Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

ZOV - Der verbotene Bericht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am03.12.2022
Zusammen mit seinem Regiment überfiel Pawel Filatjew die Ukraine. Dann entschloss er sich, nicht mehr mitzumachen - und der Welt die dreckige Wahrheit über den Wahnsinn dieses Krieges zu erzählen. Sie steht in diesem Buch.   Am 24. Februar 2022 um vier Uhr morgens marschierte der russische Fallschirmjäger  Pawel Filatjew  mit seinem Regiment in die Ukraine ein. Er war am Angriff auf Cherson beteiligt, saß in den Schützengräben um Nikolajew. Nach zwei Monaten an der Front wurde er verwundet; im Lazarett beschloss er, aufzuschreiben, was er gesehen und erlebt hatte: Verwüstung, Leichen, ratlose, verängstigte Befehlshaber, marodierende Truppen und Plünderer. Er erzählt alles, schreibt über Hunger, Kälte, Übergriffe, Todesangst, verrostete Waffen und über Männer, die sich selbst in die Beine schießen, um die vom Staat versprochenen Rubel für verletzte Soldaten zu erhalten.    Inzwischen hat Pawel Filatjew Russland verlassen. Sein Aufenthaltsort ist geheim. In seiner Heimat drohen ihm mindestens zwanzig Jahre Haft. Er wird für den Rest seines Lebens auf der Flucht sein. Denn er hat sich entschlossen, nicht mehr mitzumachen - und Zeugnis abzulegen. Seine schonungslos offenen, erschütternden Aufzeichnungen geben der Welt einen bisher unbekannten Einblick in das Töten und Sterben in der Ukraine. Es ist der erste Insider-Bericht aus der russischen Armee - eine publizistische Sensation.  

Pawel Filatjew wurde 1988 in Wolgodonsk, Russland, geboren. Als er volljährig war, trat er in die russische Armee ein, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und diente drei Jahre lang. Danach studierte er Geschichtspädagogik und arbeitete nebenbei als Pferdezüchter. Mit Beginn der Coronapandemie meldete er sich erneut als Fallschirmjäger. Im Februar 2022 nahm er an der russischen Invasion der Ukraine teil. Heute lebt er an einem unbekannten Ort in Frankreich.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextZusammen mit seinem Regiment überfiel Pawel Filatjew die Ukraine. Dann entschloss er sich, nicht mehr mitzumachen - und der Welt die dreckige Wahrheit über den Wahnsinn dieses Krieges zu erzählen. Sie steht in diesem Buch.   Am 24. Februar 2022 um vier Uhr morgens marschierte der russische Fallschirmjäger  Pawel Filatjew  mit seinem Regiment in die Ukraine ein. Er war am Angriff auf Cherson beteiligt, saß in den Schützengräben um Nikolajew. Nach zwei Monaten an der Front wurde er verwundet; im Lazarett beschloss er, aufzuschreiben, was er gesehen und erlebt hatte: Verwüstung, Leichen, ratlose, verängstigte Befehlshaber, marodierende Truppen und Plünderer. Er erzählt alles, schreibt über Hunger, Kälte, Übergriffe, Todesangst, verrostete Waffen und über Männer, die sich selbst in die Beine schießen, um die vom Staat versprochenen Rubel für verletzte Soldaten zu erhalten.    Inzwischen hat Pawel Filatjew Russland verlassen. Sein Aufenthaltsort ist geheim. In seiner Heimat drohen ihm mindestens zwanzig Jahre Haft. Er wird für den Rest seines Lebens auf der Flucht sein. Denn er hat sich entschlossen, nicht mehr mitzumachen - und Zeugnis abzulegen. Seine schonungslos offenen, erschütternden Aufzeichnungen geben der Welt einen bisher unbekannten Einblick in das Töten und Sterben in der Ukraine. Es ist der erste Insider-Bericht aus der russischen Armee - eine publizistische Sensation.  

