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Die chinesische Delegation

Roman
WandTiger Verlagerschienen am01.07.2022
Die junge, in Berlin lebende chinesische Reiseführerin Sanya ist schwierige Touristen gewöhnt, aber diese aus ihrer Heimat stammenden Delegationsmitglieder stellen sie auf eine besondere Nervenprobe. Auf der gemeinsamen Busreise durch sechs europäische Länder prallen nicht nur wechselseitige Vorurteile über China und Europa aufeinander. Für etliche Spannungen sorgen auch die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Gruppe, allem voran der despotisch auftretende Delegationsleiter, Kommandant Wang. Er will die Reise nutzen, um für ein Bauprojekt in China einen ausländischen Architekten zu suchen, ist dabei aber mehr als wählerisch. Bis am Ende der Reise fast alle Gruppenmitglieder zufrieden in ihre Heimat zurückkehren, muss Sanya viel taktisches Geschick aufwenden und so manches Mal über ihren eigenen Schatten springen. Luo Lingyuans in den frühen 2000er Jahren angesiedelter Roman erzählt auf spannende und gleichzeitig humorvolle Weise von typischen Missverständnissen und Unterschieden zwischen deutscher und chinesischer Kultur. Aber auch davon, dass unter der Voraussetzung geistiger Offenheit ein besseres gegenseitiges Verstehen jederzeit möglich ist.

Luo Lingyuan wurde 1963 in der VR China geboren. Nach dem Studium des Journalismus siedelte sie 1990 nach Berlin um. Seit 1995 veröffentlichte sie drei Erzählungsbände und sechs Romane. Im Jahr 2000 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste, dem weitere Stipendien folgten. Für Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock! wurde Luo 2007 mit dem ?Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis? ausgezeichnet. 2017 wurde ihr der Erfurter Stadtschreiber-Literaturpreis zuerkannt.
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Produkt

KlappentextDie junge, in Berlin lebende chinesische Reiseführerin Sanya ist schwierige Touristen gewöhnt, aber diese aus ihrer Heimat stammenden Delegationsmitglieder stellen sie auf eine besondere Nervenprobe. Auf der gemeinsamen Busreise durch sechs europäische Länder prallen nicht nur wechselseitige Vorurteile über China und Europa aufeinander. Für etliche Spannungen sorgen auch die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Gruppe, allem voran der despotisch auftretende Delegationsleiter, Kommandant Wang. Er will die Reise nutzen, um für ein Bauprojekt in China einen ausländischen Architekten zu suchen, ist dabei aber mehr als wählerisch. Bis am Ende der Reise fast alle Gruppenmitglieder zufrieden in ihre Heimat zurückkehren, muss Sanya viel taktisches Geschick aufwenden und so manches Mal über ihren eigenen Schatten springen. Luo Lingyuans in den frühen 2000er Jahren angesiedelter Roman erzählt auf spannende und gleichzeitig humorvolle Weise von typischen Missverständnissen und Unterschieden zwischen deutscher und chinesischer Kultur. Aber auch davon, dass unter der Voraussetzung geistiger Offenheit ein besseres gegenseitiges Verstehen jederzeit möglich ist.

Luo Lingyuan wurde 1963 in der VR China geboren. Nach dem Studium des Journalismus siedelte sie 1990 nach Berlin um. Seit 1995 veröffentlichte sie drei Erzählungsbände und sechs Romane. Im Jahr 2000 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste, dem weitere Stipendien folgten. Für Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock! wurde Luo 2007 mit dem ?Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis? ausgezeichnet. 2017 wurde ihr der Erfurter Stadtschreiber-Literaturpreis zuerkannt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754679906
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.07.2022
SpracheDeutsch
Dateigrösse686
Artikel-Nr.9858093
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel
»Hühnerfleisch kommt nicht auf den Tisch.«

 

»Alle Vögel sind schon da, alle Vögel alle«, trällert Song Sanya mit einer Stimme, die an leicht dahin schwebende weiße Wolken erinnert, und steigt als letzte in den wartenden Reisebus.

