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Avalon

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am16.05.20231. Auflage
«Eine besondere Liebesgeschichte, ein besonderer Blick auf die amerikanische Klassengesellschaft und auf die Suche nach dem persönlichen Glück.» Hessischer Rundfunk Bran Thomas hat schon früh gelernt, was Verlust bedeutet. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, ihre Mutter starb, nachdem sie die Tochter früh bei Verwandten zurückgelassen hat, um tibetische Nonne zu werden. Für ihre Stieffamilie, die eine Gärtnerei betreibt und allerhand krummen Geschäften nachgeht, ist Bran eine billige Arbeitskraft, aber sie ist klug und schafft die Highschool - nur fehlt ihr eine Perspektive.  Sie lebt in ihrem klapprigen Auto und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, als sie Peter kennenlernt, einen gutaussehenden intellektuellen Überflieger von der Ostku?ste, der pausenlos Kapitalismuskritik absondert. Bran verliebt sich unsterblich. Während die beiden eine so stu?rmische wie krisenhafte Fernbeziehung beginnen, stellt Bran ihre katastrophale Existenz immer mehr infrage. Sie weiß, wie man u?berlebt, aber sie weiß auch: um glu?cklich zu sein, ist u?berleben nicht genug. «Nell Zink ist eine erstaunliche Entdeckung.» Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, wuchs im ländlichen Virginia auf. Sie studierte am College of William and Mary Philosophie und wurde in Medienwissenschaft an der Universität Tübingen promoviert. Mit ihrem 2019 erschienenen Roman Virginia war sie für den National Book Award nominiert. Sie lebt in Bad Belzig, südlich von Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

Klappentext«Eine besondere Liebesgeschichte, ein besonderer Blick auf die amerikanische Klassengesellschaft und auf die Suche nach dem persönlichen Glück.» Hessischer Rundfunk Bran Thomas hat schon früh gelernt, was Verlust bedeutet. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, ihre Mutter starb, nachdem sie die Tochter früh bei Verwandten zurückgelassen hat, um tibetische Nonne zu werden. Für ihre Stieffamilie, die eine Gärtnerei betreibt und allerhand krummen Geschäften nachgeht, ist Bran eine billige Arbeitskraft, aber sie ist klug und schafft die Highschool - nur fehlt ihr eine Perspektive.  Sie lebt in ihrem klapprigen Auto und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, als sie Peter kennenlernt, einen gutaussehenden intellektuellen Überflieger von der Ostku?ste, der pausenlos Kapitalismuskritik absondert. Bran verliebt sich unsterblich. Während die beiden eine so stu?rmische wie krisenhafte Fernbeziehung beginnen, stellt Bran ihre katastrophale Existenz immer mehr infrage. Sie weiß, wie man u?berlebt, aber sie weiß auch: um glu?cklich zu sein, ist u?berleben nicht genug. «Nell Zink ist eine erstaunliche Entdeckung.» Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, wuchs im ländlichen Virginia auf. Sie studierte am College of William and Mary Philosophie und wurde in Medienwissenschaft an der Universität Tübingen promoviert. Mit ihrem 2019 erschienenen Roman Virginia war sie für den National Book Award nominiert. Sie lebt in Bad Belzig, südlich von Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644014077
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum16.05.2023
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3222 Kbytes
Artikel-Nr.9996073
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

KAPITEL EINS

Ich lag auf meinem Rucksack und wollte nicht wahrhaben, dass mein Arm gebrochen war. Der Mond hatte mich glauben lassen, es sei hell genug, einen Berg hinunterzuhüpfen. Die Wasserfallwiese, die Seidenpapierblätter, die Eisbergwolken und Diamantfelsen, der Mond ein Teich voll toter Frösche: Beim Blick von der Eingangstreppe hatte ich die Welt in Weißtönen gesehen. Aber sie war schwarz, ein weicher Mix aus haarfeinem Gras und krümeliger Erde, der mich zwischen dem Schmelzkern der Welt und dem All balancierte, während ich die Finger tastend über meinen Arm gleiten ließ.

Ich setzte mich auf. Ein schmieriger Streifen Mondlicht führte zur Insel Avalon. Aber da war keine Insel, und mein Arm war in Ordnung. Je länger ich ihn betastete, umso heiler fühlte er sich an.

Es war eine warme Nacht. Ich nahm den Rucksack ab und schaute, auf die Hände gestützt, hinauf und hinaus zum aufgerissenen, mit Flugzeugen übersäten Firmament. Der Wind nahm zu, und langes Gras kitzelte mich im Gesicht. Ich fragte mich, ob mein Wagen anspringen würde. Ich hörte einen großen Hund schnuppern und Peters Stimme sagen: «Halt, mach langsam, Rabelais!»

Er kam näher. Er hatte mir noch etwas zu sagen.

Ungefähr drei Meter hinter mir blieb er stehen. Das Gescharre sagte mir, dass er den Hund am Halsband festhielt. Er wartete, aber ich konnte ihn nicht ansehen.

