Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Gemochten

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
176 Seiten
Deutsch
Leykam Buchverlagerschienen am12.09.2022
»Geheimnis und Gewissen« Sie sind Liebende oder Fremde - Gemochte, in jedem Fall, die Figuren von Lydia Mischkulnig: Mutter und Tochter, Ehepaar, Geliebte, Unbekannte. Sie begegnen sich in neu bezogenen Wohnungen, in Restaurants, im Sesselkreis und in Stundenhotels, vollführen einen Beziehungstanz zwischen Annäherung und Entfremdung, zwischen dem Offensichtlichen und dem Unausgesprochenen im politisch geprägten Alltag. Alle eint eine tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit in unbeständigen Zeiten, sie leben in Angst und Sorge, fremdeln mit der modernen Gesellschaft. Ihre Versprechen lösen sich auf, sobald sich schwelende Geheimnisse und Manipulationen offenbaren. Lydia Mischkulnig ist eine Meisterin der kurzen Form und kuriosen Begebenheiten. Lustvoll dringt sie in ihren Erzählungen durch die Decke der Angepasstheit und offenbart die Abgründe ihrer Figuren mit leichtfüßiger Sprachkunst. So schafft sie ein originelles Panoptikum der »Gemochten«, die in ihren verschrobenen Leidenschaften zutiefst liebenswürdig sind.

Lydia Mischkulnig, 1963 in Klagenfurt geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, Manuskripte-Preis, Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, Österreichischer Förderpreis für Literatur, Joseph-Roth-Stipendium, Veza-Canetti-Preis und Johann-Beer-Literaturpreis sowie den Würdigungspreis des Landes Kärnten für Literatur. Zuletzt erschien ihr Roman »Die Richterin« (Haymon 2020). www.lydiamischkulnig.net
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR16,99

Produkt

Klappentext»Geheimnis und Gewissen« Sie sind Liebende oder Fremde - Gemochte, in jedem Fall, die Figuren von Lydia Mischkulnig: Mutter und Tochter, Ehepaar, Geliebte, Unbekannte. Sie begegnen sich in neu bezogenen Wohnungen, in Restaurants, im Sesselkreis und in Stundenhotels, vollführen einen Beziehungstanz zwischen Annäherung und Entfremdung, zwischen dem Offensichtlichen und dem Unausgesprochenen im politisch geprägten Alltag. Alle eint eine tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit in unbeständigen Zeiten, sie leben in Angst und Sorge, fremdeln mit der modernen Gesellschaft. Ihre Versprechen lösen sich auf, sobald sich schwelende Geheimnisse und Manipulationen offenbaren. Lydia Mischkulnig ist eine Meisterin der kurzen Form und kuriosen Begebenheiten. Lustvoll dringt sie in ihren Erzählungen durch die Decke der Angepasstheit und offenbart die Abgründe ihrer Figuren mit leichtfüßiger Sprachkunst. So schafft sie ein originelles Panoptikum der »Gemochten«, die in ihren verschrobenen Leidenschaften zutiefst liebenswürdig sind.

Lydia Mischkulnig, 1963 in Klagenfurt geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, Manuskripte-Preis, Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, Österreichischer Förderpreis für Literatur, Joseph-Roth-Stipendium, Veza-Canetti-Preis und Johann-Beer-Literaturpreis sowie den Würdigungspreis des Landes Kärnten für Literatur. Zuletzt erschien ihr Roman »Die Richterin« (Haymon 2020). www.lydiamischkulnig.net
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701182664
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum12.09.2022
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1014 Kbytes
Artikel-Nr.9874017
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Parzelle

Maggie, so las Nina in der Tageszeitung Der Standard, war in den Franziskanerplatz verliebt, weil sie dort Joshua kennengelernt hatte. Er war im Kleinen Café gesessen und hatte sich gerade einen weißen Gespritzten bestellt, als Maggie auf den freien Sessel an seinem Tisch deutete, um darauf Platz nehmen zu dürfen.

Trifft der »weiße Gespritzte« auf Sie zu, fragte Maggie, als dann der weiße Gespritzte serviert wurde. Joshua zog die Augenbrauen zusammen und nahm einen Schluck, der ihn erfrischte, und fragte, was sie damit meine? Maggie entschuldigte sich für die Koketterie, ihn als Verkörperung eines »weißen Gespritzten« gesehen zu haben. Sie verstehe ihn sehr gut und sagte, dass sie als menstruierender Mensch bezeichnet sich auf einen menstruierenden Menschen reduziert fühlt, obwohl sie eine Frau sei. Sie bestehe nicht nur aus Blut!

Sie bestellte sich nun einen kleinen Braunen und Joshua sagte, dass es ihn immer stutzig gestimmt hat, dass Mozart die wienerische Bezeichnung des Türkentrankes, »Kaffee«, als Laster eines Muselmannes verkomponiert hatte. Er persönlich habe Menschen lieber, die kleine Braune anstatt große Braune bestellten.

