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Erinnerungen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
276 Seiten
Deutsch
novum pro Verlagerschienen am18.07.2022
Als die Stasi seinen achtzehnjährigen Sohn wegen Verbreitung 'staatsfeindlicher Losungen' ins Visier nimmt, muss der dekorierte DDR-Stabsoffizier Gerhard Wolf Stellung beziehen. Soll er sich von seinem Kind lossagen, seine Karriere gefährden und alles bisher Erreichte aufgeben? Anekdotenreich und humorvoll blickt Wolf auf siebzig Jahre seines bewegten Lebens in zwei politischen Systemen, drei Staaten und drei Ehen zurück.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR17,40
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextAls die Stasi seinen achtzehnjährigen Sohn wegen Verbreitung 'staatsfeindlicher Losungen' ins Visier nimmt, muss der dekorierte DDR-Stabsoffizier Gerhard Wolf Stellung beziehen. Soll er sich von seinem Kind lossagen, seine Karriere gefährden und alles bisher Erreichte aufgeben? Anekdotenreich und humorvoll blickt Wolf auf siebzig Jahre seines bewegten Lebens in zwei politischen Systemen, drei Staaten und drei Ehen zurück.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783991314752
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum18.07.2022
Seiten276 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1475 Kbytes
Artikel-Nr.9697884
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Ich bleibe kein Einzelkind

Während ich meine erste Zeit als Baby in warmen Sommermonaten genießen konnte, kam meine Schwester knapp drei Jahre später Anfang März zur Welt. An diesem Tage hatte es wohl sogar geschneit. Ich durfte weder Augen- noch Ohrenzeuge der Geburt sein. So wurde ich vorsorglich bei den Großeltern untergebracht. Erst als alles vorbei war, holte mich mein Vater nach Hause. Schon vor dem Gebäude hörte ich das Babygewimmer, deutete es aber zunächst als das Miauen einer neuen Katze. Wir hatten eigentlich immer eine Katze im Haus. Es war immer etwas zum Streicheln und Spielen da.

Wenig später wurde mir meine Schwester präsentiert. Zu meinem Leidwesen war ich nun nicht mehr Mittelpunkt der Familie. Zudem konnte man ja mit diesem wimmernden Knäuel nicht spielen. Ich stand auch immer irgendwie im Weg, musste mich still verhalten, wenn sie schlief. Wozu war Barbara also gut? Erst viel später war sie einigermaßen als Spielgefährtin zu gebrauchen.

Das dauerte mir zu lange. Ich sah mich nach anderen Beschäftigungen um. Gegenüber, in dem Haus auf der anderen Straßenseite, wohnten zwei Schwestern. Ältere Damen schon. Sie betrieben einen kleinen Getränkehandel. Die Getränke wurden in Holzfässern angeliefert. Es gab Bier, Malzbier und Brauselimonade. Diese Getränke wurden in Flaschen abgefüllt, die mit einem Schnappbügel verschlossen wurden. Die gefüllten Flaschen wurden in Bierkästen aus Holz gelagert und zum Verkauf angeboten. Leergetrunkene Flaschen wurden wieder dort abgegeben. Sie wurden gereinigt und erneut befüllt. Die Flaschenreinigung erfolgte mit heißem Wasser, in das wohl auch ein mildes Reinigungs- und Desinfektionsmittel gegeben wurde. Diese Lauge war in einen großen Holzbottich gefüllt. Die Flaschen wurden hineingelegt und füllten sich dort blubbernd mit dem Reinigungswasser. Nun begann der Reinigungsvorgang. Immer zwei Flaschen wurden dem Bottich entnommen. Eine davon wurde entleert und etwa halbvoll mit sehr kleinen Stahlkugeln gefüllt. Geschickt wurden dann die Flaschenhälse mit ihren Öffnungen aneinandergehalten, senkrecht gestellt und kräftig geschüttelt. Wenn die Stahlkugeln aus der oberen Flasche in die untere Flasche gelangt waren, wurden die Flaschen gedreht und der Vorgang mehrfach wiederholt.

