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Die Frau in den Bäumen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am26.01.2023Auflage
»Wir hatten Zeit, Liebe schafft Zeit.« Anna ist Ende zwanzig, hat das Studium beendet und steht vor dem Neuanfang, als sie mit Leo gen Italien aufbricht. Nach Tagen der nicht nur hochsommerlicher Hitze geschuldeten Apathie reißt ein Gewitter die beiden aus dem Trott und Anna gleich ganz aus ihrem bisherigen Leben: Die Nachricht vom Tod ihres Vaters fällt zusammen mit dem Kennenlernen von Matteo, einem Regisseur, der sie nach Rom lockt und dann auf eine Insel. Und da ist Robert, zu dem Anna sich aus anderen Gründen hingezogen fühlt. Fest steht allein, dass nichts so bleiben kann, wie es ist, denn das Leben steht offen vor ihr.  Eine literarische Sommerreise ins Italien der 1970er Jahre

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

Klappentext»Wir hatten Zeit, Liebe schafft Zeit.« Anna ist Ende zwanzig, hat das Studium beendet und steht vor dem Neuanfang, als sie mit Leo gen Italien aufbricht. Nach Tagen der nicht nur hochsommerlicher Hitze geschuldeten Apathie reißt ein Gewitter die beiden aus dem Trott und Anna gleich ganz aus ihrem bisherigen Leben: Die Nachricht vom Tod ihres Vaters fällt zusammen mit dem Kennenlernen von Matteo, einem Regisseur, der sie nach Rom lockt und dann auf eine Insel. Und da ist Robert, zu dem Anna sich aus anderen Gründen hingezogen fühlt. Fest steht allein, dass nichts so bleiben kann, wie es ist, denn das Leben steht offen vor ihr.  Eine literarische Sommerreise ins Italien der 1970er Jahre

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827080660
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum26.01.2023
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse7793 Kbytes
Artikel-Nr.10067573
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Ursprünglich hatte ich eine ganz andere Reise geplant, in ein unbekanntes Land, Ortsveränderung, Luftveränderung, Veränderung überhaupt, doch ich blieb bei Leo, und nun saßen wir im Zweisitzer zu zweit und fuhren zu den ansteigenden Bergen Latiums. Ich bin so froh, dich bei mir zu haben, wiederholte Leo alle fünfzig Kilometer. Casa Rossa mit einem weiten Blick aufs Meer, dein geliebtes Meer, du wirst sehen, was ich diesmal für uns gefunden habe.

Eine Garnitur von Cremes, Parfüms und Gesichtswassern, Kämmen, Kopf- und Frotteetüchern besaß ich nicht, auch nicht fünfzehn Paar Schuhe und zwanzig Sommerkleider, nur zwei Paar modische Ohrringe in Schwarz-Weiß. Ich mochte ihre Dreiecke. Ich hatte sie in Paris in einer Drogerie erstanden und brauchte für sie keine Bohrung in den Ohrläppchen wie für den noch zu erbenden Schmuck. Und ich besaß drei Lippenstifte, changierend zwischen Ochsenblut und kühnem Karmesin, nur für Italien, nicht für das strenge, zugleich langmähnige, militante Berlin. Sie lagen in der Handtasche zu meinen Füßen. Leo fuhr schnell und umsichtig, und ich, im Gefühl, geliebt und verwöhnt zu sein, sah nur aus dem Fenster, kilometerweit.

 

Während vieler schlafloser, von Arbeit nicht erfüllter Nächte hatte Leo sich Gedanken über unsere Route gemacht. Wie er mit mir das königliche Gebirge überqueren wolle, damit es mir fürs Leben unauslöschlich bliebe, in anderen Worten: mit ihm allein verbunden. Und es ist ihm gelungen, schreibe ich freimütig hierhin.

