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Wann das mit Jeanne begann

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am28.07.2022Auflage
Gertrude Clärenore Schmidt ist seit hundert Jahren mit Jacek Wozniak liiert, dem vielleicht ältesten weißen Mann auf Erden. Ihr Weg hat beide um die Welt geführt bis ins französische Clisson, wo das eigenartige Paar von Geschichten eingeholt wird, die lange vor ihnen die Menschen bewegt haben. Starke Frauen spielen darin mit, etwa Jehanne d'Arc und Jeanne de Belleville, eine blutrünstige Piratin. Ein Roman wie ein Paralleluniversum, in dem womöglich andere Naturgesetze gelten, eine menschliche Komödie voller Witz und Wehmut, in der alles sich um die Liebe dreht in ihren vielfältigen Spielarten.

Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik, Tagebücher, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und komponiert Musik. Von ihm erschienen u.a. »Fette Welt« (1992), »Melodien oder Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter« (1993), »Thanatos« (1996), »Der große Bagarozy« (1997), »UC (Ultrachronos« (2003), »Eros« (2006), »Die kleinen Gärten des Maestro Puccini« (2008), »Einsamkeit und Sex und Mitleid« (2009), »Die letzten schönen Tage« (2011), »Nicht ganz schlechte Menschen« (2012), »Gebrauchsanweisung für den FC Bayern München« (2015), »Alles ist gut« (2015), »Geschehnisse während der Weltmeisterschaft« (2018) und zuletzt der Lyrikband »Glutnester« (2021) sowie die Romane »Trennungen. Verbrennungen« (2019), »Für die Ewigkeit. Die Flucht von Cis und Jorge Jega« (2020) und »Wann das mit Jeanne begann« (2022). Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt und seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextGertrude Clärenore Schmidt ist seit hundert Jahren mit Jacek Wozniak liiert, dem vielleicht ältesten weißen Mann auf Erden. Ihr Weg hat beide um die Welt geführt bis ins französische Clisson, wo das eigenartige Paar von Geschichten eingeholt wird, die lange vor ihnen die Menschen bewegt haben. Starke Frauen spielen darin mit, etwa Jehanne d'Arc und Jeanne de Belleville, eine blutrünstige Piratin. Ein Roman wie ein Paralleluniversum, in dem womöglich andere Naturgesetze gelten, eine menschliche Komödie voller Witz und Wehmut, in der alles sich um die Liebe dreht in ihren vielfältigen Spielarten.

Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik, Tagebücher, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und komponiert Musik. Von ihm erschienen u.a. »Fette Welt« (1992), »Melodien oder Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter« (1993), »Thanatos« (1996), »Der große Bagarozy« (1997), »UC (Ultrachronos« (2003), »Eros« (2006), »Die kleinen Gärten des Maestro Puccini« (2008), »Einsamkeit und Sex und Mitleid« (2009), »Die letzten schönen Tage« (2011), »Nicht ganz schlechte Menschen« (2012), »Gebrauchsanweisung für den FC Bayern München« (2015), »Alles ist gut« (2015), »Geschehnisse während der Weltmeisterschaft« (2018) und zuletzt der Lyrikband »Glutnester« (2021) sowie die Romane »Trennungen. Verbrennungen« (2019), »Für die Ewigkeit. Die Flucht von Cis und Jorge Jega« (2020) und »Wann das mit Jeanne begann« (2022). Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt und seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827080561
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum28.07.2022
AuflageAuflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8243 Kbytes
Artikel-Nr.9112488
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Leben im Schatten verblutender Pferde

Vor einiger Zeit hat Jacek sich verliebt. Ausgerechnet in eine Tote. Das sind keine einfachen Beziehungen. Gut, manche sagen so, andere so. Selbstverständlich war ich eifersüchtig. Wir beide waren ihr, Jeanne, nur ein einziges Mal begegnet, während eines verunglückten Zeitentaumels, der eigentlich einer anderen gegolten hatte. Sekunden, während derer wir uns in ihrer Nähe befanden und zu Zeugen ihrer brutalen Leibhaftigkeit wurden.

Jeanne war damals nicht mehr ganz jung, schon nicht mehr ganz blond, aber sie schwang ein doppelschneidiges Schwert über ihrem Kopf, trug hohe Stiefel bis über die Knie und ihr Haar offen, ungebändigt. Sie erspähte uns, taxierte uns, wusste nicht, ob wir zu den Freunden oder Feinden zählten, schien aber auf Nummer Sicher gehen zu wollen und sprang uns entgegen. Mit einem Gebrüll, das dem eines Tieres glich, nur eben keinem uns bekannten. In diesem Moment brach der Zeitentaumel ab. Unsere Kopfkissen waren nass von Schweiß.

