Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Aufbruch in die Fremde (überarbeitete Version von Ein Junge mit zwei leeren Flaschen)

Endstation Saarland
meinebücher.infoerschienen am01.07.2022
Die Erinnerungen des italienischen Saarländers führen uns in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in den Süden Italiens. Bereits in seiner Jugend lernt Francesco Sanzo, sich durchzusetzen, aber auch für andere einzustehen. Viele in Kalabrien, darunter auch seine Eltern, erfahren, dass in Deutschland in der Industrie und im Baugewerbe Arbeitskräfte gesucht werden. Um der Not zu entkommen und die Familie zu ernähren, folgt zuerst Francescos Vater dem Lockruf, und später reist er, im Jahr 1959, selbst nach Deutschland, in das Saarland. Hier werden sie als Zeitarbeiter mit Ignoranz, Intoleranz, Anfeindungen und mit Vorurteilen konfrontiert. Was viele bis heute vergessen haben: Arbeitskräfte wurden gerufen - aber Menschen kamen. Die Erfahrungen in seinen Jugendjahren stärken Francesco Sanzo in seinem Willen, sich anzupassen, aber niemals aufzugeben. Er lernt, sich zu wehren, doch auch tolerant zu sein und zielstrebig für eine bessere Zukunft seiner eigenen Familie zu sorgen. Der Autor beschreibt anschaulich Lebensbedingungen und Arbeitssituationen eines italienischen Zeitarbeiters in Deutschland. Er schafft es, sich in die Gesellschaft zu integrieren, erfolgreicher Unternehmer zu werden, und trotz allem die Mentalität und Lebensart eines Italieners zu bewahren.

Francesco Sanzo, geboren 1947 am Ionischen Meer (Kalabrien), immigrierte als 11-jähriges Kind mit seinem Vater nach Deutschland, ins Saarland. Dorthin, wo nur Arbeiter gesucht wurden. Aber es kamen Menschen. Als Kind schon hat er selbst erfundene Märchen auf Papierfetzen geschrieben und Aufsätze für die Schule erfolgreich kurz vor Schulbeginn. Die Karriere in Deutschland ging dann doch in eine ganz andere Richtung. Erst mit dem (Un)-Ruhestand fing er wieder mit dem Schreiben an.
mehr

Produkt

KlappentextDie Erinnerungen des italienischen Saarländers führen uns in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in den Süden Italiens. Bereits in seiner Jugend lernt Francesco Sanzo, sich durchzusetzen, aber auch für andere einzustehen. Viele in Kalabrien, darunter auch seine Eltern, erfahren, dass in Deutschland in der Industrie und im Baugewerbe Arbeitskräfte gesucht werden. Um der Not zu entkommen und die Familie zu ernähren, folgt zuerst Francescos Vater dem Lockruf, und später reist er, im Jahr 1959, selbst nach Deutschland, in das Saarland. Hier werden sie als Zeitarbeiter mit Ignoranz, Intoleranz, Anfeindungen und mit Vorurteilen konfrontiert. Was viele bis heute vergessen haben: Arbeitskräfte wurden gerufen - aber Menschen kamen. Die Erfahrungen in seinen Jugendjahren stärken Francesco Sanzo in seinem Willen, sich anzupassen, aber niemals aufzugeben. Er lernt, sich zu wehren, doch auch tolerant zu sein und zielstrebig für eine bessere Zukunft seiner eigenen Familie zu sorgen. Der Autor beschreibt anschaulich Lebensbedingungen und Arbeitssituationen eines italienischen Zeitarbeiters in Deutschland. Er schafft es, sich in die Gesellschaft zu integrieren, erfolgreicher Unternehmer zu werden, und trotz allem die Mentalität und Lebensart eines Italieners zu bewahren.

