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Ein Tag im Leben des 179212

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
144 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am09.11.20221. Auflage
Ein deutscher Nerd im US-Knast. Wie hat Jens Söring dort 33 Jahre überlebt? Wie sah sein Alltag hinter Gittern aus? Das erzählt er uns in 'Ein Tag im Leben des 179212', dem fünften seiner sieben Bücher. Sörings Tag beginnt um 4:20 Uhr, als sein Zellenmitbewohner das Klo spült. Von der sieben-Quadratmeter-großen Doppelzelle nimmt der deutsche Häftling seine Leser mit in den Speisesaal, wo er zwei Kumpel zum Frühstück trifft. Was die Drei verbindet, ist, dass sie keine Chance auf Entlassung haben. Dann geht Söring zu seinem Arbeitsplatz in der Sporthalle, wo er den halb-offiziellen Knastpuff putzt. Entlang des Weges skizziert er die Leben und Persönlichkeiten der Häftlinge und Wärter. Eindringlich beschreibt er Probleme wie den Mangel an Bildungs- und Therapiemöglichkeiten, die Folgeschäden der Vergewaltigung zwischen Insassen, sowie die Privatisierung des US-Strafvollzugs. 'Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen', schrieb Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881). Sein Meisterwerk 'Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch' diente Söring als Inspiration für dieses Buch. Was sagen Haftbedingungen wie jene, die er beschreibt, über den Grad der Zivilisation Amerikas?

Jens Söring verbrachte 33 Jahre in US-Haft für einen Doppelmord, den er bis heute bestreitet. 2019 wurde er auf Bewährung entlassen - ohne Anerkennung seiner Unschuld. Während seiner Haft veröffentlichte er sechs Bücher, darunter dieses. Nach seiner Entlassung erschien sein siebtes Buch, "Rückkehr ins Leben", im Bertelsmann Verlag.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR5,99

Produkt

KlappentextEin deutscher Nerd im US-Knast. Wie hat Jens Söring dort 33 Jahre überlebt? Wie sah sein Alltag hinter Gittern aus? Das erzählt er uns in 'Ein Tag im Leben des 179212', dem fünften seiner sieben Bücher. Sörings Tag beginnt um 4:20 Uhr, als sein Zellenmitbewohner das Klo spült. Von der sieben-Quadratmeter-großen Doppelzelle nimmt der deutsche Häftling seine Leser mit in den Speisesaal, wo er zwei Kumpel zum Frühstück trifft. Was die Drei verbindet, ist, dass sie keine Chance auf Entlassung haben. Dann geht Söring zu seinem Arbeitsplatz in der Sporthalle, wo er den halb-offiziellen Knastpuff putzt. Entlang des Weges skizziert er die Leben und Persönlichkeiten der Häftlinge und Wärter. Eindringlich beschreibt er Probleme wie den Mangel an Bildungs- und Therapiemöglichkeiten, die Folgeschäden der Vergewaltigung zwischen Insassen, sowie die Privatisierung des US-Strafvollzugs. 'Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen', schrieb Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881). Sein Meisterwerk 'Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch' diente Söring als Inspiration für dieses Buch. Was sagen Haftbedingungen wie jene, die er beschreibt, über den Grad der Zivilisation Amerikas?

Jens Söring verbrachte 33 Jahre in US-Haft für einen Doppelmord, den er bis heute bestreitet. 2019 wurde er auf Bewährung entlassen - ohne Anerkennung seiner Unschuld. Während seiner Haft veröffentlichte er sechs Bücher, darunter dieses. Nach seiner Entlassung erschien sein siebtes Buch, "Rückkehr ins Leben", im Bertelsmann Verlag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756826551
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum09.11.2022
Auflage1. Auflage
Seiten144 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10199227
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

600 Uhr

Zwischen sechs und sieben werden die fünf Zellentrakte dieser Strafvollzugsanstalt nacheinander zum Frühstück gerufen. Die Wächterin brüllt »Fraß«, die doppelten Schiebetüren am Gebäudeeingang öffnen sich, und mehrere dutzend Insassen schlurfen halbschlafend in Richtung Speisesaal.

Um diese Jahreszeit ist es morgens noch dunkel, also leuchten die orangefarbenen Scheinwerfer von den Dächern der umliegenden Gebäude. Die Farbe dieses unnatürlichen Lichts ist unwahrscheinlich hässlich, alles sieht flach und fahl aus, wie in einem billigen Horrorfilm. Noch schlimmer ist, dass das Licht der Scheinwerfer so stark ist, dass es die Sterne ausblendet. Jahre, Jahrzehnte ohne Sterne ⦠Aber wir haben sowieso längst aufgehört, unsere Augen himmelwärts zu heben.

