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Die Überwindung der kapitalistischen Moderne

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
142 Seiten
Deutsch
UNRAST Verlagerschienen am25.05.2022Das eBook beruht auf der 2. Auflage der Printversion
Abdullah Öcalans Gefängnisschriften sind nichts weniger als der Entwurf einer erneuerten linken Gesamtschau auf die Welt im Ganzen. Nach dem Scheitern des realexistierenden Staatssozialismus hat Abdullah Öcalan die theoretischen Grundlagen der kurdischen Freiheitsbewegung von Grund auf umgekrempelt. In einer Odyssee durch Tausende Jahre Menschheitsgeschichte erforscht er Patriarchat und Klassengesellschaft, aber auch die Perspektiven eines Kampfes für radikale Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Die vorliegende Einführung ermöglicht einem breiten Publikum einen verständlichen Zugang zu seinen umfangreichen Schriften, in denen er so hartnäckig wie optimistisch gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit des Bestehenden anschreibt.

Peter Schaber ist Mitglied des linken Medienkollektivs "lower class magazine". Er schrieb mit an zwei Büchern zum Kampf der Kurd*innen gegen Faschismus und Besatzung: "Hinter den Barrikaden. Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg" (edition assemblage 2015) und "Konkrete Utopie. Die Berge Kurdistans und die Revolution in Rojava" (Unrast 2017). Im Zuge seiner Kurdistanaufenthalte engagierte sich Schaber in zivilen und militärischen Organisationen der kurdischen Freiheitsbewegung. Nach einem Artikel zu seinen Erfahrungen im Krieg gegen den Islamischen Staat leitete die Bundesanwaltschaft ein Terrorismusverfahren gegen ihn ein.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,80
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAbdullah Öcalans Gefängnisschriften sind nichts weniger als der Entwurf einer erneuerten linken Gesamtschau auf die Welt im Ganzen. Nach dem Scheitern des realexistierenden Staatssozialismus hat Abdullah Öcalan die theoretischen Grundlagen der kurdischen Freiheitsbewegung von Grund auf umgekrempelt. In einer Odyssee durch Tausende Jahre Menschheitsgeschichte erforscht er Patriarchat und Klassengesellschaft, aber auch die Perspektiven eines Kampfes für radikale Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Die vorliegende Einführung ermöglicht einem breiten Publikum einen verständlichen Zugang zu seinen umfangreichen Schriften, in denen er so hartnäckig wie optimistisch gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit des Bestehenden anschreibt.

Peter Schaber ist Mitglied des linken Medienkollektivs "lower class magazine". Er schrieb mit an zwei Büchern zum Kampf der Kurd*innen gegen Faschismus und Besatzung: "Hinter den Barrikaden. Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg" (edition assemblage 2015) und "Konkrete Utopie. Die Berge Kurdistans und die Revolution in Rojava" (Unrast 2017). Im Zuge seiner Kurdistanaufenthalte engagierte sich Schaber in zivilen und militärischen Organisationen der kurdischen Freiheitsbewegung. Nach einem Artikel zu seinen Erfahrungen im Krieg gegen den Islamischen Staat leitete die Bundesanwaltschaft ein Terrorismusverfahren gegen ihn ein.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783954051045
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum25.05.2022
AuflageDas eBook beruht auf der 2. Auflage der Printversion
Seiten142 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9502976
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorbemerkungen

Im Frühjahr 2017 saß ich zusammen mit einigen anderen Deutschen, die auf dem Weg nach Rojava/Nordsyrien waren, in einer Guerilla-Stellung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak. Es war unklar, wann wir unseren Weg fortsetzen würden. Da wir unvorhergesehen in dem kleinen Camp gestrandet waren, mussten die beiden noch sehr jungen Kämpfer, die uns betreuten, irgendein Programm für uns aus dem Hut zaubern. Und das bevorzugte Programm in der kurdischen Guerilla ist Bildung. Wir setzten uns also unter einen Baum und Heval Azad, der mit Anfang 20 ältere der beiden Freunde, begann, uns die Geschichte der Befreiungsbewegung zu erzählen. Und natürlich die Geschichte Abdullah Öcalans.

Es gab vor Ort keine Lehrmaterialien, keine Bücher, an die er sich hätte halten können. Er wusste das einfach aus dem Effeff. Dass Abdullah Öcalan am 4. April 1949 in Amara (türkisch: Ömerli) geboren wurde; wie sehr ihn seine Familienverhältnisse beeinflusst hatten; wie er die türkische Linke kennenlernte und Aktivist der marxistischen Studierendenbewegung in der Türkei wurde; wie Öcalan dann begann, Kurdistan als Kolonie zu verstehen; wie er mit Hakki Karer, Kemal Pir und einer Hand voll weiterer Genoss*innen anfing, die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, aufzubauen. Welche Bücher Öcalan wann schrieb, wann er ins syrische und libanesische Exil ging; wie er dann 1999 entführt und auf der Gefängnisinsel Imrali eingekerkert wurde. Und wie er schließlich in Isolationshaft eine neue ideologische Grundlage für Partei und Bewegung schuf. »Wer keine Geschichte hat, hat keine Zukunft, erklärt uns Öcalan«, sagte Heval Azad, wenn man ihn fragte, warum er das alles weiß.

