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Schmelzwasser

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Braumüller Verlagerschienen am01.07.2022
Im Frühjahr 1947 hüpft die Buchhändlerin Emilie Reber von einem Linienschiff auf den Landungssteg einer Kleinstadt am Bodensee. Zurückgekehrt aus der Résistance, eröffnet sie mit französischer Hilfe eine Leihbibliothek und macht sich daran, die gesellschaftlichen Verkrustungen der Nachkriegszeit mit Literatur aufzubrechen. Kein leichtes Unterfangen, wollen doch die Kleinstädter Ruhe, vergessen und schon gar nicht, dass jemand in ihren Wunden stochert. Vorerst legt sich die Buchhändlerin alleine mit dem Städtchen und den Altnazis an, bis sie zwei Freundinnen und Mitstreiterinnen findet. Gemeinsam mit einem Kunden der Buchhandlung stemmen sich die drei Frauen dem eisigen Schweigen mit Literatur, Mode und Musik entgegen. Mit Mut, Beharrlichkeit und Lebenshunger behaupten sie gegen alle Widerstände ihr eigenes Leben.

Patrick Tschan, geb. 1962 in Basel, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie, führte in zahlreichen Theaterstücken Regie, war viele Jahre in der Werbung und Kommunikation tätig. Autor zahlreicher Essays und Kolumnen. Er ist Präsident der Schweizer Schriftsteller- Fußballnationalmannschaft. Schmelzwasser ist sein fünfter Roman. www.patricktschan.ch Zuletzt bei Braumüller erschienen: Polarrot, Keller fehlt ein Wort, Eine Reise später
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextIm Frühjahr 1947 hüpft die Buchhändlerin Emilie Reber von einem Linienschiff auf den Landungssteg einer Kleinstadt am Bodensee. Zurückgekehrt aus der Résistance, eröffnet sie mit französischer Hilfe eine Leihbibliothek und macht sich daran, die gesellschaftlichen Verkrustungen der Nachkriegszeit mit Literatur aufzubrechen. Kein leichtes Unterfangen, wollen doch die Kleinstädter Ruhe, vergessen und schon gar nicht, dass jemand in ihren Wunden stochert. Vorerst legt sich die Buchhändlerin alleine mit dem Städtchen und den Altnazis an, bis sie zwei Freundinnen und Mitstreiterinnen findet. Gemeinsam mit einem Kunden der Buchhandlung stemmen sich die drei Frauen dem eisigen Schweigen mit Literatur, Mode und Musik entgegen. Mit Mut, Beharrlichkeit und Lebenshunger behaupten sie gegen alle Widerstände ihr eigenes Leben.

Patrick Tschan, geb. 1962 in Basel, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie, führte in zahlreichen Theaterstücken Regie, war viele Jahre in der Werbung und Kommunikation tätig. Autor zahlreicher Essays und Kolumnen. Er ist Präsident der Schweizer Schriftsteller- Fußballnationalmannschaft. Schmelzwasser ist sein fünfter Roman. www.patricktschan.ch Zuletzt bei Braumüller erschienen: Polarrot, Keller fehlt ein Wort, Eine Reise später
Details
Weitere ISBN/GTIN9783992003310
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.07.2022
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse996 Kbytes
Artikel-Nr.9605616
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Die Bedienung servierte ein Kännchen Kaffee, dazu warme Milch sowie heißes Wasser. Emilie Reber brachte ihr mit Earl Grey gefülltes Teeei mit. Dazu gab es zwei Stück Badischen Käsekuchen. Sie versuchte sich anfänglich gegen die süße Versuchung zu wehren. Doch Hildegard Zahnlaub erzählte ihr, dass dieser Kuchen in Baden als Reifeprüfung für heiratswillige Frauen gelte und der vom Café Walch so gut sei, dass die Fräuleins den Kuchen hier kaufen, um ihn der zukünftigen Schwiegermutter vorzusetzen, bislang habe noch jede Heiratswillige mit einem Walch-Käsekuchen die Prüfung bestanden, und falls Sie in Baden heiraten möge, solle Sie den Kuchen kosten, damit Sie wisse, worauf Sie sich einlasse. Dieser Argumentation, die mit leuchtenden Augen und fester, keine Widerrede duldender Stimme vorgetragen wurde, hatte sich letztlich auch Emilie Reber zu beugen.

Ich habe Sie dreimal ganz gelesen, die Kirschen der Freiheit , gewisse Stellen sogar zehnmal. Ein extrem wichtiges Buch. Wichtiger als Borcherts Draußen vor der Tür , zeigte sich Hildegard Zahnlaub begeistert.