Francesco Sanzo, geboren 1947 am Ionischen Meer (Kalabrien), immigrierte als 11-jähriges Kind mit seinem Vater nach Deutschland, ins Saarland. Dorthin, wo nur Arbeiter gesucht wurden. Aber es kamen Menschen. Als Kind schon hat er selbst erfundene Märchen auf Papierfetzen geschrieben und Aufsätze für die Schule erfolgreich kurz vor Schulbeginn. Die Karriere in Deutschland ging dann doch in eine ganz andere Richtung. Erst mit dem (Un)-Ruhestand fing er wieder mit dem Schreiben an.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754653425
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.07.2022
Seiten466 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse579
Artikel-Nr.9247351
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Calvario und die christlichen Werte

Meine Geschichte beginnt in einem Dorf tief im Süden Italiens.

Der Krieg war vorbei. Die Männer kehrten heim, viele verwundet, viele krank. Sie kamen aus Afrika, aus den Balkanländern, aus Deutschland und Russland. Kein Wunder, dass in den folgenden Jahren die Geburtenrate gehörig anzog. Ich trug persönlich dazu bei.

Ich kam im Herbst 1947, kurz vor der Traubenernte, zur Welt. Da ich nur unter großer Anstrengung zu gebären war, musste meine Mutter nach der Niederkunft tagelang das Bett hüten. Meine Eltern lebten damals in großer Armut und bei der Lese wurde jede Hand gebraucht. Keiner konnte sich die Zeit nehmen, die Behörden von meiner Existenz zu unterrichten. Nach sechs Tagen hatte meine Mutter sich so weit erholt, dass sie meine Anmeldung selbst in die Hand nehmen konnte. Sie packte mich ein - gewissermaßen als Beweisstück - und machte sich auf den Weg zu den Ämtern. Aus einem rätselhaften Grund wollte der zuständige Beamte ihr nicht abnehmen, dass meine Geburt schon eine Woche zurücklag, und so kam es, dass der Anmeldetag zu meinem Geburtstag und ich in die selten glückliche Lage versetzt wurde, künftig einen offiziellen und einen inoffiziellen Geburtstag feiern zu können.

Das Dorf meiner Kindheit heißt Chiaravalle und liegt mitten in Kalabrien. Chiaravalle hatte damals zwei Ortsteile: Calvario und Cona. In Cona wohnten die armen Leute und hier standen in verwinkelten Gassen kleine Häuser, dicht an dicht. Calvario war der beliebtere Ortsteil, denn hier lebten die wohlhabenderen Leute. In Calvario stand eine sehr alte Kapelle, die mit Fresken ausgemalt war und Gemälde besaß, die das Leben Christi darstellten. In Calvario fand das Leben statt. Hier kaufte man ein und hier ging man aus. Es gab jede Menge Läden und Bars. Um von dem unteren Ort zu dem höheren zu gelangen, musste man in kürzester Entfernung fast zweihundert Höhenmeter überwinden.

Meine Familie wohnte trotzdem in Calvario. Unser kleines Häuschen hatte zwei Etagen. Die untere bestand nur aus einem einzigen großen Raum, der Küche, Haupttreffpunkt der Familie. Das Essen wurde in einem riesigen Kamin zubereitet. Elektrizität gab es nicht. An der Decke hingen Würste, Schinken und Speck. Die obere Etage bestand aus drei Zimmern. Das kleinste diente meinen Eltern als Schlafzimmer. Die beiden anderen Zimmer bewohnten wir fünf Kinder. Neben dem Haus stand ein kleiner Schuppen, in dem wir Ziegen und Schweine hielten. Dort befand sich auch unsere Toilette. Meine Großeltern wohnten direkt neben uns. Unser Haus war mit ihrem über eine Tür verbunden.

Die ersten vier Lebensjahre verbrachte ich damit, mit meinen Freunden in den engen Gassen und Winkeln des Dorfes zu spielen. Wo etwas los war, waren wir dabei. Die Dorfbewohner waren arm, und so besaßen wir Kinder kaum Kleidung und schon gar keine Unterwäsche. Die Hosen der Jungen, die an Jutesäcke erinnerten, hatten hinten einen Schlitz, damit wir bequem unsere Bedürfnisse verrichten konnten.

