Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Staatsbürgerschaften

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am30.06.20221. Auflage
Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart wird der Bedeutungswandel von Staatsbürgerschaft gezeigt: ihr Aufstieg zur dominanten Form politischer Zugehörigkeit im Zeitalter des Nationalstaats und Instrument ethnischer und politischer Selektion in Diktaturen bis hin zur neuen Gestalt der Unionsbürgerschaft in der supranational organisierten Europäischen Union. Drei Länder Europas, die als Nachbarstaaten in besonders intensiver Weise durch existentielle Konflikte und politische Kooperation miteinander verflochten waren, dienen als Anschauungsbeispiel. Zwischen Frankreich, Deutschland und Polen haben tiefe ideologische Gegensätze sowie gewaltsame Auseinandersetzungen, aber auch von wechselseitigen Lernprozessen und Adaption über zwei Jahr-hunderte intensiver als in fast jeder anderen Region Europas die Geschichte der Staatsbürgerschaft geprägt.

Dorlis Blume, Fachbereichsleiterin Sonderausstellungen und Projekte, Deutsches Historisches Museum, Berlin.
mehr

Produkt

KlappentextVom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart wird der Bedeutungswandel von Staatsbürgerschaft gezeigt: ihr Aufstieg zur dominanten Form politischer Zugehörigkeit im Zeitalter des Nationalstaats und Instrument ethnischer und politischer Selektion in Diktaturen bis hin zur neuen Gestalt der Unionsbürgerschaft in der supranational organisierten Europäischen Union. Drei Länder Europas, die als Nachbarstaaten in besonders intensiver Weise durch existentielle Konflikte und politische Kooperation miteinander verflochten waren, dienen als Anschauungsbeispiel. Zwischen Frankreich, Deutschland und Polen haben tiefe ideologische Gegensätze sowie gewaltsame Auseinandersetzungen, aber auch von wechselseitigen Lernprozessen und Adaption über zwei Jahr-hunderte intensiver als in fast jeder anderen Region Europas die Geschichte der Staatsbürgerschaft geprägt.

Dorlis Blume, Fachbereichsleiterin Sonderausstellungen und Projekte, Deutsches Historisches Museum, Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492601993
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum30.06.2022
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse46635 Kbytes
Artikel-Nr.9112441
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Frankreich - Polen - Deutschland: Verflochtene Staatsbürgerschaften

Dieter Gosewinkel

Warum nimmt eine Ausstellung über die Geschichte der Staatsbürgerschaft gerade die Länder Frankreich, Polen, Deutschland in den besonderen Blick? Warum diese und nicht drei andere Länder? Dafür gibt es mehrere Gründe.
Warum Frankreich, Polen, Deutschland? Drei Antworten

Die erste Antwort ist politischer Natur, von der Gegenwart geleitet: Die drei Staaten bilden seit nunmehr drei Jahrzehnten das sogenannte Weimarer Dreieck, ein ständiges Forum des trilateralen außen- und sicherheitspolitischen Informationsaustausches. Die Außenminister der drei Länder erklärten 1991 bei der Gründung: »Europa steht an einem historischen Wendepunkt seiner Geschichte. Seine Völker und Staaten haben den Weg zu neuen Formen des Zusammenlebens beschritten. Wir sind uns bewußt, daß für das Gelingen zukunftsfähiger Strukturen europäischer Nachbarschaft Polen, Deutsche und Franzosen maßgebliche Verantwortung tragen.«[1] Diese vom historischen Impetus der Wendezeit und den Erfahrungen der Kriegsgeneration getragene friedens- und europapolitische Stoßrichtung des Dreibunds ist seit der Gründung allerdings immer wieder auf die Probe und infrage gestellt worden. Allzu sehr divergieren die Interessen etwa in sicherheits- und europapolitischen Problemfeldern. Der Multilateralismus als solcher geriet unter Druck. Ein gegenwärtiges politisches Bündnis ist als Antwort auf die Ausgangsfrage schon deshalb nicht ausreichend.

Die zweite Antwort zielt auf die Eigenart der Staatsbürgerschaft als eines rechtlichen und politischen Konzepts, das grundsätzlich, und zwar in doppelter Hinsicht, auf Grenzüberschreitungen angelegt ist. Während der Rechtsstatus der Staatsbürgerschaft von seinem Ausgangspunkt her im Innern einer Gesellschaft Grenzen des Standes, der Religion, der Klassen und Ideologien überschreitet, indem er rechtliche Gleichheit unter den Angehörigen verschiedener Gruppen herstellt, richtet er sich seit dem 19. Jahrhundert zunehmend auch nach außen. Mit der Entwicklung zum Nationalstaat, im Zuge wechselseitiger Abgrenzung der europäischen Nationalstaaten nach politischen, kulturellen, ethnischen oder »rassischen« Kriterien, erhielt auch der Mitgliedschaftsstatus der Staatsbürgerschaft eine nach außen gerichtete Abgrenzungswirkung. Die nationale Ausformung der Staatsbürgerschaftskriterien nach innen hatte damit immer zugleich eine transnationale Reflexwirkung, die sich sowohl in der Ausübung territorialer wie personaler Hoheitsgewalt des Staates auswirkte. Es ist daher von der Sache her geradezu zwingend, das historische Funktionieren der Staatsbürgerschaft anhand von benachbarten Staaten zu zeigen, die durch Migration, wechselseitige Beobachtung und Beeinflussung sowie durch territoriale Konflikte eng miteinander verbunden sind. Allerdings hätte man unter diesem Gesichtspunkt auch andere Nachbarstaaten wählen können: im Hinblick auf Frankreich das gleichfalls imperiale Spanien; neben Deutschland die kulturell verwandten, aber territorial und politisch verschiedenen Gebiete der Schweiz und Österreichs; für Polen den jahrhundertelangen geopolitischen Konkurrenten und hegemonialen Gegner Russland.

