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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Edition Chrismonerschienen am01.05.20191. Auflage
Vor 100 Jahren wurde mit der Weimarer Verfassung die erste Demokratie auf deutschem Boden gegründet. 100 bewegte, teilweise ausgesprochen undemokratische Jahre. Und heute? Welche Visionen haben wir für die Zukunft unseres Zusammenlebens in einer Zeit, in der viele Menschen das Zutrauen in die Demokratie verloren haben und die Gesellschaft immer mehr von Partikularinteressen zerrissen wirkt? Und wer soll diese Zukunft wie gestalten? 'Das Volk', wen auch immer man darunter fasst, oder demokratisch gewählte Volksvertreter? Nationalstaaten? Europa oder die globale Weltgemeinschaft? 'Staat und Nation sind Erfolgsmodelle und Basis für ein starkes Europas in einer multipolaren Welt', sagt der Linke Michael Bröning. 'In einer pluralen, vielschichtigen Gesellschaft wie unserer gibt es mehr als eine Nation', sagt der Konservative Michael Wolffsohn. Und er beobachtet eine fundamentale Verunsicherung der Entscheidungsträger in unserer Zeit. Wo sind die handlungsfähigen Gestaltungskräfte für unser zukünftiges Zusammenleben? Und was ist das eigentlich, die Nation, der sich wissenschaftlichen Studien zufolge 86 Prozent der Weltbevölkerung emotional verbunden fühlen? Eine zufällige Geburtengemeinschaft? Eine staatliche Organisationsstruktur im Sinne eines Nationalstaates oder eine Wertegemeinschaft im Sinne einer Kulturnation? Ein hochaktuelles Streitgespräch zwischen zwei brillanten Köpfen unserer Zeit: Michael Bröning und Michael Wolffsohn. Anregend, aufrüttelnd und unbedingt lesenswert.

Michael Bröning, Jahrgang 1976, leitet das Referat 'Internationale Politikanalyse' der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und ist Herausgeber der Zeitschrift 'Internationale Politik und Gesellschaft'. Er schreibt regelmäßig für verschiedene nationale und internationale Medien. Im Frühjahr 2018 erschien sein Buch 'Lob der Nation'.
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Produkt

KlappentextVor 100 Jahren wurde mit der Weimarer Verfassung die erste Demokratie auf deutschem Boden gegründet. 100 bewegte, teilweise ausgesprochen undemokratische Jahre. Und heute? Welche Visionen haben wir für die Zukunft unseres Zusammenlebens in einer Zeit, in der viele Menschen das Zutrauen in die Demokratie verloren haben und die Gesellschaft immer mehr von Partikularinteressen zerrissen wirkt? Und wer soll diese Zukunft wie gestalten? 'Das Volk', wen auch immer man darunter fasst, oder demokratisch gewählte Volksvertreter? Nationalstaaten? Europa oder die globale Weltgemeinschaft? 'Staat und Nation sind Erfolgsmodelle und Basis für ein starkes Europas in einer multipolaren Welt', sagt der Linke Michael Bröning. 'In einer pluralen, vielschichtigen Gesellschaft wie unserer gibt es mehr als eine Nation', sagt der Konservative Michael Wolffsohn. Und er beobachtet eine fundamentale Verunsicherung der Entscheidungsträger in unserer Zeit. Wo sind die handlungsfähigen Gestaltungskräfte für unser zukünftiges Zusammenleben? Und was ist das eigentlich, die Nation, der sich wissenschaftlichen Studien zufolge 86 Prozent der Weltbevölkerung emotional verbunden fühlen? Eine zufällige Geburtengemeinschaft? Eine staatliche Organisationsstruktur im Sinne eines Nationalstaates oder eine Wertegemeinschaft im Sinne einer Kulturnation? Ein hochaktuelles Streitgespräch zwischen zwei brillanten Köpfen unserer Zeit: Michael Bröning und Michael Wolffsohn. Anregend, aufrüttelnd und unbedingt lesenswert.

Michael Bröning, Jahrgang 1976, leitet das Referat 'Internationale Politikanalyse' der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und ist Herausgeber der Zeitschrift 'Internationale Politik und Gesellschaft'. Er schreibt regelmäßig für verschiedene nationale und internationale Medien. Im Frühjahr 2018 erschien sein Buch 'Lob der Nation'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960382027
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum01.05.2019
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1472 Kbytes
Artikel-Nr.9605509
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1. Herausgeforderte Demokratie

BINGENER: Lieber Herr Wolffsohn, lieber Herr Bröning, am 9. November 2018 wurde von diversen Balkonen Europas die Europäische Republik ausgerufen und das Ende der Nationalstaaten proklamiert. Vermutlich haben Sie von diesem »European Balcony Project« im Schnittfeld von Kunst und Politik gehört. Was halten Sie davon - ist das eine zukunftsweisende Idee oder eine Illusion?

