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Verhaltensbiologie für Hundehalter - Das Praxisbuch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Franckh-Kosmoserschienen am01.09.2022
Ein Hundehalter möchte mit seinem Welpen die Welt erkunden, doch der kleine Kerl weigert sich. Warum? Es fehlt nicht an Vertrauen, sondern die in diesem Alter bestehende Ortsbindung wirkt sich aus. Dr. Udo Gansloßer und Petra Krivy betrachten Reaktionen wie diese vor deren biologischem Hintergrund: Warum verhält sich ein Hund so, was bewirken biologische Steuerungen und wo liegen Grenzen der Erziehbarkeit? Zahlreiche Fallbeispiele zeigen, wie man kritische Zeiten überbrückt und welche Trainingsmaßnahmen sinnvoll sind.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEin Hundehalter möchte mit seinem Welpen die Welt erkunden, doch der kleine Kerl weigert sich. Warum? Es fehlt nicht an Vertrauen, sondern die in diesem Alter bestehende Ortsbindung wirkt sich aus. Dr. Udo Gansloßer und Petra Krivy betrachten Reaktionen wie diese vor deren biologischem Hintergrund: Warum verhält sich ein Hund so, was bewirken biologische Steuerungen und wo liegen Grenzen der Erziehbarkeit? Zahlreiche Fallbeispiele zeigen, wie man kritische Zeiten überbrückt und welche Trainingsmaßnahmen sinnvoll sind.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783440506042
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.09.2022
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9877274
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Von sogenannten Trieben und Instinkten 

Zwei Begriffe, die in früheren Jahrzehnten in der Verhaltensbiologie weit verbreitet waren, jedoch heute kaum noch eine Rolle spielen, sind unter Hundehaltern populär: Dies sind die Begriffe Trieb und Instinkt.
Trieb im Zusammenhang mit Jagd, Aggression & Spiel 

Der Triebbegriff muss beim Hund für alles Mögliche herhalten, man spricht vom Spieltrieb, Jagdtrieb, Schutztrieb, Wehrtrieb und noch vielem anderen. Unangenehm bei der Sache ist nur, dass dieser Begriff einen schlechten Ruf hat, wer denkt da nicht sofort an Triebtäter? Zudem lässt der Triebbegriff vermuten, und ein früher von Konrad Lorenz entwickeltes Modell zur Steuerung des Verhaltens scheint dies vordergründig auch zu bestätigen, dass der Antrieb zu einem bestimmten Verhalten eben aus dem Tier selbst heraus entstünde und sich dann gewissermaßen einen Ausgang sucht. So wie ein Dampfdruckkessel, der unter zu viel Spannung steht, dann plötzlich platzt oder das Sicherheitsventil herausschleudert.

Verhaltensweisen, die durch einen immer stärker werdenden inneren Antrieb mit immer höherer Wahrscheinlichkeit ablaufen, ohne dass äußere Anlässe dafür gegeben sind, gibt es aber nur wenige. Die meisten davon sind unmittelbar lebensnotwendige Bereiche, wie etwa Schlafen, Nahrungs- oder Wasseraufnahme.


Weder im Bereich Aggression noch im Bereich Sexualverhalten, Jagdverhalten oder Spiel, kommt es zu Triebstauereignissen. Stattdessen werden die meisten Verhaltensweisen primär durch äußere Anlässe ausgelöst. Kommt dann eine innere Handlungsbereitschaft hinzu, wird das betreffende Verhalten auch gezeigt. 


Je stärker der äußere Anlass bzw. äußere Reiz, mit umso größerer Wahrscheinlichkeit wird das Verhalten ausgelöst. Je stärker die innere Handlungsbereitschaft, desto kleiner kann der äußere Reiz sein. So gibt es nachweislich kastrierte Rüden, die noch Jahre nach der Kastration in Anwesenheit einer läufigen Hündin das gesamte Sexualverhalten einschließlich Paarung, Hängen und allem, was dazu gehört, zeigen. Hier ist der äußere Reiz durch die Hündin in der sogenannten Standhitze so stark, dass selbst ein nach Kastration nur ganz minimal noch vorhandener innerer Antrieb ausreicht.

