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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
572 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am02.04.20231. Auflage
»Gestorben wird alleine, zum Töten des Anderen gehören zwei. Die Fähigkeit des Menschen, seinesgleichen umzubringen, konstituiert vielleicht mehr noch menschliche Geschichte als seine Grundbestimmung, sterben zu müssen.«

Der »gewaltsam Umgebrachten« zu gedenken, gehört zum Kern der politischen Kultur. Reinhart Koselleck hat mit seinen wegweisenden Arbeiten zum »Totenkult« ein neues Forschungsfeld erschlossen: die europäischen Denkmalslandschaften in ihrer ganzen historischen, ästhetischen und politischen Komplexität. Ob es sich um Opfer für das Vaterland oder um solche von Kriegen und Gewaltherrschaft handelt, ob Menschen in Bürgerkriegen und Revolutionen oder durch Staatsverbrechen, politischen oder religiösen Terror umgebracht wurden - alle sind »getötete Tote«. Ohne ihrer zu gedenken, so der Humanist Koselleck, ist ein Weiterleben nicht möglich.

Der Band versammelt Kosellecks Aufsätze zum politischen Totenkult, publizistische Beiträge zu den Debatten über die »Neue Wache« und das Holocaustmahnmal in Berlin, theoretische Überlegungen zum Erinnerungsbegriff und unveröffentlichte autobiografische Notizen über seine Erfahrungen in Krieg und russischer Gefangenschaft. In Distanz zur populären »Erinnerungskultur« betonen sie die Unhintergehbarkeit der Differenz zwischen individueller Erfahrung und kollektiven Erinnerungskonstruktionen. Die Historie soll solche kollektiven Identitäten nicht stiften, sondern kritisch analysieren. Darin liegt für Koselleck die Aufgabe der Geschichtswissenschaft.



Reinhart Koselleck (1923-2006), Professor in Bochum, Heidelberg und Bielefeld, Mitglied zahlreicher Akademien und Kollegien. Bahnbrechende Studien zur Geschichte der europäischen Aufklärung, zur Theorie der Geschichte und zur Begriffsgeschichte.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR38,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR32,99

Produkt

Klappentext»Gestorben wird alleine, zum Töten des Anderen gehören zwei. Die Fähigkeit des Menschen, seinesgleichen umzubringen, konstituiert vielleicht mehr noch menschliche Geschichte als seine Grundbestimmung, sterben zu müssen.«

Der »gewaltsam Umgebrachten« zu gedenken, gehört zum Kern der politischen Kultur. Reinhart Koselleck hat mit seinen wegweisenden Arbeiten zum »Totenkult« ein neues Forschungsfeld erschlossen: die europäischen Denkmalslandschaften in ihrer ganzen historischen, ästhetischen und politischen Komplexität. Ob es sich um Opfer für das Vaterland oder um solche von Kriegen und Gewaltherrschaft handelt, ob Menschen in Bürgerkriegen und Revolutionen oder durch Staatsverbrechen, politischen oder religiösen Terror umgebracht wurden - alle sind »getötete Tote«. Ohne ihrer zu gedenken, so der Humanist Koselleck, ist ein Weiterleben nicht möglich.

Der Band versammelt Kosellecks Aufsätze zum politischen Totenkult, publizistische Beiträge zu den Debatten über die »Neue Wache« und das Holocaustmahnmal in Berlin, theoretische Überlegungen zum Erinnerungsbegriff und unveröffentlichte autobiografische Notizen über seine Erfahrungen in Krieg und russischer Gefangenschaft. In Distanz zur populären »Erinnerungskultur« betonen sie die Unhintergehbarkeit der Differenz zwischen individueller Erfahrung und kollektiven Erinnerungskonstruktionen. Die Historie soll solche kollektiven Identitäten nicht stiften, sondern kritisch analysieren. Darin liegt für Koselleck die Aufgabe der Geschichtswissenschaft.



