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Wann hat das Konzept der Grenze eigentlich sein letztes Update erhalten?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
HarperCollinserschienen am27.12.20221. Auflage
Dieses Buch enthält Meinung, Wut und andere Nebenwirkungen. Und das weltbeste Rezept für Borschtsch.

Als die ersten Ukrainer:innen nach Deutschland kommen, auf der Flucht vor dem Krieg und der Zerstörung, die das russische Nachbarland über sie gebracht hat, weiß Bianca, sie muss etwas tun. Als Kind polnischer Eltern, die 89 vor dem Sozialismus flohen und in Deutschland eine neue Heimat fanden, fühlt sie sich in der Pflicht.
Und so stellt sie das unbesetzte Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung und hat ab sofort eine ukrainische Mitbewohnerin, Ana. Doch der Start der beiden Frauen ist nicht leicht, die Verständigung schwierig, das Erlebte zu belastend, die Situation ungewiss. Die Küche wird zum neuen Mittelpunkt der WG, hier am Tisch nähern sie sich an, diskutieren, trinken Wein, kochen und finden erste Gemeinsamkeiten. Und so werden aus Fremden, Bekannte und schließlich Freundinnen; auch wenn eine Frage bleibt: Was bringt die Zukunft?


Die eine oder andere Anekdote aus ihren Romanen hat Bianca Nawrath aus ihrem Leben entlehnt (sie verrät aber nicht, welche): 1997 in Berlin geboren und aufgewachsen, hat auch sie im Laufe ihres Lebens zahlreiche Urlaube bei der erweiterten Familie in Polen verbracht. Nawrath ist freie Journalistin und Schauspielerin - sie stand u.?a. mit Jürgen Vogel und Til Schweiger vor der Kamera - und studiert in Berlin Journalismus.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDieses Buch enthält Meinung, Wut und andere Nebenwirkungen. Und das weltbeste Rezept für Borschtsch.

Als die ersten Ukrainer:innen nach Deutschland kommen, auf der Flucht vor dem Krieg und der Zerstörung, die das russische Nachbarland über sie gebracht hat, weiß Bianca, sie muss etwas tun. Als Kind polnischer Eltern, die 89 vor dem Sozialismus flohen und in Deutschland eine neue Heimat fanden, fühlt sie sich in der Pflicht.
Und so stellt sie das unbesetzte Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung und hat ab sofort eine ukrainische Mitbewohnerin, Ana. Doch der Start der beiden Frauen ist nicht leicht, die Verständigung schwierig, das Erlebte zu belastend, die Situation ungewiss. Die Küche wird zum neuen Mittelpunkt der WG, hier am Tisch nähern sie sich an, diskutieren, trinken Wein, kochen und finden erste Gemeinsamkeiten. Und so werden aus Fremden, Bekannte und schließlich Freundinnen; auch wenn eine Frage bleibt: Was bringt die Zukunft?


Die eine oder andere Anekdote aus ihren Romanen hat Bianca Nawrath aus ihrem Leben entlehnt (sie verrät aber nicht, welche): 1997 in Berlin geboren und aufgewachsen, hat auch sie im Laufe ihres Lebens zahlreiche Urlaube bei der erweiterten Familie in Polen verbracht. Nawrath ist freie Journalistin und Schauspielerin - sie stand u.?a. mit Jürgen Vogel und Til Schweiger vor der Kamera - und studiert in Berlin Journalismus.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783749905706
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum27.12.2022
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9752279
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

27. März 2022, Tag 32

»Look! Bianca, guck mal!« Anna freut sich wie ein Kind am Weihnachtsabend. Sie hat noch nicht mal die Schuhe ausgezogen, da hält sie mir bereits das halb leere, aussortierte Parfüm meiner Mutter entgegen. »Calvin Klein in blushment!«

»Basement«, korrigiere ich sie, obwohl ich den Keller bis gestern selbst noch »Blushment« genannt habe und das immer noch tun würde, hätte vorhin eine Freundin beim Telefonieren nicht gefragt, was ich mit »Blushment« überhaupt meine. Dieser falsche Freund hat sich über Annas Sprachgebrauch in meinen geschlichen, so, wie mir nach jahrelangem Zusammenleben mit polnischen Eltern auch »Norwegien«, »Mazorella« und die Redewendung »Jetzt wollen wir mal die Katze in der Kirche lassen« ein Begriff waren.

»Calvin Klein in basement«, wiederhole ich gleich noch mal.

Anna zuckt fassungslos mit den Schultern: »Germany!«

Und bislang war sie nur in meinem, noch nicht in Mamas Keller, in dem Papa und sie Auslegeware verlegt, einen kleinen Kronleuchter angebracht, Bilder aufgehängt und dekorativ Puppen platziert haben. Ihr Keller sieht aus wie ein Wohnzimmer, mein Keller sieht aus wie ein Keller.