Aber, sagte Maggie, wäre es nicht im Sinne einer aufgeklärten demokratischen menschenfreundlichen Gesellschaft angemessener große Braune zu bestellen, sie zu verzehren und auszuscheiden, damit sie verschwänden.

Joshua dachte darüber nach, ob diese Bezeichnung von Kaffee als Brauner politisch korrekt sei, auch das Gerede um die Menstruation kam ihm komisch vor, denn er fühlte sich durchaus auch als Frau - als beschwanzte Frau.

Maggie überlegte öfter, ob sie ein menstruierender Mann ist, und da stellten sich ihr die Nackenhaare auf, ohne dass sie wirklich begründen konnte, weshalb sie eine Widerspenstigkeit fühlte, auch als Mann gesehen zu werden - unbeschwanzt und menstruierend. Sie sah zumindest androgyn aus.

Da waren die beiden schon in ein Gespräch verwickelt, das sie nicht mehr voneinander loskommen ließ. Denn eigentlich ging es darum, den Mann als Mann auszumerzen, weil es darum ging, das kolonisierte Denken sich aus dem Kopf zu schlagen.

Nein, ich will keine Gewalt, sagte Maggie und Joshua schloss sich ihr an, da sowohl das Wort »weißer Gespritzter« als auch »menstruierender Mensch« es erlaubten, eine offene Beziehung zu führen, die polyamourös auszutragen war, wobei Maggie feststellte, dass Joshua sein Begehren ausschließlich mit anderen Frauen stillte, denen er sich als nicht menstruierender Mensch näherte. Maggie dagegen blieb menstruierend an menstruierenden wie nicht menstruierenden Menschen interessiert. Die Geschlechtergrenzen waren gestrichen, doch noch immer in Hinsicht auf Fleisch und Blut unterschieden, was diverse Körperteile in die Zone der Aufmerksamkeit rückte. Aber es kamen andere Zeiten und Maggie hörte auf zu menstruieren. Was war sie nun? Weniger Frau denn je.

Als der Freitag anbrach, war das polyamouröse Paar verabredet, um miteinander auf Aufriss zu gehen, wobei man nicht Aufriss sagte, weil es eher die Überzeugungsarbeit zu leisten gab, relativ rasch in Begleitung über den Zebrastreifen in die Pension zu geraten. Manchmal passierte es Maggie, sich die Polyamorie als günstige Haus mit vielen Zimmern vorzustellen, in denen das Gekröse ihres nicht menstruierenden Joshuas vorzufinden wäre, nachdem ihn eine Vagina dentata bis auf die Innereien zerfleischt hätte. Nun denn, wie konnte es so weit kommen, dass sich Maggie in diesen Fantasien eines Aberglaubens verging?

Es war dazu gekommen, weil Maggie Joshua verbunden blieb, als er ihr anvertraute, der Boss eines ehemaligen k. u. k. Hofjuweliers zu sein, verheiratet noch dazu, wie in alten Zeiten, als das, lange bevor Maggie zu menstruieren begonnen hatte, normal und erwartet gewesen war.

Aus diesen Zeiten stammten Joshua und sein Bündnis zum Blut mit seinen Kindern in Folge, für die er das Beste wollte. Er war die Mutter seiner Samenzellen, wie der Dichter Konrad Bayer einmal gesagt hatte, und gebar auf gewisse männliche Weise. Er hatte vor allem eine Frau, die Mutter der Kinder, die sich für die Kinder opferte, damit er seine Freiräume hatte und ihr sein Einkommen blieb. Vater ihrer Kinder, Mutter seiner väterlichen Samenzellen und Ehemann einer Frau, die schwanger nicht menstruierte. Aus irgendwelchen Gründen, da alle Personen miteinander verquickt waren und es auch blieben, war Maggie nicht nur seine Geliebte, sondern auch seine Grafikerin, per Werkvertrag für ihn tätig, damit sie sein k. u. k. Juwelengeschäft mit Bildern und Broschüren bewarb, in denen Steine in Form von Geschenken zu bleibenden Werten hochstilisiert wurden. Es war auch für sie stimmig.

Maggie wurde alt und dies geschah nicht nur ihr, aber sie bemerkte es kaum. Ihre Treue überdauerte und verhalf Joshua, seine Poly- in eine Bi-Amourösität zu verwandeln, die Maggie inkludierte.