Heval Azad kannte seinen Öcalan. Und doch war er kein »Experte« oder dergleichen. Den Lebensweg und die Ideen ihres Vorsitzenden zu kennen, ist für die meisten der PKK-Kämpfer*innen obligatorisch. Sie sind Teil der perwerde, Schulungen, die manchmal einige Wochen, manchmal mehrere Monate dauern. Und die Lektüre der dicken Schwarten des inhaftierten Vordenkers bringt über so manchen Winter und so manche längere Phase des Verharrens in Höhlen, wenn der Feind mal wieder seine Drohnenarmee schickt.

Die Kenntnis von Abdullah Öcalans Wirken und Denken ist im Nahen Osten allerdings kein Spezialwissen ausschließlich derer, die sich entschieden haben, ihr Leben der Revolution zu widmen. In jenen vier Ländern, auf deren Territorium die Siedlungsgebiete der Kurd*innen verteilt sind, hat Öcalan Millionen Anhänger*innen. Seine Theorie vermochte, was vielen anderen linken Entwürfen der Gegenwart versagt blieb: Sie wurde eine materielle Kraft in einer wirklichen revolutionären Auseinandersetzung. Sie ist zur ideellen Grundlage einer geschichtsmächtigen Bewegung geworden.

Das zog auch die Aufmerksamkeit zahlreicher internationalistischer Linker - vor allem, aber nicht nur aus Europa - auf sich. In Deutschland reicht die Tradition anarchistischer, autonomer und kommunistischer Kurdistansolidarität lange zurück, aber vor allem seit 2014 ist ein erneutes, gesteigertes Interesse an der kurdischen Bewegung zu verzeichnen. Als damals kurdische Freiwillige den Islamischen Staat daran hinderten, die symbolträchtige nordsyrische Stadt Kobanê einzunehmen, begann weltweit eine breitere Öffentlichkeit, die demokratischen und fortschrittlichen Ideale der kurdischen Befreiungsbewegung wahrzunehmen. Und für viele wurde der Aufbau einer demokratischen Föderation von Kurd*innen, Araber*innen, Christ*innen mitten im Syrienkrieg ein Referenzpunkt für eigene Hoffnungen auf Befreiung.

Die kurdische Bewegung ist keine kleine Nischengruppe. Sie ist - wegen der nach dem Ersten Weltkrieg durchgesetzten imperialistischen Grenzziehung im Nahen Osten - in vier der wichtigsten Staaten der Region präsent: Irak, Iran, Syrien, Türkei. Und darüber hinaus existiert in vielen Nationen dieser Erde - von Frankreich und Deutschland über Russland bis nach Lateinamerika und die USA - eine politisch aktive kurdische Diaspora.

Die kurdische Bewegung ist zudem keine Eintagsfliege. 1978 wurde die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegründet, am 15. August 1984 begann sie den bewaffneten Kampf. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes ist sie weit davon entfernt, nun wirklich und ganz, ganz endgültig »ausgelöscht« zu werden, wie das türkische Regime seit Jahrzehnten alle paar Monate verlautbaren lässt. Im Gegenteil, ihre Konzepte und Ideale wurden Realität im Norden Syriens und weit über die kurdischen Siedlungsgebiete hinaus bis in die mehrheitlich arabischen syrischen Provinzen Raqqa und Deir ez-Zor hinein. Im Südosten der Türkei, also Nordkurdistan (kurdisch: Bakur), sind jene Parteien und sozialen Organisationen, die sich an den Ideen Abdullah Öcalans orientieren, trotz Massenverhaftungen, Absetzung gewählter Repräsentant*innen und Militäroperationen der türkischen Armee immer noch die stärkste politische Kraft. Und in der gebirgigen Grenzgegend zwischen dem Nordirak und der Türkei behauptet sich die Guerilla allen Flächenbombardements und Bodenoperationen zum Trotz.

Die Erfolge wie Verfehlungen, die Errungenschaften wie Mängel dieser Millionenbewegung sind mit dem Namen Abdullah Öcalan aufs Engste verbunden. Er gilt der Bewegung als serokatî, als die politisch-ideologische Leitung. Und auch, wenn er sich seit nunmehr 20 Jahren in Haft befindet, blieben seine Gefängnisschriften so wirkmächtig, dass sie die sich an ihm orientierenden Parteien und Organisationen bis heute prägen.