Ich konnte stundenlang dieser fingerfertigen Handhabung zusehen. Mich faszinierte auch das Geräusch der herabrieselnden Stahlkugeln. Wenn man die Augen geschlossen hielt, hörte man einen leichten Sommerregen. Damals wusste ich noch nichts über die australischen Aborigines und ihr Didgeridoo, ihr Regenrohr .

Ich spielte auch mit den zahlreichen Katzen, die dort herumliefen. Ein hochkant gestellter Bierkasten, bei dem der Boden fehlte, diente mir als Dompteurutensil . Dort lockte ich die Katzen, von einem Fach ins andere zu kriechen. Also vorn herein und auf der anderen Seite in einem der nächsten Fächer wieder zurück. Eine Art Bierkasten-Slalom .

Die beiden Damen spendierten mir auch hin und wieder ein Bier. Ein Malzbier. Dazu luden sie mich sogar in ihr Wohnzimmer ein. Dort stand eine richtige Palme. Ich durfte mich in einen der wuchtigen Plüschsessel setzen. Das Malzbier wurde mir natürlich in einem Trinkglas serviert. Ich genoss es, den Bierschaum von den Lippen zu lecken.

Eine der beiden Damen hatte ihren Sohn schon im Ersten Weltkrieg verloren. Mit meiner Erscheinung erinnerte ich wohl sehr an ihn. Sie hatte mir einmal ein verblichenes Foto von ihm gezeigt. Ich konnte jedoch keine Ähnlichkeit mit mir entdecken. Das Foto zeigte ja auch einen jungen Mann und keinen Dreikäsehoch mit knapp vier Jahren, der ich damals war.

An den Sonntagen machten wir stets einen Familienspaziergang. Wenn es nicht gerade regnete. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es in diesen Jahren überhaupt einmal geregnet hatte. Vielleicht einmal nachts, wenn ich schlief.

Zu diesen Spaziergängen musste man sich natürlich fein anziehen. Fein bedeutete für mich: blitzblankgeputzte Schuhe, irgendein helles Oberteil, eine helle kurze Hose und weiße lange Strümpfe. Ich durfte schon die steile Treppe nach unten gehen, musste aber vor dem Haus auf die Familie warten, die noch damit zu tun hatte, sich selbst festlich zu kleiden. Am langsamsten war wohl meine Schwester. Denn es dauerte immer ewig, bis sie unten auftauchte. Sie wurde natürlich die Treppe heruntergetragen und dann in den Kinderwagen gesetzt. Ich musste laufen. Es kam nicht selten vor, dass mir die Warterei zu lange dauerte und ich inzwischen eine kleine Beschäftigung gefunden hatte. Natürlich blieben dabei vor allem meine weißen Strümpfe nicht sauber. Dann tolerierten meine Eltern zwar die inzwischen mit Tarnmusterung versehenen Strümpfe, aber mein verschmutztes Gesicht nicht. Mutti nahm dann ein Taschentuch, befeuchtete es mit Speichel und rubbelte mir die Verunreinigungen aus dem Gesicht. Mich schüttelt es heute noch, wenn ich daran denke.

Dann ging es endlich los. Es gab zwei Standardziele für den Spaziergang. Entweder eine Runde um den Breiten Teich oder eine Wanderung zum Lerchenberg. Am Breiten Teich gab es immer viel zu sehen. Auf dem Wasser konnte man mit Ruderkähnen fahren, die man sich ausleihen konnte. Mit meiner Schwester im Kinderwagen war das ein riskantes Unterfangen und kam deshalb nicht infrage. Zum anderen brauchten meine Eltern das Geld, das man für die Kahnausleihe hätte zahlen müssen, sicherlich für nützlichere und dringlichere Dinge. So blieb der Rundgang um den See zu Fuß. Man konnte viele Leute sehen, was auch sehr interessant war. Es war erstaunlich, welche Garderobe manche trugen. Aber man musste auch höllisch aufpassen, dass man jeden entgegenkommenden Bekannten aus der Nachbarschaft rechtzeitig und freundlich grüßte.

Der Lerchenberg ist eine kleine bewaldete Anhöhe etwas außerhalb der Stadt. Dort ging ich lieber spazieren. Ich musste zu diesem Spaziergang auch nicht unbedingt weiße Strümpfe tragen. Es war ein richtiger kleiner Wald. Meine Eltern erklärten mir die einzelnen Baumarten und nannten mir die Namen der Vögel, die dort herumflatterten. Einige erkannte ich recht bald an ihrem typischen Gezwitscher. Auch verschiedene Pflanzen lernte ich kennen.

