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Keine gute Geschichte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am14.03.20231. Auflage
Eine Geschichte über die Suche nach Familie und Herkunft, nach Identität und Liebe. Keine gute Geschichte. Arielle Freytag, Anfang dreißig, hat es eigentlich geschafft: Aufgewachsen im Essener Stadtteil Katernberg, verdient sie als Social-Media-Managerin in Düsseldorf mittlerweile viel Geld. Bis eine Depression sie aus der Bahn wirft und für eine Weile in die «Klapse» bringt. Kaum wieder zu Hause, erreicht Arielle ein Anruf aus Katernberg, und zum ersten Mal nach zwölf Jahren kehrt sie an den Ort ihrer Jugend zurück. Dort werden seit ein paar Tagen zwei Mädchen vermisst - was Arielle mit Wucht an ihre Mutter erinnert, die vor vierundzwanzig Jahren spurlos verschwand. Damals blieb Arielle allein bei ihrer eigenwilligen Großmutter zurück. Wer ihr Vater ist, weiß sie nicht, auch ihr dunkles, lockiges Haar und die Hautfarbe sind nur ein vager Hinweis: italienisch, türkisch, kroatisch? Während in Katernberg fieberhaft nach den Mädchen gesucht wird, stellt Arielle sich den schmerzhaften Fragen, auf die sie immer dringender Antworten braucht.  Hat ihre Mutter sie verlassen, oder ging sie nicht freiwillig? «Lisa Roy ist ein erstaunlicher Debütroman gelungen. Eine Mischung aus Coming-of Age- und Gesellschaftsroman mit einer Prise Krimi und einer Heldin, die schön, cool und rotzig erscheint, aber eigentlich sehr verletzlich ist.» dpa

Lisa Roy wurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln und veröffentlichte in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman Keine gute Geschichte erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den GWK-Förderpreis Literatur. Lisa Roy lebt mit ihrer Familie in Köln.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextEine Geschichte über die Suche nach Familie und Herkunft, nach Identität und Liebe. Keine gute Geschichte. Arielle Freytag, Anfang dreißig, hat es eigentlich geschafft: Aufgewachsen im Essener Stadtteil Katernberg, verdient sie als Social-Media-Managerin in Düsseldorf mittlerweile viel Geld. Bis eine Depression sie aus der Bahn wirft und für eine Weile in die «Klapse» bringt. Kaum wieder zu Hause, erreicht Arielle ein Anruf aus Katernberg, und zum ersten Mal nach zwölf Jahren kehrt sie an den Ort ihrer Jugend zurück. Dort werden seit ein paar Tagen zwei Mädchen vermisst - was Arielle mit Wucht an ihre Mutter erinnert, die vor vierundzwanzig Jahren spurlos verschwand. Damals blieb Arielle allein bei ihrer eigenwilligen Großmutter zurück. Wer ihr Vater ist, weiß sie nicht, auch ihr dunkles, lockiges Haar und die Hautfarbe sind nur ein vager Hinweis: italienisch, türkisch, kroatisch? Während in Katernberg fieberhaft nach den Mädchen gesucht wird, stellt Arielle sich den schmerzhaften Fragen, auf die sie immer dringender Antworten braucht.  Hat ihre Mutter sie verlassen, oder ging sie nicht freiwillig? «Lisa Roy ist ein erstaunlicher Debütroman gelungen. Eine Mischung aus Coming-of Age- und Gesellschaftsroman mit einer Prise Krimi und einer Heldin, die schön, cool und rotzig erscheint, aber eigentlich sehr verletzlich ist.» dpa

Lisa Roy wurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln und veröffentlichte in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman Keine gute Geschichte erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den GWK-Förderpreis Literatur. Lisa Roy lebt mit ihrer Familie in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644015968
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3036 Kbytes
Artikel-Nr.9996051
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Zwei

Endlich launchte Kims neue Beauty-Line KKW Beauty, Khloé wollte mit Tristan zusammenziehen, fand aber kein Haus. Kris weigerte sich, ihr zu helfen, war aber eigentlich damit beschäftigt, Tristan dabei zu unterstützen, Khloés Geburtstagsparty zu planen - die Überraschung gelang, die Party war ein voller Erfolg.

Kim verwandelte ihr Haus in einen Showroom, lud Beauty-Vlogger ein, lobte Kanye für seinen Input, sagte: «Every room had to be an instagrammable moment.»

*

Vor lauter Arbeit hatte ich in den letzten Jahren die wichtigen Dinge im Leben schleifen lassen, hing bei Keeping Up with the Kardashians hinterher. Die vergangenen Tage hatte ich genutzt, um wenigstens die Staffeln elf bis sechzehn zu schauen, aber ich hatte noch einige vor mir.

Ich nahm einen weiteren Schluck Belvedere, musterte meine frisch lackierten Zehennägel. Alles, was ich wusste, wusste ich aus der Zeitung. Ashanti lebte, mehr Infos gab es nicht.

