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Erfolgsleere

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am11.04.2022
Eigensinn und Ideale stören, wo der Ehrgeiz regiert. In unseren »Arbeitswelten« sind konforme und strebsame Funktionäre erfolgreich. So produzieren wir Brot, Bücher und Bomben mit derselben abgeklärten Professionalität. Was wird dabei aus unserer Welt - und aus uns? Michael Andrick, bekannt u.a. aus Süddeutsche Zeitung, stern, Deutschlandfunk Kultur und WDR, durchleuchtet unser Dasein in der Industriegesellschaft schonungslos und zeigt: Wer unter Anpassungsdruck selbstbestimmt leben will, der muss das Philosophieren lernen.

Michael Andrick (geb. Krause), Dr. phil., ist Philosoph und lebt mit seiner Familie in Berlin. Seit 2006 arbeitet er in Großunternehmen, u. a. als Führungskraft in den USA und als IT-Manager. Für »Erfolgsleere« und für seine philosophischen Kolumnen in der Berliner Zeitung erhielt er 2022 den »Jürgen-Moll-Preis für verständliche Sprache in der Wissenschaft«.
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Verfügbare Formate
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BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
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Produkt

KlappentextEigensinn und Ideale stören, wo der Ehrgeiz regiert. In unseren »Arbeitswelten« sind konforme und strebsame Funktionäre erfolgreich. So produzieren wir Brot, Bücher und Bomben mit derselben abgeklärten Professionalität. Was wird dabei aus unserer Welt - und aus uns? Michael Andrick, bekannt u.a. aus Süddeutsche Zeitung, stern, Deutschlandfunk Kultur und WDR, durchleuchtet unser Dasein in der Industriegesellschaft schonungslos und zeigt: Wer unter Anpassungsdruck selbstbestimmt leben will, der muss das Philosophieren lernen.

Michael Andrick (geb. Krause), Dr. phil., ist Philosoph und lebt mit seiner Familie in Berlin. Seit 2006 arbeitet er in Großunternehmen, u. a. als Führungskraft in den USA und als IT-Manager. Für »Erfolgsleere« und für seine philosophischen Kolumnen in der Berliner Zeitung erhielt er 2022 den »Jürgen-Moll-Preis für verständliche Sprache in der Wissenschaft«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451828010
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum11.04.2022
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse939 Kbytes
Artikel-Nr.9908842
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2. Handwerk des Lebens
Der Zeitgeist

Nähern wir uns der Philosophie von der Sprache, also von ihrem Werkzeug und Medium her. Unsere Sprache ist die Wohnung unserer Gedanken und Gefühle. Die Zimmer, Flure und Erker dieser Wohnung sind uns vertraut. Wir haben sie aber nicht selbst entworfen und gebaut, sondern uns einfach in ihnen eingelebt. Manche Aussichten und Einblicke macht der Grundriss unserer Sprache uns leicht. Andere Erkenntnisse aber sind uns wie durch Mauern verstellt, weil unsere Sprache uns keine Begriffe und Bilder anbietet, mit denen wir diese Einsichten zu fassen bekommen könnten.

In ihrer Gesamtheit betrachtet enthält unsere Sprache ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit. Zum Beispiel zeigt uns eine Erkundung unseres Gebrauchs großer Worte wie »Freiheit« oder »Recht«, was wir uns unter Freiheit und Recht eigentlich konkret vorstellen. Aber es sind ebenso sehr Analysen »kleinerer« Sprachgewohnheiten, die unser gewohntes Weltbild und seine kleinen Absurditäten aufdecken können. Zum Beispiel nennen wir uns selbst »Arbeitnehmer« und die Institution, die uns beschäftigt, »Arbeitgeber«. Dabei ist es genau umgekehrt, wie Friedrich Engels einmal anmerkt: Wir geben gegen Geld unsere Arbeitskraft einer Institution, die Institution nimmt unsere Arbeit entgegen. Wir sind die Arbeitgeber; Unternehmen, Verwaltungen und viele andere Einrichtungen sind die Arbeitnehmer. Diese Einsicht verstellt uns die gewohnte Sprache.

