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Perlenbach

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am27.07.2023Auflage
Der Traum vom selbstbestimmten Leben: als das Wünschen nicht geholfen hat Monschau, Ende des 19. Jahrhunderts: In der Tuchmacherstadt kreuzen sich die Wege von Wilhelm, Jacob und Luise, die schon als Kinder der gemeinsame Wunsch verbindet, den strengen Normen und Regeln ihrer Zeit zu entfliehen. Luise will Ärztin werden, Jacob träumt von einem ungebundenen Leben fernab der Fabrik seines Vaters, und der Bauernsohn Wilhelm will der Enge und Armut seines Heimatdorfes Wollseifen entfliehen. Zunächst scheint alles möglich, doch im ausgehenden Jahrhundert ist nur wenig Raum für individuelle Lebensentwürfe, vor allem wenn Liebe im Spiel ist. Auf einmal ist die Freundschaft der drei in Gefahr, und nicht nur Wilhelms Weg nimmt eine völlig andere Richtung als gewünscht ... Anna-Maria Caspari beschreibt in ihrem zweiten Eifelroman einfühlsam die Lebenswege dreier Menschen, die versuchen, den Zwängen in der Gründerzeit zu entfliehen.

Anna-Maria Caspari, geboren 1955 in Köln, lebt als Literatur-Übersetzerin und Autorin am Rand des Nationalparks Eifel. Die Geschichte des Dorfes Wollseifen, dem seine Nähe zu Vogelsang, einer Ordensburg der Nationalsozialisten, zum Verhängnis wurde, inspirierte sie zu dem Roman Ginsterhöhe.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextDer Traum vom selbstbestimmten Leben: als das Wünschen nicht geholfen hat Monschau, Ende des 19. Jahrhunderts: In der Tuchmacherstadt kreuzen sich die Wege von Wilhelm, Jacob und Luise, die schon als Kinder der gemeinsame Wunsch verbindet, den strengen Normen und Regeln ihrer Zeit zu entfliehen. Luise will Ärztin werden, Jacob träumt von einem ungebundenen Leben fernab der Fabrik seines Vaters, und der Bauernsohn Wilhelm will der Enge und Armut seines Heimatdorfes Wollseifen entfliehen. Zunächst scheint alles möglich, doch im ausgehenden Jahrhundert ist nur wenig Raum für individuelle Lebensentwürfe, vor allem wenn Liebe im Spiel ist. Auf einmal ist die Freundschaft der drei in Gefahr, und nicht nur Wilhelms Weg nimmt eine völlig andere Richtung als gewünscht ... Anna-Maria Caspari beschreibt in ihrem zweiten Eifelroman einfühlsam die Lebenswege dreier Menschen, die versuchen, den Zwängen in der Gründerzeit zu entfliehen.

Anna-Maria Caspari, geboren 1955 in Köln, lebt als Literatur-Übersetzerin und Autorin am Rand des Nationalparks Eifel. Die Geschichte des Dorfes Wollseifen, dem seine Nähe zu Vogelsang, einer Ordensburg der Nationalsozialisten, zum Verhängnis wurde, inspirierte sie zu dem Roman Ginsterhöhe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843729482
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum27.07.2023
AuflageAuflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3285 Kbytes
Artikel-Nr.9998667
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Wollseifen/Montjoie, Winter 1867

Sein Leben wurde auf den Kopf gestellt, doch das wusste Wilhelm Lintermann nicht, als er am 15. Dezember 1867, einem Sonntag, zum ersten Mal die Reise von Wollseifen nach Montjoie antrat. Es hätte den Bauernjungen, der vor ein paar Tagen neun Jahre alt geworden war - ohne es zu bemerken, da Geburtstage bei ihm zu Hause nicht weiter beachtet, geschweige denn gefeiert wurden -, allerdings auch nicht interessiert, dazu waren die Eindrücke dieser Fahrt viel zu überwältigend. Bisher war er noch nie über die Grenzen seines Heimatdorfes hinausgekommen, ja, er hatte nicht einmal gewusst, dass es einen Ort namens Montjoie gab, und noch viel weniger konnte er sich darunter etwas vorstellen. Aber er war ein aufgeweckter, wissbegieriger Junge, und schon die Fahrt in der von zwei Schimmeln gezogenen Kutsche war für ihn ein unerhörtes Abenteuer. Staunend saß er auf seinem Platz, ein wenig verlegen in Jacke und Hose, die schon seine Brüder vor ihm abgetragen hatten. Ihm waren die Sachen noch zu groß, deshalb hatte er die Hose in der Taille mit einer Kordel festgezurrt, damit sie ihm nicht herunterrutschte. An den Füßen trug er Holzpantinen, Lederschuhe besaß er nicht.