Varuna und ich bewegten uns wie Mönche eines Schweigeklosters durch das Hexenhaus. Manchmal bat sie mich, Katzenfutter aus dem Keller zu holen oder auf einen Stuhl zu steigen und die Kakteen auf den Regalen zu gießen. Ansonsten hatten wir unsere Koexistenz nach vierzehn Jahren Pause nahtlos wieder aufgenommen. Sie wollte mich nicht hier haben, konnte mich aber nicht rauswerfen, gefiel sich zu sehr in der Rolle der Verlassenen, wollte Opfer sein, nicht Täterin.

Oft sah ich sie am Tisch im Flur sitzen, vor sich Bücher über Pflanzenkunde, die sie nicht aufschlug. Varuna bewegte sich keinen Zentimeter. War das eine Art Performance? Würde sie auch dort sitzen, wenn ich nicht da wäre? Saß sie für mich, für sich selbst, für ihre Rolle als tragische Alte? Andere Leute sind depressiv, Varuna war DEPRESSIV. Der ultimative Egoismus, so eine Depression. Nach drei Monaten Klapse weiß ich, dass das nicht die Lehrmeinung ist, aber: Wie wichtig muss man sich eigentlich nehmen, um die ganze Zeit darüber nachzudenken, wie hoffnungslos man ist? Wenn ich mich umbringen würde, dann weniger egomanisch, ohne vorher jahrelang zu quengeln und Freunde, Fremde und Therapeuten mit meinem Geleier zu nerven.

Ich lehnte im Türrahmen meines Zimmers, schaute auf ihren faltigen Nacken, ihre knochigen Handgelenke und fühlte beinahe so etwas wie Mitleid. Kurz überlegte ich, mich zu ihr zu setzen oder ihr immerhin eine Hand auf die Schulter zu legen. Sie war meine einzige Familie, meine einzig mir bekannte Verwandte, das musste doch etwas bedeuten. Gerade wollte ich auf sie zugehen, da sprang eine der Katzen auf den Tisch und rieb schnurrend ihr nacktes Gesicht an Varunas Unterarm.

Ich schloss die Tür, legte mich auf den Bauch, streckte alle Gliedmaßen von mir und genoss das betrunkene Dröhnen in meinem Kopf. Bis zu deinem Verschwinden teilten wir uns ein Bett, weißt du noch? Du nanntest mich «oller Seestern», weil ich so viel Platz einnahm. Ich erinnere mich nicht, was ich daran so lustig fand, aber damals war es für mich das Witzigste, was ich je gehört hatte.

Meine Zehen gruben sich in die Ritze zwischen Bettgestell und Matratze. Der linke große Zeh blieb an etwas Spitzem hängen. Er spielte mit dem Gegenstand, strich über die harte Kante. Ich drehte mich um, richtete mich auf und beobachtete für einen Moment, wie sich alles drehte. Back to basics. Laufen, trinken, alles eine kleine Herausforderung. Zähneputzen ein Sieg, ausziehen ein Erfolg, sprechen ein Triumph. Aus der Ritze zog ich eine rote Haarspange. Außerdem ein Kaugummi-Papier.

Ich lag auf dem Rücken, schaute auf den Himmel mit den Schmetterlingen, bemühte mich um Luft. Mit dreiunddreißig Jahren hoffte ich noch immer, dass das Jugendamt intervenieren, dass jemand mich befreien und zu meiner richtigen Familie bringen würde, in mein richtiges Leben.

*

An der Ecke, wo es früher eine Apotheke und einen kleinen türkischen Supermarkt gab und wo nun eine Apotheke und ein Billig-Bäcker sind, rauchte ich die letzte Zigarette der Schachtel und lauschte dem Rauschen der Kreuzung. Mich neben Verkehrslärm stellen, um die eigenen Gedanken zu übertönen - das hatte ich ewig nicht gemacht.

Vor mir hielt ein dicker Audi. Eine Frau mit langem schwarzem Haar und einer Louis-Vuitton-Handtasche, die echt aussah oder immerhin gut gefälscht, stieg aus, hob ein schlafendes Kleinkind vom Kindersitz auf der Rückbank, öffnete die andere Tür einem circa sechsjährigen Jungen und lief Richtung Bäckerei.

«Arielle, Süße? Bist du es? O mein Gott, wie schön dich zu sehen, gut siehst du aus.»

Alanoud begrüßte mich mit drei Wangenküssen. In der Scheibe schaute ich mein Spiegelbild an, strich über den Bund meines Sport-BHs.

«Hi du, nices Auto.»

«Ja, du weißt ja, ich wollte schon immer ´nen Audi, und als der A8 rauskam, wussten wir, dass wir den unbedingt haben wollen.»

«Bist du noch mit Mahmud zusammen?»

«Klar, wir haben ein Jahr nach dem Abi geheiratet.»

Hyaluronsäure in ihren Lippen, die Wangen unterspritzt, ihre Augenlider waren vielleicht auch gemacht. Alanoud sah gut aus, ich hätte sie sofort als Mommy-Influencerin gebucht. In der Schule hatten die Lehrer uns manchmal verwechselt, wir sahen uns noch immer ähnlich.

«Habt ihr zwei Kinder oder mehr?»