Leise sagte er: «Weißt du was? Sie hat zuerst angerufen und mich zum Teufel geschickt.» Pause. «Was für ein Scheiß-Desaster. Ich weiß nicht, wer es ihr gesteckt hat, aber jetzt trennt uns nichts mehr ...» Pause. «Nichts mehr außer diesem verdammten Köter.»

Die Sterne zerflossen in unbeschreiblichem Glück. Warum nur? War das irgendwie moralisch zu rechtfertigen?

 

«Avalon» heißt «Ort mit Äpfeln», diesem gesunden Zeug, das auf Bäumen wächst. Wenn du Äpfel richtig behandelst, bleiben sie das ganze Jahr frisch. Deshalb heißt das Wort Paradies «Garten», und deshalb wurde Artus nach Avalon gebracht, um seine Wunden zu heilen.

Am Ostersonntag 2005, als ich in der vierten Klasse war, brachten meine Mutter und mein nichtehelicher Stiefvater mich und meinen nichtehelichen Stiefbruder dorthin. Die Personenfähre fuhr in Long Beach, Kalifornien, ab, südlich von L.A. Wer auch immer das Touristenfallen-Kaff auf Santa Catalina Island «Avalon» getauft hatte, hoffte wohl, von König Artus´ Marktwirksamkeit zu profitieren und weitere mythische westliche Inselparadiese wie Tír na nÓg, Emain Ablach und Atlantis gleich mit heraufzubeschwören. «In Avalon lebt Artus», rief meine Mutter, als sie darauf deutete, und fügte hinzu: «Es gibt ihn nicht in echt.» In ihrer eigenen Welt gab es einen echten König, den Dalai Lama. Das Schiff pflügte durch die flache Dünung, so stetig wie ein Zug. Gequälte Möwen quälten meine Ohren mit Schreien der Qual und verlangten nach Fritten, die ich nicht hatte und ihnen auch nicht hätte geben wollen. Teilnahmslos glotzende fliegende Fische sprachen ihren stummen Gruß - offenkundig magische Wesen, die steif und papieren am Schiff vorbeisegelten, Artus´ schuppige Herolde.

In Avalon fuhren wir mit einem Glasbodenboot und sahen frei lebende Goldfische. Dann aßen wir an einem Imbissstand Burger. Ich durchlief gerade eine Phase, wo ich nur den Bratling ohne was drauf wollte, deshalb verputzte Axel mein Brötchen. Auf Catalina gibt es auch Bisons und Antilopen, aber wir gelangten nicht über den Hafen hinaus.

Nicht lange nach diesem Ausflug zog meine Mutter in ein tibetisch-buddhistisches Kloster und ließ mich mit ihrem Freund und dessen Familie allein. Ich habe noch die Bücher, die sie dagelassen hat: Der König auf Camelot, Flammender Kristall, Taran und das Zauberschwert. Einen Stapel Tolkiens ließ sie auch da, aber die hat Doug verkauft.

 

Ich habe Probleme, meine Kindheit in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Sie taucht nur in Fragmenten auf, wie ein entkernter und segmentierter Apfel. Setz ihn wieder zusammen, und das Innere verschwindet. Meine erste eigene Erinnerung ist, wie weich sich der Staub auf der Unterseite einer langen rechteckigen, zentimeterdicken Stahlplatte anfühlte - eine, wie sie verwendet werden, um beim Straßenbau Löcher abzudecken, etwa eins zwanzig lang und mit zwei Bohrungen drin, damit ein Kran sie anheben kann -, die auf der Bourdon Farm gegen die Schlackenbetonwand eines Düngemittelschuppens lehnte. Die seltsame Stille dahinter, das schräg einfallende Licht, der scharfe Geruch. Unter meiner gelblich pinken rechten Hand das von Spritzwasser oder Regen unberührte Zement- und Rostgesprengsel. Ich weiß, ich war fast noch ein Baby, weil die Stahlplatte noch heute dort steht und der Raum darunter winzig ist. Spielte ich da, versteckte ich mich, oder beides? Keine Ahnung. Das meiste, was ich weiß, stammt aus zweiter Hand.

 

Die Hendersons aus Torrance, Kalifornien, gehen einem über Generationen geführten Gewerbe nach. Ihr Haus, wie auch ihr Hof, sind mit Clan-Memorabilien gefüllt. Ein historischer Gefrierschrank samt erhaltener Tür birgt einen Baseballschläger, verziert mit aztekischen Tempelszenen, die in einer Kombination von Holzbrenntechnik und Emaillierung aufgebracht sind. Ein flacher, ausgetrockneter Brunnen birgt einen zerbrochenen Schaukelstuhl mit handbestickter Sitzfläche. Doug hat ihn mal nach einem Regenguss als Schlitten für eine Schlammfahrt benutzt. Für einen Versuch hat es gereicht, so erzählte er mir, danach warf er ihn in den Brunnen. In meiner Kindheit blätterte ich in den spröden schwarzen Seiten grüner Fotoalben und erkannte unsere vordere Veranda hinter einem weißhaarigen Mann am Lenkrad eines glänzenden 1920er Ford T. Der längst ausrangierte Wagen stank nach Hühnerscheiße. Zu meinen Lebzeiten hatte es dort keine Hühner gegeben.

