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Wenn, dann trifft es uns beide

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
304 Seiten
Deutsch
Jung und Jung Verlagerschienen am28.07.2022
Zwölf Geschichten über ein Gefühl, das Liebe sein könnte, wäre es nicht dermaßen vergeblich oder schon wieder egal oder so wahnsinnig anstrengend. Zwölf Geschichten über Gefühle, die abhandengekommen sind oder noch nie da waren oder im Regal einfach zu weit oben stehen. Zwölf Geschichten über Menschen, die vielleicht zwei Bildschirme haben, aber immer noch nur ein Gehirn. Und ein Herz. Es sind Geschichten von heute an Orten von heute: schräg und schnell, böse und berührend. Aus dem Altenheim oder bei Google, beim Tierarzt oder im Erlebnispark des Diktators, von der Insel oder vom Tresen, unter dem irischen Heizpilz oder im slowenischen Biergarten, während der Theaterproben oder nach dem dritten Negroni, hinter dem Küchenfenster oder im Zug mit sieben Kindern. Es sind Geschichten aus einer Welt, in der selbst Katzen Stimmungsaufheller kriegen. Wo Waschbären Internetstars sind. Oder Papageien Nazis. Oder Hunde John Belushi heißen.

1986 in Bayern geboren, lebt in Berlin. Sie hat Amerikanistik, Englische Literaturwissenschaft und Geschichte studiert und im Anschluss bei der Deutschen Presse-Agentur gearbeitet. Ihre journalistischen Reisereportagen stammen aus den USA, Irland, Italien, Kroatien und Österreich. Finalistin beim Open Mike 2019, zuletzt Stadtschreiberin in der Europäischen Kulturhauptstadt Rijeka. Männer ohne Möbel ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextZwölf Geschichten über ein Gefühl, das Liebe sein könnte, wäre es nicht dermaßen vergeblich oder schon wieder egal oder so wahnsinnig anstrengend. Zwölf Geschichten über Gefühle, die abhandengekommen sind oder noch nie da waren oder im Regal einfach zu weit oben stehen. Zwölf Geschichten über Menschen, die vielleicht zwei Bildschirme haben, aber immer noch nur ein Gehirn. Und ein Herz. Es sind Geschichten von heute an Orten von heute: schräg und schnell, böse und berührend. Aus dem Altenheim oder bei Google, beim Tierarzt oder im Erlebnispark des Diktators, von der Insel oder vom Tresen, unter dem irischen Heizpilz oder im slowenischen Biergarten, während der Theaterproben oder nach dem dritten Negroni, hinter dem Küchenfenster oder im Zug mit sieben Kindern. Es sind Geschichten aus einer Welt, in der selbst Katzen Stimmungsaufheller kriegen. Wo Waschbären Internetstars sind. Oder Papageien Nazis. Oder Hunde John Belushi heißen.

1986 in Bayern geboren, lebt in Berlin. Sie hat Amerikanistik, Englische Literaturwissenschaft und Geschichte studiert und im Anschluss bei der Deutschen Presse-Agentur gearbeitet. Ihre journalistischen Reisereportagen stammen aus den USA, Irland, Italien, Kroatien und Österreich. Finalistin beim Open Mike 2019, zuletzt Stadtschreiberin in der Europäischen Kulturhauptstadt Rijeka. Männer ohne Möbel ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990271872
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum28.07.2022
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1070 Kbytes
Artikel-Nr.9720672
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

LAST CHRISTMAS

Womit Anna ihre Erzählung später immer beginnen würde:

Keiner war älter als dreißig.

Die Frauen trugen kleine Kreolen und eng anliegende Rollkragenpullover aus dünnem Stoff, die Farben unauffällig, darüber Goldkettchen. Eine Neunzehnjährige hatte ihr Haar grau gefärbt. Die Männer sahen gut gelaunt aus und hielten die Arme vor dem Körper verschränkt, nicht ablehnend, nur professionell. Alle hatten sehr schöne Brillen.

Das waren die Teamfotos im Internet.

Die schwarzen Rucksäcke, mit denen Annas Kollegen ins Büro kamen, sah man darauf nicht, genauso wenig wie die Mützen in Neonfarben, mit denen manche ihre Individualität unterstreichen wollten. Vergeblich, denn was Anna als Erstes dachte war: Alle sehen so gleich aus?