Etwa 700 Häftlinge gibt es in diesem relativ kleinen Gefängnis, dem Brunswick (also Braunschweig) Correctional Center. Wenn man U-Haft (so genannte »Jails«) und Strafvollzugsanstalten (so genannte »Prisons« wie Brunswick) zusammenrechnet, hat Virginia, ein Bundesstaat mit rund sieben Millionen Einwohnern, etwas mehr als 60.000 Gefangene.2 Die Tausenden von Insassen in den Militär- und Bundesgefängnissen in Virginia sind in dieser Zahl nicht inbegriffen. Zum Vergleich: Deutschland, ein Land mit 80 Millionen Bürgern, hat etwa 80.000 Häftlinge.3

Landesweit kommen in Amerika auf 100.000 Bürger 751 Gefangene.4 In Deutschland kommen auf 100.000 Bürger 96 Insassen - und Deutschland liegt damit noch über dem europäischen Durchschnitt.5

Die Häftlinge aus meinem Zellentrakt kommen in den Speisesaal und stehen dort Schlange. Durch ein kleines Loch in der Wand, etwa auf Hüfthöhe, wird das Essen herausgeschoben, jeder Teller genau wie der andere. Die Gefangenen, die in der Küche arbeiten, sind bewusst von uns abgeschirmt, damit wir nur ja nicht einem Freund zuwinken können, dass er uns zusätzlich zu essen gibt. Das könnte ja ein paar Cent mehr kosten.

Nachdem ich meinen Teller erhalten habe, hole ich mir Kaffee aus einer großen braunen Plastikkanne und setze mich an einen der vielen Vier-Mann-Metalltische. In diesem Gefängnis können wir essen, mit wem wir wollen - noch ein kleiner Luxus, den es im Supermax zum Beispiel nicht gibt. Aber auch hier ist alles festgeschraubt, sogar die vier Metallhocker an jedem Tisch. Aus der Sicht der Wärter ist der Speisesaal nämlich der gefährlichste Ort im ganzen Gefängnis, weil hier so viele Häftlinge gleichzeitig zusammenkommen.

Ich esse mein Frühstück mit Harry und Richard, zwei Veteranen des Vietnamkriegs, die seit Mitte der 70er Jahre einsitzen. Die harten, braungebrannten Kerle, die im Dschungel nach Vietcong suchten, sind längst verschwunden. Nun haben sie dicke Bäuche, weiße Schnurrbärte und keine, beziehungsweise nur noch ein paar Haare auf dem Kopf, die alten Krieger.

Rund 58.000 amerikanische Soldaten fielen in Vietnam, und genauso viele Veteranen aus jenem Krieg sitzen immer noch hinter Gittern.6 Psychisch geschädigt und zum Töten trainiert kehrten sie aus Südostasien heim, begingen Schwerverbrechen und wurden dann im Strafvollzug entsorgt. Therapie, geschweige denn Gnade, gibt es für Männer wie Harry und Richard nicht.

Übrigens wandern mittlerweile bereits ein paar Veteranen des Irakkriegs hinter Gitter: die ersten Tropfen einer kommenden Flut.

Harry und Richard sind meine Freunde, weil wir alle drei versuchen, unter den schwierigsten Bedingungen irgendwie unseren Anstand und unsere Ehre zu bewahren. Von den meisten anderen Häftlingen kann man das leider nicht behaupten: Sie versuchen, ihr Leid mit Drogen, selbstgebrautem Alkohol und Homosexualität zu lindern. Das kann man verstehen und vergeben, aber Harry, Richard und ich machen da nicht mit.

Für uns ist jeder Tag eine neue Schlacht im endlosen Krieg gegen die Hoffnungslosigkeit und Unmenschlichkeit. Also machen wir uns beim Frühstück Mut, wie es Soldaten immer schon taten und immer tun werden: mit den schmutzigsten Witzen und übelsten gegenseitigen Beleidigungen, die wir uns ausdenken können. Nichts, aber auch gar nichts ist so schlimm, dass wir nicht darüber lachen könnten. Keine Gemeinheit der Wächter oder Mitgefangenen ist so fies, dass wir nicht noch viel gemeiner und fieser sein könnten. Jeder Witz ist ein weiterer Beweis, dass wir uns wieder mal nicht haben unterkriegen lassen.

Im April 2004 zum Beispiel beging mein damaliger Zellenmitbewohner Selbstmord, während ich mit Harry und Richard beim Frühstück war. Der Mann schnarchte noch, als ich die Zelle verließ, wie jeden Morgen. Aber als ich eine halbe Stunde später zurückkam, hing er blau und steif vom Etagenbett.

