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Die einsame Stadt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.06.2023
»Laing hat einen Klassiker geschrieben. Eine atemberaubende Hommage an die Kunst und daran, wie Einsamkeit uns empfänglicher macht für die Fremdartigkeit anderer.« Deborah Levy
Mit Mitte dreißig zieht Olivia Laing nach New York City, weil dort der Mann lebt, den sie liebt. Kaum ist sie angekommen, geht die Beziehung in die Brüche, und sie sitzt allein in ihrem kleinen Apartment - so einsam wie noch nie in ihrem Leben. Um sie herum feiern die Leute ausgelassen, hören Jazz und amüsieren sich. Doch bald entdeckt sie, dass sie mit ihrer Einsamkeit nicht allein ist. Vielen Kunstschaffenden vor ihr ist es in New York genauso ergangen. Hätte Edward Hopper sonst sein bekanntestes Bild malen können, die »Nachtschwärmer«? Jene drei Menschen, die allein am Tresen einer Bar hocken? Mitreißend erzählt Olivia Laing die Lebensgeschichten großer Künstler*innen in New York und zugleich von sich und einem Gefühl, das wir alle kennen.

Olivia Laing, geboren 1977, »meisterhafte Biograf*in, Memoirschreiber*in und Essayist*in« (Helen MacDonald), studierte Englische Literatur an der Universität von Sussex. Laing brach das Studium ab, um auf einem Baum in der Wildnis zu leben und ein Diplom in Pflanzenheilkunde zu erwerben und sich anschließend dem Journalismus zuzuwenden. Laings Bücher sind in fünfzehn Sprachen übersetzt. 2018 erhielt Olivia Laing den renommierten Windham-Campbell-Preis.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

Klappentext»Laing hat einen Klassiker geschrieben. Eine atemberaubende Hommage an die Kunst und daran, wie Einsamkeit uns empfänglicher macht für die Fremdartigkeit anderer.« Deborah Levy
Mit Mitte dreißig zieht Olivia Laing nach New York City, weil dort der Mann lebt, den sie liebt. Kaum ist sie angekommen, geht die Beziehung in die Brüche, und sie sitzt allein in ihrem kleinen Apartment - so einsam wie noch nie in ihrem Leben. Um sie herum feiern die Leute ausgelassen, hören Jazz und amüsieren sich. Doch bald entdeckt sie, dass sie mit ihrer Einsamkeit nicht allein ist. Vielen Kunstschaffenden vor ihr ist es in New York genauso ergangen. Hätte Edward Hopper sonst sein bekanntestes Bild malen können, die »Nachtschwärmer«? Jene drei Menschen, die allein am Tresen einer Bar hocken? Mitreißend erzählt Olivia Laing die Lebensgeschichten großer Künstler*innen in New York und zugleich von sich und einem Gefühl, das wir alle kennen.

Olivia Laing, geboren 1977, »meisterhafte Biograf*in, Memoirschreiber*in und Essayist*in« (Helen MacDonald), studierte Englische Literatur an der Universität von Sussex. Laing brach das Studium ab, um auf einem Baum in der Wildnis zu leben und ein Diplom in Pflanzenheilkunde zu erwerben und sich anschließend dem Journalismus zuzuwenden. Laings Bücher sind in fünfzehn Sprachen übersetzt. 2018 erhielt Olivia Laing den renommierten Windham-Campbell-Preis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641249663
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.06.2023
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4095 Kbytes
Illustrationen9 schwarz-weiße Abbildungen
Artikel-Nr.10228623
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1
DIE EINSAME STADT

Stellen Sie sich vor, Sie stehen abends am Fenster, in der sechsten, siebzehnten oder dreiundvierzigsten Etage eines Hauses. Die Stadt entpuppt sich als eine Anhäufung von Zellen, hunderttausend Fenster, einige verdunkelt, andere geflutet von grünem, weißem oder goldenem Licht. Hinter dem Glas schwimmen Fremde hin und her, gehen Privatbeschäftigungen nach. Sie sind deutlich zu sehen und bleiben dennoch unerreichbar, und so verursacht dieses ganz alltägliche urbane Phänomen, das sich jeden Abend in jeder Stadt der Welt erleben lässt, selbst den geselligsten unter den Menschen einen Schauder der Einsamkeit, jener unguten Mischung aus Vereinzelung und Ausgesetztheit.

Einsam sein kann man überall, doch die Art von Einsamkeit, die dem Leben in der Stadt entspringt, inmitten von Millionen, ist eine Sache für sich. Man sollte meinen, dieser Zustand stehe in eklatantem Widerspruch zum urbanen Leben, zur massenhaften Präsenz anderer Menschen, und dennoch reicht bloße körperliche Nähe nicht aus, um diese Empfindung innerer Isoliertheit zu vertreiben. Es ist durchaus - und problemlos - möglich, sich elend und verlassen zu fühlen, während man mit anderen auf engstem Raum zusammenlebt. Die Großstadt kann einsam sein, und wer das erkannt hat, der weiß, dass Einsamkeit nicht unbedingt physisches Alleinsein erfordert, sondern vielmehr den steten Mangel von Nähe, Verbundenheit, Verwandtschaft: das Unvermögen, aus welchem Grund auch immer, das gewünschte Maß an Intimität zu finden. Bedrückung, wie uns ein Blick ins Wörterbuch verrät, auf Grund der fehlenden Gesellschaft anderer. Kein Wunder, dass sie ihren Gipfel oftmals in einer Menschenmenge erreicht.

