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Totenwinter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am01.09.20221. Auflage
Eine Frau in den Wirren der Nachkriegszeit.

Das Ruhrgebiet im Winter 1947. Die junge Edith, aus Ostpreußen nach Bochum geflüchtet, hat endlich eine Anstellung gefunden - bei Pohlmann, einem Rechtsanwalt, der allerdings offenbar in Schwarzmarktgeschäfte verwickelt ist. Als ein ehemaliger KZ-Häftling, der bei den Arbeitern der Region ein hohes Ansehen genießt, ermordet in einem Eisenbahnwaggon aufgefunden wird, deutet einiges daraufhin, dass Pohlmann in diesen Mordfall verwickelt ist. Edith beschließt der Sache nachzugehen - ohne zu ahnen, worauf sie sich einlässt ...

Deutschland unmittelbar nach dem Krieg - eindringlich und authentisch geschildert.



Sabine Hofmann wurde 1964 in Bochum geboren und studierte Romanistik und Germanistik. Gemeinsam mit Rosa Ribas schrieb sie drei Kriminalromane über die Nachkriegszeit im Spanien. Zurzeit fasziniert sie die Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegszeit als Bodensatz ihrer Kindheitserinnerungen - der Geschichten und Erlebnisse von Eltern, Großeltern, die ihre eigene Kindheit prägten. Sie lebt mit Mann, Kind und Kater in Erbach im Odenwald.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine Frau in den Wirren der Nachkriegszeit.

Das Ruhrgebiet im Winter 1947. Die junge Edith, aus Ostpreußen nach Bochum geflüchtet, hat endlich eine Anstellung gefunden - bei Pohlmann, einem Rechtsanwalt, der allerdings offenbar in Schwarzmarktgeschäfte verwickelt ist. Als ein ehemaliger KZ-Häftling, der bei den Arbeitern der Region ein hohes Ansehen genießt, ermordet in einem Eisenbahnwaggon aufgefunden wird, deutet einiges daraufhin, dass Pohlmann in diesen Mordfall verwickelt ist. Edith beschließt der Sache nachzugehen - ohne zu ahnen, worauf sie sich einlässt ...

Deutschland unmittelbar nach dem Krieg - eindringlich und authentisch geschildert.



Sabine Hofmann wurde 1964 in Bochum geboren und studierte Romanistik und Germanistik. Gemeinsam mit Rosa Ribas schrieb sie drei Kriminalromane über die Nachkriegszeit im Spanien. Zurzeit fasziniert sie die Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegszeit als Bodensatz ihrer Kindheitserinnerungen - der Geschichten und Erlebnisse von Eltern, Großeltern, die ihre eigene Kindheit prägten. Sie lebt mit Mann, Kind und Kater in Erbach im Odenwald.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841230782
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse798 Kbytes
Artikel-Nr.9142838
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe




1


Die oberste Decke war steifgefroren, sie zerknickte wie ein Stück Pappe, als Edith sie zurückschlug und sich unter dem Deckenhaufen hervorwand. Das Oberlicht in der Kammer, ein gutes Stück über ihrem Kopf, war dick mit Eis überzogen; trübe Schichten, in den vergangenen Wochen waren sie Stück für Stück zu einem buckligen Eispanzer gewachsen.

Spärliches Morgenlicht sickerte hindurch, gerade genug, dass sie die milchigen Atemwölkchen vor ihrem Mund sehen konnte.

Edith warf sich ihren Wintermantel über, denn die Kälte war schon dabei, sich durch die zwei Winterpullover, die lange Hose und das doppelte Sockenpaar zu beißen. Sie sah zu, dass sie möglichst schnell in die Wohnküche kam, in der sie zumindest ab und an heizten.

Tatsächlich brannte im Herd ein Feuer. Eine graue unförmige Gestalt stand davor und stocherte mit dem Schürhaken im Kohlenfach herum. Martha, eingehüllt in einen Wehrmachtsmantel, der ihr bis zu den Füßen reichte, um den Kopf einen dicken Schal geschlungen. Sie musste sie gehört haben, doch drehte sie sich nicht um, sondern beugte sich schwerfällig in ihren dicken Hüllen zu der Herdklappe hinunter und blies in die Glut.