Pawel Filatjew wurde 1988 in Wolgodonsk, Russland, geboren. Als er volljährig war, trat er in die russische Armee ein, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und diente drei Jahre lang. Danach studierte er Geschichtspädagogik und arbeitete nebenbei als Pferdezüchter. Mit Beginn der Coronapandemie meldete er sich erneut als Fallschirmjäger. Im Februar 2022 nahm er an der russischen Invasion der Ukraine teil. Heute lebt er an einem unbekannten Ort in Frankreich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455016154
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum03.12.2022
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9899695
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Acht Wochen ist es her, dass ich aus dem Krieg in der Ukraine zurück bin. Jaja, ich weiß, man darf das Wort »Krieg« nicht sagen, es wurde in Russland verboten, aber ich sage trotzdem »Krieg«. Ich bin 33 Jahre alt und habe in meinem Leben immer nur die Wahrheit gesagt, auch wenn ich mir selbst damit geschadet habe. So bin ich nun mal, ich kann nichts dagegen machen.

Also, es ist Krieg: Unsere russische Armee schießt auf die ukrainische, und die schießt zurück, es explodieren Granaten und Raketen. Hast du je das Geräusch einer näher kommenden Granate gehört? Wenn nicht: schade! Es ist ein unvergessliches Gefühl, die Luft vibriert und pfeift, die Eingeweide drehen sich dir um, der Atem stockt. Dann hörst du, wenn du Glück hast, die Explosion und begreifst, heute ist dein Tag, natürlich nur, wenn die Detonationswelle dir nichts abgerissen hat und keine Splitter in deinem Körper stecken. Und wenn es anders läuft, nun ja, dann hast du eben einen schlechten Tag, hast diesmal Pech gehabt. Soldat zu sein hat eben so seine Tücken.

Auf beiden Seiten sterben wir, die Soldaten, und außerdem noch einige Zivilisten, die durch einen »glücklichen« Zufall genau dort wohnen, wo jemand beschlossen hat, einen Krieg anzufangen und ihn »militärische Spezialoperation« zu nennen.

Ach ja, und was natürlich auch zu einem Krieg gehört: Hunger, Krankheiten, schlaflose Nächte, mangelnde Hygiene und ein permanenter Überschuss Adrenalin im Blut, der alle Ressourcen deines Körpers aufbraucht, um Kraft, Schnelligkeit und Reaktionsvermögen zu steigern. Wenn du aber von den Kampfhandlungen zurück bist, fühlst du dich platt wie eine Flunder, und dir wird klar, dass deine Gesundheit nicht mehr die ist, die sie einmal war.

Hinzu kommt der moralische Druck deines Gewissens 
- wenn du eins hast, versteht sich -, denn du kommst nicht umhin, dich zu fragen, warum du das tust und für wen. Wozu riskierst du dein Leben und ruinierst deinen Körper? Wozu besudelst du dein vielleicht auch so schon nicht ganz makelloses Karma?

Ich will erzählen, wie ich diesen Krieg erleben musste und wie ich überhaupt dorthin geraten bin. Ich bin mir der Verantwortung für die Verbreitung von Informationen über meinen Einsatz bewusst, aber sie geheim zu halten hieße, die Verluste noch größer werden zu lassen.


24.02.2022, 00:00

Wir fahren seit einer Weile an irgendwelchen Feldern vorbei. Es hat geregnet, die Straßen sind voller Schlamm. Als ich aufwache, ist es vermutlich gegen zwei Uhr nachts. Die Kolonne hat sich in mehreren Reihen neben Bahngleisen im Nirgendwo formiert, die Motoren sind aus, die Scheinwerfer auch. Dann kommt das Kommando, sich weiße Streifen umzubinden - linker Arm, rechtes Bein -, damit wir uns vom Feind unterscheiden. Schon wird Malerkrepp herumgereicht.

Als wir am 19. Februar vom Truppenübungsplatz aufgebrochen sind, haben sie weiße Querstreifen auf die Fahrzeuge gemalt. Am Abend des 23. Februar, dem Tag des Verteidigers des Vaterlandes, wurden die Fahrer angewiesen, einen Streifen dazu zu malen, damit ein Häkchen, ein liegendes V, herauskommt. Und jetzt, als wir alle an den Gleisen stehen und damit beschäftigt sind, im Dunkeln unsere linken Arme und rechten Beine zu umwickeln, kriegen die Fahrer den Befehl, einen dritten Streifen an die Fahrzeuge zu malen. Aus dem V wird ein Z.

