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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am01.03.2023
Stammbaum   hat eine besondere Geschichte: Getrieben von einer Fehldiagnose, die ihm seinen baldigen Tod prophezeite, schr ieb  Georges Simenon seine Lebensgeschichte nieder. Als sich das Todesurteil als nichtig erw ies , arbeitete er die Autobiographie zu  diesem einzigartigen  Roman um, der  davon erzählt, wofür es sich zu leben - und zu sterben - lohnt.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextStammbaum   hat eine besondere Geschichte: Getrieben von einer Fehldiagnose, die ihm seinen baldigen Tod prophezeite, schr ieb  Georges Simenon seine Lebensgeschichte nieder. Als sich das Todesurteil als nichtig erw ies , arbeitete er die Autobiographie zu  diesem einzigartigen  Roman um, der  davon erzählt, wofür es sich zu leben - und zu sterben - lohnt.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455015324
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.03.2023
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1442 Kbytes
Artikel-Nr.10067938
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverVerlagslogoTitelseiteDie in diesem Werk [...]VorwortErster TeilZweiter TeilDritter TeilHinweise des ÜbersetzersBiographieImpressummehr
Leseprobe

Erster Teil

1

Sie öffnet die Augen. Für einen Moment, mehrere Sekunden, eine lautlose Ewigkeit bemerkt sie keinerlei Veränderung, weder in ihr noch in der Küche um sie herum; zudem nimmt sie keine Küche wahr, sondern nur ein Durcheinander von Schatten und schwachen Lichtreflexen ohne Bestand, ohne Bedeutung. Vielleicht ist sie im Vorhof des Paradieses?

Haben sich die Augenlider der Schläferin zu einem bestimmten Zeitpunkt gehoben? Oder blieben die Pupillen starr ins Leere gerichtet wie das Objektiv eines Fotografen, der vergaß, das schwarze Samttuch wieder herunterzulassen?

Draußen irgendwo - das heißt, in der Rue Léopold - spielt sich ein sonderbares Leben ab, düster, weil die Nacht hereingebrochen ist, lärmend und gehetzt, weil es fünf Uhr nachmittags ist, feucht und träge, weil es seit mehreren Tagen regnet. Die bleichen Kugeln der Bogenlampen leuchten vor den Schaufensterpuppen der Konfektionsgeschäfte, die Straßenbahnen fahren vorüber und sprühen blaue Funken, grell wie Blitze.

Élise hat die Augen geöffnet und ist noch weit entfernt, nirgendwo; von draußen dringen nur diese unwirklichen Lichter durch das Fenster und die weiß geblümten Spitzengardinen und projizieren Arabesken auf die Wände und Gegenstände im Zimmer.

Das vertraute Summen des Ofens mit der kleinen rötlichen Öffnung, durch die hindurch manchmal zu sehen ist, wie kleine Kohlenstücke ins Feuer fallen, wird ihr als Erstes wieder bewusst; das Wasser in dem weißen Emaillekessel mit dem angeschlagenen Schnabel beginnt zu singen; der Wecker auf dem schwarzen Kamin nimmt sein Ticktack wieder auf.

Jetzt erst spürt Élise, wie es dumpf in ihrem Bauch arbeitet, und sie sieht sich selbst unsicher auf einem Stuhl sitzen, sie weiß, dass sie mit dem Geschirrtuch in der Hand vor dem Ofen eingeschlafen ist. Sie weiß auch, wo sie sich befindet: in der zweiten Etage bei den Cessions, mitten in einer geschäftigen Stadt, nicht weit von dem Pont des Arches, der die Stadt von den Vororten trennt; sie hat Angst, sie steht zitternd auf, ihr Atem geht schwer, und dann, um sich durch eine alltägliche Handlung wieder zu beruhigen, schüttet sie Kohlen in den Ofen.

»Mein Gott â¦«, murmelt sie.

Désiré ist weit weg, am anderen Ende der Stadt, in seinem Büro in der Rue des Guillemins, und vielleicht wird sie ganz allein entbinden, während weiterhin Hunderte, Tausende Passanten mit ihren Regenschirmen auf den glänzenden Gehsteigen aneinanderstoßen.