Einsamkeit ist schwer einzugestehen, schwer zu kategorisieren. Wie die Depression - ein Zustand, mit dem sie sich in vielen Punkten überschneidet - kann sie tief ins innere Gefüge eines Menschen eindringen und zu einem integralen Bestandteil seiner Persönlichkeit werden, wie unbeschwertes Lachen oder rotes Haar. Ebenso gut jedoch kann sie flüchtiger, vorübergehender Natur sein, infolge äußerer Umstände anschwellen und wieder abebben, wie etwa die Einsamkeit nach einem Sterbefall, einer Trennung oder einer zerbrochenen Freundschaft.

Wie Depression, Melancholie oder Ruhelosigkeit ist auch die Einsamkeit der Pathologisierung unterworfen, wird sie als Krankheit eingestuft. Sie habe weder Sinn noch Zweck, so heißt es immer wieder, und sei, wie es Robert Weiss in seinem Standardwerk zum Thema formuliert, »eine chronische Krankheit ohne jede positive Eigenschaft«. Aussagen wie diese stehen in mehr als weitläufiger Verwandtschaft zu der Überzeugung, dass der Mensch zur Zweisamkeit geboren sei, oder der, dass Glück ein dauerhafter Besitz sein könne respektive müsse. Doch dieses Schicksal ist nicht jedem beschieden. Ich mag mich irren, aber eine Erfahrung, die so tief in unserem kollektiven Leben verankert ist, kann nicht völlig ohne Wert, Bedeutung oder Nutzen sein.

In ihrem Tagebuch des Jahres 1929 schildert Virginia Woolf eine Ahnung von innerer Einsamkeit, von deren Analyse sie sich Aufklärung verspricht, und setzt hinzu: »Wenn ich das Gefühl einfangen könnte, würde ich es tun: Das Gefühl vom Singen der wirklichen Welt, wenn man durch Einsamkeit & Schweigen aus der bewohnbaren Welt hinausgetrieben wird.« Ein interessanter Gedanke, dass die Einsamkeit einem womöglich zu einer Erfahrung von Wirklichkeit verhilft, die ansonsten unerreichbar bliebe.

Es ist noch nicht allzu lange her, da wohnte ich eine Zeit lang in New York, dieser wimmelnden Insel aus Gneis, Beton und Glas, und lebte Tag für Tag in Einsamkeit. Und obwohl diese Erfahrung alles andere als angenehm war, begann ich zu überlegen, ob Woolf nicht vielleicht doch recht hatte und mehr dahintersteckte, als sich auf den ersten Blick erkennen ließ - und ob die Einsamkeit einen nicht tatsächlich dazu bringt, sich mit einigen der größeren Fragen nach dem Sinn des Lebens zu befassen.

Es gab Dinge, die mir keine Ruhe ließen, nicht nur mir als Privatperson, sondern auch mir als Bürgerin unseres Jahrhunderts, unserer pixeligen Zeit. Was bedeutet es, einsam zu sein? Wie leben wir ohne die intime Beziehung zu einem anderen Menschen? Wie nehmen wir mit anderen Kontakt auf, insbesondere wenn uns das Sprechen schwerfällt? Ist Sex ein Mittel gegen Einsamkeit, und wenn ja, was passiert, wenn unser Körper oder unsere Sexualität als abweichend oder beschädigt wahrgenommen wird, wenn wir krank oder nicht mit Schönheit gesegnet sind? Und kann die Technik uns helfen? Bringt sie uns näher zusammen, oder kettet sie uns an Monitore und Displays?

Ich war keineswegs die Erste, die sich über diese Fragen den Kopf zerbrach. Alle möglichen Schriftsteller, Künstler, Filmemacher und Songwriter hatten sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt, hatten versucht, sie in den Griff zu bekommen und die damit verbundenen Probleme anzugehen. Aber da ich gerade meine Liebe zu Bildern entdeckte, die mir Trost boten wie nichts und niemand sonst, konzentrierte ich meine Bemühungen in erster Linie auf das Gebiet der bildenden Kunst. Ich war von dem Verlangen besessen, Korrelate, Übereinstimmungen zu finden, handfeste Beweise dafür, dass andere das Gleiche erlebt hatten wie ich, und während meiner Zeit in Manhattan begann ich mit dem Sammeln von Kunstwerken, die von Einsamkeit gequält wirkten, von ihr zu sprechen schienen, speziell von jener Form der Einsamkeit, die sich in der modernen Großstadt manifestiert oder, genauer, im New York der vergangenen plus/minus siebzig Jahre.

