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Der Gesang in den Meeren

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am15.11.20221. Auflage
Von den Lagunen in Baja California bis zu den Gletschern des Nordpolarmeers legen Grauwalmütter mit ihren Kälbern jährlich Tausende von Meilen in dem sich aufgrund des Klimawandels erwärmenden Meer zurück. Es ist die längste Wanderung eines Säugetiers auf unserem Planeten. Doreen Cunningham, selbst alleinerziehende Mutter, folgt den Walen auf dieser gefährlichen Reise, zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Max - in Bussen, Zügen und auf Schiffen, allein und auf sich gestellt. Den Plan zu diesem Abenteuer hat sie an einem Tiefpunkt ihres Lebens gefasst: Gestrandet in einem Heim für obdachlose Mütter, erinnert sie sich an ihren Aufenthalt bei den Iñupiat im Norden Alaskas, an die unbändige Natur, die ihr schon einmal im Leben half. Nun will sie es mit Max erneut versuchen, ihm zeigen, wie Mensch und Wal verbunden sind, was Freiheit und Liebe bedeuten. In einer einzigartigen Mischung aus Memoir, Reisebericht und wissenschaftlicher Dokumentation erschafft Doreen Cunningham das berührend schöne Porträt einer bedrohten Welt.

Doreen Cunningham, geboren in Wales, ist ausgebildete Umweltingenieurin und arbeitete zunächst in der Klimaforschung am Natural Environment Research Council, dem britischen Forschungsrat für Umweltfragen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte und zwanzig Jahre lang für die BBC über Naturthemen berichtete. Sie hat außerdem Creative Writing studiert. 2020 wurde sie mit dem RSL Giles St Aubyn Award ausgezeichnet, und Der Gesang in den Meeren, ihr erstes Buch, stand auf der Shortlist des Eccles Centre and Hay Festival Writers Award 2021.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextVon den Lagunen in Baja California bis zu den Gletschern des Nordpolarmeers legen Grauwalmütter mit ihren Kälbern jährlich Tausende von Meilen in dem sich aufgrund des Klimawandels erwärmenden Meer zurück. Es ist die längste Wanderung eines Säugetiers auf unserem Planeten. Doreen Cunningham, selbst alleinerziehende Mutter, folgt den Walen auf dieser gefährlichen Reise, zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Max - in Bussen, Zügen und auf Schiffen, allein und auf sich gestellt. Den Plan zu diesem Abenteuer hat sie an einem Tiefpunkt ihres Lebens gefasst: Gestrandet in einem Heim für obdachlose Mütter, erinnert sie sich an ihren Aufenthalt bei den Iñupiat im Norden Alaskas, an die unbändige Natur, die ihr schon einmal im Leben half. Nun will sie es mit Max erneut versuchen, ihm zeigen, wie Mensch und Wal verbunden sind, was Freiheit und Liebe bedeuten. In einer einzigartigen Mischung aus Memoir, Reisebericht und wissenschaftlicher Dokumentation erschafft Doreen Cunningham das berührend schöne Porträt einer bedrohten Welt.

Doreen Cunningham, geboren in Wales, ist ausgebildete Umweltingenieurin und arbeitete zunächst in der Klimaforschung am Natural Environment Research Council, dem britischen Forschungsrat für Umweltfragen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte und zwanzig Jahre lang für die BBC über Naturthemen berichtete. Sie hat außerdem Creative Writing studiert. 2020 wurde sie mit dem RSL Giles St Aubyn Award ausgezeichnet, und Der Gesang in den Meeren, ihr erstes Buch, stand auf der Shortlist des Eccles Centre and Hay Festival Writers Award 2021.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644009684
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum15.11.2022
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse9900 Kbytes
Artikel-Nr.9141068
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

PROLOG

Der Wind weht mir Gischt ins Gesicht. Wellen schwappen gegen die Seitenwände unseres kleinen Fischerboots, als es aus dem Hafen hinaus in die aufgehende Morgensonne fährt, die den Horizont in Flammen aufgehen lässt. Vorne «hilft» mein zweijähriger Sohn Max, das Boot zu steuern. Ich kenne Chris, den Skipper, erst seit zwölf Stunden. Wir borgen uns einen Vater, einen, der das Meer kennt und uns seine Geheimnisse zeigen kann. Heute ist die letzte Chance, dass doch noch alles gut wird. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als diesem freundlichen Fremden zu vertrauen, mich dem Wind und dem Wasser hinzugeben, den Blick auf die Wellen zu richten und jede Woge, jede Strömung, jeden Strudel, jedes Kräuseln genau zu beobachten.

