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Der Stoff, aus dem die Tränen sind

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am16.08.20221. Auflage
Der Schriftsteller Patrick ist mit einem Ziel von der Ostküste nach Hollywood gekommen: Er möchte die Verfilmung eines seiner Bücher leiten, um zu verhindern, dass Starlet Cassidy Carter die Produktion zum Scheitern bringt. Außerdem ist es Patricks letzter Versuch, einen Erfolg zu landen, mit dem er seine Familie beeindrucken kann. Aber Kalifornien ist nicht so, wie er es sich vorgestellt hat: Dürre, Waldbrände und Korruption sind allgegenwärtig, und das Unternehmen, das hinter einer geheimnisvollen Marke für synthetisches Wasser steht, scheint die Ursache von allem zu sein. Als Patrick sich am Ende widerwillig mit Cassidy zusammenschließt und sie die dunklen Winkel der sonnenverbrannten Stadt erforschen, beginnt ein Seiltanz über dem Abgrund des Verstandes und der Welt.


Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper's« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextDer Schriftsteller Patrick ist mit einem Ziel von der Ostküste nach Hollywood gekommen: Er möchte die Verfilmung eines seiner Bücher leiten, um zu verhindern, dass Starlet Cassidy Carter die Produktion zum Scheitern bringt. Außerdem ist es Patricks letzter Versuch, einen Erfolg zu landen, mit dem er seine Familie beeindrucken kann. Aber Kalifornien ist nicht so, wie er es sich vorgestellt hat: Dürre, Waldbrände und Korruption sind allgegenwärtig, und das Unternehmen, das hinter einer geheimnisvollen Marke für synthetisches Wasser steht, scheint die Ursache von allem zu sein. Als Patrick sich am Ende widerwillig mit Cassidy zusammenschließt und sie die dunklen Winkel der sonnenverbrannten Stadt erforschen, beginnt ein Seiltanz über dem Abgrund des Verstandes und der Welt.


Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper's« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036996141
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.08.2022
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3652 Kbytes
Artikel-Nr.9518020
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2. KAPITEL

Auf den Fotos im Internet wirkt das Restaurant bezaubernd: ein schattiger, kühler Ort in einer Stadt, in der Sonnenlicht und nackte Haut regieren. Die Nahaufnahme einer gegrillten Wachtel mit eingelegter Kumquat auf einem bunten Salatbett aus hauchdünnem Fenchel, Kümmel und geräucherten Wacholderbeeren. Der Wachtelkörper ist fragil und präzise wie eine tropische Blüte. Kleine, angewinkelte Flügel und glänzende Schenkel umringen die leere Mitte, aus der die Eingeweide mit der liebevollen Geschicklichkeit eines Modellflugzeugbauers entfernt wurden. Dunkle Grautöne und gedecktes Blau bilden einen verschwommenen, stylischen Hintergrund. Ein anderes Foto zeigt eine graue, länglich s-förmige Granitbar, flankiert von glänzenden Jugendstilbarhockern auf der einen und einer Wand voll handgefertigter Tequilas auf der anderen Seite, die sich bis ins Gewölbe streckt. Auf die Esstische aus dunklem Holz und geöltem Metall am rechten Bildrand fallen düstere Schatten, ein Vermeer-Gemälde eines edlen Gastropubs. In Wirklichkeit fühlt sich das Restaurant dagegen höhlenartig an, dunkel und zurückgesetzt, mit einer Guillotine aus teuren Kupferlampen an der Decke.

Patrick sitzt in der Ecke einer ausladenden, mit himmelblauem Samt bezogenen Sitzecke, vor sich zwei neue Exemplare seines Romans Elsinore Lane. Er kann sich über seine Größe nicht beklagen, eins siebenundsiebzig, also fast schon eins achtzig, aber die Nische ist darauf angelegt, dass sich jeder Gast in ihr klein und schwach vorkommt, egal wie groß oder gut gebaut er oder sie auch sein mag. Die Rückenlehne mit Knopfpolsterung ragt ihm über den Kopf und endet in einem sich nach vorne wölbenden Kissen, das seinen Kopf leicht hinabdrückt, sodass er krumm dasitzen muss. Auf dem Weg hierher hatte seine Mitfahrgelegenheit im Stau gestanden, und er hatte fast die gesamte Fahrt hindurch überlegt, wie er Jay Arvid und Brenda Billington, den Produktionsleitern, die Verspätung verkaufen sollte. Verspätung, eigentlich ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit, ließe sich unter den richtigen Umständen als Zeichen von Macht verkaufen. Was, wenn er zu spät war, weil er ein wichtiges Telefongespräch mit seiner Agentin geführt hatte? Was, wenn er eine längere Anfahrt hatte, aus Malibu oder Venice Beach zum Beispiel, wo er sich mit einem renommierten Cutter getroffen hatte, den er vielleicht mit an Bord holen wollte? Was, wenn er mit seiner Familie telefoniert hatte, ein fürsorglicher, geliebter Vater, der sich aus der Ferne um Probleme kümmerte?

