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Frau in den Wellen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am26.09.20221. Auflage
Joni wächst in der provinziellen Enge der Nachkriegsjahre auf. Als junge Diplomatengattin beschreitet sie das politische Parkett Ostberlins. Zu ihren Kindern, die beim Vater leben, hält sie engen Kontakt, während sie als Regierungsberaterin um die Welt jettet. Und während Joni versucht, den Erwartungen als Frau und Mutter zu genügen, wird ihr unangepasstes Leben plötzlich öffentlich debattiert. Sie muss erkennen: Auch ein noch so unabhängiges Frauenleben bleibt fragil.
Beatrix Kramlovsky erzählt die mitreißende Geschichte einer willensstarken, unkonventionellen Frau, die stets auf dem Drahtseil zwischen Unabhängigkeit und Eingebundensein balanciert.

Beatrix Kramlovsky, geboren 1954, lebt als Künstlerin und Autorin in Niederösterreich. Von 1987 bis 1991 lebte sie in Ostberlin, wie Joni in Frau in den Wellen. Bei hanserblau erschienen bisher ihre Romane Die Lichtsammlerin und Fanny oder Das weiße Land.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextJoni wächst in der provinziellen Enge der Nachkriegsjahre auf. Als junge Diplomatengattin beschreitet sie das politische Parkett Ostberlins. Zu ihren Kindern, die beim Vater leben, hält sie engen Kontakt, während sie als Regierungsberaterin um die Welt jettet. Und während Joni versucht, den Erwartungen als Frau und Mutter zu genügen, wird ihr unangepasstes Leben plötzlich öffentlich debattiert. Sie muss erkennen: Auch ein noch so unabhängiges Frauenleben bleibt fragil.
Beatrix Kramlovsky erzählt die mitreißende Geschichte einer willensstarken, unkonventionellen Frau, die stets auf dem Drahtseil zwischen Unabhängigkeit und Eingebundensein balanciert.

Beatrix Kramlovsky, geboren 1954, lebt als Künstlerin und Autorin in Niederösterreich. Von 1987 bis 1991 lebte sie in Ostberlin, wie Joni in Frau in den Wellen. Bei hanserblau erschienen bisher ihre Romane Die Lichtsammlerin und Fanny oder Das weiße Land.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446275706
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum26.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9330162
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Prolog



Warum Joni vielleicht so ist, wie sie ist


Jonis Eltern liebten sich mit einer Ausschließlichkeit, die das Kind, das im Herbst 1966 geboren wurde, gleichzeitig einbezog und ausschloss. Helene Lanka, Helli, war zu diesem Zeitpunkt bereits Notarin in einer Kleinstadt an der österreichischen Westbahnstrecke, gut vernetzt mit Magistrat und Landesregierung, die erste Frau im Bezirk, die einer solchen Kanzlei vorstand. Dieter, immer nur Didi gerufen, hatte Biologie studiert und unterrichtete am Gymnasium Naturgeschichte und die Kleine Physik. Seine Schüler, Mädchen wie Burschen, verehrten ihn wegen seiner unkonventionellen Art und der Versuche im Labor, die manchmal anders gerieten als vorgesehen. Helli und Didi waren geprägt von den Begleiterscheinungen des Kalten Krieges, ihrem studentischen Engagement auf den Demonstrationen in Wien und dazugehörigen Diskussionen in schwer verrauchten Kellerlokalen. Die Musik der aufsässigen Jugend Amerikas wurde ihr gemeinsamer Fluchtversuch, Haschischkonsum ein zelebrierter Rausch.

Sie waren vorsichtig. Von LSD ließen sie die Finger, obwohl es sie reizte und sie im Freundeskreis Zugang hatten. Völlig zu Recht empfanden sie ihr Leben als zerrissen. Auf der anderen Seite standen die Erwartungen ihrer Eltern, die sich während der Besatzungszeit einem moralisierenden Gott zugewandt hatten und für ihre Kinder eine Zukunft mit Hausbau erträumten, samstäglichen Fernsehpartys mit Nachbarn, Kühlschrank, Waschmaschine und Urlaub, möglichst bald in Lignano.