WOLFFSOHN: Der Gedanke scheint sympathisch, ist aber vollkommen unrealistisch. Die Balkonengeste ist schön, weil damit natürlich an die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann erinnert wird oder an den »Gegenbalkon« von Karl Liebknecht. Die Idee ist deshalb so sympathisch, weil sie sich von der Fokussierung auf den Nationalstaat löst, von der Notwendigkeit einer funktionalen Zusammenarbeit ausgeht und nationale Urteile und Vorurteile überwinden will. Aber die Wirklichkeit sieht, fürchte ich, so aus, dass es in Europa eher zu einer Re-Regionalisierung und Re-Nationalisierung kommen wird. Re-Nationalisierung muss nicht von vornherein negativ sein, aber die Erfahrung zeigt: Nationalismen neigen zu Extremformen. Gegen einen aufgeklärten Nationalismus, Patriotismus oder wie immer man das nennen will, ist an sich nichts zu sagen. Punktum: sympathisch, aber unrealistisch.

BRÖNING: Ich sehe das durchaus kritischer: Das wäre sympathisch, wenn es nicht so gefährlich wäre.

BINGENER: Die Initiatoren des Projekts, zu denen der Autor Robert Menasse und die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guerot gehören, schreiben: »Europäer ist, wer es sein will. Die Europäische Republik ist der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie.« Was ist daran gefährlich?

BRÖNING: Das Projekt ist gefährlich, weil jede Umfrage zeigt, dass eine Europäische Republik auf den Trümmern der Nationalstaaten genau das ist, was die meisten Menschen in Europa nicht wollen. Die Aktivisten des Balcony Project wären deshalb nur erfolgreich, wenn sie sich im nächsten Schritt daranmachten, das Volk aufzulösen und sich ein neues zu wählen, um mit Bert Brecht zu sprechen. Deshalb versinnbildlicht die Aktion für mich genau die Art von »Hurra-Europäismus«, die nicht Teil der Lösung ist, sondern Teil des Problems. Und es ist traurig, ja letztlich ironisch, dass Europa auf diesem Weg nicht nur von den Rechtspopulisten infrage gestellt wird, sondern unbeabsichtigt auch von Europafreunden, die in ihrer visionären Begeisterung nicht verstehen, dass man manchmal eher weniger Europa braucht, um die europäische Idee zu sichern. Noch utopischer ist dabei die Vision einer globalen Demokratie. Ja, demokratische Staaten weltweit wären ein Segen. Aber ein demokratischer Weltstaat? Ein solcher wäre nicht nur ein bürokratisches Monstrum, sondern würde Selbstbestimmung unmöglich machen. Wie sollen in einem Weltstaat politische Präferenzen abgebildet werden? Pluralismus und Diversität jedenfalls ließen sich in einem solchen Gebilde kaum sicherstellen. Und: Bilden wir die Weltregierung dann mit Putin, Trump, Erdogan, dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und Kim Jong-un?

BINGENER: Sie sehen also Europa und seine Staaten nicht nur von seinen Feinden bedroht, sondern auch von seinen vermeintlich besten Freunden. Aber wie groß ist die Gefahr? Herr Wolffsohn, Sie halten politische Systeme ja generell für deutlich fragiler, als man gemeinhin annimmt.

WOLFFSOHN: Jede Gesellschaft an sich ist fragil, weil sie immer vielschichtig ist. Die »eine Nation« ist eine Fiktion. Wir haben, um es marxistisch zu formulieren, den Gegensatz von Klassen, wir haben den Gegensatz von Religionen, Ideologien, Sprachen und anderem. Letzteres schien in den weitgehend heidnisch gewordenen deutschen und westeuropäischen Gesellschaften völlig vergessen worden zu sein, aber der Rest der Welt ist eben a) größer und b) anders programmiert. Wo auch immer ich hinschaue, sehe ich dramatische Unterschiede. Deswegen ist es notwendig, auch aus funktionalen und aus Gründen der Zivilität, den Menschen vor dem Menschen zu schützen, Mechanismen zu entwickeln oder zu stärken, die einen Crash der verschiedenen politischen Einheiten verhindert.

BINGENER: Teilen Sie diese Analyse, Herr Bröning? Und wie sieht es auf der europäischen Ebene aus? Wie fragil ist das europäische Projekt?

