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Alles in allem

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am14.02.20231. Auflage
In manchen Nächten mag es einem vorkommen, als enthielten die erhabenen Landschaften der Nacktheit mehr Wahrheit als ganze Bibliotheken heiliger Bücher. Eine gewöhnungsbedürftige Einsicht für einen Theologiestudenten, der seit einer halben Ewigkeit an einer Dissertation schreibt und mit seiner Freundin in Berlin-Friedenau ein grundberuhigtes, an inneren und äußeren Spannungen armes Leben führt. Die idyllische Behaglichkeit nimmt jedoch ein Ende, als er auf einem Wittenberger Symposion auf die Künstlerin Katharina trifft, die den verschlafenen Theoretiker im Lauf einiger Wochen in ein Mysterium des sinnlichen Selbstverlustes und ein ganz leibhaftiges Offenbarungsgeschehen hineinzieht. Die Begegnung sprengt all seine Begriffe und lässt die alten Götter um ihn auferstehen. Abgestürzt in eigene und hauptstädtische Abgründe, vorbei an Neuköllner Esoterikerinnen, hedonistischen Subkulturen und anderen zeitgenössischen Routinen urbaner Selbstoptimierung, bahnt er sich einen spirituell-heiteren Erkenntnisweg bis ins griechische Delphi. Dort, in der Mitte der Welt, erwartet ihn Katharina. Eine so sprachmächtige wie feinsinnige Annäherung an die Liebe und das Erotische, ein Roman von sinnlich-ironischer Leichtigkeit und gedanklicher Tiefe - ein Lobgesang auf die Zärtlichkeit.

Emanuel Maeß, geboren 1977 in Jena, studierte Politologie und Literaturwissenschaft in Heidelberg, Wien und Oxford. Sein Debütroman «Gelenke des Lichts» (2019) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet. Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb: «Ein überragender Erstling.» Emanuel Maeß lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextIn manchen Nächten mag es einem vorkommen, als enthielten die erhabenen Landschaften der Nacktheit mehr Wahrheit als ganze Bibliotheken heiliger Bücher. Eine gewöhnungsbedürftige Einsicht für einen Theologiestudenten, der seit einer halben Ewigkeit an einer Dissertation schreibt und mit seiner Freundin in Berlin-Friedenau ein grundberuhigtes, an inneren und äußeren Spannungen armes Leben führt. Die idyllische Behaglichkeit nimmt jedoch ein Ende, als er auf einem Wittenberger Symposion auf die Künstlerin Katharina trifft, die den verschlafenen Theoretiker im Lauf einiger Wochen in ein Mysterium des sinnlichen Selbstverlustes und ein ganz leibhaftiges Offenbarungsgeschehen hineinzieht. Die Begegnung sprengt all seine Begriffe und lässt die alten Götter um ihn auferstehen. Abgestürzt in eigene und hauptstädtische Abgründe, vorbei an Neuköllner Esoterikerinnen, hedonistischen Subkulturen und anderen zeitgenössischen Routinen urbaner Selbstoptimierung, bahnt er sich einen spirituell-heiteren Erkenntnisweg bis ins griechische Delphi. Dort, in der Mitte der Welt, erwartet ihn Katharina. Eine so sprachmächtige wie feinsinnige Annäherung an die Liebe und das Erotische, ein Roman von sinnlich-ironischer Leichtigkeit und gedanklicher Tiefe - ein Lobgesang auf die Zärtlichkeit.