Reinhart Koselleck (1923-2006), Professor in Bochum, Heidelberg und Bielefeld, Mitglied zahlreicher Akademien und Kollegien. Bahnbrechende Studien zur Geschichte der europäischen Aufklärung, zur Theorie der Geschichte und zur Begriffsgeschichte.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518775745
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum02.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten572 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9932954
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


11Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden[1] 



I.


In jüngster Zeit liefen drei Meldungen durch die Zeitungen, die offenbar wenig beachtet wurden. Die erste bezog sich auf ein Denkmal des Ersten, die beiden anderen auf Denkmäler des Zweiten Weltkrieges. In Hamburg versuchten einige Bezirksabgeordnete, eine Inschrift zu löschen, die die Überlebenden des Infanterieregiments 76 ihren Toten gewidmet hatten. Der Spruch stammte von Heinrich Lersch aus dem Jahre 1914: »Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen.« Auf Beschluß des Senats blieb die Inschrift erhalten - als Ansicht einer vergangenen Epoche.[2]  Im September 1975 fand in Stukenbrock eine Gedenkfeier statt zu Ehren der Opfer des Stalag 326 VI-K. Dabei kam es vor dem Denkmal für die 65ââ000 sowjetischen Gefangenen, die auf dem Friedhof beigesetzt sind, und vor zahlreichen Besuchern aus dem Ostblock zu einer Schlägerei mit mehreren Verletzten. Es schlugen sich die Mitglieder der DKP und 12der KPD, die beide das wahre Erbe der Toten für sich beanspruchten. Die deutsche Polizei griff erst ein, nachdem die »Maoisten/Leninisten« vom Friedhof vertrieben waren.[3] 

Im Juli 1976 wurde die Museumsbaracke im ehemaligen KZ-Lager Struthof/Elsaß von unbekannten Tätern verbrannt. Am Denkmal (Abb. 1, Struthof im Elsaß, Mahnmal für KZ-Lager), wie die Stifter 1960 gesagt hatten, Symbol für die Flamme des Krematoriums und als aufsteigende Spirale an die ewige Hoffnung erinnernd, war ein Datum aufgepinselt worden: der 27. Januar 1945. An diesem Tag waren - nach der Befreiung - 1100 neue Häftlinge eingeliefert worden, die der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt wurden.[4] 
13