Jacek konnte stundenlang nicht sprechen. Oder wollte nicht sprechen. Irgendwann murmelte er was von »dunkler, fast schwarzer Energie«, vom »Mysterium des Mensch gewordenen Racheengels«, dann schlief er mit mir, ohne mich zu liebkosen, einfach, um runterzukommen, um sich von ihr abzulenken, loszueisen. Es war bereits zu spät.

Inzwischen vermeidet Jacek das Thema, wenn es sich nicht aufdrängt. Als sei es ihm peinlich. Ist es ja auch. Er begehrt eine Tote. Spricht man ihn drauf an, redet er sich gern auf ein rein berufliches, wissenschaftliches Interesse hinaus. Mit Jeanne, der grausamsten Frau, die je auf Erden gelebt hat, bla, könne ein enormer Zauber vollzogen werden. Bla. Zauber ist in diesem Fall ein sehr dehnbarer, fast schwammiger Begriff. Keine Ahnung, wie Jacek sich das vorstellt. Was er sich vorstellt. Vermutlich weiß er das selbst nicht.

Man könnte zu seinen Gunsten annehmen, er wolle meine Gefühle nicht verletzen, aber die sind ihm ziemlich egal. Unsre Beziehung ist von seiner Seite her eindeutig definiert worden, am 3. November 1924, an Deck des Dampfers RMS Mauretania in einer schwül-warmen Vollmondnacht auf dem Pazifik, hundert Meilen südlich von Jakarta. Ich zitiere wortgetreu: »Die Liebe ist eine Konfusion der Gefühle, die ich mir nicht leisten darf, Trudi. Du bist meine Freundin und Gefährtin, damit gut. Genügt dir das nicht, geh deiner Wege, mit meinem vollsten Verständnis. Solange wir uns beide nützlich sind, solange wir uns aneinander levitieren, werde ich dich achten. Mehr anzubieten ist mir nicht möglich.«

So lautete Jaceks Antwort auf meinen simplen Satz: »Ich liebe dich.«

Und so halten wir es, seit nunmehr fast hundert Jahren.

Aber ich muss viel weiter ausholen, um. Dabei weiß ich gar nicht, ob. Und welchen Sinn das. Egal, ich sitze hier in einem alten Farmhaus, und jeden Tag, jede Stunde könnte Zia über uns kommen, ich muss irgend etwas.

Andere waschen ab, ich schreibe auf.

Vielleicht ist Jeanne ein guter Anfang. Oder Jehanne.

Ich weiß nicht, wo mir der Kopf.

 

Erste öffentliche Sitzung, 21. Februar 1431. Königliche Kapelle des Schlosses zu Rouen. Den Vorsitz hat Pierre Cauchon, Bischof von Beauvais. 43 Beisitzer, Jehanne

Jehanne: Die Offenbarungen, die mir Gott zuteil werden ließ, habe ich mit niemandem geteilt außer Charles, meinem König. Über diese Dinge würde ich nicht reden, selbst wenn man drohte, mich zu enthaupten; denn sie entstammen Visionen oder der Stimme meines geheimen Ratgebers.

Die Katastrophe am Berg Ararat hatte uns erneut um Jahrzehnte zurückgeworfen, beinahe so schlimm wie damals der Wahnsinn in Paraguay.

Sieben der elf ehernen Koffer - für immer verloren. Und es war heiß. Hitze und Gestank, klebrige Luft. Vieles, das hätte gekühlt werden müssen, roch nach Verwesung. Trudi standen die Strapazen ins Gesicht geschrieben. Um ehrlich zu sein, sah sie vorher schon aus wie ihre eigene Mumie. Nun mussten wir wieder Lotto spielen, um an Geld zu kommen

Wir hätten, ganz klar, von Anfang an nach Frankreich gehen sollen, ohne Umweg. Aber das wäre nach dem Krieg nicht so leicht gewesen, hätte Mühsal und Aufwand bedeutet. Ach, es wäre schon irgendwie gegangen, wir waren nur zu bequem. Wir haben es versaut. Also ich, ich ganz allein. Trudi trifft keine Schuld. Na ja. Vielleicht ein bisschen. Sie hätte mich öfter in den Hintern treten müssen.

Wie dem auch sei, nun waren wir endlich angekommen.