«Guck, alter Rosteimer», ruft Max aus der Kabine mit ausgestrecktem Arm, als wir langsam an dem blau-weißen, mit rotem Rost gestreiften Rumpf eines kommerziellen Fischerboots vorbeischippern. Max spielt Peppa Wutz nach, wenn Opa Wutz sich mit Opa Kläff streitet. Auf dem Bug des Fischerboots steht in großen weißen Buchstaben der Name: Faith - Vertrauen. Ich wende mich ab. Ich habe jegliches Vertrauen verloren, sowohl in meine Idee, dem Zug der Grauwale zu folgen, als auch in die Wale und vor allem in mich selbst. Ich wollte Max Walmütter und ihre Kälber zeigen, die von den Lagunen in Baja California bis zum Arktischen Ozean Tausende von Meilen zurücklegen, um ihm damit zu beweisen, dass auch wir beide alles schaffen, alle Hindernisse überwinden können. Aber eigentlich wollte ich es mir selbst beweisen, und nichts ist nach Plan verlaufen.

Kodiak Island, die letzte Station auf unserer Reise, ist ein wichtiger Zwischenstopp der Grauwale und für uns die letzte Möglichkeit, sie vor unserem Heimflug vielleicht doch noch zu sehen. Auf der Karte sieht die Insel aus wie zufällig vor der Küste Alaskas ins Meer geworfen, versenkt, so wie ich den Zehntausend-Pfund-Kredit zur Finanzierung der Reise versenkt habe. Unsere Visa sind ebenfalls abgelaufen. Die Reise sollte ein Neuanfang sein. Sie hat mich eine Zeit lang von meinen Problemen abgelenkt, aber jetzt türmt sich alles, wovor ich weggelaufen bin, wieder vor mir auf, die ganze lange Liste meines Versagens: Ich habe es weder geschafft, Max und mir ein erträgliches Leben zu ermöglichen, noch unseren Lebensunterhalt zu verdienen oder auch nur einfach weiterzumachen wie alle anderen. Ich habe wiederholt und spektakulär in der Liebe versagt und nicht kapiert, was für eine dämliche Idee diese Reise im Grunde genommen ist. Mein Versagen überwältigt mich derart, dass mir schwindelig wird. Ich kralle die Finger in das Holz der Reling, sie hinterlassen keine Spuren. Wir gleiten an der Arctic Hunter, an der Resolution, an der Provider und an der Lady Kodiak vorbei, die an der letzten Anlegestelle liegen. Das Boot nimmt Fahrt auf. Als wir den Schutz der Landspitze verlassen, werden die Wellen größer, rauer, grauer. Im Gegensatz zu mir verurteilt das Meer nicht. Es könnte mich ertränken und bliebe dabei völlig unpersönlich. Das Desinteresse ist tröstlich. Der eisige Wind betäubt den Schmerz in meiner Brust. Die Wassermassen, die sich in der Ferne donnernd gegen die Klippen werfen, übertönen mein Gedankenchaos.

Max sitzt auf Chris´ Knien, ein kleines Händepaar und ein großes Händepaar nebeneinander am Steuer halten uns auf Kurs. Max hat so viel Spaß, dass er nicht ein einziges Mal nach mir gerufen hat. Ich sehe einen breit lächelnden Mundwinkel, eine Pausbacke hinter blonden Zausellocken und den Kragen seines Hoodies. Er dreht sich um und sieht mich mit seinen großen, leicht länglichen und normalerweise blauen Augen an, die im Licht, das durch die Wolken fällt, weich und grau aussehen.

