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Leoparda

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
226 Seiten
Deutsch
Lenos Verlagerschienen am30.09.2022
Kleo führt ein bürgerliches, angepasstes Leben - bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, an dem sie beschließt, dass sich etwas ändern muss. Während Zürich in einem apokalyptischen Hitzesommer zu schmelzen scheint, verkriecht sie sich in ihrer Wohnung und verwandelt sich langsam in ihr verwildertes Alter Ego Leoparda. Aus einem Sonnenbrand entsteht ein fleckiges Hautmuster, ihre Zähne werden immer spitzer, bald huscht sie nur noch nachts nach draußen. Als Raubkatze sucht sie die Menschen aus ihrer Vergangenheit heim: Adriano vom Tinder-Date, ihre Ex-Psychologin und beste Freundin Feli, die sie ständig belehrt, ihre Schülerinnen und Schüler, deren Teilnahmslosigkeit sie ärgert, und auch ihre Eltern, deren blankpolierte Glücksfassade endlich Risse bekommt. Leoparda teilt ihre Abenteuer auf Social Media, wo sie zum Star wird, während die alte Kleo immer mehr verschwindet. Anja Schmitters Debütroman ist ein furioser Seiltanz zwischen Imagination und Realität. In originellen Bildern und mit gesellschaftskritischem Blick erzählt sie vom Ausbrechen aus der Normalität, von Identitätssuche und Emanzipation.

Anja Schmitter, geboren 1992 in Münsterlingen. Nach einem Studium der Germanistik und Komparatistik in Zürich, Bordeaux und Wien studierte sie im Master Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern. Anja Schmitter war als Autorin bei einem Gefängnistheater in Zürich tätig und als Dramaturgin beim See-Burgtheater in Kreuzlingen. Sie lebt in Zürich und schreibt Fiktion und literarische Reportagen, u.a. für das Magazin 'Reportagen'. 'Leoparda' ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextKleo führt ein bürgerliches, angepasstes Leben - bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, an dem sie beschließt, dass sich etwas ändern muss. Während Zürich in einem apokalyptischen Hitzesommer zu schmelzen scheint, verkriecht sie sich in ihrer Wohnung und verwandelt sich langsam in ihr verwildertes Alter Ego Leoparda. Aus einem Sonnenbrand entsteht ein fleckiges Hautmuster, ihre Zähne werden immer spitzer, bald huscht sie nur noch nachts nach draußen. Als Raubkatze sucht sie die Menschen aus ihrer Vergangenheit heim: Adriano vom Tinder-Date, ihre Ex-Psychologin und beste Freundin Feli, die sie ständig belehrt, ihre Schülerinnen und Schüler, deren Teilnahmslosigkeit sie ärgert, und auch ihre Eltern, deren blankpolierte Glücksfassade endlich Risse bekommt. Leoparda teilt ihre Abenteuer auf Social Media, wo sie zum Star wird, während die alte Kleo immer mehr verschwindet. Anja Schmitters Debütroman ist ein furioser Seiltanz zwischen Imagination und Realität. In originellen Bildern und mit gesellschaftskritischem Blick erzählt sie vom Ausbrechen aus der Normalität, von Identitätssuche und Emanzipation.

Anja Schmitter, geboren 1992 in Münsterlingen. Nach einem Studium der Germanistik und Komparatistik in Zürich, Bordeaux und Wien studierte sie im Master Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern. Anja Schmitter war als Autorin bei einem Gefängnistheater in Zürich tätig und als Dramaturgin beim See-Burgtheater in Kreuzlingen. Sie lebt in Zürich und schreibt Fiktion und literarische Reportagen, u.a. für das Magazin 'Reportagen'. 'Leoparda' ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783039257027
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum30.09.2022
Seiten226 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1452 Kbytes
Artikel-Nr.10201236
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil 2
Die Hitze

Weisse Wolken jagten über das Lochergut. Es windete, immer wieder knallten ein Fensterladen oder ein umgefallenes Schild wie Schüsse. Kleos Fenster standen weit offen. Der heisse Wind fegte durch die Wohnung, er trug den Gestank von Abgasen mit sich, fuhr über den Schreibtisch und wirbelte die Hausaufgaben der Schüler durch den Raum. Auch die Blätter der Amaryllis flatterten in ihren Fesseln. Jedes Mal, wenn die Wolken für einen kurzen Moment die grelle Sonne freigaben, warfen die langen Arme tanzende Schatten an die Wände.

Kleo entfernte die Hülle von ihrem Handy, entnahm ihr das kleine, gefaltete Papier. Sie schrieb Amir eine Nachricht: Wo bist du? Wie geht es dir?

Es erschien nur ein graues Häkchen.

Dann kam die Hitze. Rekordfrühling, hiess es in den Medien, heissester Mai seit Messbeginn. Im Schulhaus waren alle Türen und Fenster weit offen, doch draussen stand die Luft bewegungslos, und in den stickig heissen Zimmern stank es ausserordentlich: nach Schweiss, Kindern und Putzessig.

