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Echos der Vergangenheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.04.2023
»Ein mächtiges Werk. Es erweckt so vieles zum Leben - Joseph Roth, Deutschland, die Kunst des Schreibens, Bücherverbote, die Vergangenheit, die zur Gegenwart spricht.« Colum McCann
Genial und ungewöhnlich - ein Buch erzählt. Und »Die Rebellion«, ein Roman von Joseph Roth aus dem Jahr 1924, hat einiges zu erzählen: die Geschichte des Buches selbst, das 1933 vor der Bücherverbrennung bewahrt wurde, die Geschichte seines Autors, der vor den Nazis fliehen musste, und seiner geliebten Frau Friederike, die ermordet wurde.
Und da gibt es noch die Geschichte von Andreas Pum, dem Helden aus »Rebellion«, Kriegsveteran und Drehorgelspieler, den das Glück verlässt, und die aktuelle Besitzerin des Buches, die Deutschamerikanerin Lena Knecht. Sie ist von der handgezeichneten Karte auf der letzten Seite des Buches fasziniert und reist nach Berlin, wo das Buch entstand ...
Hugo Hamiltons vielschichtiger Roman trägt die Echos der Vergangenheit in die Gegenwart, erzählt hundert Jahre Weltgeschichte und feiert das Überleben der Literatur.

Hugo Hamilton wurde 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren. Er arbeitete zunächst als Journalist, bevor er Kurzgeschichten und Romane veröffentlichte. Als DAAD-Stipendiat lebte und arbeitete er 2001/2002 ein Jahr lang in Berlin. Mit seinen Erinnerungsbänden »Gescheckte Menschen« (dt. 2004) und »Der Matrose im Schrank« (dt. 2006) erregte er auch in Deutschland Aufsehen. 2007 erschien sein Reisetagebuch auf den Spuren Heinrich Bölls »Die redselige Insel« und zuletzt der Roman »Palmen in Dublin« (dt. 2020). 2004 erhielt er in Paris den Femina-Preis für ausländische Literatur. Hugo Hamilton lebt mit seiner Familie in Dublin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

Klappentext»Ein mächtiges Werk. Es erweckt so vieles zum Leben - Joseph Roth, Deutschland, die Kunst des Schreibens, Bücherverbote, die Vergangenheit, die zur Gegenwart spricht.« Colum McCann
Genial und ungewöhnlich - ein Buch erzählt. Und »Die Rebellion«, ein Roman von Joseph Roth aus dem Jahr 1924, hat einiges zu erzählen: die Geschichte des Buches selbst, das 1933 vor der Bücherverbrennung bewahrt wurde, die Geschichte seines Autors, der vor den Nazis fliehen musste, und seiner geliebten Frau Friederike, die ermordet wurde.
Und da gibt es noch die Geschichte von Andreas Pum, dem Helden aus »Rebellion«, Kriegsveteran und Drehorgelspieler, den das Glück verlässt, und die aktuelle Besitzerin des Buches, die Deutschamerikanerin Lena Knecht. Sie ist von der handgezeichneten Karte auf der letzten Seite des Buches fasziniert und reist nach Berlin, wo das Buch entstand ...
Hugo Hamiltons vielschichtiger Roman trägt die Echos der Vergangenheit in die Gegenwart, erzählt hundert Jahre Weltgeschichte und feiert das Überleben der Literatur.

Hugo Hamilton wurde 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren. Er arbeitete zunächst als Journalist, bevor er Kurzgeschichten und Romane veröffentlichte. Als DAAD-Stipendiat lebte und arbeitete er 2001/2002 ein Jahr lang in Berlin. Mit seinen Erinnerungsbänden »Gescheckte Menschen« (dt. 2004) und »Der Matrose im Schrank« (dt. 2006) erregte er auch in Deutschland Aufsehen. 2007 erschien sein Reisetagebuch auf den Spuren Heinrich Bölls »Die redselige Insel« und zuletzt der Roman »Palmen in Dublin« (dt. 2020). 2004 erhielt er in Paris den Femina-Preis für ausländische Literatur. Hugo Hamilton lebt mit seiner Familie in Dublin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641280031
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum12.04.2023
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1472 Kbytes
Artikel-Nr.10228626
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