Nach soviel Diaspora und Depression, nach einem langen Leben im Schatten verblutender Pferde, weggeschossen unter unseren Sätteln. Es gleicht dem Gefühl, kehrt man als Kind von einer ersten großen Reise nach Hause zurück. Und gibt es kein Zuhause mehr in dieser Welt, sollte es, wenigstens, eine uns ausnahmsweise gewogene Fremde sein.

Jacek redet von Frankreich, von der Bretagne, von Clisson. Eine winzige Stadt, eher ein größeres Dorf, südöstlich von Nantes. Per Airbnb hatten wir uns dort für die nächsten sechs Monate ein abgelegenes Farmhaus gemietet. Wir legen auf Nachbarn selten Wert. Und die nicht auf uns.

 

Dritte öffentliche Sitzung, Samstag, 24. Februar 1431. Der Bischof, 62 Beisitzer, Jehanne

Magister Jean Beaupère: Wann hast du zuletzt gegessen und getrunken?

Jehanne: Seit gestern nachmittag habe ich weder gegessen noch getrunken.

Magister Jean Beaupère: Hast du wieder die Stimme gehört?

Jehanne: Gestern und heute.

Magister Jean Beaupère: Wann gestern?

Jehanne: Dreimal - einmal am Morgen, ein zweites Mal bei der Vesper, das dritte Mal beim Läuten des Ave-Maria am Abend. Manchmal habe ich sie viel öfter gehört.

Magister Jean Beaupère: Was hast du am Morgen gemacht, als die Stimme zu dir kam?

Jehanne: Ich habe geschlafen, die Stimme hat mich geweckt.

Magister Jean Beaupère: Bist du am Arm berührt worden?

Jehanne: Die Stimme hat mich geweckt, ohne mich zu berühren.

Magister Jean Beaupère: Befindet sich diese Stimme in deiner Zelle?

Jehanne: Ich weiß es nicht, aber sie ist im Schloss.

Magister Jean Beaupère: Hast du dich nicht bedankt und bist niedergekniet?

Jehanne: Ich habe mich bedankt, aber, ans Bett gefesselt, konnte ich nur die Hände falten; erst danach habe ich um Beistand gebeten. Die Stimme riet mir, ich solle Euch mutig antworten. (...) Gott werde mich trösten.

Magister Jean Beaupère: Welchen Wortlaut hat die Stimme benutzt? Hat sie bestimmte Wörter verwandt [oder teilte sie sich über ein Gefühl mit]?

Jehanne: Die Stimme hat bestimmte Worte gebraucht, aber ich habe nicht alle verstanden. [Sie wendet sich an den Bischof von Beauvais] Ihr sagt, Ihr seid mein Richter. Passt auf, was Ihr tut, denn ich bin von Gott gesandt, und Ihr bringt Euch in große Gefahr ...

Das Haus besitzt einen intakten, frisch renovierten Wohntrakt, etwa 100 Quadratmeter, mehr benötigen wir nicht. Daneben gibt es zwei große, leerstehende Scheunen. Zum Anwesen gehörten etliche Felder und ein Wäldchen, nun aber nicht mehr, sie sollen in den nächsten Jahren zu Bauland deklariert werden. Schade, ansonsten wir überlegt hätten, den Hof zu kaufen und zum Alterssitz auszubauen. Bald mussten wir feststellen, dass wir hier nicht allein sind. In einer der Scheunen lungert ein Lemur.

Das kann Ihnen für den Moment völlig egal sein, darum geht es nicht. Jacek hat davon angefangen. Immer hat Jacek mit allem angefangen. Auch mit Jehanne. Ich erzähle es so, dass auch Sie es. Europa, Zwanzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir sind da noch in Neuseeland. Egal.

Ich nehme an, dass mehr oder weniger gebildete Menschen die Geschichte der Johanna von Orléans, wie sie in Deutschland genannt wird, gründlich kennen. Deshalb sei ihr Werdegang für alle anderen in einfacher Sprache dargelegt:

Jehanne ist ein Mädchen, das nie was mit einem Jungen hatte. Oder sonstwem. Sie hört, seit sie 13 ist, Stimmen. Die sind in ihrem Kopf. Sie gehorcht den Stimmen. Sie geht zum französischen Dauphin. So heißt in Frankreich der Thronfolger. Mit Vornamen heißt er Charles. Sie fragt ihn, ob sie sein Heer anführen darf. Er weiß erst nicht so recht. Dann sagt er ja. Jehanne und das Heer greifen die englischen Besatzer an. Engländer gehören nicht nach...
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