Der Franziskanerplatz hatte sich nicht verändert. Auch nicht, als Joshua das Zeitliche segnete und seine Familie und Maggie zurückließ. Das Geschäft bekam andere Besitzer und Maggie wurde übernommen. Die Trauer konnte sie gar nicht abarbeiten, so schnell wurde sie von den neuen Verhältnissen überrollt. Der Tod ragte ins Leben herein. Mit den anderen Angestellten fuhr sie hinaus zum Friedhof und nahm in gebührender Entfernung zur Familie Abschied von ihrem Geliebten. Die Traurigkeit wich der Einsamkeit und als sie diese nicht mehr aushielt, suchte sie sich einen Psychiater, der sie verstand und ihr Antidepressiva verschrieb. Er machte ihr keine Vorwürfe und erregte keine Scham in ihr dafür, dass sie im Schatten eines einzelnen Mannes gelebt hatte, anstatt viele Männer in den Schatten zu stellen, wie es die Selbstbehauptung beansprucht hätte.

Der gute Mann, ein Mensch - ja, wie? Ja, genau! - sein letztes Feuer für den Schliff von Maggie. Nichts war gerechter als dieser Prozess. In den Stunden zwischen ihren Sitzungen begann Maggie, sich ein Leben mit ihm vorzustellen, ein ganz normaler Mann, eine Nichtfrau, an der Seite einer Frau, zumindest beide ohne Blutung. Sie waren gleich und beide waren endlich!

Berechtigt?

Ihre Augen leuchteten, als hätten sich die grünen Feuer lupenreiner Smaragde entzündet. Maggie spürte die erregende Energie, kleine elektrische Stöße durchrieselten sie. Das Blut strömte schneller durch die Gefäße, sobald sie nur an den neuen Lebensmenschen dachte, der mit Engelsgeduld bis an die Grenzen des Erträglichen zuhörte und der Wahrnehmungsapparat die Töne in Farben übersetzte. Er mochte diese Art von Kopfmalerei. Sie setzte keine Grenzen, solange die entfaltete Wirkung als eine wandelbare, arbiträre, soziale Figur übrig blieb. Maggie ermöglichte die Gestaltung, solange sie an sich schwieg, aber funktionierte. Alles sollte bleiben, wie es nun war. Sie ertasteten einander und wie Sommeliers verkosteten sie erst Wein und dann Weib und Mann. Auf welchem Boden wuchsen diese Rebstöcke? Ach, süße Trauben, sie hingen eben in richtiger Höhe und waren diesen Füchsen nicht zu sauer. Zur »Liebe« zitierte Maggie eine chinesische Weisheit: Suchst du Ablenkung für eine Nacht, so saufe dich an. Suchst du Glück für ein Jahr, beginne eine Beziehung. Suchst du aber Erfüllung für ein Leben, so schaffe dir einen Garten an.

Er hatte das Gefühl, sie stammte aus einem Garten und dorthin sollte sie wieder zurück, um sich zu nähren und zu erden.

Maggie merkte sich diese Worte sehr, und da für sie ein Stück Land zu erwerben aus finanziellen Gründen nicht möglich war, erreichte sie ein Brief des Notars erfreulicherweise gerade im rechten Augenblick. Zunächst zitterten ihre Hände, als sie den Absender las, denn sie befürchtete eine Art Rache der Witwe Joshuas. Sie riss das Kuvert auf und atmete aus und das Herz hüpfte vor Glück. Es schlug bis in die Kehle, es erwürgte sie fast, als sie entschied, das Erbe anzutreten, das ihr der verstorbene Geliebte vermacht hatte.

Ein Stück Land, ein Grundstück in der sogenannten Elsa-Plainacher-Gasse. Maggie war der Name unbekannt. Auf jeden Fall zeigte sich, dass der verstorbene Joshua ihr seinen Boden ausrollte, sicheren Tritt für die müden Füße vererbte; Boden, der nach Art seiner Behandlung verändert werden konnte. Grund genug die Parzelle aufzusuchen, denn gesunder Boden saugt wie ein Schwamm jedes Wasser auf und gibt dieses an seine Pflanzen ab, egal wer sie besitzt oder mit ihnen im Zyklus der Jahreszeiten lebt, man muss sie in niederschlagsarmen Zeiten gießen.

Die Zeit des Winters war vorbei, und der Frühling brach wieder an.

Maggie setzte sich auf das Fahrrad und fuhr durch die vielen Bezirke der Stadt an deren Grenze, wo das betreffende Grundstück lag. Ein brachliegendes Viereck mit Bauschutt und entwurzelten Bäumen darauf. Es lag in einem Geviert von Gassen, deren Namen Maggie nichts sagten, sie schufen Maggies Jemandsland. Die Straßen...
mehr

Autor

Lydia Mischkulnig, 1963 in Klagenfurt geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, Manuskripte-Preis, Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, Österreichischer Förderpreis für Literatur, Joseph-Roth-Stipendium, Veza-Canetti-Preis und Johann-Beer-Literaturpreis sowie den Würdigungspreis des Landes Kärnten für Literatur. Zuletzt erschien ihr Roman »Die Richterin« (Haymon 2020).
lydiamischkulnig.net