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Gleißendes Licht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am31.01.20231. Auflage
Türkisch. Deutsch. Armenisch. Eine Familiengeschichte voller Glanz, Tragik und Gewalt. Als der Berliner Komponist Kaan für einen längeren Aufenthalt nach Istanbul reist, wird er mit Gewalt auf die verschüttete Geschichte seiner Familie gestoßen. Deutlich und unerwartet überkommt ihn das Trauma seiner Großmutter, die durch den Völkermord an den Armeniern zur Waise wurde. Kaan beginnt, sich zu erinnern: an seine Großeltern, sie Armenierin, er Türke, die in den Jahren der Republik unter Atatürk zu Wohlstand kamen, um am Ende doch alles zu verlieren. An seine Mutter, die ihre türkische Heimat für einen deutschen Mann hinter sich ließ. An seine eigene Kindheit, Besuche bei den Großeltern am Schwarzen Meer, die nach grünen Bohnen und salzigem Fisch schmeckten, nach der Wärme der Ba?lama klangen und in den Farben der Wellen leuchteten. Und während Kaan erzählt, erfasst ihn ein Wunsch nach Rache. Und nach Vergebung. Marc Sinans Romandebüt besticht durch Erfindungskraft, Poesie und fantastische Erzähllust.  

Marc Sinan wurde 1976 als Sohn einer türkisch-armenischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Er ist Komponist und Gitarrist. Täter und Opfer und Völkermord: darum geht es in Marc Sinans Werk, u.a. dem Musiktheater 'Komitas', der Konzertinstallation 'Hasretim (Meine Sehnsucht) - eine anatolische Reise' und dem Oratorium 'Gleißendes Licht'. In seinem ersten Roman, der ebenfalls den Titel 'Gleißendes Licht' trägt, greift er diese Themen auf und verarbeitet sie zum ersten Mal literarisch. Marc Sinan lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextTürkisch. Deutsch. Armenisch. Eine Familiengeschichte voller Glanz, Tragik und Gewalt. Als der Berliner Komponist Kaan für einen längeren Aufenthalt nach Istanbul reist, wird er mit Gewalt auf die verschüttete Geschichte seiner Familie gestoßen. Deutlich und unerwartet überkommt ihn das Trauma seiner Großmutter, die durch den Völkermord an den Armeniern zur Waise wurde. Kaan beginnt, sich zu erinnern: an seine Großeltern, sie Armenierin, er Türke, die in den Jahren der Republik unter Atatürk zu Wohlstand kamen, um am Ende doch alles zu verlieren. An seine Mutter, die ihre türkische Heimat für einen deutschen Mann hinter sich ließ. An seine eigene Kindheit, Besuche bei den Großeltern am Schwarzen Meer, die nach grünen Bohnen und salzigem Fisch schmeckten, nach der Wärme der Ba?lama klangen und in den Farben der Wellen leuchteten. Und während Kaan erzählt, erfasst ihn ein Wunsch nach Rache. Und nach Vergebung. Marc Sinans Romandebüt besticht durch Erfindungskraft, Poesie und fantastische Erzähllust.  

Marc Sinan wurde 1976 als Sohn einer türkisch-armenischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Er ist Komponist und Gitarrist. Täter und Opfer und Völkermord: darum geht es in Marc Sinans Werk, u.a. dem Musiktheater 'Komitas', der Konzertinstallation 'Hasretim (Meine Sehnsucht) - eine anatolische Reise' und dem Oratorium 'Gleißendes Licht'. In seinem ersten Roman, der ebenfalls den Titel 'Gleißendes Licht' trägt, greift er diese Themen auf und verarbeitet sie zum ersten Mal literarisch. Marc Sinan lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644014169
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum31.01.2023
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3205 Kbytes
Artikel-Nr.9141024
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erster Teil: Kayıp Masumiyet, Die verlorene Unschuld
München, 1986 bis 1992

