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Kentucky

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am14.03.20231. Auflage
Kurz vor der US-Wahl 2016 kehrt der junge Owen Callahan zurück ins heimatliche Kentucky und zieht bei seinem Großvater ein. Es ist nur ein Kellerraum, aber Owen will Creative Writing studieren und muss sparen. Um die Studiengebühren erlassen zu bekommen, wird er Hilfskraft in der Gartenbauabteilung der Universität. Am College lernt er Alma kennen. Sie hat schon ein Buch veröffentlicht, ist aus reicher Familie und hat ihren ersten Lehrauftrag. Die beiden werden ein Paar und kommen doch aus unterschiedlichen Welten. Alma amüsiert sich über seinen Akzent, sie selbst hat keinen, dabei ist sie Kriegsflüchtling. Ein Besuch bei seinen Eltern gerät zum Fiasko. Bei ihren läuft es nicht viel besser: Die bosnisch-muslimische Familie ist geradezu rührend amerikanisiert, doch am Ende erzählen die Eltern vom Grauen des Krieges. Da steht Owen und Alma der letzte Vertrauenstest noch bevor: Er gibt ihr seinen Roman zu lesen. Er handelt von zwei Familien, einer aus Kentucky, einer vom Balkan. Alma liest, und im Graubereich zwischen Literatur und Leben kommt es zu einer Explosion ...

Lee Cole ist im ländlichen Westen Kentuckys geboren, wo er auch aufwuchs. 2019 absolvierte er den renommierten Iowa Writer's Workshop. Inzwischen lebt er in Houston, Texas. Kentucky ist sein Debütroman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextKurz vor der US-Wahl 2016 kehrt der junge Owen Callahan zurück ins heimatliche Kentucky und zieht bei seinem Großvater ein. Es ist nur ein Kellerraum, aber Owen will Creative Writing studieren und muss sparen. Um die Studiengebühren erlassen zu bekommen, wird er Hilfskraft in der Gartenbauabteilung der Universität. Am College lernt er Alma kennen. Sie hat schon ein Buch veröffentlicht, ist aus reicher Familie und hat ihren ersten Lehrauftrag. Die beiden werden ein Paar und kommen doch aus unterschiedlichen Welten. Alma amüsiert sich über seinen Akzent, sie selbst hat keinen, dabei ist sie Kriegsflüchtling. Ein Besuch bei seinen Eltern gerät zum Fiasko. Bei ihren läuft es nicht viel besser: Die bosnisch-muslimische Familie ist geradezu rührend amerikanisiert, doch am Ende erzählen die Eltern vom Grauen des Krieges. Da steht Owen und Alma der letzte Vertrauenstest noch bevor: Er gibt ihr seinen Roman zu lesen. Er handelt von zwei Familien, einer aus Kentucky, einer vom Balkan. Alma liest, und im Graubereich zwischen Literatur und Leben kommt es zu einer Explosion ...

Lee Cole ist im ländlichen Westen Kentuckys geboren, wo er auch aufwuchs. 2019 absolvierte er den renommierten Iowa Writer's Workshop. Inzwischen lebt er in Houston, Texas. Kentucky ist sein Debütroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644011649
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3456 Kbytes
Artikel-Nr.9996056
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erster Teil

Seit ich denken kann, stecke ich in derselben Zwickmühle. Wenn ich zu Hause in Kentucky bin, will ich schnellstmöglich weg. Bin ich woanders, plagt mich Heimweh nach einem Ort, den es nie gab.

Das habe ich Alma an dem Abend erzählt, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.

Ein Masterstudent schmiss eine Party, und wir waren beide dort. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir miteinander sprachen oder wie die Unterhaltung angefangen hatte, aber jedenfalls hatte ich bemerkt, dass sie mich immer wieder ansah. Darum bin ich zu ihr rübergegangen. Sie hatte mich beäugt, als könnte ich ihr jeden Augenblick irgendetwas stehlen.

Wie meinst du das, einen Ort, den es nie gab?, fragte sie.

Rings um uns unterhielten sich Leute in Zweier- und Dreiergrüppchen. Das Haus stand irgendwo in der Pampa und war so eingerichtet, wie man es von einem Masterstudenten erwarten würde - mit einem übersteigerten Sinn für Ironie und Gestaltung, aber ohne Geld. Plakate von ausländischen Filmen. Eine Geweihlampe mit Schirm aus Hirschleder. Lichterketten in Form kleiner Chilischoten. Alma und ich standen im rosa Licht einer Wurlitzer-Jukebox. In der Rechten hielt sie einen Plastikbecher und eine unangezündete Zigarette. Ihr langer Jeansrock war so einer, wie ich ihn sonst nur von Pfingstkirchlern kannte. Neben dem Wurlitzer stand ein lebensgroßer Pappaufsteller von Walt Whitman, Hut in der Hand, Faust an der Hüfte. Den sah ich immer wieder aus dem Augenwinkel und dachte, da steht doch einer und belauscht uns.