Ihre Hand macht eine Bewegung, um die Streichhölzer, die neben dem Wecker liegen, zu ergreifen; aber sie hat nicht die Geduld, zuerst den milchigen Lampenschirm, dann das Glas von der Petroleumlampe zu nehmen und den Docht hochzudrehen; sie hat zu große Angst. Es fehlt ihr der Wille, die herumstehenden Teller in den Schrank zu räumen, und ohne in den Spiegel zu blicken, setzt sie ihren schwarzen Hut auf, den sie noch aus der Trauerzeit für ihre Mutter besitzt. Sie zieht ihren schwarzen Cheviotmantel an, der auch zu der Trauerkleidung gehört und sich nicht mehr zuknöpfen lässt, sodass sie ihn über ihrem gewölbten Bauch zusammenhalten muss.

Sie hat Durst. Sie hat Hunger. Irgendetwas fehlt ihr. Sie fühlt sich wie leer, aber sie weiß nicht, was sie tun soll, sie flieht aus dem Zimmer und stopft den Schlüssel in ihr Handtäschchen.

Man schreibt den 12. Februar 1903. Im Treppenhaus zischt und spuckt ein Gasbrenner sein weiß glühendes Gas aus; es gibt nämlich Gas im Haus, allerdings nicht im zweiten Stock.

Im ersten Stockwerk sieht Élise Licht unter einer Tür; sie wagt nicht zu klopfen, der Gedanke kommt ihr gar nicht. Ein Rentnerehepaar lebt dort, die Delobels. Sie spekulieren an der Börse, ein egoistisches Paar, das sich das Leben angenehm macht und jedes Jahr mehrere Monate in Ostende oder Nizza verbringt.

Ein Luftzug streift sie in dem engen Durchgang zwischen zwei Geschäften. In den Schaufenstern von Cession liegen Dutzende von dunklen Hüten, und drinnen stehen verlegene Leute, die sich in den Spiegeln betrachten und nicht zu sagen wagen, ob sie mit ihrem Spiegelbild zufrieden sind, und Madame Cession, die Hauswirtin von Élise, im Schwarzseidenen mit schwarzem Spitzeneinsatz und Gemme, um den Hals eine Uhr an der Kette.

Straßenbahnen fahren alle paar Minuten vorbei, grüne, die nach Trooz, nach Chênée oder Fléron fahren, rote und gelbe, die als Ringlinien ohne Unterbrechung durch die Stadt fahren.

Straßenhändler rufen die Liste der Nummern aus, die bei der letzten Verlosung gewonnen haben, und andere wieder schreien:

»Die Baronesse von Vaughan, zehn Centime! Verlangen Sie das Porträt der Baronesse von Vaughan!«

Das ist die Mätresse von Léopold II. Wie es scheint, verbindet ein unterirdischer Tunnel sein herrschaftliches Privathaus mit dem Schloss von Laeken.

»Verlangen Sie die Baronesse von Vaughan â¦«

Soweit Élise sich auch zurückerinnert, sie hat immer das gleiche Gefühl, klein zu sein; ja, sie ist ganz klein, zu schwach und schutzlos in einem zu großen Universum, das sich nicht um sie kümmert, und sie kann nur stammeln:

»Mein Gott â¦«

Sie hat ihren Regenschirm vergessen, und sie hat nicht den Mut, wieder hinaufzugehen, um ihn zu holen. Feine Tröpfchen benetzen ihr rundes Gesicht, das Gesicht eines kleinen Mädchens aus dem Norden, und ihr blondes Haar, das so frisiert ist, wie es in Flandern üblich ist.

Für sie ist jeder beeindruckend, sogar dieser Mann da im Gehrock, steif wie eine Schaufensterpuppe, mit gewichstem Schnurrbart und einem Umlegekragen so hoch wie eine Manschette, der unter der Lampe eines Konfektionsgeschäftes von einem Bein auf das andere tritt. Er stirbt fast vor Kälte an Füßen, Nase und Fingern. Er hat in der Menschenmenge, die auf dem Gehsteig hin und her geht, die Mamans im Auge, die ein Kind hinter sich herziehen. Seine Taschen sind voll von kleinen Farbdrucken und Bilderrätseln: »Suchen Sie den Bulgaren.«

Es ist kalt. Es regnet. Es ist trübe. Ein warmer Schokoladengeruch steigt auf, als sie vor den vergitterten Kellerfenstern von Hosay vorbeigeht. Sie geht schnell. Sie hat keine Schmerzen, und dennoch ist sie sicher, dass die Wehen in ihr beginnen und dass ihre Zeit gekommen ist. Ihr Strumpfhalter ist aufgegangen, und ihr Strumpf rutscht. Kurz vor der Place Saint-Lambert öffnet sich zwischen zwei Geschäften eine schmale Gasse, die immer im Dunkeln liegt. Dort eilt sie hinein und stellt ihren Fuß auf den Bordstein.