1951 kam ich in den Kindergarten unseres Dorfes, in dem ich von nun an von 8 Uhr früh bis nachmittags um 4 Uhr meine Zeit verbringen musste. Der von katholischen Nonnen geführte Hort hatte nicht das Geringste mit den Kindergärten zu tun, wie wir sie heute kennen. Hier herrschte eiserne Disziplin und mit dem Spielen und Herumtollen, wie ich es gewohnt war, war es aus und vorbei. Neben dem Versuch, uns das Schreiben einfacher Wörter beizubringen, wurde der Tag mit Beten und dem Vermitteln christlicher Werte verbracht. Jeden Morgen wurde sorgfältig untersucht, ob wir rein und unsere Fingernägel sauber waren. Dann mussten wir uns in kleinen schwarzen Kitteln mit weißen Kragen paarweise in Schulbänke zwängen. Es galt stillzusitzen, die Hände auf dem Pult, während die Nonnen versuchten, uns ihren christlichen Glauben aufzuzwingen. Das Mittagessen war einfach und beinahe täglich - wie könnte es anders sein - gab es Pasta. Nach den obligatorischen Nudeln wurden wir, ob es uns gefiel oder nicht, zum Mittagsschlaf verdonnert. Dazu legten wir uns nicht etwa in bequeme Betten, nein, schlafen mussten wir mit gesenktem Kopf auf den über dem Pult verschränkten Armen! Eine Nonne wachte streng darüber, dass wir alle reglos in dieser Position verharrten.

Die Zeit verging. Ich entwickelte Selbstbewusstsein und weigerte mich immer häufiger, Dinge zu tun, die man mir auftrug. Mir fiel auf, dass während der Mittagsruhe immer wieder das ein oder andere Kind fehlte. Immer waren es Jungen. Eines Tages - ich erinnere mich nicht mehr, ob ich etwas angestellt hatte, oder ob es irgendeinen anderen Grund dafür gab - forderte mich eine Nonne während der Mittagszeit auf, ihr zu folgen. Wir betraten einen leeren Raum. Mir war mulmig, denn der Raum war hoch und hatte keine Fenster, sondern nur zwei kleine, vergitterte Luken. Die Nonne befahl mir, mich auszuziehen. Sie sagte, sie wolle nachsehen, ob ich mich auch wirklich überall gewaschen hatte. Als ich alle Kleider abgelegt hatte, befühlte sie mich am ganzen Körper. Auch mein Geschlechtsteil ließ sie nicht aus. Ich war verwirrt und fragte mich, was dieses Anfassen zu bedeuten hatte. Angst hatte ich nicht mehr, denn irgendwie gefielen mir diese Berührungen und Liebkosungen.

Von nun an nahm die Nonne mich häufiger mit sich. Ich dachte an die Jungen, die früher beim Mittagsschlaf gefehlt hatten. Hatte die Klosterschwester auch an ihnen herumgefummelt? Ich hatte keine Ahnung, doch sollte ich die Wahrheit bald erfahren.

Es kam der Tag, an dem ich zum ersten Mal den Kindergarten schwänzte. Mir gefiel es besser, durch die Wälder und Felder um unser Dorf zu streunen. Die Erlebnisse mit der Nonne ließen mich dabei nicht los. Einerseits genoss ich die Zärtlichkeit, andererseits war ich zutiefst verunsichert, und ein bisschen schämte ich mich auch.

Als ich das nächste Mal in den Hort kam, kreischte die Nonne und bombardierte mich mit wüsten Beschimpfungen. Ich glaube, sie ahnte den Grund für mein Schwänzen. Zur Strafe verbannte sie mich wieder in jenes düstere Verlies. Dort musste ich mich diesmal auf harte, trockene Erbsen knien und beten. Es dauerte nicht lange, bis mir die Knie höllisch wehtaten. Doch die Himmelstochter war erbarmungslos. Sie zischte, ich müsse Buße tun, damit Gott mir mein Verfehlen verzeihen würde. Als sie den Raum verließ, klaubte ich die Erbsen auf und versteckte sie in meiner Hose. Nach einer schier endlosen Zeit kam die Nonne zurück und forderte mich wie üblich auf, mich meiner Kleider zu entledigen. Doch ich weigerte mich und nannte sie eine Hexe. Da packte sie mich an den Haaren und schleifte mich quer durch den Raum. Dann schlug sie mir mit einem Lineal fünfmal auf die rechte und fünfmal auf die linke Hand. So schnell schwänzte ich nicht mehr.