Emanuel Maeß, geboren 1977 in Jena, studierte Politologie und Literaturwissenschaft in Heidelberg, Wien und Oxford. Sein Debütroman «Gelenke des Lichts» (2019) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet. Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb: «Ein überragender Erstling.» Emanuel Maeß lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644013544
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.02.2023
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse3695 Kbytes
Artikel-Nr.9996052
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Wer nach Sonnenuntergang über die Dünen ihres Rückens wanderte, beging oft den Fehler, nicht früh genug an die Heimkehr zu denken. Verständlicher Leichtsinn in dieser schönsten aller Wüsten; die Gegend wirkte so vertraut, dass man den Eindruck gewinnen konnte, endlich angekommen zu sein. Als habe sie der Wind aufgeworfen, hoben sich immer wieder erhabene Bögen aus dem Grund, während Licht und Schatten eine Harmonie entfalteten, die keine Geraden kannte und sich stattdessen für die Verbindlichkeit und Anmut von Rundformen entschieden hatte. Abgeschliffene Kuppeln, leichthin überwehte Gräben, dann auch vereinzelt schroffere Höhenzüge, doch selbst die Vorsprünge der Schulterblattflügel flossen in gleitenden Linien dahin, eher ein Schwellen von Flugsand als ein Hinweis auf verborgene Härten und Kanten. Das Pilgerauge überflog Haut und Hügel, anatomische Strukturen, die in irgendeinem Grund verschwammen, und gelangte zur Mitte hin zu definierteren Partien um eine langgestreckte vertikale Senke, die sich weit nach Süden zog und erst dort endete, wo ein anderes Geheimnis begann. Man sah sie kurz in der Ebene aufgehen, dann aber in gewandelter Form zwei prominente, längeren Betrachtungen mindestens ebenso würdige Erhebungen durchlaufen, die nun allerdings eine Steppdecke pietätvoll verdeckte. Selbst diese Senke hatte nichts wirklich Geradliniges an sich, schon gar nicht in dieser leichten Schräglage, aber sie war vielleicht das Einzige, das eine klare Richtung nahm und nicht wie die Umgebung in sich selbst aufging. Denn alles andere war wie in einem Kreis geborgen, in Ellipsen, ovalen Speichen, Kurven und Windungen, darüber ein allbeherrschendes Konkavmotiv. Sah man genau genug hin und verfügte noch über ausreichend geistige Wachheit, sich einen Reim darauf zu machen, hätte man angesichts dieser Formen in längeres Nachdenken geraten können. Auch wenn man von der Seite darauf schaute, ergab sich ein dominanter Konkavschwung, ihr leichtes Hohlkreuz zeigte sich selbst im Liegen. So wie Platon im Timaios dem Tetraeder das Element Feuer, dem Dodekaeder die quinta essentia, den Himmelsäther, zugeordnet hatte, musste es etwas an dieser Form geben, das über die reine Körperlichkeit hinaus fundamentalere Bereiche berührte, vielleicht einen nicht immer ganz zutage tretenden, nur in Ausnahmesituationen abgerufenen Zug nach innen, der einen mit konvexen Hoffnungen vorübergehend ganz aus sich herausriss.

Nicht jene allgegenwärtigen, sich ebenfalls raffiniert aus der Kugel ableitenden Runddesigns von Brust und Gesäß schienen dann das Hinreißendste an einer Frau (an dieser hier sowieso), sondern die Täler, Furchen, Mulden und Gruben, jene inkommensurable Dynamik nach innen gehender Biegen und Krümmungen, ihrer unterschwelligen Spiralformen, Schraubenlinien und Trichter. Ganz zur Geltung kamen sie vermutlich erst durch die Nachmitternachtswärme und flaumweiche Textur ihrer Inhaberin, auch eine leichte Note von Osterlilien spielte ohne eigentlich klaren Ursprung hinein. Denn weder war es ein Parfum, das aufzutragen die nun vorübergehend neben mir Eingeschlafene in den letzten Stunden keine Gelegenheit gehabt hatte, noch roch sie, soweit sich das sagen ließ, von Natur aus nach Blumenladen und Fleurissimo. In Kopf- und Basisnoten vereinigten sich, wahrnehmungsbedingt wahrscheinlich durch mein leichtes Schleudertrauma nach all den ungewohnten Zuwendungen, eher Erinnerungen vom Dorfe, die Heuhaufen meiner Kindheit mit dem Zimt von Mutters lauwarmem Apfelkuchen, Crème fraîche und einem Anhauch süßlicher Schärfe, die sie, bewusst oder unbewusst (wahrscheinlich Ersteres, denn sie kannte mich gut) nicht täglich abwusch. Aber was war es dann, die Bettwäsche, hoteleigenes Raumspray, kam es von draußen? Fast hätte man meinen können, dass sich neben allem, was an Salzen und Pheromonen in einer solchen Nacht herausgeschwitzt worden war, auch ein transpirativer Tau frei gemacht hatte, der irgendwelche ätherischen Wiesen und Gewächshäuser benetzte.