Anna hängt Staub in den Haaren, als sie nach zwei Stunden wieder auftaucht. Sie sollte sich nach Dingen umsehen, um sich ihr neues Zimmer zu eigen zu machen oder aber eine erste Aussteuer anzulegen. Nicht, dass ich mir die Illusion mache, sie würde auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt Berlins schon nächste Woche eine Wohnung finden, jedoch habe ich von meinen Eltern gelernt, dass, wer Zeit hat, auch besser sparen kann. Wenn Anna weiß, was sie aus meinem Keller haben kann, kaufen wir nichts doppelt und können in den nächsten Wochen weitere Dinge ansammeln, die wir zum Beispiel bei Flohmarktbesuchen erbeuten. Dann muss sie nicht wie meine Eltern damals im Übersiedlerheim Konserven zu Geschirr umfunktionieren, und ich habe nach ihrem Auszug Platz für das Rennrad, das ich mir zulegen will. Win-win.

Als Nächstes präsentiert Anna mir stolz eine Lampe, die mal meinem Bruder und dann mir gehört hat. In Annas Händen macht sie sich besonders schön. Sie platziert sie am Kopfende neben dem ordentlich gemachten Bett, das sie mit zusätzlichen Kuscheldecken ausstaffiert hat. Der warme Schein wirft gemütliche Schatten über die verhipsterte, weil tapetenfreie Wand und mein »Léon - Der Profi«-Filmplakat.

»But something is kaputt ⦫, sagt Anna in ähnlichem Tonfall, wie sie sonst »Hitler kaputt« sagt, wenn man sie zu ihren bereits bestehenden Deutschkenntnissen befragt. Das hat sie leider nicht von mir.

»Warte eine Sekunde.« Ich schnappe mir den Lampenschirm aus Papier, der aufgespannt so groß ist wie Anna selbst, drehe ihn um 180 Grad und befestige ihn neu in den Ösen. »So ist es besser!«

»Ahaaa.« Sie klatscht aufgeregt in die Hände. »Du bist mein Ehemann!«

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Lampenschirms lasse ich das Geschlechterklischee heute mal gelten. Außerdem freue ich mich darüber, was Anna aus meinem winzigen Schlafzimmer herausgeholt hat. Es sieht viel gemütlicher aus als zuvor, und ich plane, Ideen von ihr abzuschauen.

»Da war auch Bier im blush⦠basement.« Anna verzieht das Gesicht, als hätte sie ein Haar auf der Zunge. »Aber das Bier war alkoholfrei.«

»Das Bier ist von einem Freund.« Ich muss laut lachen. »Er hat es mir als Spende mitgegeben, für das Haus, in dem sich die ukrainische Wohngemeinschaft gebildet hat. Ich warte, bis ich genügend Sachen zusammenhabe, damit sich die Fahrt ans andere Ende Berlins lohnt.«

»Oh wow«, bemüht Anna sich, ihre Fassung zurückzuerlangen. »Das ist ja ⦠nett?«

Alkoholfreies Bier ist wohl der deutscheste Weg, Geflüchtete willkommen zu heißen. Samt gekühlter Brause gibt es zur Begrüßung gleich noch die Ermahnung dazu, sich zu benehmen und bloß nicht dem Rausch zu erliegen. Und das bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum des fleißigen, pflichtbewussten Deutschen von 92 Litern Bier im Jahr.
Devilish basement versus holy basement

Der eine Keller ist voller Angst, der andere voller Geschenke.

Im Februar ging ich in den Keller, um zu überleben, im März, um mir Geschenke auszusuchen. Eigentlich war unser Keller in der Region Kyiv dazu da, Kartoffeln und andere Vorräte zu lagern. Es ist mehr ein Loch im Boden, eng, klein, niedrige, gewölbte Decken. Die Männer hatten Schusswaffen mitgenommen, um uns im Notfall zu verteidigen, was ich für dumm hielt. Ich hatte Angst, dass sie potenzielle Angreifer erst recht wütend machen würden. Ich hielt es für sinnvoll, sich im Notfall zu ergeben. Dabei war das gar nicht die größte Gefahr. Die Keller in der Ukraine sind nicht für den Schutz bei Bombenangriffen ausgelegt. Viele Menschen starben in den Kellern, unter Schutt begraben.

Als ich das erste Mal Biancas Keller betrat, bemerkte ich sofort die gepanzerte Tür für den Notfall. Doch im Inneren erwarteten mich kleine Schätze. Ich habe beinahe eine Ladenklingel bimmeln hören. Da stehen zwei Fahrräder, Kleiderständer voller Jacken, eine Schneiderpuppe, Werkzeugkästen, ein Regal voller Bücher, mehrere Koffer, ein Nachttisch und ein Wohnzimmertisch. Ein paar der Sachen konnte ich nutzen, um es mir in meinem neuen Zimmer gemütlicher zu machen.

Calvin Klein im Sozialamt. Anna führt stolz das Parfüm meiner Mutter aus, es ist ein besonderer Anlass für sie. Zum ersten Mal höre ich meine Mitbewohnerin davon sprechen, dass sie gern Kontakt zu anderen Ukrainer:innen aufnehmen würde. Anna plant ihre Zukunft in Deutschland, die mit jedem Schritt Richtung Rathaus greifbarer scheint, und sie freut sich darauf. Annas Freiheit, die wir zwischen grauen Wänden schwarz auf weiß zu finden versuchen, liegt im Bleibendürfen.