Ich weiß auch nicht, was das heißen soll, sagte ich. Ich glaub, ich bin ein bisschen betrunken.

Sag bloß, feixte sie, nippte an ihrem Bier und schob sich den Träger ihres BHs wieder auf die Schulter. Dann ließ sie den Blick einen Moment durchs Zimmer wandern und wippte mit dem Kopf sacht zur Musik, die nicht aus der Jukebox kam, sondern aus einer anderen, unsichtbaren Quelle. Die Leute tanzten selbstdarstellerisch. Alma betrachtete sie flüchtig, dann wandte sie sich mir wieder zu und schüttelte ihr Haar. Es war struwwelig, kurz und zu einer Art Bob geschnitten. Die Sorte dunkles Haar, das im richtigen Licht aussieht wie rot - im Schein des Wurlitzers, zum Beispiel.

Also i-iich bin ja aus Virginia-aaa, sagte sie mit gespieltem Akzent.

Und schnürt es dir manchmal die Kehle zu, wenn du daran denkst? Fängst du an zu schwitzen und zu hyperventilieren, und mit einem Mal packt dich unbändige Angst, dass du, wenn du nach Hause fährst, für immer dort gefangen bist?

Offenbar fand sie die Frage lustig. Nein, antwortete sie grinsend.

Mich auch nicht, sagte ich.

Da musste sie lachen. Genau genommen bin ich in DC aufgewachsen, klärte sie mich auf. Also nicht im echten Virginia. In Kentucky war ich vorher noch nie.

Nur zu Besuch, hm?

So ähnlich. Hab´s mir aber irgendwie anders vorgestellt.

Dachtest du, wir spielen hier alle den ganzen Tag Banjo und binden uns die Hosen mit Stricken zu?

Wieder lachte sie. Nein, ich dachte bloß, es wäre ... Ich weiß auch nicht. Sie kaute auf ihrer Lippe herum, blickte an die Decke, suchte nach dem treffenden Begriff.

Trashiger?

Na ja, so drastisch hätte ich´s nicht formuliert.

Trashig gibt´s hier schon auch, du musst nur wissen wo. Zum Beispiel da, wo ich herkomme.

Aha, und wo wäre das?

In Melber, sagte ich, aber da gibt´s kaum mehr zu sehen als ein Stoppschild und ein Postamt.

Und dieses Melber ist ... strukturschwach?

Eine Erinnerung blitzte in mir auf: Als ich klein war, wurde in Melber jedes Jahr zu Halloween ein runder Heuballen in Kerosin getränkt, angezündet und die Hauptstraße hinabgestoßen. Die Leute sahen vom Straßenrand aus zu, wie der Ballen vorbeitaumelte, wie die Funken in den Himmel stoben und glimmendes Heu sich über den Asphalt verteilte. Niemand hat mir je erklärt, woher dieses Spektakel kam oder wozu es gut sein sollte, mal abgesehen von Entertainment und schrulliger Tradition. Ich musste an die schweren Hände meines Vaters auf meinen Schultern denken, an die Hitze der Flammen auf meinen Wangen, daran, wie sich ihr Flackern in den vielen Augen spiegelte. Insofern ja: Eine Stadt ohne Kino oder Einkaufszentrum, in der ein brennender Heuballen als Unterhaltung durchging, konnte man vermutlich schon strukturschwach nennen.

Meistens sage ich, ich käme aus Paducah, verriet ich ihr. Die nächste größere Stadt, wenn man so will. Da gibt´s T-Shirts, auf denen steht: «Paducah, Kentucky: Halfway between Possum Trot and Monkey´s Eyebrow», und darunter prangt ein Bild von einem Affen und einem Opossum, die an ihren Schwänzen von den Bäumen baumeln und die Hände nacheinander ausstrecken, so à la Sixtinische Kapelle.

Wie jetzt, wieso liegt die Stadt denn zwischen ´nem Affen und ´nem Opossum?

Das sind einfach Ortsnamen. Possum Trot und Monkey´s Eyebrow.

Ist nicht wahr.

Doch.

Stark.

So kann man´s auch ausdrücken, ja.

Na ja, sagte sie, jetzt bist du da ja weg. Sie prostete mir zu. Da ich grade nichts zu trinken in der Hand hatte, fistbumpte ich ihren Becher. Sie stand dichter bei mir als nötig, dachte ich - so dicht, dass ich den Flaum auf ihrer Oberlippe sah und die Wärme ihres Körpers, ihres Atems spürte. Ich konnte nicht sagen, was genau an ihr mich anzog. Vielleicht ein stummes Einverständnis, egal ob wirklich vorhanden oder eingebildet, dass wir aus demselben Holz geschnitzt waren. Aber vielleicht war das auch ganz egal. Solchen Dingen tat strenge Prüfung sowieso nie gut. Sie war eine hübsche Frau auf einer Party, die sich offenbar gern mit mir unterhielt und deren Nähe ich genoss. Besser, ich nahm das einfach so hin.