Bis vor zwei Wochen hatte Martha noch kräftig über die Kälte geflucht. »Wir werden alle als Eisklumpen in einer Kiste landen, wenn es nicht bald wärmer wird. Das haben die Idioten von ihrem Heil-Hitler-Geschreie. Wir sitzen auf einem Trümmerhaufen und kriegen Eiszapfen am Hintern. Wenn die nicht endlich mehr Kohle rausrücken, gucken wir uns Ostern alle die Radieschen von unten an.«

Jetzt reichten ihre Lebensgeister nicht einmal mehr zum Fluchen. Wortlos schlug sie die Herdklappe zu und schlurfte zum Spülbecken. Das Metallgewinde des Wasserhahns quietschte, als sie daran drehte, ansonsten blieb es enttäuschend still. Kein Wasserstrahl ergoss sich freundlich plätschernd in das Becken. Irgendwo mussten die Leitungen wieder eingefroren sein.

Aber das war nichts Neues, und Martha hatte vorgesorgt, wie sie immer vorsorgte. Sie hievte einen Wassereimer auf den Küchentisch, durchstieß die Eisschicht mit einem Kochlöffel und füllte den Kessel auf dem Herd. Sie rückte beiseite, um Edith etwas Platz zu machen.

Einträchtig streckten sie die Hände aus, um sie zu wärmen. Edith betrachtete die beiden Händepaare über dem blank gewienerten Kochfeld. Marthas Finger waren rot, die Haut war rau, die Nägel waren eckig und kurz geschnitten, stumme Zeugen von Marthas Arbeit. Martha war Chefin einer Putzkolonne in einem Krankenhaus, oft packte sie selbst mit an. Am rechten Ringfinger steckte ein Ehering. Den Mann, der dazugehörte, hatte Edith noch nie gesehen. Er war in Russland verschollen, und Martha sprach so gut wie nie über ihn.

Ihre eigenen Hände waren hell und blank, die Fingernägel zu kleinen Mandeln gefeilt. Ihnen war die Arbeit ebenfalls anzusehen. »Eine feine Arbeit«, hatte Martha voller Hochachtung gesagt, als sie die Stelle bekommen hatte. Edith hingegen war der Ansicht gewesen, dass es keinen Grund gab, stolz darauf zu sein. Die Stelle war ihr mehr oder weniger vor die Füße gefallen, und sie hatte danach gegriffen, wie sie seit ihrer Flucht aus Ostpreußen nach allem griff, was sich anbot und versprach, beim Überleben behilflich zu sein.

Der Kessel begann zu pfeifen. Martha goss den Ersatzkaffee auf und reichte Edith eine Tasse mit einer zartbraunen, fast durchsichtigen Flüssigkeit. Die Tasse war warm, und Ediths Finger legten sich dankbar darum.

»Frühstück is nicht.«

Marthas erster Satz an diesem Morgen.

»Doch.«

Edith ging zu ihrer Tasche, die seit dem Vorabend auf einem der Küchenstühle stand, und förderte zwei Packungen Dauerbrot zutage. Martha reckte den Hals aus dem grauen Mantel hervor.

»Guck mal einer an. Aus Wehrmachtsbeständen.«

Sie kramte in der Küchenschublade nach einem Messer und halbierte die vorgeschnittenen Scheiben.

»Dein feiner Chef ist ein richtiger Zauberer«, sagte sie grimmig, während sie Edith eine der Scheibenhälften reichte.

So konnte man es auch nennen, dachte Edith und tunkte ihr Brot in den Kaffee. »Fein« hatte inzwischen bei Martha einen anderen Unterton bekommen. Die Hochachtung war verschwunden, fein besagte nicht mehr: »besser als die Plackerei im Krankenhaus«, sondern es bedeutete: »falscher Glanz« und »nicht ganz geheuer«. Damit mochte sie recht haben, doch es lohnte sich nicht, weiter darüber nachzudenken. Edith sparte sich eine Antwort und wechselte das Thema.

»Wo ist Hella?«, fragte Edith.

»Schläft. Gibt noch mal zwei Wochen Weihnachtsferien.«

Weihnachtsferien bis Mitte Februar, weil in den Schulen das Heizmaterial fehlte.