Kodiak Island verschwindet hinter uns im Meer. Wir befinden uns im Golf von Alaska, wo das Beringmeer sich an den Aleuten bricht, die sich westlich in Richtung Russland erstrecken. Das Volk der Unangan oder Aleuten nennt eine dieser Inseln den Geburtsort der Winde. Chris, ein ehemaliger Fischer, der zum Elektriker und Landei umgeschult hat, gönnt sich zum Vatertag einen Angelausflug. Während wir über die Wellen flitzen, werden seine Frau und die beiden kleinen Töchter auf den Bänken in der Kabine in die Luft geworfen. Max und ich haben uns ihnen angeschlossen, weil Chris die Futterplätze der Grauwale kennt.

Kodiak Island ist der Lebensraum von gruseligen Ungeheuern wie den Kodiak-Bären, aber auch diese wunderbare, freundliche Familie ist dort zu Hause. Außerdem ist die Insel für benthischen Schlick bekannt. Im Moment ist der Nebel zu dicht, um irgendeine Form von Leben auf dem Meer oder darin entdecken zu können, und in meiner Niedergeschlagenheit erscheint mir der kalte Schlamm am Meeresgrund geradezu verlockend. Ich halte mich am Schandeck fest, schließe die Augen und stelle mir vor, ich würde durch die Wasserschichten nach unten sinken.

Ich tauche mit den Walen. Über mir zieht sich das Licht zu einem glänzenden Kreis zusammen. Mein Blut fließt langsamer, die Lunge schließt sich, der Körper schaltet ab. Farben lösen sich auf. Ich bin in dunklem Dunst verloren. Ich höre den Meeresboden, er wellt sich, zerfließt. Wasser gluckert, Lebewesen wuseln, Krabben schnappen zu. Ich horche in der Dunkelheit nach Stimmen, rufe, versuche, die Grauen herbeizurufen.

Jetzt bin ich Wissenschaftlerin, untersuche den Schlick, das Gewimmel der Formenvielfalt. Muscheln surfen in der Strömung oder graben ihre Füße in den Grund, Bandwürmer krümmen und winden sich. Kommagarnelen mit gegabelten Schwänzen, Diastylidae aus der Ordnung Cumacea, wirbeln umher und laichen. Diese winzigen Garnelen sind der Grund für die weite Reise der Wale. Kaum zu glauben, dass solche Giganten sich von einer nur millimetergroßen Beute ernähren. Wenn die Wale den Meeresboden abgrasen und den Silt durch ihren Bartenvorhang filtern, wirbeln Schlammwolken auf wie Lavaflüsse. Aufgrund der klimawandelbedingten Veränderungen im Meer können Grauwale bei der Nahrungssuche nicht länger wählerisch sein. Hier um Kodiak Island herum müssen sie sich inzwischen mit einer kalorienärmeren und hartschaligen Garnelenart zufriedengeben.[1] Glücklicherweise sind sie im Grunde nichts anderes als Staubsauger.

Ich habe auf dieser Reise viel über Grauwale gelernt. Immer wenn Max schlief, habe ich gelesen.

Ihr seid einzigartige und eindrucksvolle Wesen, Wächter der Meere, Ökosystemexperten, Vorboten des Klimawandels, der uns alle betreffen wird. Aber wo zum Teufel steckt ihr? Wieso lasst ihr mich im Stich?

 

Vor der Geburt meines Sohnes hatte ich in London eine Eigentumswohnung, ein funktionierendes Sozialleben und eine erfolgreiche Karriere als Journalistin. Dann wurde mein Leben auf den Kopf gestellt. 2012, als Max ein Jahr alt war, lebte ich in einem Wohnheim für alleinerziehende Mütter auf der Insel Jersey, auf der ich aufgewachsen bin. Meine Ersparnisse waren dafür draufgegangen, mich vor Gericht mit Pavel, meinem Ex, um das Sorgerecht für Max zu streiten.