Wahrscheinlich würde ich Virginia auch anders sehen, wenn ich dort geboren wäre, stellte sie fest.

Wo bist du denn geboren?

Sie musterte mich kurz, als wollte sie ergründen, ob mich die Antwort ehrlich interessierte. In einem Land, das es nicht mehr gibt, sagte sie dann.

Soll das ein Rätsel sein?

Sie runzelte ganz leicht die Stirn. Nein, sagte sie, kein Rätsel. Sie nahm einen Schluck Bier. Ihr ständiges Gekaue am Becherrand hatte Zahnabdrücke daran hinterlassen.

Was ist denn passiert mit dem Land?

Na, ich hoffe, du findest irgendwann den passenden Ort für dich, sagte sie. Meine Frage hatte sie offenbar gar nicht gehört. Vielleicht erkennst du ihn ja, wenn du dich dort vom ersten Moment an zu Hause fühlst. Dann legte sie mir die Hand auf den Arm und sagte, ich geh mal raus auf die Terrasse, eine rauchen, hat mich gefreut.

Ich verriet ihr meinen Namen, und sie verriet mir ihren - Alma, sagte sie. Ihr die Hand zu geben, war, wie einen Brief einzuwerfen, ohne zu wissen, ob man je eine Antwort darauf erhalten wird: Man schiebt ihn durch den Schlitz, klappt den Deckel wieder zu und steht mit leeren Händen da. Bevor sie ging, erkundigte sie sich noch kurz, was ich machte - ob ich studierte oder Hilfskraft sei oder so. Ich schreibe, sagte ich, aber vielleicht lallte ich bereits zu sehr. Sie sah mich jedenfalls an, als hätte ich mich nur versprochen.

 

Irgendwer brachte mich heim. Ich erinnere mich an einen Pick-up mit aufgesprühten Adlern an den Türen, gespreizte Schwingen vor flatternden Stars and Stripes. Ein erhabener Anblick; ich stand lange wie hypnotisiert davor in der Einfahrt. Jemand hing vor dem Haus rum und listete sturzbetrunken all die Städte auf, die in fünfzig Jahren unter Wasser lägen. Houston, Dhaka, Miami, Mumbai. Er zählte sie an den Fingern ab. Alexandria, Rio, Atlantic City, New Orleans.

Schließlich tauchte der Fahrer des Airbrush-Trucks auf und meinte, ich solle einsteigen. Ich hatte ihn zwar vorher schon auf der Party gesehen, mich aber nicht mit ihm unterhalten. Jedes Mal, wenn ich mir aus der Küche ein neues Bier geholt hatte, hatte er an dem avocadofarbenen Kühlschrank gelehnt und über den Dichter John Ashbery referiert.

Ich lass mal die Scheibe runter, falls du kotzen musst, sagte er, und ich saß auf dem Beifahrersitz, während der Fahrtwind mir die Augen austrocknete und die Straße vor uns durchs Licht der hohen Scheinwerfer floss. Ob´s mich stören würde, wenn er eine rauche, wollte er wissen, und ich sagte: Quatsch, so als wären wir alte Freunde und die Frage geradezu beleidigend. Kann ich vielleicht auch eine haben?, fragte ich.

Ist meine letzte, antwortete er, gefolgt von einer langen Pause. Aber wir können teilen, wenn du willst.

Ist okay, sagte ich, und obwohl ich damit meinte, er solle sie ruhig allein rauchen, reichte er mir die brennende Zigarette. Er trug ein Shirt von PBS, dem öffentlichen Radiosender, und auf dem Kopf eine alte, rote Beaniemütze. Wem gehört denn der Truck?, fragte ich, weil mir plötzlich klar wurde, dass es garantiert nicht seiner war.

Meinem großen Bruder.

Ich nahm einen Zug und gab ihm die Kippe zurück. Cool, sagte ich, warum auch immer. In Wahrheit hatte ich keine Meinung dazu.

Der Wald öffnete sich auf weites Weideland, lange Reihen Heu im Mondlicht. Am Waldrand stand ein Schindelhaus mit Scheune, hinter einem erleuchteten Fenster umarmten sich ein Mann und eine Frau. Offenbar standen sie in der Küche. Auf dem Tisch waren Teller. Vielleicht hatten die beiden eben erst gegessen, auch wenn es schon sehr...
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Autor

Lee Cole ist im ländlichen Westen Kentuckys geboren, wo er auch aufwuchs. 2019 absolvierte er den renommierten Iowa Writer's Workshop. Inzwischen lebt er in Houston, Texas. Kentucky ist sein Debütroman.Jan Schönherr lebt in München und hat Autoren wie Charles Bukowski, Roald Dahl und Francis Spufford übersetzt. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur und dem Förderpreis zum Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW 2019.