Jeder unserer Sätze baut auf die ganze Wirklichkeit, die unsere Sprache als Ganze betrachtet darstellt; jeder Satz führt uns an einen festen Punkt in den Grenzen dieser Weltsicht. Wie wir unsere Worte zu setzen gelernt haben zeigt, in welcher geistigen Wohnung unser Denken, Fühlen und Tun sich eingerichtet hat. Der Grundriss unserer Sprache zeigt deshalb den Zeitgeist unserer Gegenwart. Der Zeitgeist sagt uns, wer wir sind, wie wir in die Welt und unter andere Menschen passen und was wir zu erwarten haben. Er regiert die Welt durch unser Denken, Sprechen und Tun. Zum Beispiel macht der Zeitgeist uns glauben, wir seien (zum Dank verpflichtete?) Arbeitnehmer und andere die (großzügigen?) Arbeitgeber. »Ein Wort an die Stelle eines anderen setzen heißt, die Sicht der sozialen Welt zu verändern und dadurch zu deren Veränderung beizutragen« (Pierre Bourdieu).

Nachdenken heißt, gegen den Zeitgeist Einspruch einlegen. Eine Frage stellen bedeutet eigentlich, den Aufstand gegen unsere Sätze proben: gegen den Anspruch ihrer vorgeblichen Tatsachen auf unseren Glauben und unsere Gefolgschaft. Fragen ist das Innehalten im Sprechen und Denken, die Unterbrechung des normalen Gangs der Dinge am Geländer des Zeitgeistes zugunsten des Nachdenkens. Viele Fragen stellen heißt, den Aufstand gegen die ganze Weltsicht unseres Zeitgeistes proben.

Mit diesem Nachdenken erst fangen wir an, als Personen zu existieren und nicht bloß als Resultat unserer Lebensumstände. Nachdenken ist die Selbstbehauptung des Geistes gegen die Gewohnheit, die uns in ihrer Gewalt hat. Anders gesagt: Erst Fragen und Nachdenken macht dieses empfindende Ich, in dem alle möglichen Wahrnehmungen aufkommen, sich regen und wieder schwinden, zu mir selbst. »Persönlichkeit (â¦) ist das einfache, beinahe automatische Ergebnis von Nachdenklichkeit« (Hannah Arendt).

Um selbst zu leben - d.âh. nach eigener Regel und nicht einfach als menschgewordener Ausdruck unserer Zeit -, müssen wir der Regierung des Zeitgeistes unseren persönlichen Freiraum abringen. Viele schaffen dies ohne besondere Anstrengungen und Grübelei, einfach durch eine gute Fügung ihrer Erfahrungen und Begegnungen: Sie erleben in der Familie, dass sie gewollt und geliebt sind, und so entwickeln sie ein sicheres Gefühl dafür, wer sie als Erwachsene werden wollen, und gehen ihren Weg mit Kraft, Sicherheit und Ruhe. Es zeigt sich ihnen mit der Zeit, wofür es sich zu arbeiten lohnt; was andere sagen und wollen, ist für sie zwar interessant, aber nicht entscheidend. Viele aber haben dieses Glück nicht - etwas stört ihre Kreise oder fehlt in ihren Kreisen, das ihnen diese ruhige Selbstbestimmung geben könnte. Ein leitendes Gefühl für Sinn und Richtung ihres Lebens stellt sich nicht ein, sondern es stellt sich vielmehr eine Frage: Was ist mit mir, dass ich so bin und nicht zufrieden mit mir selbst werde?

Um dieser Frage beizukommen, um zu uns selbst zu kommen, brauchen wir eine Erklärung unseres Zeitgeistes - eine Philosophie unserer Gegenwart, die uns sagt, wie wir gelernt haben zu denken, zu sprechen und zu leben, wie wir es jetzt tun. Erst auf dieser Grundlage können wir dann selbst fragen, nachdenken und handeln, um unserer Gesellschaft einen eigenen Lebensweg und auch, zusammen mit anderen, eine eigene Politik abzutrotzen. Haben wir keine Philosophie unserer Gegenwart, so spricht aus uns allein der Zeitgeist. Wir leben dann als Marionetten der Vergangenheit und vielleicht, wenn wir ehrgeizig sind, als die Puppenspieler der Gegenwart, ohne aber dabei zu uns selbst zu kommen. Beginnen wir deshalb unsere Überlegungen am Ziel des philosophischen Nachdenkens, bei uns selbst.
Wertvorstellungen

»Zu sich selbst kommen« - das klingt so, als wäre das Selbst schon da, wie ein besonders kostbarer Gegenstand in unserem Seelenhaushalt, und man müsste sich ihm nur zuwenden, nachdem man den Unfug gewisser Ablenkungen einmal eingesehen hat. So ist es aber nicht. Mein Selbst ist nicht schon da, und es ist deshalb verkehrt zu meinen, man könne sich einfach etwas mehr darauf konzentrieren, um auf den »rechten Weg« zu kommen. Wir sagen zwar alle »Ich«, aber kein Ich ist ohne weiteres auch gleich ein Selbst.