1 Struthof im Elsaß, Mahnmal für KZ-Lager



2 Marburg/Lahn, Grabmal des Landgrafen Wilhelm II. von Hessen, Elisabethkirche

14

3 Straßburg, Grabmal des Marschalls Moritz von Sachsen, Thomaskirche



4 Schlesien, Denkmal für Gefallene des Befreiungskrieges 1813



5 Waterloo, Preußisches Heldendenkmal

15

6 Sedan, Ehrenmal für die französischen Gefallenen 1870, errichtet 1897 durch Nationalsubskription



7 Sedan, Inschrift zum Ehrenmal



8 Hamburg-Eppendorf, Kriegerdenkmal des Inf. Reg. Nr. 76 für 1870/71



9 Béziers, Siegesmal für den Krieg 1914/18

16

10 Wörth, Regimentsdenkmal für 1870



11 Hinderwell, England, Gemeindedenkmal für 1914/18



12 Torgau, Sowjetisches Ehrenmal für 1945



13 St. Mihiel, Gemeindedenkmal für 1914/18

17

14 Péronne, Gemeindedenkmal für 1914/18



15 Schapbach im Schwarzwald, Gemeindedenkmal für 1914/18



16 Lüttich, Mémorial interallié für die Verteidiger von 1914, errichtet 1937



17 Dixmuiden, Yserturm

18

18 Buchenwald, Mahn- und Gedenkstätte für das KZ-Lager



19 Neuville-en-Condroz, Ardennen, US-Soldatenfriedhof, Zweiter Weltkrieg



20 Vladslo, Soldatenfriedhof 1914/18, Plastik Trauernde Eltern von Käthe Kollwitz

19

21 Loretto, Ehrenmal für General Maistre und das 21. Armeekorps



22 Posen, Denkmal des 5. Armeekorps für die Schlacht bei Nachod 1866



23 Navarin-Ferme bei Reims, Alliiertes Denkmal und Ossuarium 1914/18

20

24 Vimy, Canadian National Memorial für 1914/18



25 Zell, Niederbayern, Mahnmal für 1939/45



26 Treblinka, Teil des Mahnmals für das KZ-Lager


Alle drei Ereignisse verweisen uns auf einen gemeinsamen Befund. Die Denkmäler, die in die Aktionen einbezogen wurden, leisten offenbar mehr, als nur die Erinnerung an die Toten wachzuhalten, um derentwillen sie zunächst errichtet wurden. - In Hamburg suchten sich Überlebende oder Nachgeborene einer Forderung zu entziehen, die dem Betrachter seit den zwanziger Jahren angesonnen wird. - In Stukenbrock suchten zwei politische Parteien die Erinnerung an den vergangenen Tod der Russen auf heute einander ausschließende Weise für sich zu verbuchen. - In Struthof protestierten, soweit eine Deutung möglich ist, Elsässer gegen einen Denkmalskult, der die Opfer aus ihren eigenen Reihen ächtet, zumindest verschweigt. So verschieden die Reaktionen sind, gemeinsam ist die Herausforderung, die von einem Denkmal ausgeht. Denkmäler jedenfalls der genannten Art, die an einen gewaltsamen Tod erinnern, bieten Identifikationen: Erstens werden die Verstorbenen, die Getöteten, die Gefallenen in einer bestimmten Hinsicht identifiziert - als Helden, Opfer, Märtyrer, Sieger, Angehörige, eventuell auch als 21Besiegte; ferner als Wahrer oder Träger von Ehre, Glaube, Ruhm, Treue, Pflicht; schließlich als Hüter und Beschützer des Vaterlands, der Menschheit, der Gerechtigkeit, der Freiheit, des Proletariats oder der jeweiligen Verfassung. Die Reihen lassen sich verlängern.

Zweitens werden die überlebenden Betrachter selber unter ein Identitätsangebot gestellt, zu dem sie sich verhalten sollen oder müssen. »Mortui viventes obligant«, wie die Blindformel lautet, die je nach den oben angeführten Zuordnungen verschieden besetzbar ist. Deren Sache ist auch die unsere. Das Kriegsdenkmal erinnert nicht nur an die Toten, es klagt auch das verlorene Leben ein, um das Überleben sinnvoll zu machen.

Schließlich gibt es den Fall, der in allen genannten enthalten ist, der aber für sich genommen zugleich mehr oder weniger bedeutet: daß die Toten erinnert werden - als Tote.

Nun sind freilich Totenmale so alt wie die menschliche Geschichte. Ihnen entspricht eine dem Menschen vorgegebene Grundbefindlichkeit, die Tod und Leben ineinander verschränkt, wie auch immer sie aufeinander bezogen werden. Innozenz III. faßte ihre Nachbarschaft in die bekannten Worte: »Morimur ergo semper dum vivimus, et tunc tantum desinimus mori cum desinimus vivere«.[5]  Totenmale setzen, bewußt oder nicht, diesen Befund voraus, den Heidegger später als »Sein zum Tode« analysiert hat.

Anders verhält es sich mit Kriegermalen, die an einen gewaltsamen, von Menschenhand verursachten Tod erinnern sollen. Über die Erinnerung hinaus wird die Frage nach der Rechtfertigung dieses Todes beschworen. Hier kommen Faktoren der Willkür, der Freiheit und Freiwilligkeit und ebenso des Zwangs und der Gewalt hinzu, die über den gleichsam natürlichen Tod hinaus legitimationsbedürftig und deshalb offenbar besonders erinnerungswürdig sind. So müßte der Spruch des Innozenz variiert werden: Der Mensch lebt, solange er ...

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Autor

Reinhart Koselleck (1923-2006), Professor in Bochum, Heidelberg und Bielefeld, Mitglied zahlreicher Akademien und Kollegien. Bahnbrechende Studien zur Geschichte der europäischen Aufklärung, zur Theorie der Geschichte und zur Begriffsgeschichte.