Didi hatte nichts dagegen, sich nach der Hochzeit in Hellis Heimatstadt als Lehrer zu bewerben. Ein Drittel der Schüler kam von Bauernhöfen aus der Umgebung, die Eltern der anderen waren Handelstreibende, Beamte, Juristen und Ärzte. Es gab ein Spital, ein modernes Schwimmbad mit beheiztem Becken, zwei Konsumfilialen, vier ordentliche Gasthäuser und zwei schäbige Lokale von zweifelhaftem Ruf, ein richtiges Café, ein Kino, ein Modehaus auf dem Hauptplatz und seit Neuestem direkt neben dem Bahnhof eine Disco, die nicht alle glücklich machte. Der Aufschwung nach der Besatzungszeit hatte begonnen.

Didi fand den Ort entspannend und groß genug, um mit Helli viele Wochenenden in Wien zu verbringen, ohne Aufsehen zu erregen. Alles befand sich im Fluss. Es wurde gebaut, die Autobahn vermittelte ein rauschhaftes Gefühl von Schnelligkeit, in der Hauptstadt gab es die neuesten Platten, aufrührerische Musik, über die man mit den Freunden diskutieren konnte, Tanzklubs, in denen sie sich austoben konnten, ach, diese amerikanischen Rhythmen! Aber Wien war trotzdem weder Berlin noch Paris, schon gar nicht San Francisco oder die Stadtteile New Yorks, von denen sie hörten oder lasen. Ihr gemeinsamer Traum wurde gepflegt von der Bohème im Schatten des Aufbegehrens gegen den Vietnamkrieg, verklärt von Reiseberichten ehemaliger Kommilitonen aus Südindien und den Ebenen nördlich von Dehli mit einem überwältigenden Blick auf die Himalayawände, blieb aber für Didi und Helli bewusst immer nur Illusion.

Helli wollte die Vorzüge einer gesicherten bürgerlichen Existenz nicht missen. Trotzdem hielten sie sich von den Zirkeln der Juristen, Ärzte und Wirtschaftstreibenden so gut es ging fern, um nicht Teil des Kleinstadtlebens zu werden. Ungeachtet dessen hatte Helli erstaunlich schnell als Notarin Fuß fassen können, selbst wenn man die Beziehungen ihrer alteingesessenen Familie bedachte. Sie verdiente mehr als Didi, der ihr laut Gesetz zu diesem Zeitpunkt noch die Berufstätigkeit hätte verbieten können. Doch Didi war kein üblicher Ehemann der frühen österreichischen Sechzigerjahre. Die beiden verbrachten einen Großteil ihrer freien Zeit in Wien, sahen dort mit ihren Freunden anspruchsvolle Filme, die in der Kleinstadt nicht gezeigt wurden, gingen tanzen und kehrten mit etwas Kraut für düstere Abende zurück. Sie schwammen auf den Wellenkämmen des Wiederaufbaus und leisteten sich den Luxus, sich darüber lustig zu machen. Es war durch und durch verlogen; vielleicht konnte der Hanf einen Schleier darüberlegen.

Das hörte während der Schwangerschaft und in den ersten zwei Jahren nach Jonis Geburt auf. Sie wollten gute, fürsorgende Eltern sein, sie taten viel, um die Erziehung ihrer Tochter so aufgeschlossen wie möglich anzugehen. Ratgeberbücher stapelten sich in ihrem Haus, obenauf die brandneue deutsche Erstausgabe von A. S. Neill über das Summerhill-Internat und selbstregulierende Erziehung. Das würde ihre Bibel werden, nahmen sie sich vor.