Die Tage plätscherten dahin. Wir mussten den lieben langen Tag in den Bänken sitzen und nur ab und zu durften wir im Hof spielen. Doch wenn es den Nonnen dort zu laut wurde, fielen sie mit Stöcken über uns her. Schön war das nicht. Nach und nach kam ich dahinter, dass die Nonnen ihre Spielchen auch mit den anderen Jungen trieben. Immer wieder fehlte einer beim Mittagsschlaf . Als wieder einmal ich der Auserkorene war, überwand ich meine Angst und weigerte mich erneut, mich auszuziehen. Zur Strafe wurde ich den ganzen Nachmittag in der muffigen Folterkammer eingesperrt. Als man mich endlich befreite, rannte ich nach Hause und war fest entschlossen, meiner Großmutter alles zu beichten. Zu meiner Nonna hatte ich ein ganz besonderes Verhältnis. Doch je länger ich lief, desto langsamer wurde ich. Was würde Großmutter dazu sagen? Würde sie mir glauben? Würde Gott mich bestrafen, wenn ich die Nonnen verpetzte? Würde mich eine schreckliche Krankheit dahinraffen, wie die Oberin es mir angedroht hatte? Schließlich zog ich es vor, zu schweigen.

An einem Wintertag beschlossen ein Freund und ich, dass es schöner wäre, auf der Müllkippe Spatzen zu fangen. Wir besorgten uns ein paar Mausefallen, in die wir kleine Brotbrocken steckten und die wir scharf machten. Wie viele Spatzen wir an diesem Tag mit unserer Methode fingen, habe ich vergessen. Aber ich weiß noch, dass das Spatzenfangen mehr Spaß machte als der öde Kindergarten.

Doch die Strafe folgte auf den Fuß. Am nächsten Tag hieben die Nonnen mit ihren Stöcken so heftig auf uns ein, dass ich den Schmerz noch heute fühlen kann. Wir weinten. Nicht vor Schmerz, sondern vor Wut. Ich war so außer mir, dass ich den Nonnen drohte, sie kaltzumachen, wenn ich erst erwachsen wäre. Wenigstens schweißte dieses Erlebnis meinen Freund und mich zusammen. Wir begannen, über Dinge zu reden, über die wir vorher geschwiegen hatten. Und so kam es, dass wir auch über die Vorgänge in jener Folterkammer sprachen, über die wir sonst mit niemandem, auch nicht mit unseren Eltern, reden konnten. Meine Großmutter, die seit langem bemerkt hatte, dass ich nicht mehr der fröhliche Junge von einst war, fragte mich zwar hin und wieder bekümmert, was denn mit mir los sei. Doch ich schwieg.

Ich war schon immer ein sparsamer Junge. Die wenigen Lire, die ich geschenkt bekam, sparte ich in einer Sparbüchse aus Ton. Sie stand auf dem Kaminsims, war mit meinem Namen beschriftet und mein ganzer Stolz. Eines Tages erwischte ich meine sechzehn Jahre ältere Schwester Catarina dabei, wie sie sich mit einer Haarklammer an meiner Büchse zu schaffen machte. Ich begann zu zetern und sie stellte die Büchse zurück an ihren Platz. Leider musste ich feststellen, dass sie schon geplündert war.

Im September 1953 teilte man mir mit, ich müsse nun zur Schule gehen. Da ich befürchtete, in der Schule könne es mir ähnlich ergehen wie in dem verhassten Kindergarten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Mit Händen und Füßen wehrte ich mich...

mehr