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All die Frauen, die du warst

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am01.09.20221. Auflage
Das schillernde Leben eines Filmstars in Zeiten der türkischen Diktatur »Als Esra Zaman mich bat, für ihre Beerdigung eine Trauerrede zu schreiben, jagte mir diese Idee panische Angst ein. Denn Esra Zaman ist meine Mutter. Ich muss schon im Prolog das unvermeidliche Unheil ankündigen. Deshalb will ich mit den drei Militärputschen beginnen, die unser Leben bestimmt haben.«  - Hülya hat längst alle Brücken zu ihrer Mutter abgebrochen und lebt seit vielen Jahren in Paris. Widerstrebend beginnt sie, sich mit ihrer Kindheit als Tochter einer Filmdiva im Istanbul der 70er zu beschäftigen. Dabei kommt sie ihrer Mutter näher - und der Antwort auf das Verschwinden ihres Vaters.

Sedef Ecer wurde in Istanbul geboren und ging mit 20 Jahren nach Frankreich. Heute lebt sie als Schriftstellerin und Regisseurin in Paris. »All die Frauen, die du warst« ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDas schillernde Leben eines Filmstars in Zeiten der türkischen Diktatur »Als Esra Zaman mich bat, für ihre Beerdigung eine Trauerrede zu schreiben, jagte mir diese Idee panische Angst ein. Denn Esra Zaman ist meine Mutter. Ich muss schon im Prolog das unvermeidliche Unheil ankündigen. Deshalb will ich mit den drei Militärputschen beginnen, die unser Leben bestimmt haben.«  - Hülya hat längst alle Brücken zu ihrer Mutter abgebrochen und lebt seit vielen Jahren in Paris. Widerstrebend beginnt sie, sich mit ihrer Kindheit als Tochter einer Filmdiva im Istanbul der 70er zu beschäftigen. Dabei kommt sie ihrer Mutter näher - und der Antwort auf das Verschwinden ihres Vaters.

Sedef Ecer wurde in Istanbul geboren und ging mit 20 Jahren nach Frankreich. Heute lebt sie als Schriftstellerin und Regisseurin in Paris. »All die Frauen, die du warst« ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492602877
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse6796 Kbytes
Artikel-Nr.9331907
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Drei Militärputsche,
wie ein Dreiakter im Theater
Der erste Putsch
27. Mai 1960

Du bist sechsundzwanzig Jahre alt.

Noch bist du nicht »die Sultanin der Leinwand«, aber man munkelt bereits, du seist »die türkische Antwort auf Claudia Cardinale«. Ein Journalist hat diesen Spitznamen geprägt, er macht dich rasend, aber du wirst ihn nicht mehr los. Du hast tatsächlich etwas von Claudia Cardinale: den Mund, vielleicht auch die Augen, vor allem aber den Gang und die weiblichen Rundungen, dieses maggiorata-hafte einer italienischen Schauspielerin aus den Fünfzigerjahren.

Seit dem Frühjahr tourst du durch Anatolien. Gemeinsam mit dem Regisseur und einer Handvoll Schauspielern nimmst du an den Premierenfeiern von Frucht des Vergessens teil, einem wunderschönen Schwarz-Weiß-Film à la Antonioni, in dem du die Hauptrolle spielst. Jeden Abend seid ihr in einer anderen Stadt, die Säle sind ausverkauft, ihr besucht Galas, und nach den Vorführungen buhlen die Bürgermeister darum, dich an ihren Tisch zu holen.

Die letzte Premierenfeier findet am 26. Mai in Ankara statt, der Hauptstadt der jungen Republik. Vor dem Sinema Majestik entsteigst du einem Cadillac wie eine Hollywooddiva: Etuikleid, Perlenkette, tiefes Dekolleté, Frisur allabardo (ein nachlässig geschlungener Haarknoten à la Brigitte Bardot). Du siehst dein Gesicht auf einem überdimensionalen Plakat und lächelst. Im Foyer hängen Fotos von dir und Zeitungsartikel über den Film und über dein Leben. Journalisten und Zuschauer belagern dich, wollen dich sehen, anfassen, betteln um ein Autogramm.