Spricht sie zu sich selbst? Ihre Lippen bewegen sich.

»Mein Gott, mach, dass ich genug Zeit habe!«

Und während sie ihre Röcke hochrafft, um an den Strumpfhalter heranzukommen, hält sie plötzlich inne: Dort, im Schatten, in den ein Lichtschein der Rue Léopold dringt, stehen zwei Männer. Zwei Männer, die sie wohl bei der Unterhaltung gestört hat. Verstecken sie sich? Sie könnte es nicht sagen, aber undeutlich spürt sie etwas Verdächtiges in deren Beisammensein. Wahrscheinlich warten sie schweigend darauf, dass diese kopflose Frau, die blindlings bis auf zwei Meter auf sie zugestürzt kam, um ihren Strumpf hochzuziehen, wieder verschwindet.

Sie schaut kaum zu ihnen hin; schon zieht sie sich wieder zurück, als ihr dennoch ein Name auf die Lippen kommt:

»Léopold â¦«

Sie musste diesen Namen aussprechen, wenn auch nur halblaut. Sie ist sicher, fast sicher, einen ihrer Brüder, Léopold, wiedererkannt zu haben, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat: ein Rücken, der mit fünfundvierzig Jahren bereits gebeugt ist, ein tiefschwarzer Bart, funkelnde Augen unter dichten Brauen. Sein Begleiter, der an diesem Februarabend im Luftzug der Gasse steht, ist sehr jung, ein Kind, noch bartlos. Er hat keinen Mantel an. Seine Züge sind angespannt wie bei jemandem, der seine Tränen zurückhält â¦

Élise kehrt zu der Menschenmenge zurück; sie wagt nicht, sich umzublicken. Ihr Strumpfhalter ist immer noch lose, was ihr das Gefühl gibt, schief zu gehen.

»Mein Gott, mach, dass ⦠Und was hat mein Bruder Léopold â¦?«

Place Saint-Lambert, mit den vielen, noch helleren Lichtern des Grand Bazar, das immer mehr erweitert wird und bereits zwei Häuserblocks verschlungen hat. Die schönen Schaufenster, die Kupfertüren, die sich lautlos öffnen und schließen, und dieser warme, so eigenartige Windhauch, der einen bis zur Mitte des Gehsteigs erreicht.

»Verlangen Sie die Liste der Losnummern, die bei der Brüsseler Verlosung gewonnen haben!«

Schließlich erblickt sie Schaufenster von unauffälligerem Luxus, die Schaufenster des l Innovation, die voll sind mit Waren aus Seide und Wolle. Sie geht hinein. Es scheint ihr, als müsste sie sich immer mehr beeilen. Sie lächelt, denn sie lächelt immer, wenn sie wieder ins l Innovation kommt, und wie im Traum begrüßt sie die schwarz gekleideten Verkäuferinnen hinter den Verkaufstischen, die sie kaum erkennen kann.

»Valérie!«

Valérie ist drüben, bei den Handarbeiten. Sie bedient eine alte Kundin und bemüht sich, Stickseidengarn auszuwählen. Als Valérie das erschrockene Gesicht Élises entdeckt, sagen ihre Augen:

»Mein Gott!«

Denn sie sind beide von der gleichen Art, sie gehören zu denen, die vor allem Angst haben und sich immer als zu schwach empfinden. Valérie wagt nicht, ihre Kundin zu drängen. Sie hat verstanden. Im Voraus sucht sie mit den Blicken Monsieur Wilhelms neben der Hauptkasse, den obersten Chef, mit seinen knarrenden Lackschuhen und gepflegten Händen.

Drei, vier Tische weiter, bei der Babywäsche, steht...

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Autor

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.