Oder, nicht weniger abwegig, wenn auch um einiges reizvoller: Es handelte sich um eine Dritte, die sich in den letzten Stunden ebenso unauffällig eingefunden wie davongemacht hatte. Möglich wäre es schon gewesen in der sinnlichen Unübersichtlichkeit der Vorgänge, bei der schwankenden Aufmerksamkeit und generellen Unschärfe, gerade hinsichtlich der ja entscheidenden beiden Kontrahenten selbst. Denn weder hätte ich, außer vielleicht noch zu Beginn, klar sagen können, mit wem ich es zu tun gehabt hatte, noch war mir bewusst, ob ich dabei so etwas wie handlungsleitende Funktionen übernahm, also Handelnder oder nur Handlanger gewesen war. Es bedurfte jedenfalls einiger gedanklicher Anstrengung, diese aufgeflogenen und sich noch nicht wieder ganz gesetzten Empfindungen mit der filigranen Rückenpartie dieser mir zur Seite liegenden, durchaus hinlänglich Bekannten zu verbinden. Während diese aber schlief und sich nicht befragen ließ, hätte ich von jener Dritten mit Duftspur gerne mehr erfahren. Die Nacht war noch jung, vielleicht kam sie ja zurück. Ich wusste nichts von ihr, noch weniger als von der nun ermattet Liegengebliebenen, aber sie schien aus einer Gegend zu kommen, in der ich mich gerne öfter aufgehalten hätte, in der es weitaus ehrlicher zuging als in meiner Welt, auch freundlicher, unverstellter, in der einem die Zeit nie lang wurde, wenn es denn so etwas wie Zeit dort überhaupt gab. Im Nachhinein nämlich wäre nur schwer zu sagen gewesen, wie lange sie da gewesen war, zwei, drei Stunden vielleicht, wie lächerlich für das, was sich an Ewigkeiten in ihnen abgespielt hatte. Auch sonst war es ein mir seltsam angemessener Ort oder vielmehr Nicht-Ort, der mir das schon länger entbehrte Gefühl vermittelte, mich wieder einmal sinnvoll und in vollem Umfang in den Ablauf eines interaktiven, im weitesten Sinne sozialen, ja fürsorglichen Geschehens einzubringen. Ich hatte mich selten so gebraucht gefühlt, nützlich, wenn nicht gar unabdingbar für ein Anliegen von größerer Relevanz. Auch mit mir selbst hatte ich abseits meiner mir lange so wesentlich erscheinenden, wohl studienbedingten intellektuellen Hypertrophie, die mich offenkundig für Jahre vom Kern der Dinge entfernt hatte, kaum einmal so viel anfangen können. Fast war es, als würden einem solche Stunden nicht nur allerlei Feierlichkeiten der Oberflächensensibilität erschließen und den erweiterten Sinn von Ohrläppchen, Augenbrauen, Fußknöcheln, Kniekehlen, Beckenkämmen und Handgelenken veranschaulichen, sondern überhaupt erst die zumindest in meinem Fall nicht unbedingt naheliegende Einsicht befördern, dass man mit mehr als einer ruhelosen Großhirnrinde auf die Welt gekommen war. Man gelangte beinahe in die Nähe der Überzeugung, dass jene Körperteile und ihre Funktionen womöglich nur eine praktische Voraussetzung ihrer wirklichen Bestimmung waren, nämlich in einfühlsamer Allumfassung und hoher Steighöhe als Feuerwerkskörper die Weltnacht auszuleuchten, in deren Schatten man sonst relativ besinnungslos dahintrottete.