Am Ende war er allerdings nur ein paar Minuten zu spät und das Restaurant leer bis auf die Mitarbeiter, die in die bodenlose Tiefe ihrer Smartphones starrten und ab und zu schäkernde Bemerkungen austauschten, wodurch er sich gänzlich unsichtbar fühlte. Inzwischen waren vierzig Minuten vergangen, und Patrick widmete sich jetzt der Überlegung, wie er sein frühes Erscheinen verkaufen sollte. Was, wenn auch er erst wenige Minuten zuvor eingetroffen wäre? Was, wenn sie ihn bei einem Telefonat vorfänden, das er gerade elegant beendete, bevor er sie mit einem herzhaften Klaps auf den Rücken begrüßte? Oder mit Handschlag und angedeuteter Umarmung? Er gibt dem Kellner ein Zeichen und bestellt noch etwas Brot und Olivenöl.

Arvid und Billington treffen ein, werden am Eingang vom Oberkellner, der Empfangsdame, dem Brotsommelier und dem gesamten Servicepersonal begrüßt und mit guten Wünschen überschüttet. Er kann sie zwar nicht sehen, aber anhand der Ausrichtung der schwarzhosigen Kellner ist es ihm trotzdem möglich, ihren Standort zu bestimmen. Er hält Ausschau nach dem Gesicht aus der Bildersuche, weicher Hals, kantige Nase, zierliches Kinn, doch der Mann, der sich aus der Personaltraube löst, wirkt weitaus markanter. Sein gebräunter, sehniger Hals scheint das Gewicht einer handgefertigten Axt zu besitzen, die mit zugehöriger handgefertigter Ledertasche angeboten wird, und er erinnert Patrick an jemanden, der für sein gutes Aussehen berühmt ist, einen austauschbaren Hauptdarsteller, oder eine glatte, flüssige Mischung aus all diesen Männern. Zuerst fällt ihm Gerard Butler ein, dann Edward Norton, dann Russell Crowe, doch je länger er Arvids Gesicht betrachtet, desto weniger gelingt es ihm, sich Vergleichsmodelle vorzustellen. Wenige Sekunden später steht Jay Arvid, der im Übrigen genau eins achtzig misst, allerdings größer wirkt, neben Patrick und zerrt ihn auf die Füße, um ihn mit einer Mischung aus Handschlag und Rückenklopfen zu begrüßen. Hinter ihm wartet Brenda mit seidigem nerzfarbenem Haar und roter XXL-Brille, die an einer kitschigen Goldkette befestigt ist, ein privilegiertes Kunsthochschultöchterchen aus mächtigem Elternhaus. Sie hebt die schlanke, bleiche Hand zur Begrüßung, obwohl sie nahe genug für einen Handschlag ist.

»Super, dass es geklappt hat.« Arvid klingt gleichgültig und aufrichtig auf einmal. »Wir freuen uns, den Autor kennenzulernen.«

»Wir speisen nicht jeden Abend mit Schriftstellern«, ergänzt Billington. »Da müssen Jay und ich wohl auf unsere Grammatik achten. Ich will ja nicht zu viel verraten, aber wir erwarten noch jemanden. Das wird eine Riesenüberraschung.«

Billington bestellt Rotwein für alle, und Patrick ruft die Kellnerin zurück an den Tisch und bittet um Wasser.

»WAT-R?« Die Kellnerin schaut von Patrick zu Jay zu Brenda. »Kein Problem.«

Wein gluckert aus der Flasche. Sie stoßen an. Patrick verschätzt sich am Rand seines mundgeblasenen Wasserglases und schüttet sich WAT-R übers Hemd. Alles scheint sich in anderthalbfacher Geschwindigkeit abzuspielen, ein Phantomfinger spult die Szene bis zur Haupthandlung vor. Er hält sein Glas gegen das Licht, um nach einem Knacks oder Riss zu suchen, doch er sieht lediglich die Deckenlampen, die sich in gefleckter Klarheit vor- und zurückbewegen. Die Eiswürfel sammeln sich am Boden, und das kommt ihm seltsam vor. Er überlegt, wo er das schon einmal gesehen hat, doch es fällt ihm nicht ein.

Brenda mustert ihn. »Keine Angst, das tut nichts. Ihr habt gar nicht so viel von dem Zeug an der Ostküste, oder?« Ihr Tonfall verunsichert ihn.