«Mahmud will noch eins oder zwei, aber das Auto ist voll, und ich will das nicht abgeben», sagte Alanoud im Ernst. «Was machst du so?»

«Immer noch Werbung in Düsseldorf, und du?» Sobald ich sie ausgesprochen hatte, war mir die Frage unangenehm. Obwohl ich bei ein paar Kampagnen mitgemacht hatte, in denen das Hausfrauendasein als Job im Management angepriesen wurde (beziehungsweise das Öko-Waschmittel oder das Elektroauto angepriesen wurde, das diese Vollblutmamis nutzten), bin ich immer noch peinlich berührt, wenn ich eine dieser Business-Frauen im echten Leben treffe.

«Ich bin Mama, das ist das Einzige, was ich wirklich machen will. Ich habe aber den BWL-Bachelor noch fertig gemacht, weil meinen Eltern das voll wichtig war.»

Mama sein. Ein paarmal, bei dritten oder vierten Dates, hatten Männer wissen wollen, ob ich Kinder will. Zuletzt Erik, der sich nie ganz entscheiden konnte, ob ich eine sexy Affäre war oder vielleicht doch besser die Liebe seines Lebens (wir entschieden uns gemeinsam für Ersteres). «Nein», war meine Pauschalantwort, aber die Wahrheit ist komplizierter. Ich bin nicht bereit, Mutter zu werden, werde es nie sein und will es nicht versuchen. Vater werden ist eine ganz andere Nummer. Gäbe es diese Option für mich, wäre ich bereit, jetzt und auch schon vor Jahren. Als Vater ist man bei einigermaßen solidem Einsatz ein Held und bei einem Mindestmaß an Kümmern ein Heiliger, niemand würde mir vorwerfen, Vollzeit zu arbeiten, allein zu verreisen oder mich einmal im Monat komplett volllaufen zu lassen, das würde ich hinkriegen.

«Ich muss los, wie schön dich zu sehen», sagte ich lächelnd.

«Lass mal schreiben, ich hab dich ja auf Insta. Mach´s gut, Schatz», sagte sie.

Ich küsste sie auf die Wangen, roch Mania von Armani in Alanouds schwarzem Haar, wuschelte dem Jungen unentschlossen durch sein zurückgegeltes Haar und lief davon.

Am nächsten Kiosk drückte ich auf die kleine Klingel unter dem «Bitte klingeln»-Schild, nahm den Zwanziger aus meinem BH. Ich überlegte, ob ich mir ein Bounty gönnen sollte, und schaute auf die Illustrierten-Reihe. Laut Klatschpresse hatten Harry und Meghan jetzt ´nen Instagram-Account, «der alle Rekorde bricht - aber bricht er auch das Herz der Queen?» So weit war es gekommen, nehmt das, Dirks und Uwes: In der analogen Welt wurde über Social Media berichtet, nicht andersrum.

Ich blätterte durch das Heft, sah mir Fotos von Meghan in ungünstigem Winkel an, blätterte weiter, sah ein Foto von Harry und seinem Bruder.

William und Harry, P. Diddy, Madonna, Paul McCartney, 50 Cent, Bono. Alle Ehrenmitglieder im CtM. Den «Club der toten Mütter» gründeten Jana und ich mit zwölf. Im ersten Jahr der Realschule ignorierten wir uns, weil die Klassenlehrerin uns in der zweiten Schulwoche gebeten hatte, nach der letzten Stunde noch zu bleiben. Bedeutungsschwanger legte sie jeder eine Hand auf die Schulter und erzählte von unserem gemeinsamen Schicksal. Janas Mutter war im Winter zuvor an Brustkrebs gestorben, du warst, na ja, das wusste Frau Fischer auch nicht so genau, aber auf jeden Fall warst du nicht da. Frau Fischers pädagogischer Geniestreich führte dazu, dass ich Jana mied, als hätte sie eitrige Beulen - auf keinen Fall wollte ich ein Sonderling sein, wie die Kinder, die noch immer mit einem 4YOU rumliefen, statt wie Menschen mit Selbstachtung einen Eastpak zu tragen.

Im darauffolgenden Jahr lief ich mit meinem Gefolge über den Schulhof, als Dilara, Alanoud und ihre Truppe aus der 6b Jana und ihren Freundinnen gerade erklärten, dass Janas Vater ein Perverser sei, weil Dilara ihn mit Jana in der Unterwäscheabteilung bei H&M gesehen hatte. Mir wurde übel vor Neid bei dem Gedanken, dass Dilara und vermutlich auch alle anderen Mädchen ihre ersten Bustiers mit ihren Müttern kauften, und so schubste ich Dilara auf den Boden und schrie, dass es bei Jana immerhin ´nen Grund gebe, einen BH zu kaufen, weil sie nicht so flach wie ein Brett sei.

Wenig später gründeten wir den CtM. Aus offensichtlichen Gründen durfte keine meiner anderen Freundinnen an unseren superwichtigen Clubmeetings teilnehmen, auch die Clubjacken, die...
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Lisa Roywurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln und veröffentlichte in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman Keine gute Geschichte erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den GWK-Förderpreis Literatur. Lisa Roy lebt mit ihrer Familie in Köln.