Kleo ging vor der Tafel hin und her, erzählte wie schon lange nicht mehr. Der Eisbär wird aussterben!, sagte sie. Doch die Kids hingen in ihren Bänken, mit leeren, gläsernen Augen.

In der Zehnuhrpause blieben alle an ihren Plätzen. Eine Totenstille herrschte, nur die Geräusche der Handys klingelten durchs Zimmer, und ab und zu rief jemand »Fuck!« oder »Alter!«.

Kleo sass auf ihrem Drehstuhl und drehte sich langsam hin und her, hin und her. Ihre Stirn war feucht, glänzte.

Frau Frei!, rief plötzlich ein Mädchen.

Kleo ignorierte es und schaute auf das leere Vorbereitungsheft vor sich.

Frau Frei!, rief es wieder.

Kleo sah nicht auf.

Da trat das Mädchen vor sie ans Lehrerpult und murmelte etwas, was wie eine Beleidigung klang.

Kleo fuhr hoch. Wie bitte?, fragte sie.

Nichts. Das Mädchen grinste. Frau Frei, ich wollte nur fragen, ob ich nach Hause kann, weil ich so heiss habe.

Kleo starrte in das ausdruckslose, kindliche Gesicht und sagte: Geh!

Als sich nachher auch die anderen Kinder mit der gleichen Frage meldeten, schickte Kleo die ganze Klasse nach Hause.

Der Osterhase von Sprüngli war nur noch ein gesichtsloser Klumpen. Kleo warf ihn in den Mülleimer. Dann legte sie sich in die Badewanne und liess kaltes Wasser über ihren Körper fliessen. Sie schloss die Augen, stand bald vor ihrer Klasse: Fünfundzwanzig kleine Augenpaare schauten wissbegierig zu ihr hoch. Sie hörte sich alles sagen. Und die Schüler hörten zu.

Die Weihnachtsbeleuchtung am Hochhaus blinkte rot, grün, rot. Kleo zog an ihrer Zigarette, das Rauchen entspannte ihre Kiefermuskulatur. Da erschien auf einem Balkon gegenüber wieder ein Mann in Boxershorts und rauchte ebenfalls. Er war weit weg, aber Kleo wusste, dass er sie anstarrte. Sie starrte zurück. Und starrte. Als die Zigarette abgebrannt war, zündete sie sich eine neue an. Und starrte. Irgendwann ging der Mann wieder rein. Die Weihnachtsbeleuchtung hatte nun zu einem schnelleren Rhythmus gewechselt, blinkte rasend schnell, wie die Sturmwarnung am Zürichsee.

Am nächsten Tag war Kleo so gut vorbereitet wie noch nie. Doch die Hitze drückte von allen Seiten ins Klassenzimmer, blieb darin gefangen, erhitzte sich noch weiter. Die Luft war glühend, dickflüssig, Lava. Kleo konnte sich nicht ausdrücken, wenn sie über das Polareis reden wollte, sie suchte nach Worten, ihre Kiefer pressten, sie wischte sich über die nasse Stirn, die Proteine in ihrem Kopf ploppten auf wie Spiegeleier. Sie liess die Kinder Arbeitsblätter lösen.

Die Hitze war da und blieb. In ihrer Freizeit lag Kleo zu Hause auf der Couch und schwitzte, ohne dass sie sich bewegte. Die Balkone am Hochhaus gegenüber waren verlassen und starrten schwarz, wie dunkle, tiefe Höhlen. Kleo schloss die Rollläden und liess sie unten. Auf Netflix und YouTube schaute sie ausschliesslich Dokus, die über die Welt und deren Zukunft informierten.

Sie rief ihre Mutter an, doch der Vater ging ran.

Ich bin s. Deine Mutter schläft.

Geht s ihr nicht gut?

Uns geht s super. Nur die Hitze, weisst du, wir sind auch nicht mehr die Jüngsten. Er lachte. Wie geht s dir, mein Leopard?

Gut, sagte sie.

Gehst du an die Klimademos?

Kleo verneinte. Dann erklärte sie ihrem Vater, dass sie gerade ganz froh sei, per Zufall ihn am Telefon zu erwischen, da sie sich seit kurzem frage, ob es einen Sinn habe, überhaupt noch irgendetwas zu machen, wo man doch kurz vor einem globalen Kollaps stehe.

Gute Frage, sagte der Vater. Er atmete hörbar aus und machte: Hm. Ich denke schon, dass es noch Sinn hat, etwas zu machen, sagte er dann. Auch wenn der Kollaps kommt. Man weiss ja nicht, wann der genau kommt. Ausserdem ist ein Kollaps auch immer ein Neuanfang.

Aber alles, was ich mache, macht überhaupt keinen Sinn, sagte Kleo. Was soll ich denn den Kindern beibringen, wenn sie nichts wissen wollen?

Aber Kleo!, sagte der Vater. Was sind denn das für Töne? Du musst deiner Arbeit einen Sinn verleihen, das weisst du doch. Das Lehrersein ist kein Job, es ist eine Berufung. Du musst nur an dich selbst glauben.