Als folgte er einem inneren Kompass, bog er vor Bellinzona von der stark befahrenen Autobahn unerwartet auf eine kurvenreiche Landstraße ab, die er nun gemächlich entlangfuhr und auf der wir uns höher und höher schraubten bis hinauf auf das vermeintliche Dach Europas. Hier irgendwo begann der Po, in den Süden zu fließen, der Rhein in den Norden, die Rhône gegen Westen. Und je mehr Leo über die Quellflüsse und von der magischen Straße ins gelobte Land Italien erzählte, während wir vorbei an verkrauteten Wiesen, aus denen Felsbrocken aufragten, uns über Serpentinen weiter in die Höhe schraubten, im Abseits von allem und von einer Stille in die nächste Stille, desto tollkühner erschien mir unsere Überquerung des Passes in der schwarzen kleinen offenen Kiste. Keine Tankstelle, kein Hotel in Sicht. Nur die Kantonsstraße weit unten bis zu uns hinauf, eine Schlange mit flacher Haut. Gebügelt. Stumpfer Asphalt. Ich mochte die Berge nicht, auch wenn ihr Anblick gewaltig war, objektiv schön, wie sie sich in unerreichte Höhen reckten, ich aber konnte es kaum erwarten, das Meer zu sehen.

Anders als bei der Reise eines anderen über den Gotthard bei ziehenden Wolken und Vollmond um Mitternacht, von der Leo nun erzählte, und dem der Übertritt in Schnee und Wolken wiederholt nicht gelungen war, hatten wir Glück. Leo hatte den Kalender gewälzt und die Mondphasen studiert. Und vollbrachte nun das, quasi stellvertretend, was der andere, sein großes Vorbild, erst nach drei Anläufen und dann auch noch an anderer Stelle, nämlich über den Brenner hinunter nach Italien, einst geschafft hatte. Wir hielten an, stiegen aus. Kein Schnee, keine Wolken. Tief beeindruckt, sah ich mich oben in der sommerlichen Kälte um, so hoch wie noch nie. Der Wind hatte den Himmel sternhell gefegt, in seiner Mitte stand rund der alles beherrschende Mond.

Schatz!

 

Wir spielten unser Spiel. Was sah der große Meister damals, was konnten wir sehen? Sahen wir mehr? War seine Fantasie gefräßiger und unerbittlicher gewesen als unsere? Was könnten wir ihm aus der Welt der Technik mitteilen? Lieber Goethe, aus allen Wolken sind digitale Propheten gefallen, und wir stehen hier im eisigen Wind, üben die Flucht vor unzugänglichen Intelligenzen. Würde er es verstehen, könnten wir es ihm überhaupt verständlich machen, was wir selber kaum verstehen? Was weiß die mit der Welt gewandelte Sprache ihm zu sagen? Würde er die Sprache der NASA, der NSA, die Verschlüsselungen des KGB oder nur Einsteins oder Sacharows Formeln verstehen?

Airolo. Fast Ariosto. Ariosto war oben im Himmel, Airolo lag unten im Tal, dort hinab führte jetzt unser Weg.

 

Wir übernachteten in einem Städtchen an den Ausläufern der Alpen und durchfuhren in aller Frühe eine weit nach Süden sich streckende Ebene, die fast unsichtbar blieb, weil sich die Nebel nicht gehoben oder schon wieder gesenkt hatten, als wir an den Fluss kamen, dem wir vor Stunden fast auf den Scheitel hatten spucken können. Ich wollte ihn sehen, spüren, ihn, dessen Name mit so vielen Bildern durch meinen Kopf zog, wollte ihn riechen und den blassen, watteartigen Dunst, durch den wir fuhren, auf der Haut spüren, im Gesicht, mit den Händen, wollte wissen, ob die kleinen Tropfen, wenn ich sie zwischen den Fingern rieb, zu Wasser zergingen. Leo fuhr sehr langsam. Dass wir nicht im Fluge wie Goethe vorankamen, sondern im Schneckentempo, gefiel sichtlich Leo, wir erlebten ausgefallene Dinge, Neues noch einmal gemeinsam.