BRÖNING: Ich würde mich der Analyse nur zum Teil anschließen. Zentral ist, dass politische Konflikte innerhalb des politischen Systems ausgetragen werden. Dabei geht es aber auch darum, Gesellschaften so abzubilden, dass möglichst breite Strömungen erfasst werden. Doch die demokratische Mitte muss halten. Ich bin vor allem in Sorge, wenn ich mir die Entwicklung in den Vereinigten Staaten anschaue. Die sogenannte populistische Revolte in Deutschland und in Europa hat sich ja lange Zeit außerhalb der etablierten Systeme abgespielt. Die etablierten Parteien wurden umgangen, und es wurden ganz neue Bewegungen gegründet, eben zunächst außerparlamentarische. In den Vereinigten Staaten hat es das genauso gegeben, aber nun hat das System die Revolte absorbiert. Das eindrücklichste Beispiel dafür ist wahrscheinlich, wie die republikanische Partei von Donald Trump übernommen wurde. Aber auch die Demokraten rücken derzeit weit nach links. Die Folge ist politische Dysfunktionalität. Wenn Sie sich anschauen, wie kooperationsunfähig die beiden politischen Parteien in den USA geworden sind, wird klar, dass das reine Abbilden der Spaltung innerhalb des Systems auch kein Allheilmittel ist. Politik funktioniert nur, wenn ein gesellschaftlicher Grundkonsens besteht. Und der wird derzeit zum Teil infrage gestellt. Deshalb ist unsere Demokratie fragiler geworden. Es hat nichts mit »Diskurs« zu tun, wenn der Gegner wahlweise als Volksverräter oder als Faschist diffamiert wird. Diese Polarisierung geht zu weit.

BINGENER: Ist die Erosion des vorpolitischen Konsenses über Werte und Umgangsformen der eigentliche Kern des Problems?

WOLFFSOHN: Jeder gesellschaftliche Konsens ist meines Erachtens eine Fiktion, wenn auch eine sehr sympathische Fiktion. Als Historiker versuche ich, die Wirklichkeit als Wirklichkeit zu erkennen. Ich spreche nicht von Objektivität, sondern vielmehr von dem Versuch, den realen Charakter der Wirklichkeit zu erkennen und scheinbar widersprüchlich zu formulieren. Wo gab es denn - historisch betrachtet - wann einen echten Konsens, einen allgemeinen Wertekonsens? Einen Regelkonsens zu erreichen, halte ich hingegen für unverzichtbar. Das Beispiel, das mir in diesem Zusammenhang immer einfällt, ist der Straßenverkehr. Wir können nicht beschließen, den Linksverkehr einzuführen, nur weil Herr Bröning oder ich den vielleicht lieber hätten. Das ist einfach nicht möglich, da gäbe es zu viele Geisterfahrer, was dysfunktional wäre. Ein Regelkonsens ist also unverzichtbar und muss durchgesetzt werden. Das kann nur eine administrative Einheit, die über das Gewaltmonopol verfügt - und die nennt man Staat. Deswegen sind alle Totsagungen von oder Mordabsichten an Staatsgewalt als solche absurd, denn man braucht eine administrative Einheit. Je größer die Menschenzahl, desto notwendiger ist eine steuernde funktionale Monopolinstitution. Das ist der Staat. Erster Punkt.

BRÖNING: Mag sein, aber bei aller gesellschaftlicher Auseinandersetzung, wie wir sie jetzt erleben, sollte man verstehen, dass Streit der Normalfall ist. Ich würde deshalb davor warnen, das Lied auf den nahen Weltuntergang anzustimmen, weil wir die Lehren der Geschichte vergessen hätten und jetzt wieder so furchtbar gemein zueinander seien. Ich bin zwar noch etwas jünger als Sie, Herr Wolffsohn, aber ich meine, in den 1970er und 1980er Jahren hat das Ausmaß der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wahrscheinlich über dem heutigen Niveau gelegen. Denken Sie an den Kampf um die Startbahn West, um Wackersdorf oder die Ostverträge Willy Brandts. Im Deutschen Herbst wurden Menschen entführt und ermordet. In den 1920er Jahren gab es Straßenschlachten. Sie können noch weiter zurückgehen zum Dreißigjährigen Krieg. Kurzum: Die Geschichte Europas ist nicht wirklich die Geschichte von eitel Sonnenschein. Gesellschaftliche Polarisierung, wie wir sie heute erleben, ist deswegen möglicherweise eher der Normalfall und das, was wir in den vergangenen dreißig Jahren erlebt haben, eher die Ausnahme. Vielleicht eine Art von kurzzeitiger Euphorie über das Ende des Kalten Krieges? Die Auseinandersetzungen, die wir jetzt zu den Fragekreisen Globalisierung und Migration erleben, sind zwar intensiv, aber nicht grundsätzlich neu. Und sie sind legitim. Es ist ja nicht schlimm, dass Menschen miteinander streiten, so gehört sich das erst einmal. Wer das nicht versteht, braucht Nachhilfe im Einmaleins der Demokratie.

BINGENER: Sie werfen damit eine ganz wichtige Frage auf: Wie tief reicht eigentlich die Krisendiagnose? Es mutet auf den ersten Blick merkwürdig an, wenn heute Leute auf ihrer Couch über den bevorstehenden Untergang des Systems fabulieren, kurz nachdem sie ihr SUV in der Garage geparkt haben.

WOLFFSOHN: Die Krisendiagnose ist als solche falsch. Die Frage ist doch: Was verstehen wir...
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Autor

Michael Bröning, Jahrgang 1976, leitet das Referat "Internationale Politikanalyse" der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und ist Herausgeber der Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft". Er schreibt regelmäßig für verschiedene nationale und internationale Medien. Im Frühjahr 2018 erschien sein Buch "Lob der Nation".