Im Herbst sammelten wir dort Pilze. Manchmal reichte es für eine kleine Mahlzeit. Es war aber immer kaum mehr als eine Kostprobe.

Am südlichen Waldrand gab es eine Silberfuchsfarm. Durch den penetranten Gestank wurde man schon von Weitem darauf aufmerksam. Es war für mich sehr interessant, die Tiere in ihren Käfigen zu beobachten.

In den Sommermonaten gab es keine Sonntagsspaziergänge. Wir fuhren mit den Fahrrädern ins Grüne. Meine Schwester saß im Körbchen, das am Lenker von Muttis Fahrrad befestigt war. Ich saß auf einem kleinen Fahrradsattel, der auf der Querstange bei Vatis Fahrrad montiert war. Auf den großen Gepäckträgern wurde ein großer Picknickkorb, aber auch eine große Regenplane und eine Decke verstaut. So ging es los!

Unser Lieblingsziel war der Colditzer Wald. Meist rasteten wir auf dem dortigen Hochbehälter. Das war eine spärlich bewachsene Erhebung über einer Anlage der Wasserwirtschaft. Vergleichbar mit einem Wasserturm. Von dieser Anhöhe aus hatte man einen herrlichen Rundblick über die Landschaft. Die Decke wurde ausgebreitet, und alle nahmen darauf Platz. Zum Picknick gab es meist Kartoffelsalat mit gekochtem Ei. Den Durst konnte man sich mit kaltem Pfefferminztee löschen. Den Tee hatte Mutti in solche Bügelverschlussflaschen abgefüllt, wie ich sie im Haus gegenüber kennengelernt hatte.

Im Spätsommer fuhren wir dorthin, um Hagebutten zu pflücken. Diese Früchte der Wildrose wurden grob zerkleinert und getrocknet. Man konnte sie dann mit heißem Wasser überbrühen und erhielt einen sehr wohlschmeckenden und gesunden Tee. Durch den hohen Vitamin-C-Gehalt der Hagebutte wird das Immunsystem gestärkt.

In dieser letzten Phase des Sommers fuhren wir auch mit den Fahrrädern ein Stück weiter aus dem Ort als gewöhnlich. Entlang einiger Chausseen standen Apfelbäume, die viele ihrer Früchte abgeworfen hatten. Diese Äpfel sammelten wir auf und brachten sie nach Hause. Dort wurden sie gewaschen, geschält, in mundgerechte Stücke geschnitten, in Gläser gefüllt und eingeweckt. Oder die Stücke wurden gekocht und durch die Fruchtpresse gegeben, auf diese Weise wurde Apfelmus gewonnen. Dieses Apfelmus wurde auch eingekocht. Das schmeckte später sehr lecker zu knusprig gebratenen Kartoffelpuffern.

Wir Kinder, meine Schwester Barbara und ich, halfen oft und auch gern im Haushalt. Besonders gern beim Kuchenbacken. Dann galt es oft, einen Rührlöffel abzulecken oder eine Schüssel auszuschaben. Ich sah Mutti auch gern beim Kochen zu, durfte umrühren und auch abschmecken. Später wollte ich immerhin Koch werden. Koch auf einem großen Überseedampfer.

Schon in meinen ersten Lebensjahren besaß ich ja einen fahrbaren Untersatz. Ein Dreirad. Das war sehr stabil, was es auch sein musste, denn ich strapazierte es außerordentlich. Hügel, aber auch Treppenstufen fuhr ich oft im Stehen hinunter. Das Dreirad hatte jedoch keine Handbremse, und wenn ich auf der Sitzfläche stehend einen Abhang hinunterfuhr, konnte ich nicht mit den Pedalen bremsen. Also lenkte ich das Dreirad in eine Richtung, in der ein weiches Hindernis, wie etwa ein Gebüsch, vorhanden war oder die rasante Bergabfahrt in eine Bergauffahrt überging. Es war damals kaum Verkehr auf den Straßen und in unserer...

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