Erst mal finden wir leider nur eine Schlange vor. Und noch eine. Auf den Treppen zum Rathaus Reinickendorf weist ein hagerer Mann in gelber Warnweste darauf hin, dass man ein Bändchen braucht, um auf die Party zu kommen. Zum ersten Mal bin ich es, die Anna zum Übersetzen braucht. Der Mann spricht fließend Russisch und Ukrainisch, aber nur brüchiges Deutsch. Macht in diesen Tagen auch mehr Sinn als andersherum. Anna hält die Klarsichtfolie mit den Dokumenten fest umklammert, will, dass ich die Frau, die in Schlange zwei vor uns steht, darum bitte, dass sie uns einen Platz freihält, bis wir von Schlange eins zurück sind.

»Das geht nicht, Anna. Stell dir vor, alle würden das so machen. Dann gäbe es eine Prügelei.«

»Okay, okay.« Sie zuckt zurück. »Nur eine Idee.«

Anna kann es kaum erwarten. Wir stellen uns hinter einer Frau an, die ihre Tochter an der Hand hält und deren »Mascha und der Bär«-Turnbeutel, der vor einem Monat noch an einem Kleiderhaken vor einem ukrainischen Klassenzimmer baumelte, auf dem Rücken trägt. Der Anblick erinnert mich daran, dass ich das letzte Mal vor dem zum Rathaus gehörenden Ernst-Reuter-Saal anstand, eingehakt in den Arm meiner Mutter, um mein Abiturzeugnis entgegenzunehmen. Als ich Anna gerade davon erzähle, spricht der hinter uns wartende Mann uns an, sein Oberteil ist blau-gelb: »You german?« Ich nicke. Sieht er in meinen Augen nur müder aus als alle anderen, weil ich weiß, wie schwer es BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) an den Grenzen haben, oder ist er tatsächlich erschöpfter von der »Reise«? »Komm uns doch mal besuchen!«, schlage ich nach kurzem Small Talk vor, mit dem Gedanken an Annas Aussage, neue Leute kennenlernen zu wollen, sich eine Community aufzubauen.

»Eins nach dem anderen«, geht Anna dazwischen, was mich stutzen lässt. War ich vorschnell vertrauensvoll, gar naiv als Frau? Ich will Anna niemanden aufdrängen wie eine Mutter, die Sorgen ums introvertierte Kind hat. Der junge Mann sucht derweil nach seinem Personalausweis, hat Angst, ihn verloren zu haben, und zieht sich auf eine ruhige Bank zurück.

»Es gibt ja auch einige, die die Gelegenheit nutzen ⦫, sagt Anna, kaum, dass er außer Hörweite ist. »Vielleicht ist er gar kein Ukrainer.«

Ihre Vorbehalte erschrecken mich. Liegt der Grund in internalisiertem Rassismus oder der Angst verborgen, dass nicht genug Platz für alle ist? Vielleicht ist es beides. Ersteres bedingt durch Letzteres oder andersherum. Heute erst habe ich Anna den Begriff »Teufelskreis« beigebracht.

»Sag so etwas nicht«, erwidere ich deutlich verspätet und halbstark. Der Mann kramt und kramt in Bauchtasche und Beutel. »Du hast keinen Anlass, das zu glauben.«

Ähnliche Vorbehalte gegenüber Schwarzen Menschen kenne ich von meinen Eltern, und doch habe ich mir noch nicht die richtige Antwort zurechtgelegt, um ihnen zu begegnen.

»Ich hatte es auch schwer als Frau«, erinnert Anna mich, als würde ich daran zweifeln, bloß weil sie sich die Last mit jemandem teilt.

Der Mann findet schließlich seinen Personalausweis, erleichtert reiht er sich wieder in die Schlange ein.

»Darf ich kurz ein paar Schritte austreten?«, frage ich Anna und deute auf den wenige Meter entfernten und von der Sonne beschienenen Beton. Der aus den 50ern importierte Ernst-Reuter-Saal wirft seinen langen Schatten ausgerechnet auf den Pulk wartender Menschen, die sich die Beine in den Bauch stehen.

»Klar doch.« Anna lächelt mir zu.

Ich stelle mich zu einer Frau, die etwa mein Alter hat. Wir stellen uns einander vor. Darin ist 25 Jahre alt, hat tiefschwarzes Haar aus der Flasche,...
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Autor

Die eine oder andere Anekdote aus ihren Romanen hat Bianca Nawrath aus ihrem Leben entlehnt (sie verrät aber nicht, welche): 1997 in Berlin geboren und aufgewachsen, hat auch sie im Laufe ihres Lebens zahlreiche Urlaube bei der erweiterten Familie in Polen verbracht. Nawrath ist freie Journalistin und Schauspielerin - sie stand u.¿a. mit Jürgen Vogel und Til Schweiger vor der Kamera - und studiert in Berlin Journalismus.