Die junge Chinesin mit dem geflochten Zopf wäre gern Sängerin geworden. Mit ihrer Stimme war sie schon früh aufgefallen und wurde mit zwölf zur Solosängerin der Tanz- und Gesangsgruppe ihrer Schule ernannt. Doch als das örtliche Konservatorium Ausschau nach jungen Talenten hielt und Interesse an Sanya zeigte, ließ sie der Direktor der Schule nicht gehen. Seiner Meinung nach war sie für eine Karriere als Sängerin nicht geeignet. Was genau dahinter steckte, hatte Sanya nie erfahren. Sie weinte tagelang heimlich und versuchte dann eine andere Begabung in sich zu entdecken. Zehn Jahre später kam sie nach Deutschland. Sängerin wurde sie hier auch nicht, aber eine schöne Stimme hat sie noch immer.

Der Motor brummt schon eine Weile. Während Sanya sich auf dem Beifahrersitz niederlässt, den Kopf stets zu den Gästen gewandt, gibt sie dem Fahrer das Startzeichen. Frank Wagner hat als Einziger im Bus blaue Augen.

Das Fahrzeug macht einen Ruck, löst sich aus der Warteschlange und rollt auf die Fahrbahn.

Im hinteren Bereich des Gefährts herrscht rege Tätigkeit. Die neunzehn Mitreisenden, zwischen dreißig und sechzig Jahre alt, sind dabei, ihr Handgepäck zu verstauen oder sich einen Sitzplatz zu suchen. Dabei reden sie Mandarin und ihren Heimatdialekt laut durcheinander, so dass der Raum voller erscheint als er ist. Doch kaum ist der Bus zehn Meter gefahren, da sitzen die Gäste auch schon ordentlich auf ihren Plätzen und schauen zum Fenster hinaus.

Nach Ansicht des Busfahrers ähneln sich die Passagiere wie eine Schar frisch geschlüpfter Küken. Alle sind gelbhäutig, schwarzäugig und von kleiner Statur. Und sie piepsen auch so wie Küken. Kurzum: Die Unterschiede zwischen den Gästen entgehen ihm völlig.

Nicht aber der Reiseleiterin neben ihm. Sie braucht nur einen einzigen Blick, um festzustellen, dass der größte Teil ihrer Landsleute Funktionäre oder Beamte sind, und ein kleiner Teil Manager. Manche stecken in Anzügen, andere sind leger gekleidet, einige scheinen eher schlichten Gemütes, andere sehen gebildet oder gar klug aus. Mit den meisten Reisenden wird sie gut auskommen, da ist sie sich sicher. Nur bei einem hat sie gewisse Zweifel. Das ist der Delegationsleiter, der ihr bei der Ankunft als Kommandant Wang vorgestellt wurde. Er lächelt nicht und hat einen fast unangenehm strengen Gesichtsausdruck.

»Sehr verehrter Kommandant Wang, sehr verehrte Damen und Herren«, spricht Sanya ins Mikrofon und lächelt dabei ein sonniges Lächeln. »Ich heiße Sie, die Delegation für Stadtentwicklung Ningbo, in Europa herzlich willkommen!«

Ihr Hochchinesisch klingt aus dem Lautsprecher, als riesele weicher Sand an einem mit Seide bespannten Abhang hinunter. Das Stimmengewirr im Bus legt sich. Alle sind still und lauschen.

»Mein Name ist Song Sanya. Ich komme aus Chengdu, lebe seit elf Jahren in Berlin und habe die große Ehre, Sie auf Ihrer Europareise begleiten zu dürfen.«

»Sind Sie die ganzen neunzehn Tage bei uns?«, will ein Mann in westlichem Anzug sofort wissen.