Im Wohnheim verhielt ich mich möglichst unauffällig und schirmte mich von der Außenwelt ab. So vieles war mir in so kurzer Zeit aus den Händen geglitten. Regelmäßige, bezahlte Arbeit, Schlaf, Freunde und Freundinnen, die ich aus Geldmangel nicht mehr anrufen konnte, meine Wohnung im Osten von London. Die gehörte mir zwar, aber ich konnte sie weder verkaufen, weil sie als negatives Kapital galt, noch die Hypothek bezahlen und selber darin wohnen. Und es gab noch andere Gründe, London zu meiden.

Es fühlte sich an, als würde ich von Neuem laufen und sprechen lernen. Die Welt schien mich nicht mehr zu erkennen, also konzentrierte ich mich auf das, was für mich ihren Mittelpunkt bildete, nämlich meinen einjährigen Sohn.

An einem Wintertag ging ich durch eine Seitenstraße von St. Helier, Jerseys Hauptstadt. Ich war auf dem Weg zu einer Food Bank, einer Lebensmittelausgabe, die sich über einem Laden der Heilsarmee befand. Ein Mann führte uns lächelnd an Kleiderständern vorbei zu einer Reihe von Vorratskammern im ersten Stock.

«Nehmen Sie, was immer Sie brauchen», sagte er. «So viel Sie tragen können.» Ich griff mit beiden Händen zu. Eine Tasche drohte schon zu reißen. Die Türklingel bimmelte, als ich den Laden mit drei Tüten voller Konservendosen in der einen und Max an der anderen Hand verließ.

Plötzlich eine bekannte Stimme: «Doreen!» Eine alte Schulfreundin stand mit herzlichem Lächeln vor mir. Vor zwei Jahrzehnten waren wir eng befreundet gewesen. «Du bist wieder da.»

«Hey! Ja, bin ich.» Ich setzte die Tüten ab.

«Ich wusste gar nicht, dass du ein Kind hast. Hallo, du Hübscher.» Sie nickte Max zu und sah dann wieder mich an. «Dein Mann ist aus England?» Max hüpfte hin und her und zog an meiner Hand.

«Es gibt keinen Mann, nur Max und mich. Wie geht es dir? Ist lange her.»

Ihre nächste Frage hing schon in der Luft. «Wohnst du wieder zu Hause bei deinen Eltern?»

Ich biss die Zähne zusammen. «Nein, meine Mum ist zu krank.» Ich griff nach den Tüten.

«Wo bist du denn untergekommen?» Sie runzelte die Stirn. «Wie kommst du klar? Hilft dir jemand?»

Mein Kopf schmerzte. Die Griffe der Plastiktüten schnitten mir in die Hand. Ich ließ mich von Max rückwärts die Straße entlangziehen.

«Uns geht´s gut. Schön, dich zu sehen», rief ich meiner alten Freundin zu. «Tut mir leid, ich muss weiter, wir sind spät dran.»

Auf dem Weg zurück ins Wohnheim kamen wir an einer Bäckerei vorbei, in deren Schaufenster Brötchen auf Backblechen lagen. In der Scheibe spiegelte sich eine Obdachlose, die meine...
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Autor

Doreen Cunningham, geboren in Wales, ist ausgebildete Umweltingenieurin und arbeitete zunächst in der Klimaforschung am Natural Environment Research Council, dem britischen Forschungsrat für Umweltfragen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte und zwanzig Jahre lang für die BBC über Naturthemen berichtete. Sie hat außerdem Creative Writing studiert. 2020 wurde sie mit dem RSL Giles St Aubyn Award ausgezeichnet, und Der Gesang in den Meeren, ihr erstes Buch, stand auf der Shortlist des Eccles Centre and Hay Festival Writers Award 2021.Karen Witthuhn übersetzt nach einem ersten Leben im Theater seit 2000 Theatertexte und Romane, u.a. von Simon Beckett, D.B. John, Ken Bruen, Sam Hawken, Percival Everett, Anita Nair, Alan Carter und George Pelecanos. 2015 und 2018 erhielt sie Arbeitsstipendien des Deutschen Übersetzerfonds.