Du weißt nicht, dass die umliegenden Straßen wenige Stunden zuvor der Schauplatz gewaltsamer Zusammenstöße zwischen Studenten und Polizei waren.

Im Foyer stellt dich der Produzent einigen Anwesenden vor, darunter einem jungen Journalisten, Ä°shak, der Fotos von dir machen soll. Hochmütig erklärt er, er sei wegen einer Reportage über die demonstrierenden Studenten in der Stadt und nur auf Bitten der Zeitung kurz im Majestik vorbeigekommen, ganz so, als wollte er von Anfang an klarstellen, dass er sonst keine so trivialen Fotos mache. Er bittet dich, vor dem Filmplakat zu posieren, erst mit der ganzen Crew, dann allein. »Etwas weiter nach rechts, ja, gut so, nein, das ist zu weit, stopp, ich habe nicht die richtige Kamera für Porträts dabei, einen Schritt nach vorn, wären Sie so freundlich?« Er hat keine Ahnung, wer du bist, und das bringt dich auf die Palme. »Verzeihen Sie meine Unwissenheit, die Welt der Stars ist nicht meine.« Du fragst, welche Art von Fotos er denn sonst so mache. Da lächelt er endlich und murmelt: »Ein Filmstar, der den Journalisten befragt, das ist doch eine verkehrte Welt.« Ihr lacht. Er erzählt, dass er viel unterwegs sei und auf der ganzen Welt über politische Konflikte berichte. Mit seinen beiden Leicas um den Hals hat er bereits den gesamten Osten der Türkei bereist, aber auch Indochina und Algerien. Er ist anders als die Männer, die dich sonst umschwirren. Du beeindruckst ihn nicht. So ist Ä°shak, kein überflüssiges Wort, keine Prahlerei, er erwähnt seine Fotos aus Kalifornien nicht, die in Frankreich Furore gemacht haben. Er gefällt dir, dieser junge Mann aus gutem Hause.

Es wird Zeit, die Zuschauer sitzen auf ihren Plätzen, der Produzent ruft nach dir, du sollst die Vorführung eröffnen. »Sehen wir uns nachher beim Umtrunk?« Er verneint, er verlässt noch am selben Abend die Stadt. Er hat alle Fotos im Kasten und muss die Negative in der Redaktion vorbeibringen, morgen früh geht es wieder auf Reisen. »Wohin?« - »Weit weg.« - »Wie weit?« - »Havanna. Eine französische Agentur hat mich mit einer Reportage über Kuba beauftragt. Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme, es kann Wochen dauern.« - »Kuba?« - »Ja, die Lage dort spitzt sich zu.« - »Tatsächlich?« - »Ja.« - »Mir wäre es lieber, man hätte Sie mit einer Reportage über eine türkische Schauspielerin beauftragt.« Wieder lacht ihr, und in dem Moment spürst du, dass du ihn wiedersehen wirst, für so etwas hast du eine Antenne. Du wirst ihn ausfindig machen, wirst Freunde nach seiner Adresse fragen, wirst bei seiner Zeitung vorbeischauen, es wird eine Lösung geben, diesen Mann kannst du nicht ziehen lassen. Ihr schüttelt euch die Hand, und er geht.

Der Saal ist voll besetzt. Achthundert Zuschauer, das einfache Volk auf dem Balkon, die bessere Gesellschaft im Orchester, dazwischen zwei Reihen mit Würdenträgern. Du betrittst die Bühne, Blumen, Applaus, Jubel, Pfiffe. Die neue Mittelschicht hat sich in Schale geworfen und ist außer Rand und Band. Diese Bauerntrampel werden nie wissen, wie man sich in einer richtigen Stadt benimmt. Es wird »pst« und »es reicht« gerufen, endlich wird es still im Saal, du kündigst den Film an, verlässt die Bühne, das Licht erlischt, und sobald die ersten Bilder über die Leinwand flackern, ziehst du das Publikum in deinen Bann.