Wie denn? Kleo schmeckte plötzlich Blut im Mund, vermutlich hatte sich ihre Zunge wieder an den Zähnen geschnitten.

Du musst an dich selbst glauben, wiederholte er.

Aber alles wird schlimmer und schlimmer, sagte sie.

Die Zunge fuhr über die Zähne, suchte die scharfe Stelle.

Du musst das Schlimme einfach integrieren, Kleo. Es gehört auch dazu, weisst du. Alles ist eins. Und eins ist alles, das weisst du doch. Du kannst nicht dagegen ankämpfen, Kleo. Du musst nicht kämpfen, du musst integrieren!

Aber wenn der Planet zerstört wird -

Du bist auch Teil des Planeten. Und du bist Teil der Zerstörung.

Kleo schwieg. Sie hatte die scharfe Kante an einem oberen Backenzahn entdeckt, fuhr mit der Zunge immer wieder darüber, das Blut schmeckte süss.

Du scheinst mir unausgeglichen, sagte der Vater, hast du genug Bewegung?

Na ja -

Paul!, rief da im Hintergrund die Mutter. Paul, mit wem sprichst du?

Es ist die Kleine, sagte der Vater.

Kleo!, rief die Mutter.

Also, Kleo, ich gebe dich mal weiter an deine Mutter.

Aber Papi -, meinte Kleo, da rief schon die Mutter ins Telefon: Hallo, mein Schatz! Schön, dass du anrufst! Wie geht es dir?

Gut, und dir?

Uns geht s super, sagte die Mutter.

Frag sie, ob sie sich genug bewegt, hörte Kleo im Hintergrund den Vater.

Und, mein Schatz, sagte die Mutter, geniesst du das schöne Wetter?

Es ist viel zu heiss für Mai. Kleo schluckte ihren blutigen Speichel, doch sofort wurde neuer gebildet, füllte ihren Mund.

Du solltest trotzdem die Sonne geniessen und dich genug bewegen. Vor allem wenn du immer in der Schule sitzt, das ist schlecht für den Rücken. Und die Nerven. Sie lachte. Wir gehen häufig nach der Schule spazieren, dein Vater und ich. Das tut gut, gell, Paul?

Sag ihr, Bewegung hilft bei Sorgen, murmelte der Vater, und die Mutter rief erschrocken in den Hörer: Hast du Sorgen, mein Schatz?

Kleo verneinte. Dann sagte sie, sie habe noch Aufgaben zu korrigieren, was die Mutter sogleich dem Vater gegenüber wiederholte. Die Eltern lachten, dasselbe gelte auch für sie, sagte die Mutter, dann erklärten sie sich gegenseitig, dass sie sich vermissten und dass es schade sei, dass Kleo nicht mehr zu Hause wohne, und dann legten sie auf.

Die Hitze tat der Amaryllis gut. Kleo goss sie zweimal täglich. Sobald sie eine PET-Flasche voll Wasser in den Topf gegossen hatte, war das Wasser schon wieder versickert. Weitere Blätter sprossen aus der Knolle, sie waren nun nicht mehr grün, sondern gelblich. Kleo band auch die neuen Blätter mit Schnur fest.

Als Kleo eines Morgens aufwachte, dachte sie zuerst, sie hätte unruhig geträumt. Doch als sie aufstand, erkannte sie, dass die Unruhe von der Strasse kam. Sie schaute aus dem Fenster, es war schon hell und heiss, und unten stand eine Ambulanz, die Lichter blinkten stumm. Einige Nachbarn standen um das Auto herum, man hörte ihr Getuschel bis in den vierten Stock. Da trat ein Sanitäter aus dem Hauseingang, scheuchte die Menschen zur Seite, und zwei weitere Sanitäter trugen eine Bahre zum geöffneten Heck des Rettungswagens. Kleo beugte sich weit über die Brüstung. Die Person auf der Trage war zugedeckt bis zum Hals, das Gesicht war voller Schläuche. Kleo lehnte sich noch weiter aus dem Fenster, hielt die Hand über die Augen, doch dann wurde die Trage schon ins Auto geschoben.

Später, als Kleo aus der Wohnungstür trat, hörte sie unten im Treppenhaus Stimmen.

Tragisch, die alte Lady, sagte jemand, es klang wie der Student.

Man hat s ja kommen sehen, sagte eine andere Stimme, vermutlich ebenfalls ein Nachbar. Hat sich ja richtig gehenlassen, die Alte, lief nur noch im Morgenmantel rum.

Ich dachte, sie hatte Krebs.

Krebs, die Hitze, Einsamkeit, sagte der Nachbar...
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Autor

Anja Schmitter, geboren 1992 in Münsterlingen. Nach einem Studium der Germanistik und Komparatistik in Zürich, Bordeaux und Wien studierte sie im Master Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern. Anja Schmitter war als Autorin bei einem Gefängnistheater in Zürich tätig und als Dramaturgin beim See-Burgtheater in Kreuzlingen. Sie lebt in Zürich und schreibt Fiktion und literarische Reportagen, u.a. für das Magazin "Reportagen". "Leoparda" ist ihr erster Roman.
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