Das Grundstück erstreckt sich über gut zweieinhalb Hektar unter der Starkstromleitung, die von La Fresa nach Redondo Beach hinunterführt. Es reicht von Straße über Schlucht zu Straße, die Umzäumung wird von der Elektrizitätsgesellschaft gepflegt, und drum herum führt eine Crossstrecke, auf der Grandpa Larry früher mit seinen besten Biker-Saufkumpanen Rennen fuhr. Das Gewerbe ist eine auf Exotenimporte und Formschnitt spezialisierte Baumschule. 1978 limitierte die California Proposition 13 die Grundsteuer auf ein Prozent der Wertfestsetzung von 1976. Umzüge sowie An- und Neubauten zogen finanziell einschneidende Neubewertungen nach sich. Um ihre Bemühungen um Werterhaltung zur Schau zu stellen, während sie fünfzig Jahre lang in denselben bescheidenen Häusern lebten, verlegten sich die Reichen aufs Gärtnern, und da kam die Bourdon Farm ins Spiel.

Ob in diesen Schiffscontainern mit Zielhafen Long Beach jemals etwas anderes als tropische Pflanzen eintrifft und ob die motorradfahrenden Freunde der Hendersons mit dessen Verteilung irgendwas zu tun haben, weiß ich nicht. Ich bin nie als Familienmitglied betrachtet worden, es sei denn, sie wollten was von mir.

Wie bei vielen Familienbetrieben ist der Schlüssel zur Rentabilität dieses Geschäfts unbezahlte Arbeit von Frauen, Kindern und unlängst Geflüchteten, die einen Schlafplatz brauchen. Bestenfalls grauer Markt, wahrscheinlicher Schwarzmarkt. Aber Steuerfahnder legen sich nicht mit den Hendersons an. Dazu bräuchte es schon das FBI, und es würde Jahre dauern. Eine schlichte Durchsuchung brächte nichts zutage. Da führt keiner Buch oder bringt Geld auf die Bank. Sie würden sich bei den Bundespolizisten für ihre Unwissenheit entschuldigen (Bundesautorität lehnen sie prinzipiell ab) und sie an ihren imaginären, leider abwesenden Arbeitgeber Mr Bourdon verweisen.

Das Grundstück steht in Kaliforniens Liegenschaftsinventar. So viel weiß ich. Mithilfe des Internets an meiner Highschool habe ich herausgefunden, dass es dem Staat gehört. Ich habe Doug danach gefragt. Er erzählte mir, dass Ur-Ur-Grandpa Allans Ranch sich kilometerweit bis hin zur Madrona-Marsch erstreckte, wo er sein Vieh tränkte. Der Staat enteignete ihn, um die Stadt Torrance zu bauen, und entschädigte die Erben mit einer unbegrenzten Ausnahmeregel für jederlei zukünftig geltendes Recht. «Deshalb hissen wir hier die Fahne der Republik Kalifornien», erklärte er mit Hinweis auf die Staatsflagge samt Grizzlybär und rotem Stern. «Dies ist der einzige Ort, wo ein Mann noch ein aufrechtes Leben führen kann.»

Das Haus ist die Appalachen-Billigversion eines Cape-Cod-Hauses mit Kunststofffassade und Blechdach, und es hockt auf Ziegelpfeilern über einem flachen Kriechboden. Mit Ausnahme des Fernsehers, der stets State of the Art ist, besteht die Einrichtung aus einer immer gleichen Kollektion von heruntergekommenen Uraltmöbeln, die das Problem vergrößern, Erinnerungen Zeitfenstern zuzuordnen, ohne meine Körpergröße als Referenzmaß nehmen zu können.

Grandpa Larry bewohnte das Elternschlafzimmer. Im Alter von drei Jahren wechselte ich von einem mit Mom und Doug geteilten Zimmer in ein mit Axel geteiltes. Mit sechs übernahm ich den unbeheizten, nach Mäusen stinkenden Anbau vor dem, was einst die Hintertür gewesen war. Den hatte man dort hingesetzt, bevor die Kunststofffassade draufgekommen war, deshalb bestanden meine Wände aus Fichtenholz, und ich konnte aus Zeitschriften ausgeschnittene Bilder mit Heftzwecken anbringen. Er hatte zwei Türen und ein winziges Fenster, das nicht zu öffnen war.

 

Die Biker unterhielten auf dem Grundstück ein Clubhaus, über dem Tag und Nacht der kalifornische Bär und eine schwarze POW/MIA-Flagge zum Gedenken an...
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Autor

Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, wuchs im ländlichen Virginia auf. Sie studierte am College of William and Mary Philosophie und wurde in Medienwissenschaft an der Universität Tübingen promoviert. Mit ihrem 2019 erschienenen Roman Virginia war sie für den National Book Award nominiert. Sie lebt in Bad Belzig, südlich von Berlin.Thomas Überhoff studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und arbeitete lange als Lektor und Programmleiter Belletristik beim Rowohlt Verlag. Er übersetzte unter anderem Sheila Heti, Nell Zink, Jack Kerouac und Denis Johnson.