Er nahm das Neue um sich herum mit allen Sinnen auf. Und alles war neu: die hügelige Landschaft, die vorüberzog und die der ungewöhnlich milde, regnerische Dezember in ein graues, trübes Licht tauchte; die fremden Dörfer, durch die sie fuhren. Die Gerüche, die ihn umgaben, kitzelten ihn in der Nase. Das weiche Leder der Sitze in der Kutsche. Das Rasierwasser von Herrn Becker. Auf dem Hof in Wollseifen roch es anders. Und Rasierwasser benutzte dort niemand. Sogar die Geräusche kamen ihm ungewohnt vor. Das Schnauben der Pferde, das Rumpeln der Kutsche, alles klang neu in seinen Ohren. Und verheißungsvoll.

Eng in seine Ecke gedrückt, schaute Wilhelm aus dem Fenster und hing seinen Gedanken nach. Was hätte er mit Herrn Becker auch reden sollen? Zu Beginn der Fahrt hatte der Mann zu ihm gesagt: »Jacob wäre gerne mitgekommen, um dich abzuholen, aber er ist Messdiener und musste in die Kirche. Du siehst ihn dann ja, wenn wir da sind.«

Wilhelm hatte nur stumm genickt. Er würde die nächsten Monate in Montjoie im Haus des Tuchfabrikanten Carl Theodor Becker wohnen, weil er seinem Sohn Gesellschaft leisten sollte, so viel wusste er. Und wie es zustande gekommen war, dass er jetzt in der Kutsche saß und mit Herrn Becker nach Montjoie fuhr, daran erinnerte er sich noch gut.

Solange er denken konnte, kam Herr Becker jedes Jahr im Frühsommer, wenn die Schafe geschoren worden waren, nach Wollseifen, um von seinem Vater, dem ein Teil der Dorfherde von Fuchsschafen gehörte, Wolle zu kaufen. Die Schafschur war immer ein großes Ereignis. Die Schafe wurden zusammengetrieben, und da sie fast den ganzen Winter über draußen gewesen waren, waren sie so schmutzig, dass sie erst einmal im Bach gewaschen werden mussten, damit zumindest der gröbste Schmutz aus der Wolle gespült wurde. Dazu musste der Bach ein wenig angestaut werden, und alle halfen mit, um die Tiere nach und nach ins Wasser zu schicken. Danach begannen die Scherer mit der Arbeit. Wilhelm sah ihnen gerne zu. Er staunte jedes Mal darüber, wie geschickt sie die großen Scheren benutzten, um den Tieren das dicke Vlies möglichst im Ganzen und unbeschädigt abzutrennen. Das erzielte einen besseren Preis. Bald schon lagen die Felle auf einem Haufen auf dem Dorfplatz. Sein ältester Bruder Ernst, der schon erwachsen war und einmal den Hof übernehmen würde, hatte ihm erzählt, dass die Wolle von ihren Schafen besonders gut für Herrn Beckers Tuchherstellung geeignet sei, weil sie sich so gut färben lasse. Wilhelm hatte nicht viel mit dieser Bemerkung anfangen können, aber als er nachgefragt hatte, hatte Ernst nur gesagt: »Frag nicht so viel. Mehr weiß ich auch nicht.« So war das immer. Kinder hatten nichts zu fragen. Und obwohl er manches gerne gewusst hätte, behielt Wilhelm deshalb meistens seine Fragen für sich.

Eines Frühjahrs war Herr Becker wie immer im Juni nach Wollseifen gekommen, aber dieses Mal hatte er seinen Sohn Jacob mitgebracht. Wilhelm hatte ihn auf dem Hof stehen sehen, einen schmächtigen Jungen mit schönen blonden Locken, fast wie ein Mädchen, etwa so alt wie er. Ein Arm war kürzer und dünner als der andere, und die Hand daran war klein und seltsam verkrümmt, wie eine Vogelklaue. Wilhelm empfand Mitleid mit ihm, wie er so allein und verloren dastand und sich ratlos umschaute, und ohne dass es ihm einer aufgetragen hätte, sprach er ihn an und führte ihn ein bisschen herum, um ihm das Dorf und die Umgebung zu zeigen. Zu Wilhelms Aufgaben auf dem elterlichen Hof gehörte es unter anderem, den Ochsen zu führen, der vor den Pflug gespannt wurde, und die beiden Schweine zu füttern oder sie zu hüten, wenn sie in die Eicheln getrieben wurden. Diese Arbeiten erklärte er Jacob, und obwohl er die Schweine für den Tag schon versorgt hatte, ließ er ihn einfach noch einmal mitmachen, auch wenn der Junge sich dabei nicht sonderlich gut anstellte und eher ein bisschen Angst vor den großen Tieren zu haben schien. Dafür aber zeigte er sich äußerst gewandt mit dem Spielzeug, das Wilhelm in seiner freien Zeit für die kleinen Schwestern angefertigt hatte. Er baute sogar ganz alleine ein kleines Haus aus Rinde für die Püppchen aus Kastanien, Zapfen und Stöckchen. Das fand Wilhelm vor allem deshalb so erstaunlich, weil der Stadtjunge mit der verkrüppelten kleinen Hand wirklich sehr geschickt umging.