Das Büro lag am Fluss, den eine lange Reihe halbverfallener Backsteingebäude säumte, ehemalige Fabriken, nur wenige so weit renoviert, dass Menschen darin arbeiten konnten. Die, die das taten, standen in diesem Herbst oft mit ihren Mobiltelefonen vor den schweren Türen, aber nie mit Zigaretten. Es gab so wenig Raucher wie Wände. In den Fahrstühlen fehlten die Spiegel, auf den Toiletten auch. Manche Frauen machten Selfies nach dem Händewaschen, um sicherzugehen. In den Kaffeeküchen war es immer kalt.

Anna war seit dem Sommer in der Stadt. Hatte sich ein Rennrad gekauft, das nach zwei Wochen geklaut wurde. Hatte Pflanzen auf ihren kleinen Balkon gestellt, die sich schnell wieder aus ihrem Leben verabschiedeten. An dem Tag, an dem sie sich vornahm, sie endlich zu entsorgen, kam die Zusage.

Das Vorstellungsgespräch war holprig gewesen, ihre Internetverbindung. Einmal blieben die Gesichter ihrer künftigen Chefs hängen, zwei Gesichter, die für zwanzig Sekunden zu Fratzen wurden und dann wieder zu jungen Männern mit großen Zähnen. Am gleichen Abend hatte Anna den Trailer zur Neuverfilmung von Es entdeckt und über den Clown gelacht, am nächsten Morgen hatte sie Gesichter im Spiegel geübt, Gesichter und Frisuren. Bis ihre Mitbewohnerin sich vor dem Bad geräuspert hatte und es klang, als würde sie ganz dicht vor der Tür stehen.

Seit diesem Morgen im September teilte sich Anna einen hellen Holztisch mit drei Menschen, zu denen Paul sie gebracht hatte. Paul war einer der beiden Chefs mit den großen Zähnen und sah genauso aus wie Richard, sein Bruder, der zweite Chef. Sie waren keine Zwillinge. Es waren die Zähne und die Art, wie sie sprachen. Einen Tick zu laut, einen Tick zu deutlich. Anna konnte sie nur auseinanderhalten, weil Richard hellblaue Hemden trug und Paul keine Schuhe. Auch auf Socken verzichtete er. Und den Fahrstuhl.

- Das mit den Füßen, hatte Melvin als Erstes gesagt, ist so ein Buddhistenquatsch. Musst du nicht ernst nehmen.

- Okay, hatte Anna geantwortet und gelächelt.

Melvin, der direkt neben ihr saß, hatte ihr zur Begrüßung zwar nicht die Hand gereicht, aber zurückgelächelt.

Die beiden Frauen am Tisch hießen Nora und Olga. Sie waren immer gestresst, aber nie unfreundlich. Manchmal sagte Nora laut Fuck! und leise Sorry, und Olga stöhnte. Darüber hinaus sprachen sie nur in der Kaffeeküche und auch nur miteinander. So viel wusste Anna nach ihrer ersten Woche, und nach ihrer dritten stand wieder Paul neben dem hellen Holztisch. Er bat Anna darum, sich um das Essen für die Weihnachtsfeier im Dezember zu kümmern.

Anna sah abwechselnd Melvin und Paul an.

- Nicht selber machen, sagte Paul, nur organisieren. Machen unsere Neuen immer. Rechnung dann an mich.

Paul artikulierte den letzten Satz besonders deutlich. Anna starrte auf seine Zähne.

- Und -

- Nothing fancy!, rief Paul im Fortgehen.

Das war Melvins Stichwort, er lachte kurz auf.

Was Anna damals noch nicht wusste:

Dass ein Mensch noch nicht automatisch interessanter wurde, nur weil er Englisch sprach.

In jenem Herbst verbrachte Anna viele Abende im Internet. Suchte nach einem fancy Lieferservice. Asiatisch? War bald überfordert. Sie beschloss mit dem Nachtisch anzufangen, weil sie davon ausging, dass von ihr wenigstens ein selbst gebackener Kuchen erwartet wurde. Und wenn nicht, so erwartete sie ihn von sich selbst. Sie landete bei Backmischungen, las von Scones, Shortbread und Poppy-Lemon-Muffins. Kaufen brauchte man immer nur die Butter, aber das deprimierte Anna auf eine vage Weise, und zwar vor allem deshalb, weil sie so vage war.

So ein Abend im Internet verging immer schnell und brachte selten ein Ergebnis.

Anna klickte sich durch handcrafted rugs und Decken, aus denen einer die Farbe geschüttelt hatte. Sie studierte Zimmer, die exakt so aussahen wie ihr eigenes, trotzdem war sie überzeugt, dass sie ein Detail übersehen hatte, eines, das ihr Leben verändern würde. Ein Schaukelstuhl?