»Alles deine Schuld!«, sagte Harry sofort, als er davon hörte. »Jeden Tag hat er sich deinen süßen Hintern ansehen müssen, aber du hast ihn nie rangelassen, du Schwein!«

»Mord durch Liebesentzug - prima, das werde ich der Gefängnisleitung petzen«, rief Richard. »Meinste, ich werde frühzeitig entlassen, wenn ich als Kronzeuge vor Gericht aussage?«

Harrys und Richards knallharte Weigerung, mir auch nur das kleinste bisschen Selbstmitleid zu erlauben, hat mich in dieser schweren Zeit gerettet. Das werde ich ihnen nie vergessen, sie sind wahre Kameraden. Aber was, außer der Not, habe ich eigentlich mit diesen beiden Männern gemeinsam? Harry und Richard waren einfache Frontsoldaten, frisch zurück aus Vietnam, als sie ins Gefängnis kamen. Ich hin gegen war Stipendiat an der hochrenommierten University of Virginia, Sohn eines deutschen Vizekonsuls, eine Künstlerseele von Natur. Mit Harry und Richard über Philosophie, Meditation oder mittelalterliche Mystiker zu reden, wäre einfach unmöglich.

Deshalb verspüre ich manchmal, mitten in der wildesten Witzelei beim Frühstück, das Gefühl, irgendwie zerrissen zu werden. Einerseits liebe ich diese beiden Vietnam-Veteranen geradezu, andererseits trennen uns doch Welten! Das einzige, was uns wirklich verbindet, ist der Knast, der elende Knast.

Bei diesen Gelegenheiten stöhne ich dann immer ganz dramatisch und wimmere: »Ich will sooooooo gerne nach Hause!« Natürlich wissen Harry und Richard genau, was dann zu machen ist: Sie überhäufen mich sofort mit den schlimmsten Beleidigungen, verprügeln mich geradezu mit Worten. Aber sie vergessen nie, mich auch irgendwie wissen zu lassen, dass es ihnen genauso geht.

Der verdammte Knast!

Wenn wir uns nicht gerade gegenseitig beschimpfen, klagen wir über das Frühstück - und zwar mit Recht. Amerika gibt jedes Jahr 63 Milliarden Dollar für seine Gefängnisse aus, der Bundesstaat Virginia allein mehr als 1 Milliarde Dollar.7 Weil es aber so viele Insassen gibt, nämlich 2,3 Millionen im ganzen Land, kommt von all dem Geld nur sehr wenig bei jedem einzelnen Häftling an.8 Eine Mahlzeit für einen Gefangenen kostet gerade mal 61 Cent, umgerechnet etwa 0,39 Euro.9

Das bedeutet, dass wir dreimal täglich Brot und Kartoffeln bekommen, und auch davon nur so wenig wie möglich. Dazu ein kleines bisschen Fleisch, immer vom Truthahn und immer stark mit Soja vermischt, denn Truthahn und Soja sind billig. Mittags und abends gibt es je eine kleine Portion Gemüse und mittags zusätzlich ein Stück Obst - oft angeschlagen oder faul, das kostet weniger. Wer meint, ich übertreibe, soll mal versuchen, für 0,39 Euro eine Mahlzeit zusammenzustellen.

Wie sieht also heute Morgen unser Frühstücksteller ganz konkret aus? Es liegen zwei Pfannkuchen drauf, Durchmesser 10 cm, mit etwas Sirup und daneben einem Klecks Margarine. Dann gibt es noch Kartoffeln und Haferflocken, in beiden Fällen ganz genau 178 Milliliter - also je drei oder vier Esslöffel. Und zuletzt bekommt jeder Gefangene eine Tüte mit 227 Milliliter Apfelsaft, etwa dreiviertel eines Bechers.

Dieses Frühstück wird an zwei der fünf Werktage serviert. Beim anderen Mal gibt man uns allerdings keine Kartoffeln, sondern zwei kleine Würstchen, 28 Gramm das Stück. Die bestehen aus der gleichen Truthahn-und-Soja-Mixtur, aus der praktisch alle unsere Mahlzeiten hergestellt werden: Turkeyburger, Salisbury Steak, Meatloaf, Italian Sausage, das »Fleisch«, das die Spaghettisoße anreichern soll, und vieles mehr. Sie ist grau und geschmacklos, diese Mixtur, genauso wie die Kartoffeln und die Haferflocken. Und wie unser Leben.

Jede Mahlzeit ist genau gleich, so, wie jeder Tag genau wie der gestrige ist: fahl und langweilig. Wenn es doch bloß ein Mal, nur ein einziges Mal Apfelsinensaft statt Apfelsaft gäbe! Und der Fraß doch bloß nach irgendetwas schmecken würde! Aber nein, das ist unmöglich.

In der Strafvollzugszentralstelle in Richmond ist der Kaloriengehalt jeder Insassenmahlzeit ganz genau durchgerechnet worden, sodass jeder Teller gerade das gesetzliche Minimum erreicht. Man darf sich gar keinen Teller ohne Sirup erbitten, denn der Sirup ist fest eingeplant. Der Klecks Margarine übrigens auch....
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