Das zweite Problem mit dem Triebbegriff ist, dass es so aussieht, als würde das gesamte darunter zusammengefasste Verhalten von einer gemeinsamen inneren Steuerungsinstanz ausgelöst und bedingt werden. Auch hier sind die Verhältnisse komplizierter: Nehmen wir als Beispiel das Beutefangverhalten. Die Verhaltenskette des Beutefangverhaltens bei Wölfen und damit auch bei Haushunden besteht aus mindestens sieben Elementen. Jedes ist mit einer eigenen Handlungsbereitschaft ausgestattet, und jedes wird von anderen auslösenden Reizen, zum Teil auch von anderen Sinnesorganen, bewirkt. Was wäre denn nun der sogenannte Beutetrieb? Die Suche nach der Beute? Oder das Verfolgen? Oder doch das Zupacken oder gar das Töten? Jedes dieser Verhaltenselemente wird, je nach Rasse und je nach individuellem Hund, unterschiedlich oft und mit unterschiedlicher Begeisterung gezeigt. Ähnliches gilt für den sogenannten Aggressionstrieb. Aggression ist ein Werkzeug und Multifunktionsverhalten, das von mindestens drei oder vier verschiedenen Steuerungssystemen im Gehirn und im Hormonhaushalt bewirkt werden kann. Auch hier sind keine gemeinsame Motivation und kein gemeinsamer Trieb zu erkennen. Ein drittes Beispiel betrifft den sogenannten Spieltrieb. Wieder handelt es sich um mindestens drei verschiedene Verhaltenssysteme. Objektspiel, Beutefang und Sozialspiel haben miteinander genauso wenig zu tun wie Beutefang mit Aggression oder mit dem Sexualverhalten. Auch wenn das Wort Jagdtrieb einfacher und scheinbar leichter zu verwenden ist als »Handlungsbereitschaft zum Verfolgen bewegter Beute«, so wird der Begriff dadurch doch nicht richtiger.
Angeboren oder erlernt - die Sache mit dem Instinkt 

Mit am weitesten verbreitet in der Anwendung verhaltensbiologischer Begriffe ist sicher der Begriff Instinkt. Obwohl dieser bereits vor Konrad Lorenz üblich war, hat Lorenz viel dazu beigetragen, ihn populär zu machen. Man stellt sich darunter normalerweise ein Verhalten vor, das weitestgehend oder ausschließlich angeboren und damit genetisch bedingt ist und das in einer weitgehend starren und unveränderbaren Form immer gleich abläuft. Beide Bestandteile sind übrigens in der ursprünglichen Verwendung des Instinktbegriffs nicht enthalten. Sie haben sich sozusagen nachträglich eingeschlichen. Der Blick auf den ersten Teil dieser scheinbar einfachen Definition lässt einen schon verzweifeln. Die Einflüsse von Erbgut und Umweltfaktoren, die vom ersten Teilungsschritt der befruchteten Eizelle im Mutterleib bis zum Ende der Pubertät stets in Wechselwirkung zueinander ablaufen, machen es geradezu unmöglich, bei irgendeiner Verhaltensweise den Beitrag der Genetik und den Beitrag der Umwelt an ihrer jeweiligen Ausformung genau festzumachen. Um es mit den Worten des britischen Verhaltensbiologen Richard Dawkins zu sagen: 


»Die Frage, wie viel von einem Verhalten durch Genetik und wie viel von der Umwelt bedingt wäre, erscheint etwa so sinnvoll wie die Frage angesichts eines Kuchenstücks, wie viel davon vom Rezept und wie viel von den Zutaten abhängt.« Richard Dawkins 


Leider hat gerade die Frage nach dem Anteil genetischer Faktoren im Entstehen und der Ausformung des Verhaltens immer noch, man denke an die unsäglichen Rasselisten der Kampfhundeverordnungen, in vielen Köpfen von Hundehaltern und Behördenvertretern keinen Ersatz gefunden. In Bezug auf die Vorhersehbarkeit und Vorhersagbarkeit von Verhalten sollte man es daher eher mit Karl Valentin halten: »Prognosen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen!«
Appetenzverhalten, Taxis und Endhandlung