»Ja. Von Rom, unserer ersten Station, bis zur letzten, Paris«, antwortet die Reiseleiterin. »Ich führe Sie durch all die acht Staaten, die auf Ihrem Programm stehen. In Rom und Paris haben wir zusätzlich einen lokalen Führer, sonst sind Sie mit mir und unserem Fahrer allein unterwegs. Ich werde mir selbstverständlich die größte Mühe geben, damit Europa in Ihrer Erinnerung unvergesslich bleibt. Bitte scheuen Sie sich nicht, mich jederzeit zu fragen, auch wenn Ihre Frage Ihnen so klitzeklein wie ein Reiskorn vorkommt.«

»Wo ist denn Rom?«, kommt prompt die erste Frage. Dabei kneift der Fragesteller die Augen zusammen, um möglichst weit durch seine Brille und die Panorama-Windschutzscheibe des Busses zu sehen. Ein Flugzeug mit ausgefahrenem Fahrwerk rast auf sie zu, während hinter ihnen der Flugplatz zurückbleibt. »Ich sehe nur Felder.«

»Die Ewige Stadt ist fünfunddreißig Kilometer vom Flughafen Fiumicino entfernt«, antwortet Sanya. »Es ist jetzt 17:15 nach mitteleuropäischer Zeit. Heute ist der 13. April. Vorgestern hat Papst Johannes Paul II die Ostermesse gelesen. Hunderttausende Gläubige haben daran teilgenommen. Gestern war ebenfalls ein Feiertag, und die Römer sind zum Picknick ins Grüne gefahren. Heute kehren viele nach Rom zurück. Deswegen wird es möglicherweise einige Staus geben, aber wenn wir Glück haben, sind wir in einer Stunde in unserem Hotel.«

»Oh Himmel«, stöhnt eine Frau in einer blutroten Bluse aus Seide. Sie ist gut angezogen, und ihre weiße, glatte Haut lässt eine regelmäßige Pflege vermuten. »Wir haben vierzehn Stunden im Flugzeug gesessen, und jetzt noch eine Stunde im Bus? Ich breche gleich auseinander.«

»Wir flicken dich wieder zusammen, große Schwester Wu«, sagt ein stattlicher Mann mit pechschwarz glänzenden Augenbrauen. »Und deine Haare tauschen wir gegen blonde aus, damit dein Mann dir auch glaubt, dass du in Europa warst.«

»Das hättest du wohl gern, Brüderchen Qian. Aber darauf kann ich verzichten. Wer durch deine Hand geht, hat hinterher garantiert ein nach hinten gerutschtes Gesicht. Das wäre mir nicht so recht«, erklärt die Frau mit der roten Bluse kokett.

Einige Mitglieder kichern. »Keine Angst, Frau Wu«, sagt Sanya besänftigend. »Herr Wagner ist ein Fahrer mit ruhiger Hand. Er wird Sie wie auf einem Seidenkissen zu unserem Hotel fahren.«

Einige Businsassen lachen laut auf. Nur der Fahrer versteht kein Chinesisch. Deshalb fragt er wie aus einer anderen Welt: »Was hast du über Herrn Wagner gesagt?«

»Nur, dass du ein guter Fahrer bist.« Sanya kramt die Namensliste der Delegation aus ihrer Handtasche. Nun weiß sie, wer die Gruppe zum Lachen gebracht hat: Die Frau mit der roten Bluse ist Wu Jiamei, 42, Sektionsleiterin der Abteilung gegen illegale Bauten im Baureferat von Ningbo. Der Komiker heißt Qian Shengde, 36, und ist Abteilungsleiter im Amt für Stadtentwicklung.