5

Am Abend der Bücherverbrennung, im Mai 1933, regnete es auch. Ein plötzlich aufziehender Regen drohte, alles zu verderben. Man konnte das wochenlang geplante Ereignis nicht mehr verschieben. Zur Überwachung hatte man einen Pyrotechniker engagiert. Auf dem Opernplatz war ein Holzgestell errichtet worden, getränkt mit Benzin. Es stand auf einer Schicht Sand, damit auf dem Boden keine Brandflecke zurückblieben.

In der Staatsbibliothek, gleich neben dem Ort der Verbrennung, ertönten die Parolen von Studenten, die mit einer Liste missliebiger Autorinnen und Autoren durch die Flure gingen. Sie war von einem Bibliothekar aufgesetzt worden, der festgestellt hatte, dass man Bücher genauso hassen wie lieben konnte. Mein Verfasser stand auf der Liste. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon nach Frankreich abgesetzt.

Ein Angstschauer ging durch die Regale, während die Titel aufgerufen wurden. Bücher nahmen hastig Abschied voneinander, während man sie zu Bündeln schnürte, um sie bequemer nach draußen schaffen zu können. Die Studenten kannten sich aus und gingen gründlich vor, sie durchkämmten den Katalog nach Titeln, die aus der Bibliothek entfernt werden sollten wie faule Zähne aus einem Kiefer, und reichten diese in einer Menschenkette zum Ort der Verbrennung weiter.

Sie galten als unvereinbar mit dem nationalen Interesse.

Die Studenten triumphierten. Dies war ihr großer Moment. Ihre Rache für all die Jahre, die sie mit der Lektüre verhasster Bücher am Schreibtisch verbracht hatten. Sie waren mit Herz und Verstand nicht mehr bei den Büchern, sondern der neuen Infrastruktur, der Autobahn. Sie konnten dem geltenden Wissen den Rücken kehren und in einem glorreichen Akt des Vandalismus schwelgen. In einen Zustand wie vor der Aufklärung zurückkehren. Zu dem Recht auf Unwissenheit.

Sie konnten alles abhaken, das Einzige, was zählte, war der Geist der Nation.

Die Bücher meines Verfassers waren zwar im Katalog der Staatsbibliothek aufgelistet, aber ich gehörte Professor Glückstein. Dieser hatte mich zu Hause in seine Aktentasche getan und in die Humboldt-Universität gebracht, weil er nicht wusste, wie weit man bei der Säuberung gehen würde, ob die Studenten nicht doch in Privatwohnungen eindringen würden, was später tatsächlich geschehen sollte. Der Professor hatte sich in seinem Büro mit einem zuverlässigen Studenten verabredet, dem er mich zwecks sicherer Aufbewahrung übergeben wollte.

Dieser Student hieß Dieter Knecht. Er war Lenas Großvater. Ein großer junger Mann mit leiser Stimme, der lieber las, als Sport zu treiben. Er stand kurz vor dem Abschluss seiner Zwischenprüfung in Germanistik. Er nahm mich entgegen, und beide sprachen eine Weile voller Sympathie über meinen Verfasser.

Indem Lenas Großvater diese Schmuggelware, diesen einen Roman vor der Verbrennung rettete, setzte er eine stille Welle des Widerstands in Gang, die bis heute anhält. Es war ein kleines, aber bedeutsames Ereignis, das sich hinter verschlossenen Türen abspielte, fern der Katastrophe auf dem Opernplatz. Es beeinflusste den Lebensweg von Menschen. Es wirkte sich auf Entscheidungen aus, die später, lange nach dem Untergang des Reichs der Bücherverbrenner, unter ganz anderen Umständen getroffen wurden.

Lenas Großvater, der die Gesänge und Parolen im Flur hörte, schob mich unter den Mantel, neben sein Herz. Er verschränkte die Arme vor der Brust, damit ich nicht herausfiel, und verließ das Gebäude über eine breite steinerne Treppenflucht.