Anfangs waren es die Bilder, die mich anzogen, doch je mehr ich mich in das Thema vertiefte, desto häufiger begegneten mir die Menschen hinter diesen Bildern: Menschen, die sich in ihrem Privatleben wie auch in ihrer Arbeit mit Einsamkeit und den dazugehörigen Fragen auseinandergesetzt hatten. Unter den vielen Dokumentaristen der einsamen Stadt, deren Arbeiten mich berührt oder etwas gelehrt haben und mit denen ich mich auf den folgenden Seiten befassen werde - unter ihnen Alfred Hitchcock, Valerie Solanas, Nan Goldin, Klaus Nomi, Peter Hujar, Billie Holiday, Zoe Leonard und Jean-Michel Basquiat -, weckten vier Künstler mein besonderes Interesse: Edward Hopper, Andy Warhol, Henry Darger und David Wojnarowicz. Sie haben zwar nicht dauerhaft in Einsamkeit gelebt, im Gegenteil, aber mit vielerlei Ansätzen und Herangehensweisen experimentiert. Und sie alle hatten ein extremes Gespür für die Grenzen und Gräben zwischen Menschen, sie alle wussten, wie es ist, sich in der Menge mutterseelenallein zu fühlen.

Am wenigsten scheint das auf Andy Warhol zuzutreffen, der bekanntlich ständig die Nähe anderer suchte. Obwohl er fast immer von einer schillernden Entourage umgeben war, geht es in seinem Werk erstaunlich oft um Vereinsamung und Bindungsangst, Probleme, mit denen er sein Leben lang zu kämpfen hatte. Warhols Kunst erkundet den Raum zwischen Personen, ist eine groß angelegte philosophische Studie über Nähe und Distanz, Intimität und Entfremdung. Wie so viele einsame Menschen war er ein obsessiver Sammler, umgab er sich mit - teils selbst gefertigten - Objekten, einem Schutzwall gegen die Zumutungen menschlicher Nähe. Aus Angst vor Körperkontakt ging er nur selten ohne ein Arsenal von Kameras und Kassettenrekordern aus dem Haus, die ihm im gesellschaftlichen Umgang als Prellbock und Puffer dienten: ein Verhalten, das einiges über den Einsatz von Technik in diesem unseren Zeitalter der sogenannten Konnektivität verrät.

Der Hausmeister und outsider artist Henry Darger lebte das andere Extrem. Er wohnte allein in einer Pension in Chicago, wo er in einem nahezu vollständigen Vakuum, ohne Gesellschaft oder Publikum, ein fiktionales, von ebenso schönen wie schrecklichen Wesen bevölkertes Universum erschuf. Als er sein Zimmer im Alter von achtzig Jahren räumen und in ein Heim der katholischen Mission umziehen musste, wo er wenig später starb, stellte sich heraus, dass es vollgestopft war mit hunderten verstörend bezaubernder Gemälde, Arbeiten, die er offenbar sein Lebtag niemandem gezeigt hatte. Dargers Biografie wirft ein Schlaglicht auf die sozialen Kräfte, welche die Isolation befördern - und darauf, wie die Fantasie sich dem zu widersetzen vermag.

Ebenso wie die Biografien dieser Künstler in Sachen Soziabilität stark variieren, kreiste oder drehte sich ihre Arbeit auf unterschiedlichste Art und Weise um das Thema Einsamkeit, das sie mal frontal angingen und mal über die Auseinandersetzung mit Themen - Sex, Krankheit, Missbrauch -, die ihrerseits zu Stigmatisierung und Isolation führen können. Edward Hopper, dieser hochgewachsene, wortkarge Mann, beschäftigte sich sein Leben lang, auch wenn er es bisweilen leugnete, mit dem visuellen Ausdruck von urbaner Einsamkeit, ihrer Übersetzung in Farbe. Seine Bilder von einsamen Männern und Frauen hinter Glas, in leeren Cafés, Büros und Hotellobbys, sind noch heute, fast hundert Jahre später, die klassischen Darstellungen großstädtischer Isolation.

Man kann zeigen, wie Einsamkeit aussieht, aber man kann ihr auch den Kampf ansagen, mit Arbeiten, die ausdrücklich kommunizieren wollen, sich gegen Zensur und Schweigen zur Wehr setzen. Das war die treibende Motivation von David Wojnarowicz, einem noch viel zu wenig bekannten amerikanischen Künstler, Fotografen, Autor und Aktivisten, dessen mutiges, außergewöhnliches Åuvre mir, mehr als alles andere, das bedrückende Gefühl abschütteln half, dass ich mit meiner Einsamkeit schmählich allein war.

Die...

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Autor

Olivia Laing, geboren 1977, »meisterhafte Biograf*in, Memoirschreiber*in und Essayist*in« (Helen MacDonald), studierte Englische Literatur an der Universität von Sussex. Laing brach das Studium ab, um auf einem Baum in der Wildnis zu leben und ein Diplom in Pflanzenheilkunde zu erwerben und sich anschließend dem Journalismus zuzuwenden. Laings Bücher sind in fünfzehn Sprachen übersetzt. 2018 erhielt Olivia Laing den renommierten Windham-Campbell-Preis.