So?

Ja! So!

In gewissen Passagen ist es mir zu sehr Bericht, zu wenig Erzählung, zu wenig Literatur , meinte Emilie Reber.

Ah, Sie haben es bereits gelesen?

Ja, als es herauskam. Aber das sagte ich doch.

Trotzdem, es ist kein Gestotter eines Kriegsheimkehrers wie bei Borchert. Das ist der Bericht eines Mannes, der sein Schicksal, nein, seine Freiheit selbst in die Hand genommen hat.

Es hätte viel mehr solche mutigen Männer geben müssen.

Ja, das stimmt, aber bitte, lassen wir das doch jetzt. Sehen wir zu, dass es künftig mehr davon geben wird.

Sie haben recht, der Käsekuchen hätte sogar mich als Schwiegermutter für das Mädel erweicht. Aber zum Glück habe ich keinen Sohn geboren. Wer weiß, ob er überhaupt noch da wäre.

So gefallen Sie mir besser. Hätten Sie denn gerne Kinder gehabt?

Emilie Reber stockte. Diese Frage war ihr noch nie gestellt worden. Und sie hatte sie sich selbst auch noch nie gestellt. Hätte sie denn gerne Kinder gehabt? Im Internat hatte sie die anderen Kinder gehasst. Und die hatten wohl sie gehasst. Emilie Reber mochte keine Spiele, keinen Sport und auch im Schwimmunterricht hatte sie sich nur knapp über Wasser gehalten. Sie scheute Nähe und gab keine.

Nein, nicht. Ich habe Kinder nie wahrgenommen. Ich könnte mich auch nicht als Mutter vorstellen. Haben Sie Kinder?

Kinder? Mit diesem Mann? Nein, um Gottes willen.

Was ist denn mit Ihrem Mann?

Nichts.

Dann ist ja gut.

Nichts ist gut. Es ist eben nichts mit ihm.

Wo war er denn im Krieg?

Als Ingenieur bei Maybach-Motorenbau, Rüstungsbetrieb, bei Friedrichshafen. Hat irgendwelche Listen geführt, sagt er. Fragen Sie nicht mich, ich habe mich nie dafür interessiert.

Für ihn interessiert?

Ja, wahrscheinlich schon. Wahrscheinlich nie. Obwohl, als wir noch jung waren, da war etwas da. Aber nur kurz. Den Rest tat ich für Vati und Mutti. Und ab dann hatte mein Mann nur noch seine Panzermotoren, seine Listen und den Endsieg im Kopf.

Und jetzt?

Jetzt wird wiederaufgebaut, es werden wieder Motoren gebaut und er führt weiterhin Listen und hat nur noch die Niederlage und deren Schuldige im Kopf.

Und darum haben Sie Borchert und Andersch bei mir gekauft?

Ja. Ich wollte wissen, wer diese Verräter, Abtrünnigen, Fahnenflüchtigen und Schlappschwänze sind, wegen denen wir den Krieg verloren haben - seiner Meinung nach.

Wohl nicht wegen Hitler und der Nazi-Bonzen?

Nein, solche Männer wie Andersch. Der Geist dieser Männer, dieses Kommunistenpacks und Intellektuellengesindels, hätte die Wehrkraft zersetzt. Und zwar entscheidend. Solche Männer hätten Deutschland in die Niederlage geführt. Er habe alles gegeben. Unsere Panzer seien immer die besten gewesen. Mit den besten Motoren. Er habe immer an den Endsieg geglaubt und bis zum letzten Atemzug dafür gekämpft.

Mit seinen Listen?

Ja , Hildegard Zahnlaub musste lachen, wedelnde Listen als des Führers Wunderwaffe.

Heiße Luft wäre doch auch was gewesen , sagte Emilie Reber in spöttischem Ton.

Die beiden Frauen lachten Tränen bei der Vorstellung, wie Millionen Deutscher Landser mit wedelnden Listen die Invasion der Alliierten an den Stränden der Normandie zu stoppen versuchten.

Wahrscheinlich wäre es besser gewesen , nahm Hildegard Zahnlaub eine Lachträne wegwischend das Gespräch wieder auf.

Bestimmt , antwortete Emilie Reber und stach sich ein Stück Kuchen ab.

Es hätte mehr Andersch gebraucht.

Er kam aber auch erst spät drauf. Und die Gelegenheit war günstig.

Ah, haben Sie das Buch bereits zum zweiten Mal gelesen?