Während der Vorführung geht dir Ä°shak nicht aus dem Kopf. Beim Umtrunk langweilst du dich zu Tode. Du gibst Autogramme, unterhältst dich mit Geschäftsmännern und ihren wie Hollywood-Filmstars gekleideten Ehefrauen. Du trinkst zu viel, lächelst zu viel, redest zu viel.

Und dann geschieht ein Wunder.

Plötzlich ist Ä°shak wieder da. Er bleibt an der Tür stehen. Du bist von Menschen umringt, er traut sich nicht näher. Du brichst das Gespräch mitten im Satz ab und gehst zu ihm. Sein Redakteur hat sich gemeldet, die Armee rückt an. Er will mit der Kamera vor Ort sein, es wird sicher eine ereignisreiche Nacht. Du zündest dir eine Zigarette an. Er sagt leise: »Vielleicht gibt es sogar einen Putsch.« - »Einen Putsch?« - »Ja.« - »Und was bedeutet das?« - »Ich weiß es nicht, aber es verheißt nichts Gutes.«

Die Auslandsreise ist abgeblasen.

Ihr weicht einander nicht mehr von der Seite. Fünf Jahre später komme ich zur Welt. Ich nenne euch nur selten Mama und Papa. Für mich seid ihr Esra und Ä°shak, Held und Heldin eines Films in Technicolor.

 
Der zweite Putsch
12. März 1971

Ich bin sechs, du siebenunddreißig. Nach einer Feier im Stadttheater von Istanbul hat euch ein Dienstwagen nach Hause gebracht. Ich höre euch mit Melek reden, unserer Concierge, die abends oft auf mich aufpasst, und im Flur laut lachen.

Du kommst in mein Zimmer, Ä°shak im Schlepptau. In deinem langen fuchsiafarbenen Kleid mit dem psychedelischen Muster, den falschen blaugetuschten Wimpern und dem orangenen Lippenstift strahlst du wie eine Sonne. Ihr seid jung, schön und beschwipst. Du sagst: »Der Minister hat mich zum nationalen Heiligtum ernannt.« Ich verstehe kein Wort, du wiederholst: »Stell dir nur vor, er hat gesagt, ich ernenne Sie zum nationalen Heiligtum«, du wiederholst noch einmal »nationales Heiligtum«. Ihr lacht. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Du zeigst mir eine Statue, auf der in goldenen Lettern dein Name steht. Ich frage, wie die Blume auf der Statue heißt. Papa antwortet, das sei ein Lotus und er habe Zauberkräfte. Ihr müsst wieder lachen. Dann setzt du dich auf mein Bett und erzählst mir folgende Geschichte, die - wie ich später erfahren werde - aus der Odyssee stammt: »Ein Schiff strandet nach einem Sturm auf einer Insel. Die Bewohner der Insel ernähren sich ausschließlich von Lotusfrüchten, der Frucht des Vergessens. Der Kapitän schickt drei Männer los, sie sollen das Dorf erkunden, und als sie nicht zurückkommen, macht er sich auf die Suche nach ihnen. Er findet sie, aber seine Gefährten erkennen ihn nicht wieder: Die Schiffbrüchigen haben von der Lotusfrucht gekostet und schlagartig vergessen, wo sie herkamen, genau wie die Inselbewohner. Sie wollen nichts, als auf der Insel bleiben und sich ewig an Lotusfrüchten laben. Der Kapitän isst von den Früchten und vergisst ebenfalls, wer er ist.«

(Einige Jahre später werde ich überprüfen, ob deine Version der Geschichte mit Homers Erzählung übereinstimmt. Odysseus berichtet nicht viel über die Inselbewohner. Man erfährt nur, dass sie Lotophagen heißen und eine Gesellschaft erschaffen...
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Autor

Sedef Ecer wurde in Istanbul geboren, wo sie in den Siebzigerjahren Karriere als Schauspielerin machte. Mit 16 Jahren ging sie nach Frankreich. Heute lebt sie als Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Regisseurin in Paris und äußert sich regelmäßig zu sozialen und politischen Themen in der Türkei. »All die Frauen, die du warst« ist ihr erster Roman.