ist nur Liebe, antwortete ich. Nur Liebe und Notwendigkeit und Hoffnung. Wenn du über deine Familie schreibst, wird diese Familie wieder lebendig. Wenn ich über meinen Vater und meine Mutter schrieb und das, was wir waren, kam die Vergangenheit zurück und sie war groß und gut. Das war alles, das war es, was ich gemacht habe.

Ich befinde mich in diesem Moment in einem Hotel in Barcelona.

Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal mit Kugelschreiber und Notizbuch schreiben würde, wie ich es gerade mache. Der Computer steht vor mir, aber ich brauche ihn nicht mehr.

Ich habe in diesem Hotel dreimal das Zimmer gewechselt. Das erste gefiel mir nicht, weil es zu warm und der Ausblick schrecklich war. Als sie mir das zweite gaben, dachte ich, dass ich dort Ruhe finden könnte: diese Erleichterung, diese Notwendigkeit, zu entspannen, nicht länger in einem nervösen Durcheinander, einem Hin und Her gefangen zu sein.

Aber als ich eine Weile ausgestreckt auf dem Bett lag, wurde mir klar, dass ich nicht erfolgreich gewesen war. Das Zimmer ging auf die Diagonal raus, eine der Hauptverkehrsadern von Barcelona, und der Lärm, der von der Straße heraufdrang, war übermäßig. Aus dem übermäßigen wurde ein höllischer Lärm. Es war der Lärm der Unbekannten, Hunderter Männer und Frauen, die sich in ihren Autos oder auf ihren Motorrädern oder in Gespräche vertieft durch die Stadt bewegten. Der Lärm verwandelte sich nach und nach in einen Feind. Ich wurde nervös. Wie dumm von mir, dass ich beflügelt von dem ersten positiven Eindruck meinen Koffer ausgepackt hatte. Ich sah meinen Koffer, wie er dort offen auf dem Tisch lag. Ich überlegte, wie lange es dauern würde, alles wieder einzupacken.

Ich betrachte meine Sachen, als gehörten sie einem Geist ohne Körper. Meine schwarzen Pullover, meinen Computer, meinen Terminkalender, meinen Kulturbeutel. Sie sehen aus wie Sachen, die mein Vater benutzte, sie sehen aus, als gehörten sie meinem Vater und nicht mir.

Es war der 1. Juli in Barcelona. Ich spürte die Feuchtigkeit, die die ganze Stadt durchdrang. Ich könnte mich nicht an diese Feuchtigkeit gewöhnen, die mich auf eine demütigende Weise zum Schwitzen brachte. Mein Leben und die Hitze hatten sich irgendwann in meiner Vergangenheit verbrüdert. Wenn ich tot bin und nicht mehr schwitze, werde ich das Nichts erreichen. Das Nichts bedeutet, die spanische Hitze nicht mehr zu spüren, die immerwährende Hitze aller spanischen Städte: feuchte Hitze oder trockene Hitze, auf jeden Fall Hitze.

Die Hitze und das Leben sind ein und dasselbe für mich gewesen.

Ich bin fünfundfünfzig Jahre alt und in ein paar Tagen werde ich sechsundfünfzig. Ich glaube mir dieses Alter nicht. Wenn ich es mir glauben würde, wenn ich es in all seiner unerbittlichen Wahrheit akzeptieren würde, müsste ich an den Tod glauben. Man kann nicht leben, wenn der Tod die Gedanken beherrscht, auch wenn er uns wie nichts anderes so unbändig entströmt. Er ist dort, in deinem Herzen. Niemand hat seinen eigenen Tod lieben wollen, niemand möchte mit ihm sprechen, ich schon, ich will, weil er mir gehört.

Ich schaute mich im Spiegel an. Das Altern der Männer ist immer weniger offensichtlich, es versteckt sich. Die Gesellschaft zeigt sich beim Altern der Männer nachsichtig, anders als bei den Frauen, da ist sie unerbittlich.

Ich rief bei der Rezeption an und bat darum, ein weiteres Mal das Zimmer wechseln zu dürfen. Jemand kam, um mir zu helfen. Ich dachte daran, wie man sich da unten das Maul über mich zerreißen würde.

»Um diesen Spinner kümmerst du dich jetzt.«

»Nein, ich war letzte Woche schon bei einem; und der war noch viel schlimmer als der hier, weil er verheiratet war und von seiner Frau unterstützt wurde. Der hier ist wenigstens allein.«

Ich stellte mir dieses Gespräch vor, aber ich fühlte mich dabei keineswegs unwohl, sondern empfand fast Dankbarkeit, weil die Angestellten am Empfang an mich dachten und über mich lästerten. Alles ist Leben und alles dient dem Leben. In allem zeigt sich eine Huldigung des Lebens.

Ich kann diese Huldigung in allem, was einen Platz unter der Sonne hat, sehen.

Am nächsten Tag bat ich erneut darum, das Zimmer wechseln zu können. Und ich wurde Zeuge, dass das Leben Starrköpfe belohnt, diejenigen, die keine Ruhe geben, bis sie das Optimum herausgeholt haben. Beharrlichkeit kann wahnsinnig machen.

Sie gaben mir, vielleicht, weil sie mich satthatten, ein sensationelles Zimmer im fünfzehnten Stock, das oberste und wahrscheinlich beste des Hotels. Es war das perfekte Zimmer: groß, hell, das höchste des ganzen Gebäudes. In der Ferne konnte man das Meer sehen. Und außerdem gab es ein Fenster in der Dusche, aus dem man Barcelona aus einem anderen Blickwinkel sah.

Ich fühlte mich wie der Herr der Stadt.

Die Stadt lag mir zu Füßen.

Ich stellte die Klimaanlage an und alles war perfekt.

Dann erinnerte ich mich an meinen ersten Aufenthalt in Barcelona. 1980 war das. Meine damalige Freundin hatte hier Verwandte, bei denen wir wohnten; eine Tante von ihr zeigte uns die Stadt. Jene Beziehung hielt nicht. Und ich denke jetzt, achtunddreißig Jahre später, an sie. Eine vergessene Liebe, von der nur diese Erinnerung eines Mannes mit einem guten Gedächtnis bleibt. Was macht die Zeit aus uns? Trotzdem ist jener, der ich war, jener, der vor achtunddreißig Jahren mit seiner Freundin nach Barcelona kam, in meinen Körper, in mein Fleisch eingegraben.

Mein Zimmer im fünfzehnten Stock in diesem Hotel scheint ein heiliger Ort zu sein, ich bin derjenige, der ihm Geist einhaucht.

Langsam wird es Nacht.

Ab und zu schaue ich aus dem...
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