Die Anwesenheit einer Dritten lag auch deshalb nahe, weil jede andere Frau mit mehr oder weniger leidenschaftlichen Absichten, lustvollen Erwartungen oder fruchtbaren Hoffnungen in solche Stunden gegangen wäre. Nicht diese hier; jegliches Basiswissen über fortgeschrittene, abendländische Intimität, deren grob- und feinmotorische Abläufe sowie die ganze Bandbreite delektabler Fingerfertigkeiten wurden verworfen für etwas, das man am ehesten vielleicht als intensivierte Form der Anschauung und eskalierte Eigentlichkeit erlebte. Es musste sich darüber hinaus um jemanden handeln, dessen äußere Form nicht stabil blieb, sondern im Zuge eines sich immer weiter verdichtenden gemeinsamen Austauschs mal mehr, mal weniger greifbar wurde, sich jedenfalls nicht mehr als Summe seiner Einzelteile und Gliedmaßen, sondern als amorphes Wärmefeld erspüren ließ, das sich mit meinem ebenso aufgelösten Leib zu einem jenseits jedweder ästhetischen Kategorie liegenden, ebenso beachtlichen wie beglückenden Joint Venture verband. All dies hätte normalen Menschen unmöglich sein müssen, aber möglicherweise hatte ich bisher zu gering von ihnen gedacht.

Neben mir jedoch schien die Wüste wieder zu erwachen und schob schon einmal ihren Arm in meine Richtung. Ihr Schlaf konnte so tief nicht sein, der Kopf auf dem Handrücken, die über Hüfte, Schulter und Achsel aufschwingenden Flanken in einer halb gelassenen, halb gespannten Balance haltend. Nichts, das aus sich heraus reizvoll gewesen wäre, aber warum hielt einen die Ansicht dennoch gefangen? Es gab eigentlich nichts zu sehen. Sie war ganz gut in Form, und das Licht der Nachttischlampe hatte sich ebenso gerne zu ihr gelegt wie ich. Die so rätselhafte wie zwingende Souveränität ihrer ganzen Flügelkonstruktion war Ausdruck einer Sprache, die ich nicht verstand, eine so vielsagende wie hermetische Ansammlung von Zeichen und unbeantwortbaren Fragen aus einem Bereich, der untrüglich, nicht korrumpierbar, durch nichts in Zweifel zu ziehen war. Man hätte ihnen folgen müssen, um mehr zu sehen, aber ich wollte nichts überstürzen. Am oberen rechten Rücken ließ sich ein dunkles Fibrom erkennen, das die Erinnerung an die Vergänglichkeit auch dieser blühenden Strukturen wachhielt, als ästhetischer Makel, der dem Ganzen mehr Tiefe und Eigensinn gab und das Überzeitliche erst recht in Szene setzte. Sie hätte es vermutlich jederzeit entfernen lassen können, hatte es wohl aber für richtiger gehalten, keine Unebenheiten zu beseitigen. Man war ganz davon berauscht; so ein kleiner Tribut an die Hässlichkeit baute jemandem wie mir sofort eine Brücke. Denn es war alles andere als leicht, sich einem solchen Rücken zugehörig zu...
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Emanuel Maeß, geboren 1977 in Jena, studierte Politologie und Literaturwissenschaft in Heidelberg, Wien und Oxford. Sein Debütroman «Gelenke des Lichts» (2019) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet. Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb: «Ein überragender Erstling.» Emanuel Maeß lebt in Berlin.