Während wir neben den dicht an dicht stehenden Fahrzeugen warten, unsere Arme und Beine markieren, reden und rauchen, versuchen die Jungs aus dem Nachbarwagen mit den Geschützen mich zu überreden, zu ihnen zu kommen: Sie haben statt fünf nur drei Männer für die Geschütze. In der Dunkelheit taucht ihr Zugführer, ein junger Leutnant, auf und sagt, sie könnten wirklich noch ein paar Hände gebrauchen, ich solle doch rüberkommen.

Ich greife mir Maschinengewehr und Helm und mache mich zum URAL neben mir auf, ich denke mir, vielleicht kann ich mich da nützlich machen, obwohl ich von Mörsern eigentlich nichts verstehe. Ich werfe Rucksack und Helm auf die Ladefläche und kraxele in vollkommener Dunkelheit über die hochgeklappte Bordwand. Beim Darüberklettern bleibe ich mit den Ersatzmagazinen in den Taschen meiner Schutzweste hängen, kippe kopfüber in die Ladefläche und schreie vor Schmerz auf. Mir ist, als wäre in der Dunkelheit ein greller Blitz in mein Auge eingeschlagen.

Ich begreife gar nichts. Auf der Ladefläche hockend, halte ich mir mein rechtes Auge. Ich fühle etwas Nasses und einen starken Schmerz ⦠Ringsum ist alles dunkel, jemand neben mir ratscht mit dem Feuerzeug, will mir ins Gesicht leuchten. Ich nehme die Hand weg und versuche zu verstehen, ob ich mit beiden Augen oder nur mit einem sehe. Dem Typen mit dem Feuerzeug entfährt ein »Oh, scheiße!«.

Sofort will ich wissen, ob mein Auge noch an seinem Platz ist. Mit dem Feuerzeug herumfuchtelnd, antwortet er: »Keine Ahnung, lass mich gucken.«

Ich sehe Blut an meiner Hand, fühle, wie mir etwas warm das Gesicht herunterläuft. Zum Glück ist das Auge heil geblieben, aber ich habe mir das obere und das untere Lid zerfetzt. Im schwachen Lichtschein wird mir klar, dass ich mit dem Gesicht voraus gegen den Henkel eines Thermobehälters für Fraß geknallt bin. Wütend verpasse ich ihm einen Tritt. Blicke um mich, sehe den jungen Mörserschützen. Die ganze Ladefläche ist voll mit Minenkisten, Mörsern, Dreibeinen, Richtkreisen. Offensichtlich müssen wir auf den Kisten sitzend fahren. Ich frage mich, wozu ich mir das mit 33 antue, als hätte ich im Kaukasus noch nicht genug erlebt. Wäre ich mal still bei meiner Kompanie geblieben. Wenigstens ist das Auge noch drin. Wir rauchen, stellen uns einander vor und schlafen ein.


Im April wurde ich von der Front bei Nikolajew evakuiert, weil ich eine schwere Hornhautentzündung hatte. Bei einem Beschuss war Erde in den Schützengraben geschleudert worden und mir in die Augen geflogen; nicht gerade angenehm, aber im Grunde nicht der Rede wert, Glück gehabt. Die Augen entzündeten sich jedoch, eins ließ sich gar nicht mehr öffnen, und ein paar Tage später sagte der Feldarzt, ich müsse evakuiert werden. Wenn man das nicht behandle, könnte ich das Auge verlieren. Also wurde ich in ein Feldlazarett im damals schon von uns besetzten Cherson gebracht und von dort nach Sewastopol evakuiert.