Doch dann erschien ein spezielles Album der Beatles, und kurz darauf schockte militärische Gewalt nur knappe hundert Kilometer entfernt das ganze Land und das symbiotisch lebende Paar. Sgt. Pepper s Lonely Hearts Club Band mit den farbigen Versprechen von »tangerine trees and marmalade skies« und kurz darauf die sowjetische Besetzung der Tschechoslowakei mit allen Befürchtungen, die wohl sämtliche Österreicher hegten, verschmolzen für sie und prägten ihre Zukunft und eine mächtige Sehnsucht. Helli und Didi wünschten sich fortan in die Traumwelt kalifornischer Hippies und vergingen vor Neid, Woodstock nicht erlebt zu haben.

Die Tochter erwies sich als ein Geschenk, dem sie oft ratlos gegenüberstanden, das nicht in ihr Leben passte, sie dazu verführte, sich zurückzuziehen. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Didi, der jeden Schultag didaktisches Geschick mit Pubertierenden bewies, hatte seine Hilflosigkeit Kleinkindbedürfnissen gegenüber sofort erkannt. Jonis Schreiattacken und bockiges Schweigen in einem Alter, das eigentlich jeden Erwachsenen verzaubern sollte, setzten ihn außer Gefecht. Er fühlte voll Erschrecken, dass er das, was seiner Tochter zustand, nicht geben konnte und dass seine Frau ähnlich empfand. Das ängstigte ihn, obwohl Helli ihm deshalb noch näher rückte. Zum Glück für alle drei fanden sie ein zufriedenstellendes Arrangement mit Hellis unverheirateter Tante, die die kleine Joni oft zu sich nahm, in den folgenden Jahren nach der Schule auf sie wartete und an Wochenenden Fürsorge bot, wenn die Eltern nach Wien, später auch nach Westberlin flüchteten.

Tante Federspiel wurde zu Jonis Fee in einem Obstgarten mit Hühnern und einer hellblauen Bank an der Sonnenseite des Holzhauses mit Blick auf die eingezäunten Gemüse- und Blumenbeete. Dort kletterte Joni auf Bäume, baute im Bach einen Stausee, beobachtete Vögel beim Nisten und lauschte den unzähligen Geschichten der Tante, die keinen Unterschied zwischen Sagen, Märchen und Dorfklatsch machte. Nichts in ihrem Holzhaus glich der modern klaren Wohnung von Jonis Eltern. Am fernen Horizont dräute der Ötscher, ein kauernder Bergriese, über Geheimnissen brütend, ein Wachtturm in der Alpenkette, die Joni nie kennenlernte. Ausflüge fand Tante Federspiel überbewertet, außer es ging mit anderen Pfarrmitgliedern zur Wallfahrtskirche am Sonntagsberg. Dann ging Joni folgsam an der Hand, ein süßes Kleinkind, das sich laut erwachsenen Pilgern zu benehmen wusste, und dämmerte im Kirchengestühl zu den Litaneien, die ihren Kopf mit seltsamen Vorstellungen von der Jungfrau Maria als opulentem Gefäß füllten. Wenn ihr kalt wurde, packte die Tante das Kind in eine riesige selbst gehäkelte Decke, für die sie alle ihre Wollreste aufgebraucht hatte. Sie gab dem Stück den Namen Die Palette des Herrn und verwies das Mädchen darauf, dass alle Farben seiner Herrlichkeit bereits in ihrem Kopf lagerten und Joni sie nur wachrufen müsste. Das Teufelszeug der Eltern sollte für sie daher gefälligst nutzlos bleiben.

Es gab im Grunde wenig Annehmlichkeiten bei der Tante, aber alles, was es in Jonis Zuhause nicht gab. Und es war der einzige Ort, an dem sie Johanna genannt wurde, so wie es in ihrem Taufschein stand. Helli hatte es zwar geschafft, den Magistratsbeamten von seinen Bedenken zu befreien und den gewünschten Namen ihrer Tochter im Geburtsregister eintragen zu lassen; der Pfarrer jedoch ließ sich nicht überzeugen, dass Joni nach der zutiefst verehrten Joni Mitchell heißen sollte. Ein Kind mit einem fremdländischen Namen zu belasten, der noch...


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