Ein korpulenter Mann in einer der mittleren Reihen, der gleich zwei Sitzplätze braucht, rülpst vernehmlich. »Das Mittagessen ist mir irgendwie nicht bekommen. Diese fette weiße Soße drückt mir immer noch auf den Magen«, beklagt er sich bei seinem Nachbarn. Dann wendet er den Kopf zu Sanya und ruft laut herüber: »Fräulein Reiseleiterin, wir werden unterwegs nicht so oft westliches Essen zu uns nehmen müssen, oder?«

»Ach, großer Panda! Du änderst dich nie! Was musst du auch immer alles in dich hineinfressen?«, meldet sich ein Mann mit Bauerngesicht. »Du bist wie die Straßenköter, die lecken auch jede Scheiße vom Boden.«

Dem derben Vergleich folgt erneutes Gelächter. Doch der "große Panda" scheint an solche Witze gewöhnt zu sein und ist nicht beleidigt. Sanya lächelt erleichtert. Nur gut, dass die Delegationsmitglieder so ungezwungen und so entspannt sind.

»Da wir durch demokratische Länder fahren, schlage ich vor, dass wir beim Essen die Demokratie auskosten«, erklärt sie. »Ich werde immer das bestellen, was die Mehrheit sich wünscht. Zum Beispiel morgen italienisch, übermorgen türkisch. Aber heute ist es schon zu spät für Demokratie, deswegen habe ich sicherheitshalber ein chinesisches Abendessen für uns bestellt.«

Sie schaltet das Mikrofon aus und wendet sich lächelnd dem Mann zu, der unmittelbar hinter ihr sitzt.

»Herr Kommandant Wang, wenn wir im Hotel sind, ist es ungefähr Viertel nach sechs. Wir lassen allen eine Viertelstunde Zeit, damit sie sich frisch machen können. Gegen halb sieben treffen wir uns dann im Foyer und gehen gemeinsam zum Restaurant. Nach dem Essen ist Freizeit. Ist das in Ordnung?«

Wang Jian, Stellvertretender Parteisekretär, Vizebürgermeister und Stadtbaurat von Ningbo, ist der ranghöchste Funktionär in der Gruppe. Mit dreiundsechzig Jahren ist er zwar der Älteste unter den neunzehn Mitgliedern, doch seine stattliche Gestalt und sein strenger Blick lassen ihn sehr viel jünger wirken. Die prägnanten Linien, die seine zusammengepressten Lippen formen, verleihen ihm einen Hauch von Unnahbarkeit.

»Wann wird es hier dunkel?«, kontert er mit einer Gegenfrage, den Blick auf den wolkenlosen blauen Himmel gerichtet.

»Gegen acht, glaube ich.«

»Dann machen wir nach dem Essen noch eine kleine Stadtbesichtigung mit dem Bus«, erklärt Wang.

»Das geht leider nicht«, erwidert die Reiseleiterin hastig. »Herr Wagner hat heute fast elf Stunden am Steuer gesessen, um den Bus von Innsbruck hierher zu fahren. Wenn wir im Hotel sind, muss er Feierabend machen.«

Wang würdigt weder den Fahrer noch die Reiseleiterin eines Blickes, sondern starrt durch die Windschutzscheibe hinaus. »Bei uns in Ningbo arbeiten wir von morgens um acht Uhr bis tief in die Nacht, manchmal sogar bis acht Uhr am nächsten Morgen. Wieso sind elf Stunden Autofahren schon zu viel für einen Deutschen?«

»Das ist gesetzlich geregelt, dass ein Busfahrer an einem Tag nicht mehr als zwölf Stunden fahren darf«, erklärt Sanya mit einem entschuldigenden Ton. »Aus Sicherheitsgründen.«

»Gesetz?« Kommandant Wang stößt verächtlich die Luft durch die Nüstern. Es klingt, als hätte er Missgeburt gesagt.

Sanya spürt, wie ihre Beine bis zum Magen kalt werden. »Das Hotel San Remo liegt mitten in der Stadt. Da gibt es gleich in der Nähe genügend zu sehen. Wenn Sie möchten,...
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