Die dritte und maßgebliche Antwort, warum in der Ausstellung über die Geschichte der Staatsbürgerschaft die Länder Frankreich, Deutschland und Polen zusammengespannt werden, liegt in der spezifischen Art und Entwicklung ihrer Nachbarschaften begründet. Es handelt sich um politische, kulturelle und militärische Nachbarschaftsverhältnisse von herausragender Intensität. Sie reichen von kultureller Bewunderung und Adaption über kühle machtpolitische Annexionspolitik bis hin zu exterminatorischer Feindschaft. Neben den sogenannten Erbfeinden Deutschland und Frankreich wird mit der Paarung Polen-Deutschland ein nicht minder lang anhaltender, ideologisch aufgeladener und territorial ausgetragener Antagonismus behandelt. Was diese drei Länder im Herzen Europas in besonderer Weise verbindet, ist ihre Geschichte von nationalstaatlicher Abgrenzung und Gewalt. Frankreich, Deutschland und Polen bilden wie die »Bloodlands«, die Länder Ost- und Mitteleuropas unter stalinistischer und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft,[2] eine Schütterzone, die bis in die Vormoderne zurückreichende Konkurrenzverhältnisse, Gewalterfahrungen und Kreisläufe revisionistischer Politik ausprägten. Anders als in den »Bloodlands« wirkten sich die Konflikte zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, an der Schwelle zwischen West- und Osteuropa, auf das politische Gefüge des gesamten Kontinents aus. Deutschland konnte nur durch die Einverleibung Polens und die Niederringung Frankreichs zur europäischen Großmacht aufsteigen. Polen seinerseits konnte nur durch die militärische Niederlage Deutschlands mithilfe Frankreichs als Nationalstaat entstehen. Die grenzüberschreitende Dimension und die Regelungsfunktion der Staatsbürgerschaft waren aufgrund der anhaltenden Abgrenzungskämpfe zwischen diesen Ländern und ihren Völkern bei der Zuordnung von Territorien und Gruppen ständig herausgefordert. Mit dem Rechtsinstrumentarium und einer Politik der Staatsbürgerschaft mussten die Folgen von Okkupationen - beispielsweise nach 1918 im französisch besetzten Rheinland, nach 1939/40 unter deutscher Besatzung in Polen und Frankreich - sowie von Annexionen - beispielsweise 1871 in Elsass-Lothringen, nach 1918 und 1945 in den ehemals deutschen Gebieten Polens und Frankreichs - bewältigt werden. Auf der anderen Seite stand der in Friedenszeiten dominante wirtschaftliche und kulturelle Austausch, der, im europäischen Vergleich, zwischen Frankreich, Deutschland und Polen besonders intensiv war. Frankreich und Deutschland gehörten über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts gegenseitig zu den wichtigsten Handelspartnern und hatten, wenn auch in geringerem Umfang, dauerhaft Austausch in der Arbeitsmigration.[3] Deutschland war für Polen vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg das wichtigste Zielland der Arbeitsmigration[4] und stieg nach 1989 zu Polens wichtigstem Handelspartner und Auswanderungsland auf.[5] In diesen Bereichen wurde das Recht der Staatsbürgerschaft zu einem wichtigen Regulativ, das über die Aufenthaltsberechtigung und die Integration im anderen Land durch Eheschließung und Einbürgerung entschied.

Die in Konflikt und Austausch besonders enge historische Verflechtung der drei Nachbarländer Frankreich, Deutschland und Polen im Herzen Europas tritt in der Geschichte ihrer Staatsbürgerschaften zutage und wird im Recht der Staatsbürgerschaft institutionell verstetigt. Das ist bisher noch kaum erkannt und behandelt worden.[6] Auch in diesem Sinn betritt eine Ausstellung über Staatsbürgerschaften in Frankreich, Deutschland und Polen Neuland.
Was bedeutet Staatsbürgerschaft? Konzeptionelle Dimensionen

Die Staatsbürgerschaft ist in ihrem Kern und Ausgangspunkt ein rechtlich geformter Status der Mitgliedschaft, der in seiner Entstehung und praktischen Wirkung Gegenstand politischer Kämpfe ist.[7] Diese Kämpfe werden aufgrund der doppelten Grenzziehung, die die Staatsbürgerschaft markiert, sowohl im Innern eines Staates als auch in der Abgrenzung gegenüber anderen ausgetragen. Kämpfe um die Staatsbürgerschaft sind somit Kämpfe um Zugehörigkeit. Die Geschichte der Staatsbürgerschaft ist in doppelter Weise nicht nur ein genaues Abbild dieser Kämpfe, sondern zugleich einer ihrer konstituierenden Faktoren: Einmal getroffene politische Entscheidungen über Zugehörigkeit verfestigen sich im Recht der Staatsbürgerschaft, das eine hohe institutionelle Beharrungskraft zu entwickeln vermag, wie etwa das prinzipiell noch heute geltende Territorialprinzip der Staatsangehörigkeit in Frankreich von 1889 oder das - mit Einschränkungen - dem Grunde nach bis heute beibehaltene Abstammungsprinzip in den Gesetzen Deutschlands 1913 und Polens 1920 und 1951. Damit prägen diese Gesetzesentscheidungen vielfach über längere historische Phasen die Verteilung des Zugangs zu grundlegenden Rechten, aber auch Konstruktionen nationaler Identität und Abgrenzungsvorstellungen gegenüber dem Nichtzugehörigen.

Die Funktion doppelter...
mehr

Autor