Kaan war ein miserabler Fußballer, und die Kinder, mit denen er spielte, fühlten sich nicht wie Freunde an. Roland ein wenig, aber der war zwei Jahre älter als er und sein Vater Dorfpolizist, der die Republikaner wählte. Wenn Kaan zu Roland nach Hause ging, spielten sie Nachmittage auf dem Commodore C64, der für ihn unerreichbar blieb. Jedes Jahr wünschte Kaan sich einen zu Weihnachten und dann, als er wieder nur Bücher und Kleidung bekam, zum Geburtstag. Zu seinem zehnten Geburtstag bekam er einen schnöden Schachcomputer, der ihn zu Tode langweilte, weil er ihn entweder mit wenigen Zügen mattsetzte oder weil er nach ewig dauernden, einsamen Spielen verlor. Da gab er auf und wünschte sich nichts mehr. Auf Rolands C64 spielten sie Vampire´s Empire und tranken Spezi, bis ihre Augen brannten. Das war es, was er wollte: spielen, bis die Augen brennen. Und eine Mutter, die Spezi und lasche, warme Wiener Würste auf einem Tablett ins Kinderzimmer bringt. Aber nichts davon wäre im Bereich des Denkbaren gewesen.

Alles war gewöhnlich an Kaan. Seine blonden Locken, das Haus der Familie im Vorort von München, zehn Minuten mit dem Fahrrad zur S-Bahn, ein Reihenmittelhaus. Der Vater, Ingenieur mittleren Alters, mittlerer Angestellter bei Siemens. Die Mutter, technische Zeichnerin, hatte in seiner Abteilung gearbeitet und wusste gleich, er war der Richtige für sie. Kein Macho, ein weicher, schüchterner, gut gekleideter und recht attraktiver Mann, unerfahren in der Liebe und ihr völlig verfallen. Sie verliebte sich ein wenig in ihn, und ihr Verstand sagte ihr, dass er ihr gegenüber loyal sein würde. Ihr Gefühl sagte ihr, dass das mehr war, als sie je von einem der Männer hätte erwarten können, die sie sehr geliebt hatte.

Ungewöhnlich für eine Münchner Durchschnittsfamilie war, dass Kaans Mutter Nur hieß. Nach einem Jahr in München sprach sie fließend Deutsch. Nach einem weiteren Jahr perfekt, sodass man sie am Telefon für eine junge Frau aus Hannover oder Braunschweig hielt und nicht für eine Türkin vom Schwarzen Meer. Zwei Wendungen sollten sie jedoch für immer verraten. Sie sagte «Miltsch» statt «Milch» und «Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum weg». Doch die wusste sie zu vermeiden. Sie war schön, schämte sich aber für ihre schiefen Zähne. Sie war sehr klein, doch das war ihr nicht bewusst.

Kaan. Ein beschissener Name für Deutschland, ein beschissener Name fürs Dorf. Kahn, Kanu, Kanne, Kannix, Kack, Kaan Bock, Schlag-mich-tot-mit-doofen-Spitznamen. Doch kam ihm jemand blöd, regelte es seine Mutter. Direkt auf der Straße, wenn er sein weinrotes Fahrrad heulend auf den Asphalt knallte, nach Hause rannte, petzte und sie die Übeltäter gleich zu fassen bekam. Oder sie ging zu den Müttern an deren Reihenhaustür und machte sie zur Schnecke. Bald sagten alle «Kaan». Punkt.

Wenn einer deinen Namen anrührt, will er dich anrühren, sagte Nur ihm, wenn sie ihm am Abend Geschichten vorlas. Er will dich ändern. Denn das Wort wird dich formen. Kaan ist türkisch und heißt, du bist der Boss, und: das Leben ist ein Kampf. Sie las ihm Grimms Märchen vor, Krieg und Frieden, Andersens Märchen, Doktor Schiwago, Jack London, Karl May, Elias Canetti. Sie hatte keine Ahnung von Kindern, das lag wohl an ihrer eigenen Mutter.