Auf dem Opernplatz loderten Flammen. Studenten hatten schon Tage zuvor Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft geplündert. Sie tobten gegen den Schmutz in der Literatur, gegen sexuelle Freiheiten, Kapitalismus, die jüdische Dominanz, wie sie es nannten. Die von der Bibliothek auf den Opernplatz führende Menschenkette lieferte stetig verhasste Bücher. Jede Autorin und jeder Autor wurden im Schnellverfahren verurteilt - man rief den Namen auf, erklärte kurz, warum die Werke der neuen nationalen Vision nicht entsprachen, und warf sie ins Feuer. All das wurde landesweit im Rundfunk übertragen.

Mein Verfasser wurde der sogenannten Asphaltliteratur zugeordnet, dem neuen Stil der multikulturellen Städte.

Die ersten Bücher, die im Feuer landeten, stammten von Karl Marx. Es folgten zahlreiche weitere jüdische Autoren. Ein Autor wurde wegen seines Namens für einen Juden gehalten und protestierte im Nachhinein wütend gegen die Verleumdung. Man verbrannte die Bücher einer Autorin, deren Protagonistinnen zu selbstbewusst agierten und den Nazi-Idealen der Mutterschaft nicht entsprachen. Thomas Manns Der Zauberberg wurde verschont, Heinrich Manns Roman Professor Unrat jedoch nicht. Ebenso wenig die Werke eines Dramatikers, der ein Stück über einen Mann geschrieben hatte, dessen Genitalien in einer Schlacht abgerissen worden waren. Und die Werke eines noch berühmteren Dramatikers, dessen Dreigroschenoper in Berlin großen Beifall gefunden hatte und der später in einem Gedicht sagen sollte, wie froh er sei, dass man ihn nicht verschont habe: »Verbrennt mich! Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig!«

Man hörte eine Schaulustige sagen: Herrlich ist das, herrlich. Wie meinte sie das wohl? Bejubelte sie das neue anti-intellektuelle Zeitalter, in dem man sich das Denken sparen konnte und keine Fragen mehr stellen musste, weil man sowieso alles bejahte?

Immer mehr Bücher warf man in die Flammen. Ein Mann mit weißem Hemd zuckte vor der Hitze zurück, als er dem Feuer zu nahe kam. Feuerwehrleute standen bereit. Ein Autor, dessen Werke im Feuer landeten, verschwand eilig, als sein Name ausgerufen wurde.

Viele Bücher, die an jenem Abend verbrannt wurden, hatten den Krieg zum Thema. Es waren Bücher, die sich weigerten, den Tod zu glorifizieren. Unheroische Geschichten von Männern mit abgerissenen Gliedmaßen, durchtrenntem Rückgrat oder Lungenproblemen. Von Männern, denen das halbe Gesicht fehlte. Berlin wimmelte von Veteranen, die zitternd zu Hause saßen und ihre Angehörigen nicht mehr erkannten. Die Schilderungen von Kriegsverstümmelungen sollten aus der Öffentlichkeit getilgt werden, weil sie angeblich die Moral schädigten, den Krieg in ein schlechtes Licht rückten und eine falsche Einstellung gegenüber Tod und Leid förderten.

Mein Verfasser berichtete als Journalist über seinen Besuch in einem Lazarett mit zweieinhalbtausend Verwundeten, alle gesund geboren und auf dem Schlachtfeld verstümmelt. Ein Soldat kehrte als Schatten eines Mannes von der Front zurück. Mein Verfasser nannte diese Männer lebende Kriegsdenkmäler. Er lernte im Krankenhaus jemanden kennen, dessen Lippen fehlten. Davon abgesehen war er unversehrt, die explodierende Granate hatte ihm nur die Lippen abgerissen - er konnte nicht mehr küssen.