Es ist schwer zu beschreiben, was man fühlt, wenn man aus einem Kampfgebiet evakuiert wird â¦

Zwei Monate Kälte, Dreck, Schweiß und die Allgegenwart des Todes. Schade, dass man keine Reporter zu uns an die Front lässt, ansonsten könnte das ganze Land seine Fallschirmjäger bewundern: unrasiert, schmutzig, abgemagert und wütend. Ich weiß nicht, was sie wütender macht, die sturen Ukrainer, die sich nicht entnazifizieren lassen wollen, oder die eigene unfähige Leitung, die ihre Soldaten nicht einmal bei Kampfhandlungen mit der nötigen Ausrüstung versorgt. Die Hälfte unserer Jungs läuft in ukrainischen Uniformen herum, weil sie qualitativ hochwertiger und bequemer sind oder weil die eigene längst aufgetragen und unser großartiges Land nicht in der Lage ist, seine Armee mit Kleidung, Essen und Ausrüstung auszustatten. Ich hatte zum Beispiel von Anfang an keine Ratnik-Ausrüstung und beim Überqueren der Grenze nicht einmal einen Schlafsack. Nach einer Woche trieben die Jungs - wohlgemerkt, nicht die Kommandeure - einen Schlafsack mit kaputtem Reißverschluss für mich auf. Dass ich mich darüber gefreut habe, ist gar kein Ausdruck. Aber im Winter an der Front in einem offenen Schlafsack zu schlafen (in der Ukraine war im März noch Frost), ist auch nicht gerade ein Vergnügen. Nach einigen Wochen fingen meine Beine und der Rücken an zu schmerzen. Ich dachte, es wären die Muskeln oder Sehnen, und biss stumpf die Zähne zusammen, lief hinkend herum und schob es darauf, dass wir die Schutzwesten und Helme so gut wie nie ablegen konnten. Später erfuhr ich, dass ich mir vom Schlafen auf dem frostigen Boden, dem Mangel an Essen und Wasser und obendrein der körperlichen Anstrengung eine Osteochondrosis aller Wirbel und mehrere Bandscheibenvorfälle im Nacken und unteren Rücken zugezogen hatte, dazu kamen unerklärliche Schmerzen in den Beingelenken.

Aber zurück zur Evakuierung. Zwei Monate bist du an der Front und dann zack, bringt man dich weg, und du empfindest gleichzeitig Freude darüber, dass du diesem Irrsinn entkommst, und Ärger, weil deine Kameraden bleiben und es völlig unklar ist, was mit ihnen passiert; das Gefühl des eigenen Glücks vermischt sich mit einem Schuldgefühl gegenüber deinen Kameraden, die du zurücklässt.

Wir fuhren mit einem PAZ-Minibus. Zwanzig Verwundete: schmutzig, ausgemergelt, die Uniformen blutverschmiert. Auf den Gesichtern der Schwerverwundeten lagen Schmerz und Schwermut, während die, die nur ein paar Kratzer davongetragen hatten, erleichtert aussahen, endlich dort wegzukommen. Weil ich nicht verwundet war, galt ich als Kranker und saß auf den Treppenstufen an der Tür (es gab nicht genug Sitzplätze für alle, aber das machte mir nichts aus, denn viele der Männer dort hatten ganz offensichtlich deutlich weniger Glück gehabt als ich). Wir fuhren fünf, sechs Stunden, ganz genau weiß ich es nicht mehr. Das war der Moment, als ich ins Nachdenken über die letzten zwei Monate meines Lebens kam, darüber, was das eigentlich gewesen war, ob ich etwas Gutes getan hatte oder, im Gegenteil, etwas Schlechtes, weshalb ich mitgemacht hatte und wie ich überhaupt dorthin geraten war. Seitdem hört dieser innere Monolog nicht...
mehr

Autor

Pawel Filatjew wurde 1988 in Wolgodonsk, Russland, geboren. Als er volljährig war, trat er in die russische Armee ein, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und diente drei Jahre lang. Danach studierte er Geschichtspädagogik und arbeitete nebenbei als Pferdezüchter. Mit Beginn der Coronapandemie meldete er sich erneut als Fallschirmjäger. Im Februar 2022 nahm er an der russischen Invasion der Ukraine teil. Heute lebt er an einem unbekannten Ort in Frankreich.