Auf jeden Fall fasste er anscheinend Zutrauen zu Wilhelm, und als ein paar Stunden später Herr Becker genug Wolle eingekauft hatte und seinen Sohn wieder mitnahm, verabschiedete sich Jacob herzlich von Wilhelm und meinte, es habe ihm sehr gut gefallen auf dem Hof in Wollseifen und er würde ihn gerne noch einmal besuchen.

Und tatsächlich war er im Jahr darauf, als Herr Becker im Juni wegen der Schafwolle nach Wollseifen kam, erneut dabei. Wieder nahm Wilhelm den Jungen überallhin mit, er zeigte ihm sogar, wie man eine Kuh melkte. Aber als Jacob es dann versuchte, wischte ihm die Kuh mit ihrem schmutzigen Schwanz nur einmal durchs Gesicht, und da hatte er keine Lust mehr. Danach hatte Wilhelm den Besuch beinahe schon wieder vergessen, als ein paar Wochen später, um Erntedank herum, Herr Becker auf einmal wieder da war, dieses Mal jedoch ohne Jacob. Allerdings wollte er keine Wolle kaufen, sondern nur mit Wilhelms Vater reden. Der Vater erwähnte das Gespräch Wilhelm gegenüber mit keinem Wort, aber von der Mutter erfuhr er, dass Herr Becker ihn, Wilhelm, wohl über die Wintermonate mitnehmen wollte nach Montjoie, in sein feines Haus, damit er seinem Sohn Jacob dort Gesellschaft leistete.

Zunächst kam Wilhelm der Gedanke, allein, ohne seine Familie so weit wegzufahren, eher unwirklich vor, aber als seine beiden großen Brüder anfingen, ihn damit aufzuziehen, dass er wohl nicht mehr mit ihnen reden würde, wenn er in der Stadt in einem so reichen Haushalt gelebt hätte, begann er, sich damit auseinanderzusetzen.

Wie mochte es sein, bei reichen Leuten zu leben? So wie bei der Familie von Hahn, die auf dem großen Gut am Dorfrand wohnte? Doch davon wusste er auch nur vom Hörensagen, schließlich war er noch nie in der Hofanlage gewesen und schon gar nicht in dem prächtigen zweigeschossigen Herrenhaus aus Stein, neben dem sein Elternhaus wie eine windschiefe, geduckte Hütte wirkte, mit ihrem Fachwerk und dem strohgedeckten Dach. Er wusste, dass letztes Jahr dort ein Sohn zur Welt gekommen war, weil im Dorf darüber geredet wurde, aber das war auch schon alles.

Und noch etwas beschäftigte ihn: Würde er es überhaupt aushalten in der Fremde, ganz allein, ohne seine Familie? Es war eng bei ihnen zu Hause, das stimmte, sechs Kinder, die Eltern, die Großmutter, die kaum noch laufen konnte, weil sie so schlimme offene Beine hatte, und der fast blinde, schwerhörige Großonkel Elias, der Onkel der Mutter, der zudem nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Und die Mutter erwartete das nächste Kind. Wilhelm konnte sich gar nicht daran erinnern, die Mutter einmal anders als mit einem dicken Bauch gesehen zu haben. Die Familie wäre eigentlich noch viel größer gewesen, aber oft starb das neue Kind nach wenigen Tagen oder Wochen, kaum, dass es getauft worden war. So war es auch gekommen, dass zwischen ihm und den beiden kleinen Schwestern so viele Jahre lagen. Anna war drei und Mathilde gerade erst zwei Jahre alt. Sie schliefen alle zusammen in den drei Kammern neben der Küche, Wilhelm und seine beiden Brüder, Ernst und Heinrich, zusammen mit dem Großonkel; seine große Schwester Auguste mit Anna und Mathilde, die noch vor Kurzem in einem Bett hinter dem der Eltern geschlafen hatte. Aber das war jetzt für das neue Kind bestimmt. In der Küche, auf der Bank neben dem Ofen, schlief Matthes, der Knecht, der schon bei ihnen war, solange Wilhelm denken konnte.

Aber die Enge bedeutete auch Wärme. Er hatte noch nie alleine geschlafen, und vielleicht würde es ihm ja schwerfallen, ohne die Geschwister zu sein.

Herr Becker hatte ihn auch gefragt, ob er es denn aushalten würde, an Weihnachten weit weg von seiner Familie zu sein.

»Gerade an den Weihnachtstagen ist es doch immer besonders heimelig zu Hause, wenn die Kerzen am Tannenbaum...
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