Der Protagonist des Romans Die Rebellion basiert auf diesem Versehrten. Es geht um den Kriegsveteranen Andreas Pum, der sich in einem Militärlazarett voller menschlicher Wracks wiederfindet. Er hat im Krieg ein Bein verloren und einen Orden bekommen. Wie andere Invaliden beneidet er die »Zitterer«, weil diese vom Staat versorgt werden. Als Andreas schließlich vor der ärztlichen Kommission erscheint, die über die Zukunft der Patienten befindet, beginnt er in seiner Panik zu zittern. Ein Glücksfall. Das Zittern verschafft ihm einen Lebensunterhalt. Es erregt das Mitgefühl der Kommissionsmitglieder, und er erhält umstandslos eine Lizenz für einen Leierkasten. Eine sichere Zukunft tut sich vor ihm auf, denn als Straßenmusiker kann er überall in der Stadt acht verschiedene Melodien erklingen lassen. Er kommt in der Wohnung eines Wurstdiebs namens Willi und dessen Geliebter Klara unter. Sie arbeitet als Kassiererin, hat aber Nebenverdienste. Andreas beobachtet heimlich, wie sie sich entkleidet. Er hört, wie sich die beiden küssen, und während er einschläft, träumt er von der Liebe.

Die Geschichte dieses ordensgeschmückten Veteranen, der nicht vorhat, gegen Gesetze zu verstoßen, sondern lediglich seinen Lebensunterhalt verdienen will, wurde nun als lebensunwerte Literatur eingestuft.

Lenas Großvater, der mich unter seinem Mantel verbarg, betrachtete das Feuer. Die Gesichter der Schaulustigen glänzten im warmen Schein. Ihre Augen wirkten pechschwarz. Ihre Lippen schillerten grünlich. Sie sogen den beißenden Papierqualm durch die Nase ein, er roch wie brennendes Haar.

Ein Lagerfeuer aus Lebensgeschichten. Die Seiten rollten sich auf und segelten als Rußflocken über die Dächer. All die erdachten Leben, all die menschlichen Gedankengänge wurden in nutzlose Hitze verwandelt. Die Wörter lösten sich aus den Sätzen, sie verloren ihre Bedeutung. In den Flammen erklangen unzählige Stimmen, die zu einem Bewusstseinsstrom verschmolzen, einer Kakofonie von Textbruchstücken, einer geisterhaften Rezitation zusammenhangloser Phrasen und Dialogfetzen. Liebesbekundungen. Rufe von Männern nach der Mutter. Das Weinen von Kindern, die man den Eltern entriss. Wohnhäuser, die sich in Asche verwandelten, Familiengeschichten, die sich mit einer langen, stummen Klage, die durch die ganze Stadt hallte, in Rauch auflösten.

Kurz vor Mitternacht erschien Joseph Goebbels, um eine Rede zu halten. Man hatte in sicherem Abstand zum Feuer Mikrofone für ihn aufgestellt. Falls er Durst hätte, standen Wasserflaschen auf einem kleinen Tisch bereit. In einen beigefarbigen Mantel gehüllt lobte er die Studenten für ihre Säuberungsaktion. Mit einer Stimme, deren Volumen nicht zu seiner kleinen Gestalt passte, erklärte er die literarische Vorherrschaft jüdischer Autoren für beendet. Schluss mit der Asphaltliteratur. Höchste Zeit,...

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Autor

Hugo Hamilton wurde 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren. Er arbeitete zunächst als Journalist, bevor er Kurzgeschichten und Romane veröffentlichte. Als DAAD-Stipendiat lebte und arbeitete er 2001/2002 ein Jahr lang in Berlin. Mit seinen Erinnerungsbänden »Gescheckte Menschen« (dt. 2004) und »Der Matrose im Schrank« (dt. 2006) erregte er auch in Deutschland Aufsehen. 2007 erschien sein Reisetagebuch auf den Spuren Heinrich Bölls »Die redselige Insel« und zuletzt der Roman »Palmen in Dublin« (dt. 2020). 2004 erhielt er in Paris den Femina-Preis für ausländische Literatur. Hugo Hamilton lebt mit seiner Familie in Dublin.