»Sie geht heute Nachmittag wieder zu den Gleisen. Kohlen sammeln.«

»Sammeln« war eine glatte Beschönigung. Inzwischen fuhren kaum noch Züge, und die Menge der Kohlen, die in den Kurven von den Waggons fielen und aufgelesen werden konnten, ging gegen null, wohingegen die Zahl der eifrigen Sammler immer größer wurde. Hella musste andere Quellen haben, und Martha ahnte es wahrscheinlich. Edith sagte: »Sie soll aufpassen. Die Polizei patrouilliert am Güterbahnhof.«

Martha schaute in ihre Tasse, die Stirn gefurcht von Sorgenfalten.

»Ich sag´s ihr.«

Edith war kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee aus Ostpreußen geflohen und hatte in Bochum nach ihren Verwandten gesucht. Gefunden hatte sie niemanden mehr, und mit einer Einweisung des Wohnungsamts war sie bei Martha und ihrer Tochter eingezogen, im Gepäck etwas Kleidung, ein wenig ererbten Schmuck und einen Schwung Bücher: Romane und einen dicken Gedichtband, weil sie sich gedacht hatte: »Viel Literatur auf wenig Papier.«

Und dann war sie in der Arbeiterwohnung mit ihrer Wohnküche, dem Schlafzimmer und der winzigen Kammer geblieben und hatte sich in dem Provisorium eingerichtet. Wie ein Stück Treibgut, angespült und liegen geblieben, dachte sie manchmal. Ein Stück Treibgut, das nicht so recht weiß, wohin und bleibt, wo es ist, bis die nächste Welle kommt. Die alten Bindungen hatte sie verloren - die Eltern, den Verlobten, die Studienfreunde aus Berlin. Tot oder in alle Winde zerstreut.

Jetzt sagte Martha mit einer knappen Bewegung in Richtung Spiegel über dem Spülbecken: »Du zuerst? Ich hab heute verkürzte Spätschicht.«

Martha musste also erst am Nachmittag mit der Arbeit beginnen. Sie verschwand mit ihrer Tasse im Schlafzimmer und verkroch sich in ihr Bett, den wärmsten Ort in der Wohnung.

Edith feuchtete mit dem übrig gebliebenen Wasser aus dem Kessel einen Waschlappen an, trat ans Waschbecken und begann, sich von einer in zahlreiche Stoffschichten eingewickelten Mumie in eine adrette junge Dame zu verwandeln. Schließlich griff sie nach dem Kamm, sorgte dafür, dass eine elegant geschwungene blonde Welle ihre linke Stirnseite bedeckte, und steckte ihren Knoten im Nacken mit ein paar Haarnadeln fest. Sie nickte ihrem Spiegelbild zu. Fertig. Gerüstet für den Arbeitstag.

***

Bei Pollmann ging es an diesem Morgen ruhig zu. Wer nicht unbedingt unterwegs sein musste, um Nahrung oder Brennstoff zu besorgen, blieb zu Hause. Die Straßenbahnen fuhren unregelmäßig, weil häufig der Strom für die Oberleitungen fehlte. Treibstoff für private Pkw war so gut wie nie zu bekommen, die üblichen Transportwege fielen wegen der Kälte aus: Flüsse und Kanäle waren zugefroren, Eisenbahnweichen und Signale vereist. Das ganze Land lag wie erstarrt unter einer Eisdecke.

In ihrem Vorzimmer war es jedoch leidlich warm, in der Ecke bullerte ein Kohleofen vor sich hin.

Ihre Arbeit bei der Straßenbahngesellschaft hatte Edith vor vier Monaten verloren. Ihr Vorgesetzter hatte sie zu sich gerufen und ihr verkündet, dass er ihre Stelle einem versehrten Kriegsheimkehrer gegeben hatte, dessen linker Unterschenkel in einem Acker vor Moskau lag. Edith...


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Sabine Hofmann wurde 1964 in Bochum geboren und studierte Romanistik und Germanistik. Gemeinsam mit Rosa Ribas schrieb sie drei Kriminalromane über die Nachkriegszeit im Spanien. Zurzeit fasziniert sie die Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegszeit als Bodensatz ihrer Kindheitserinnerungen - der Geschichten und Erlebnisse von Eltern, Großeltern, die ihre eigene Kindheit prägten. Sie lebt mit Mann, Kind und Kater in Erbach im Odenwald.