Erst das von sich selbst erzählende Ich macht das Selbst; mein Selbst ist die Geschichte davon, wer ich bin. Nur in diesem Sinne ist es »schon da«: Ich kann es mir wie einen Schattenriss aus meiner Erinnerung wieder und wieder zeichnen, jedes Mal ein wenig anders. Diese Erzählung bedeutet alles. Sie zeigt meine Vorstellung davon, was meine Mühe lohnt, auf welchem Weg mein Leben mir gelingt und wie es mir entgleiten könnte. Meine Geschichte ist nur im stillen Gespräch des Nachdenkens und im vertrauensvollen Austausch mit anderen lebendig; sie ist Ausdruck meiner Wertvorstellungen und hat keinen Maßstab, kein Richtmaß außer diesen. Auf die Wertvorstellungen einer Person kommt für ihr Leben alles an, denn sie leiten ihre Bestrebungen, sie begründen ihre Ängste und bestimmen ihre Ambitionen.

Ich stelle mir dabei das Wertvolle, auf das es uns im Leben ankommt, als abwesend oder zumindest undeutlich vor - deshalb spreche ich von Wertvorstellungen anstatt einfach von Werten. Diese spezielle Wortwahl zeigt an, dass ich den Wert gewisser Dinge, gewisser Verhaltensweisen und Einstellungen, nicht direkt und sicher erkenne. Ich stelle mir nur vor, sie hätten einen Wert. (Eine Ausnahme bildet allein, was ich liebe; dazu mehr ganz am Ende des Buchs.) Diese Schwierigkeit mit Wertvorstellungen ist nicht nur mein persönliches Problem; dass ich so zu reden und zu denken gewohnt bin, bringt vielmehr ein bestimmtes Wissen unserer Kultur zum Ausdruck.

Betrachte ich nur mich selbst, so meine ich zu wissen, welchen Dingen ich Wert beimesse und warum. Aber vom Standpunkt eines anderen Menschen aus betrachtet kann diese, kann meine Überzeugung nüchtern nur als Wertvorstellung betrachtet werden. Denn es fällt tatsächlich unterschiedlich aus, was unterschiedliche Menschen als Wert erkannt zu haben meinen. Wir leben also mit der Schwierigkeit, dass unsere subjektiven Einsichten in das Wertvolle ständig durch die Werturteile anderer Leute in Frage gestellt werden. Diese Anderen urteilen dabei in gleicher Weise wie wir selbst aufgrund ihrer speziellen Lebenserfahrung. Wir können diese Unterschiede erkennen, sofern wir in derselben geistigen Wohnung, in derselben Sprache beheimatet sind wie die Anderen; aber es bleiben echte, substantielle Unterschiede.

Aus dieser Wirklichkeit lernen wir, von unseren Wertvorstellungen zu reden und sie damit schon, jeder möglichen Diskussion vorauseilend, zu relativieren. Wir sprechen von unseren Werten, also davon, worauf es uns im Leben ankommt, und wir stellen sie zugleich in Frage. Keinem anderen bedeutenden Begriff, mit dem wir uns in der Welt orientieren, tun wir dies an; wir sprechen z.âB. nicht mit der gleichen Geläufigkeit von unserer »Freiheitsvorstellung« oder unserer »Rechtsvorstellung« - wir sprechen einfach von Freiheit und Recht. Aber wir sprechen von Wertvorstellungen.

Diese zögerliche, problematisierende Haltung in Hinsicht auf unsere persönlichen Werte hat ihre Stimmigkeit und Berechtigung. Anders als z.âB. bei Feststellungen über die uns gemeinsame Welt der materiellen Dinge - der Tische, Stühle und Aschenbecher - trauen wir unserer Gesellschaft in Wertfragen keinen naturwüchsigen Konsens der Auffassungen zu. Deshalb trauen wir auch uns selbst nicht ohne weiteres klares Wissen in Wertfragen zu und lernen in unserer Gesellschaft auch nicht, in erster Linie solches Wissen zu wünschen und zu suchen. Das aber steht in Spannung zu der früheren Feststellung, dass es für unser Leben als Person entscheidend auf unsere Wertvorstellungen ankommt.

Wie oft haben wir jemanden fragen hören: »Was ist in dieser Situation das Richtige? Was soll ich tun?« So oft wir solche Fragen auch immer gehört und diskutiert haben mögen - diese Erlebnisse verblassen sicherlich angesichts der unendlichen Verhandlungen der Frage »Was will ich (wirklich)?«, die wir mit uns selbst und anderen erlebt haben. Berichten wir vom Verlauf unseres Lebens mit seinen Wendungen, so sprechen wir oftmals davon, was uns zu...
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