Auch sonst tat Nur alles dafür, dass die Menschen im Dorf dachten, er sei ein deutsches Kind. Sie sprach, bis er in die Schule kam, ausschließlich Deutsch mit ihm. Sie kleidete ihn wie ein reiches Kind, mit Kickers-Sandalen, Petit-Bateau-Unterhemden, dunkelblauen Socken, die Fussel zwischen den Zehen hinterließen. Kaan liebte heimlich den käsigen Geruch seiner Füße, den nur die Kombination aus jenen Sandalen und jenen Socken an bayerischen Sommertagen zustande brachte. Ein deutsches Kind, bis auf den Namen.

 

Den ganzen Nachmittag hatten sie Fußball gespielt, und seine Nichtfreunde hatten ihn ins Tor gestellt, an der Seite des Platzes, die stark abfiel und an einen steilen, verwilderten Hang grenzte, der in einen Wald überging. Das Tor hatte kein Netz. Also musste Kaan unzählige Male den Hang hinab und im Gestrüpp den Ball finden. Ob er den Ball nicht hielt, wie meistens, wenn den anderen ein Schuss aufs Tor gelang, oder ob sie danebenschossen, spielte keine Rolle. Der Torwart holt den Ball.

Irgendwann gab Kaan es auf, ihn halten zu wollen, und übte stattdessen, cool zu springen, wenn jemand aufs Tor schoss. Hechtrolle war sein Ziel. Roland, der in der gegnerischen Mannschaft war, hatte Kaans Mitspieler lieblos ausgedribbelt und sich seinem Tor auf wenige Meter genähert. Oder war es ein Meter? Jedenfalls zog er durch, mit der Kraft eines Erwachsenen. Kaan warf sich an diesem schwülen Donnerstagnachmittag des 31. Juli 1986 in die Hechtrolle, und wie es der Teufel wollte, kreuzten sich Rolands brachialer Nahschuss und Kaans Sprung in der Art, dass das Leder ungebremst in Kaans Eier knallte.

Der Schmerz war unbeschreiblich, Kaan wurde ohnmächtig. Sein rechter Hoden schwoll am Abend zur Größe eines Tennisballs. Er pulsierte und fühlte sich an wie heiße gebratene Hühnerherzen.

 

Im schlampig gekachelten Bad der Eltern eines Freundes steht Kaan knappe sechs Jahre später, wenige Wochen vor Beginn der Sommerferien, mit heruntergelassener Hose und ist verzweifelt. Sein rechter Hoden ist wieder geschwollen, und er schmerzt wie damals, als er nach Rolands Schuss überzeugt war, nie mehr zeugungsfähig zu sein, weil seine Mutter es gesagt hatte.

Die Party ist verlaufen wie alle Feste, die er mit seinen Freunden feiert. Nun hat er Freunde. Jeden Tag fährt er mit der S-Bahn die 35 Kilometer in die Stadt, um dort ein musisches Gymnasium zu besuchen. Eine Schule mit lauter Gleichgesinnten. Fast alle haben Eltern, die ihre Kinder für hochbegabt halten. Das Gefühl verbindet. Sie spielen Instrumente, singen im Chor, spielen Theater oder malen mit Öl auf Leinwand.

Nach Rolands Schuss begann in Kaans Jugend eine neue Zeitrechnung. Er spielte fortan weder Fußball noch Computer mit seinen Nichtfreunden. Er übte nur noch Gitarre. Täglich drei, vier Stunden, manchmal mehr. Er hatte die Schule gewechselt, Jugendwettbewerbe gewonnen und die Aufnahmeprüfung als Jungstudent am Mozarteum in Salzburg bestanden. Jede Woche freitags fuhr er mit dem Zug dorthin und nahm Unterricht bei einem berühmten Amerikaner und einem jungen kubanischen Meister, dessen freizügige Lebensweise Kaan schockierte, überforderte und zutiefst beeindruckte.