Ruft man sich all das in Erinnerung, wirkt es erstaunlich, dass es bislang keine Einführung in sein Gesamtwerk in deutscher Sprache gibt (und ähnliches gilt für die meisten anderen europäischen Sprachen). Das auch deshalb, weil Öcalan wirklich deutlich mehr als bloß tagespolitische Erklärungen zu Papier gebracht hat. Er hat über die Jahre Dutzende Bücher geschrieben, und das keineswegs auf die konkrete kurdische Situation beschränkt, sondern durchaus mit dem Ziel, sozialistische Theorie generell neu aufzustellen.

Wie auch immer man zu den Thesen Öcalans stehen mag, man wird nicht bestreiten können, dass ein derartig umfassendes Konvolut von Schriften, wie er es niedergeschrieben hat, gerade in einer Zeit der umfassenden theoretischen wie praktischen Krise der Linken zur Kenntnis genommen werden sollte. Die vorliegende Einführung hat zum Ziel, einen ersten Einstieg in die Theorie Öcalans zu liefern. Sie ist der Versuch einer durchaus systematischen, wenn auch sicher nicht vollständigen Einführung in das Denken des kurdischen Revolutionärs. Ich habe mich bemüht, so nah am Gedanken des Urhebers wie möglich darzustellen, was Öcalan schreibt - ohne es zu kritisieren oder zu bewerten. Ich wurde in den vielen Jahren der Auseinandersetzung mit der kurdischen Bewegung nie »Apoist«, also nie voll und ganz Anhänger der Lehre Abdullah Öcalans. Zugleich glaube ich aber, dass er immens wichtige Impulse für eine Linke gibt, die sich verloren hat und sich auf der Höhe der Zeit wiederfinden will.

Das Ziel der vorliegenden Einführung war zum einen, stringent, möglichst kurz und systematisch aufgebaut darzustellen, was Öcalan schreibt und denkt. Die vorliegende Darstellung ist dabei sicher, das muss man der Fairness halber dazusagen, eine unter mehreren möglichen Interpretationen. Das trifft natürlich generell zu, wenn man über die Gedanken von jemand anderem schreibt. Aber es hat zudem einen sachlichen Grund in den dem kurdischen Revolutionär aufgezwungenen Arbeitsbedingungen. Er beschreibt sie am Beginn der Soziologie der Freiheit so: »Einige Bemerkungen zu meiner Schreibtechnik werden erhellend und entschuldigend wirken. Unter den Bedingungen meiner Einzelhaft wird mir nur jeweils ein Buch, eine Zeitschrift und eine Zeitung in der Zelle gestattet. Es war nicht möglich, Notizen zu machen und mit Zitaten zu arbeiten.« Er habe versucht, deshalb alles in Gedanken zu speichern und es danach aufzuschreiben. Aber: »Die größte Schwäche dieser Methode ist jedoch, dass das menschliche Gedächtnis den Makel des Vergessens trägt. Keine Notizen machen zu können, war daher hinderlich. Als ich mich daran machte, diesen Band zu schreiben, kam obendrein ein neues Verbot: Ich durfte keinen Stift in der Zelle haben. Nachdem am zehnten Tag der Bunkerstrafe dieses Verbot aufgehoben wurde, begann ich sofort zu schreiben.« (SdF, S23)

Ähnlich wie bei den berühmten Gefängnisschriften Antonio Gramscis können wir auch bei der Lektüre Öcalans die Spuren dieser äußeren Umstände nicht außer Acht lassen. Eine der Auswirkungen ist etwa, dass man Öcalan immer mindestens zweimal lesen muss. Man muss aus dem Gesamten die systematische Stoßrichtung gewinnen und dann die einzelnen Passagen im Lichte dieses Systementwurfs lesen. Denn er verwendet häufig für ein und denselben Sachverhalt verschiedene Begriffe, dann aber wieder ein und denselben Begriff für verschiedene Sachverhalte. Irgendeine Passage herauszureißen, macht häufig wenig Sinn. Man muss die einzelnen Stellen vom systematischen Ganzen her lesen. Die Schriften sind zudem Selbstverständigung. Sie haben einen systematischen Anspruch, aber sie zeigen dennoch ein Denken im Werden.

Die vorliegende Einführung versucht, den zugrunde liegenden Systementwurf herauszuarbeiten. Ihr eigentliches Ziel aber ist, dass das Buch zum Weiterlesen und zum eigenen Studium Öcalans anregen möge.

Bedanken möchte ich mich für die tatkräftige Unterstützung der...
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