Bitte halte an, sagte ich. Hinter der Windschutzscheibe erfahre ich nur die Welt, die sich als bloßes Bild dem Auge zeigt. Ich möchte sie spüren, mit den Wimpern, sie durchrudern mit Händen und nackten Armen. Glück und Freiheit gegen das Gefühl der Beklemmung.

 

Und so gingen wir eine Weile im uns einhüllenden Dunst, der immer dichter wurde, je tiefer wir beide in ihn eindrangen.

Meinst du, wir finden zum Auto zurück?, fragte ich Leo und ging weiter in die benebelte Natur hinein.

Hallo, rief ich.

Noch bin ich da, Schatz.

Ich blieb stehen und lauschte. Hörte zwei männliche Stimmen, sah aber ihre Inhaber nicht, während sie sich näherten. Konturen, denen die Stimmen gehörten, tauchten nicht auf. Auch später nicht. Ich halluzinierte.

Drehen wir um und gehen an den Fluss?

Wir haben ihn längst passiert, sagte Leo. Erinnerst du dich nicht? Als der weiße Lkw am Straßenrand stand und blinkte. Zwei Männer, ein großer und ein dicker, kleiner, die neben der dunklen Wand rauchten.

Weshalb hast du mir das nicht gesagt?

Die Antwort kam nicht gleich. Ich dachte, du siehst sie so wie ich, sagte er dann.

 

Auf der Weiterfahrt bei stärker werdendem Sonnenschein erzählte ich Leo von den Nebeln meiner Kindheit im Hamburger Hafen, den Nebeln am Meer und in den Bäumen, nicht nur den Weidepinseln oder nachtmahrhaften Weideköpfen des Erlkönigs. Und wie platt und banal dagegen die letzte Zeile war, in der das Gedicht über den Nebel endete, das ich in der letzten Klasse hatte interpretieren müssen: Leben ist Einsamsein. So deprimierend, sagte ich, zum Gähnen deprimierend. Und sah in den Nebel hinaus, den ich aufregend fand, ein sekündlich sich wandelndes Abenteuer, weil er dich seinen Gesetzen immer wieder von Neuem zu gehorchen zwang, deine Einbildungskraft mobilisierte und sich nicht darum scherte, ob du gehört wurdest oder nichts mehr sahst.

 

Nebelbänke, Nebelschleier, Nebelschlieren, Nebelwolken, Nebelbäusche, Nebelbäume, Nebelkönige. Undurchdringliche Zonen einer vitalen Fantasie und der sich steigernden Angst, als ein Drittes, das dich in den Armen hält, beschützt oder abschirmt in gleitenden Übergängen ohne jedwedes Netz. Welt, die dich lockt, in der du nicht weißt, wo ein Land endet und ein Meer beginnt, wo Leben und Tod lauern, du weder kletterst noch schwimmst, sondern in der schieren reglosen Luft bist, ohne zu fliegen. Der Tower hat den Flug gestrichen wegen anhaltender Schlechtwetterlage. Und du hast keine Bodenhaftung. Du hast keine Sicht, nur Feuchte um dich.

 

Das Haus, das Leo uns für diesen Sommer gefunden hatte, war von der Überlandstraße aus nicht zu sehen, die den Hang in vielen sich windenden schmalen Kurven heraufführte. Dabei lag es auf der höchsten Stelle des Bergrückens. Ich wunderte mich jedes Mal, wenn ich oben vor die Tür trat, dass die Sicht bis hinunter zum Meer ganz frei war. Warum war es dann umgekehrt von unten nicht zu sehen? Leo sagte nicht Dummchen, das Wort blitzte nur kurz in seinen Augen auf, und er begann dann, mir die unterschiedlichen Blickwinkel zu beschreiben, aus denen man etwas sehen konnte, und gab mir also Unterricht in Perspektive. Eine Straße führt eng am Bergkörper entlang, eine Straße fliegt nicht wie...
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Autor

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.