Natürlich stieg ihm dieses Leben zu Kopf. Das Gefühl, besonders zu sein und einzigartig, hatte Nur in ihm gesät. Alles sei für einen wie ihn möglich, jede Tür stehe ihm offen, ihrem Sohn, dem Enkel von Hüseyin Umut, dem legendären Haselnussmagnaten des Schwarzen Meeres.

Kaan versucht, seinen Schmerz zu stillen. Auf Zehenspitzen steht er vor dem Waschbecken und schöpft eiskaltes Wasser aus der Leitung über sein Geschlecht. Doch erst das kühle Porzellan des Beckens bringt Linderung.

Es ist ein sechzehnter Geburtstag, den sie feiern. Die Muster der Abende, die die Jugendlichen gemeinsam verbringen, ähneln sich. Sie treffen sich am späten Nachmittag, entzünden ein Feuer im Garten, essen Selbstgekochtes, Mitgebrachtes, Salat, Chips, Bolognese, Grillwürstchen, Gummibärchen, und beginnen früh, Bier zu trinken. Einer spielt Gitarre und singt halbe Lieder von Nirvana, den Fugees, Eric Clapton und den Beatles.


Michelle, ma belle

These are words sed go together well

Michelle, ma belle

Se la ba la sed

Tres bien la la da

I love you, I love you, I love you

scheissescheisse


Das Haus des Freundes ist ein ehemaliger Bauernhof, weit draußen zwischen Seen, S-Bahn-Gleisen und Waldrand. Die Feuchte des Waldes kühlt das Haus, er hat eine mythische Dimension, ist schier unendlich. Viel später wird Kaan an Adalbert Stifter denken oder an Lars von Trier, wenn er sich an diesen Wald erinnert. Als bald Sechzehnjähriger ist er nur beunruhigt. Er kann es nicht in Worte fassen, es ist ein Tagtraum, der ihn heimsucht, der sich draußen in der Tiefe des Unterholzes verliert und der sein Gedärm in Unruhe bringt wie eine dunkle Vorahnung. Oder wie das Erschrecken über den verrenkten Körper eines gewaltvoll zu Tode gekommenen Tieres. Oder wie Frischverliebtsein.

Die Eltern des Freundes kommen nie vor, kein Mensch weiß, wo sie sind. Gegen zehn ist die eine Hälfte der Leute betrunken, die andere fährt mit der S-Bahn nach Hause. Die, die bleiben, die Coolen, spielen Trinkspiele, liegen sich bald in den Armen und knutschen harmlos miteinander.

Doch etwas ist diesmal anders. Kaan hat mit Susanne geknutscht. Susanne, zu der ihre Freunde kurz «Zizi» sagen, gesprochen mit weichem S, geschrieben mit hartem Z, nicht zu verwechseln mit der kaiserlichen Sissi. Eigentlich hatte er sich ein anderes Mädchen ausgeguckt. Eine aus der Zwölften, mit glatten, aschblonden langen Haaren und großen Zähnen, aber die hatte noch die S-Bahn genommen.

Dann also Zizi. Ein Mädchen, das die Klasse quer über den Schulflur besucht, die 11a oder e oder so, und die schöne, sehr uncoole Kleider trägt, geschnürte bis zu den Knien reichende Lederschuhe, schwarze blickdichte Strumpfhosen, weite Wollpullover.

Zizis Mund ist eine entspannte schmale Linie, kaum...
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Autor

Marc Sinan wurde 1976 als Sohn einer türkisch-armenischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Er ist Komponist und Gitarrist. Täter und Opfer und Völkermord: darum geht es in Marc Sinans Werk, u.a. dem Musiktheater "Komitas", der Konzertinstallation "Hasretim (Meine Sehnsucht) - eine anatolische Reise" und dem Oratorium "Gleißendes Licht". In seinem ersten Roman, der ebenfalls den Titel "Gleißendes Licht" trägt, greift er diese Themen auf und verarbeitet sie zum ersten Mal literarisch. Marc Sinan lebt in Berlin.