Patrick trinkt zwei kleine Schlucke und stellt das Glas wieder ab.

»Hamlin, eins muss ich Ihnen sagen.« Arvid lehnt sich zu Patrick. »Als ich Ihr Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, da habe ich es umgedreht und folgende Worte auf der Rückseite gelesen: Eine Geistergeschichte , stand da. In Familienblut verfasst. Da ist es mir kalt über den Rücken gelaufen. Was für eine tolle Geschichte.«

»Danke.« Patrick trinkt einen Schluck Wein. »Das Zitat stammt aus der Besprechung in der Times.«

»Geistergeschichten sind in unserer Branche eine sichere Nummer.« Brenda knabbert an einer Scheibe Brot. »Das gefällt dem Publikum. Geister tauchen nämlich nicht einfach so auf. Wo ein Geist ist, ist auch eine Geschichte.«

»Hm, ich sehe den Roman eigentlich nicht als reine Geistergeschichte«, erwidert Patrick. Er gerät in Fahrt, während er über seine Arbeit spricht. »Oder ... vielleicht doch, wenn man Hamlet als solche liest, also eigentlich kaum. Das Buch ist inspiriert von persönlichen Erfahrungen. Nach dem Tod meines Vaters bin ich nach Hause zurückgekehrt und musste feststellen, dass meine Mutter in einer neuen Beziehung war. Wie eine ganze Kindheit von einem rasch zusammengewürfelten Erwachsenenleben davongeschwemmt wird. Wie das lebenslange Streben, den Vater zu übertreffen, von einem verfrühten Tod über den Haufen geworfen wird und man plötzlich orientierungslos dasteht. Der damit verbundene Schmerz. In Geistergeschichten geht es grundsätzlich um die Vergangenheit, um verschüttetes Trauma, das ausgehoben und ein für alle Mal begraben werden soll. Im Roman erforsche ich, wie die Erinnerung an einen Menschen, die ja an sich schon eine Art Geist ist, in der Gegenwart und der Zukunft weiterleben kann.«

»Hmm«, macht Brenda.

»Eine Story mit Fortsetzungspotenzial.« Jay kichert. »Nein, im Ernst. Vielleicht behalten wir Sie einfach hier, Sie können Ihre Familie rüberholen und so weiter.«

»Das Drehbuch habe ich allerdings noch immer nicht gesehen«, bemerkt Patrick beiläufig. »Ich weiß ja nicht, ob ich da noch irgendwas absegnen muss oder so. Mich würde nur interessieren, was euer Drehbuchautor daraus gemacht hat.«

»Jay, muss Patrick da noch irgendwas absegnen?«, fragt Brenda freundlich. »Die Änderungen, die unser Drehbuchautor vorgenommen hat? Ich glaube nicht, oder?«

Jay schüttelt den Kopf.

»Dann kann er ja vielleicht einfach ein Exemplar im Büro einsammeln«, schlägt Brenda vor. »Nächste Woche irgendwann? Bestimmt liegt noch irgendwo eins rum, das grad keiner benutzt.«

Die zwei nicken einander enthusiastisch zu.

Jay blickt ihn gutmütig an. »Wie gefällt es Ihnen hier in Kalifornien?«

»Ich glaube, hinter meinem Hotel hausen Kojoten«, erwidert Patrick abgelenkt. »Mitten in der Nacht geht das Geschrei los. Hört sich an wie Kinder, die sich wehgetan haben.«

»O ja«, pflichtet Brenda ihm bei.

Jay nickt. »So leben wir hier nun mal, dicht an der Schattenseite der Wildnis. Letzten Monat ist ein Reh in meinem Pool ertrunken. Nein, im Ernst. Jetzt machen wir immer den Witz, dass wir den schönen Pool lieber abgedeckt hätten.«

»Du kannst dir nicht die Schuld an allem geben, was auf der Welt passiert.« Brenda legt in einem unerwarteten Anflug von Zärtlichkeit die Hand auf seine. »Die Welt ist nun mal ein Ort, an dem schreckliche Dinge einfach geschehen.«

Dann steht sie abrupt auf und winkt in Richtung Eingang. Patrick spürt, wie sich die...

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Autor

Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper's« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.

Anna-Christin Kramer, geboren 1987, übersetzt seit zehn Jahren Literatur aus dem Englischen. Für Kein & Aber hat sie Nicola Upson, Kevin Kwan, Mason Currey u.a. ins Deutsche übertragen.

Christiane Sipeer, Jahrgang 1985, übersetzt Belletristik und Sachbücher aus dem Englischen, unter anderem von Esther Perel, Kate Riordan und Amy Butcher. Sie lebt in Leipzig.