Auch mit der angeblich immer gleich und starr ablaufenden Handlung hat man Schwierigkeiten. Streng genommen besteht eine sogenannte Instinkthandlung, auch nach den klassischen Schriften von Konrad Lorenz, aus einer ganzen Reihe von aufeinanderfolgenden Bestandteilen. Da ist zunächst die Phase des sogenannten ungerichteten Suchverhaltens, auch »ungerichtetes Appetenzverhalten« genannt. Nehmen wir als Beispiel die Suche eines Hundes nach passender Beute: Ungerichtetes Suchverhalten läge vor, solange der Hund mit wachen Sinnen, hoher oder auch tiefer Nase, aber auch noch mit offenen Ohren und offenen Augen durchs Gelände streift, um irgendeinen Hinweis auf ein passendes Beutetier zu finden. In dieser Phase ist ihm noch nicht klar, ob er die Beute hören, sehen oder riechen wird, und er ist daher auch noch für Informationen über alle zur Verfügung stehenden Sinnesorgane offen. Findet er dann eine Spur, wird zunächst eine Orientierung des Körpers auf die Spur hin vorgenommen. Dieser kurze Moment des Innehaltens und Ausrichtens der Körperachse auf den Reiz wird als Taxis bezeichnet.

Von nun an beginnt die Phase des sogenannten gerichteten Such-oder gerichteten Appetenzverhaltens. Dieses kann bei einem Sichtjäger dem Reiz der davonrennenden Beute gelten, bei einem Nasenjäger der Fährte oder auch, wenn er beispielsweise Mäuse in einem Erdloch piepsen hört, vom Gehörsinn gesteuert sein. In jedem Fall ist nunmehr nur noch dieser Sinnesreiz für den Hund von Bedeutung, andere und über andere Sinneskanäle auftretende Störreize werden ausgeblendet - zumeist auch die verzweifelten Rückrufaktionen des Hundebesitzers! Kommt es dann nach Verfolgung der Beute tatsächlich zu der Chance, diese zu ergreifen, wird die Endhandlung, auch Erbkoordination genannt, ausgeführt. Nur diese Endhandlung ist starr und läuft in immer gleicher Art und Weise, oft auch in gleicher Geschwindigkeit ab. Das wäre dann etwa der Tötungsbiss. Die genannte, vereinfachte Darstellung lässt außer Acht, dass die Beutefanghandlung des Hundes noch aus weiteren Bestandteilen besteht, sie zeigt jedoch bereits, dass es nicht so einfach ist, wie der Sammelbegriff Instinktverhalten oder gar Instinkt vermuten ließe. In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird deshalb der Instinktbegriff heute kaum noch verwendet, weil er mit zu vielen Erwartungen und oft noch unbelegten Vermutungen ausgestattet ist. Die Bezeichnungen für die einzelnen Bestandteile, etwa Appetenzverhalten, Taxis und Erbkoordination bzw. Endhandlung, sind daher wesentlich unverfänglicher und auch gebräuchlicher. Gerade der Begriff Endhandlung sollte auch gegenüber dem Begriff der Erbkoordination bevorzugt werden, solange nicht eindeutig nachgewiesen ist, dass das betreffende Verhalten wirklich in seinen Grundbestandteilen durch die Information des Erbgutes bedingt ist und nicht von Umweltreizen mit geformt wurde.

Dieser kleine Ausflug in die Begriffswelt neuerer Verhaltensbiologie erscheint dem Hundehalter vielleicht überflüssig. Er wäre es streng genommen auch, wenn nicht immer noch viele Leute, die sich als Hundeexperten bezeichnen, mit veralteten Begriffen wie Trieb, Instinkt oder auch veralteten Lernkonzepten, die einseitig auf Konditionierung beruhen, an Hunden, Hundehaltern und deren Zusammenspiel herumdoktern würden - und häufig viel Unheil anrichten, wie einige unserer hier beschriebenen Vierbeiner durch- und erleben mussten. Wenn man glaubt, wissenschaftliche Begriffe verwenden zu müssen, sollte man sich zumindest auf dem neuesten Stand der jeweiligen Wissenschaft befinden!

Anhand der vorangegangenen theoretischen Grundlagen lassen sich...
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