Anna überarbeitete auch regelmäßig ihr Profil in einem Jobnetzwerk, zumindest nahm sie sich das vor, immerhin zahlte sie jeden Monat Geld dafür. Meistens blieb sie aber an dem Slogan hängen - Mach Deinen Job zu Deinem Leben! - und an den Städtenamen, die sich darum gruppierten wie Früchte, die man nur vom Baum reißen musste. Säße Anna in Barcelona nicht wirklich in einem Schaukelstuhl?

An einem Abend dachte sie sich endlich ein paar Sprachkenntnisse aus.

Spanisch: Fließend.

Englisch: Verhandlungssicher.

Was Anna damals genauso wenig wusste:

Dass auch ein Leben noch nicht automatisch interessanter wurde, nur weil darin Englisch vorkam.

Oder Spanisch.

Oder ein Schaukelstuhl.

Es war im Büro, als Anna beschloss, ihre Mutter nach einem Rezept für Marmorkuchen zu fragen. Das war fancy, weil es nicht fancy war. Anna hatte in einem Magazin gelesen, dass man Dinge ironisch brechen musste. Seitdem konnte sie auch mehr mit den hässlichen Neonmützen anfangen. Zufrieden mit ihrer Entscheidung traf sie gleich noch eine zweite: Filterkaffee.

In der Küche standen Nora und Olga und reagierten nicht, als Anna kam. Sie irritierte das nicht mehr, trödelte nur, um mitzuhören. Die beiden sprachen aber so leise, dass sie außer Total! nichts verstand.

Anna widmete sich ihrem Telefon, bis die beiden die Kaffeemaschine freigaben. Sie scrollte sich durch die Tipps einer portugiesischen Influencerin mit definierten Oberarmen. Einer war: Sit-ups nach dem Aufstehen und Liegestütze während des Kochens.

Außerdem: Share your progress on social media for motivation! Aber: Go offline!

Dann: Go outdoors and meditate! Be silent! Aber: Meet new people, make new friends!

Schließlich: Give in to cravings - not too much, just a bit!

Anna fragte sich, wer auf der Welt nur einen Keks aß oder nur eine Kugel Eis, und war so empört, dass sie vergaß, Kaffee zu kochen. Stattdessen ging sie zurück zu ihrem Platz, wo Melvin sich gerade ein viel zu großes Stück Croissant in den Mund schob wie ein echter Mensch.

Anfang November traf sie sich mit ihm in einem Café, das Anna an eine unrenovierte Wohnung erinnerte.

Melvin kam mit Gary. Anna fand das in Ordnung, aber Garys Pullover zu klein.

- Ist der von einer Puppe?, fragte sie, während sie den Dackel streichelte und an seinem Outfit zupfte.

- Schön wär s, winkte Melvin ab, hat mehr gekostet als mein eigener Pullover.

Anna lachte, und Gary sah ihr fest in die Augen. Also tätschelte sie seinen Kopf und entschuldigte sich. Melvin wiederum wirkte nicht, als wäre er beleidigt. Das mochte Anna an ihm: Dass er sich selbst nicht ernst nahm. Und eigentlich hatte sie erwartet, dass sich in einer Stadt, in der alle so viel Spaß hatten, niemand ernst nahm, aber dieser ganze Spaß schien harte Arbeit zu sein. Vor allem weil im Internet so viele zusahen.

Ein Mann in Jogginghose brachte Grüntee, Anna dachte an den japanischen Imbiss in ihrer Nachbarschaft. Die Frau freute sich jedes Mal sehr, wenn Anna kam. Sie redete Japanisch und Anna Deutsch, einmal ging das fast eine halbe Stunde so. Obwohl Anna keine Ahnung hatte, was ihr die Besitzerin erzählte, hatte sie danach immer gute Laune. Es war dann fast so, als müsste sie nicht alleine essen, auch wenn sie, gleich darauf, eben doch alleine aß. Von ihrer Mitbewohnerin war nichts zu erwarten. Anna hatte kurz nach ihrem Einzug zwei Steaks gekauft, ob sie die zusammen grillen wollten?

Die Mitbewohnerin: Sounds great! But let s keep it on a professional level!

Seitdem wusste Anna, dass man professionell zusammenwohnen konnte. Es bedeutete, dass man den anderen zwar kotzen...
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Autor

Alexandra Stahl, lebt als freie Autorin und Journalistin in Berlin. Sie hat Amerikanistik, Englische Literaturwissenschaft und Geschichte an der Universität Würzburg studiert und im Anschluss zehn Jahre Jahre bei der Deutschen Presse-Agentur gearbeitet. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie verschiedene Stipendien, u.a. war sie Stadtschreiberin in der Europäischen Kulturhauptstadt Rijeka in Kroatien.