Von gestern auf heute. Nach Ihnen, wie versprochen.

Aber Sie haben gesagt, dass Sie es gelesen hätten, als es herauskam?

Gewisse Bücher hat man erst gelesen, wenn man sie mindestens zweimal gelesen hat. Das sagte ich auch!

Hildegard Zahnlaub nahm einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. Ganz korrekt, selbstverständlich. Sie sind, wie Sie sind, nicht?

Nein, so weit bin ich leider noch nicht , antwortete die Buchhändlerin betrübt und erschrak augenblicklich ob der Ehrlichkeit, die aus ihr herausbrach. Sie nahm einen Schluck Tee, bestellte nochmals heißes Wasser, wartete, bis die Bedienung es brachte, und tunkte ihr Teeei hinein.

Hildegard Zahnlaub überbrückte die Pause, indem sie Puderdose und Lippenstift aus ihrer Handtasche nahm und ihr Make-up nachbesserte.

Die Rechtfertigung mit dem geleisteten, aber nicht geltenden Eid fand ich ein wenig an den Haaren herbeigezogen , nahm Emilie Reber das Gespräch wieder auf.

Ja , antwortete Hildegard Zahnlaub, es wäre gar nicht nötig gewesen. Die Gedanken zur Freiheit, zur Entscheidung zu desertieren, sind stark genug. Das mit dem Eid ist wie ein schlechtes Gewissen Hitler gegenüber.

Das glaube ich nicht unbedingt. Er argumentiert mit: Der Schwur setzt die Freiheit des Schwörenden voraus. Er war damals noch unfrei oder der Preis für die Freiheit war ihm damals zu hoch. Immerhin stand auf die Verweigerung des Eides die Todesstrafe. Bei der Desertation hatte er eine wirkliche Chance, am Leben zu bleiben. Das hat die Entscheidung zur Freiheit sicherlich enorm erleichtert. Aber dafür wäre die Argumentation mit dem Eid nicht notwendig gewesen.

Hildegard Zahnlaub nickte knapp, aß ein Stück Kuchen, trank den Kaffee leer und schenkte sich nach. Sie schaute zum Fenster hinaus, am Pflasterer vorbei auf den stillen See, und sagte leise: Ich sollte mich auch mal für die Freiheit entscheiden.

Sind Sie unfrei?

Sehen Sie, Andersch schreibt auch: Es ist ein Leben denkbar, in dem die Freiheit niemals erfahren wird und das dennoch seinen vollen Wert behauptet. Ein wunderbarer Satz, finden Sie nicht auch?

Ja, er zeigt einen Grundrespekt gegenüber dem Menschsein. Der hat aber auch seine Grenzen. Wenn ich mich dafür entscheide, die Welt in den Abgrund zu stürzen und alle Menschen, die mir nicht in den Kram passen, systematisch zu ermorden, dann bleibt auch von diesem Grundrespekt nichts mehr übrig. Hier hätte ich von Andersch mehr erwartet als die Eidgeschichte. Gut, halten wir ihm zugute, es ist sein erstes, richtiges Buch.

Mir hat es die Augen geöffnet. Dafür bin ich dankbar, Literatur, Formales und so weiter sind mir egal. Ich möchte die Freiheit erfahren, ja, Frau Reber, ich dürste danach. Ich muss nur noch den Mut zusammenkratzen, mich auch für die Freiheit zu entscheiden und nicht einfach mein Leben vor mich herzuschieben.

Emilie Reber rührte den Löffel in ihrem Tee, fragte sich, ob sie die Frage stellen solle oder ob sie sich dadurch zu sehr in ein Leben einmischen würde.

Scheidung?

Hildegard Zahnlaub strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, blickte auf den See, sah einen Fisch, der nach einer Mücke schnappte, den Pflasterer, der seinen Rücken durchstreckte, und ein Linienschiff, das seit einiger Zeit abgelegt hatte und der nächsten Landestelle bereits näher war als der eben verlassenen.

Der Zeiger der Waage muss endlich nach Mut ausschlagen.

Wie...
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Autor

Patrick Tschan, geb. 1962 in Basel, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie, führte in zahlreichen Theaterstücken Regie, war viele Jahre in der Werbung und Kommunikation tätig. Autor zahlreicher Essays und Kolumnen. Er ist Präsident der Schweizer Schriftsteller- Fußballnationalmannschaft.
Schmelzwasser ist sein fünfter Roman.
patricktschan.ch

Zuletzt bei Braumüller erschienen:

Polarrot, Keller fehlt ein Wort, Eine Reise später