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China, mein Vater und ich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am14.03.20231. Auflage
Der Aufstieg Chinas neu erzählt

Am 17. April 1978 ist Wenpo Lee Anfang vierzig und Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Hinter ihm liegt ein langer Weg: Als Kind floh er aus China nach Taiwan, lebte dort auf der Straße, bis ihn ein Lehrerehepaar aufnahm und er schließlich zum Studium nach Deutschland ging. Mit China hatte er abgeschlossen - bis zu dem Tag, an dem eine chinesische Delegation vor dem VW-Werk steht. In der Folge wird Wenpo Lee zu einem der Architekten des China-Geschäfts von VW und trägt damit maßgeblich zum Aufstieg des Landes zur Wirtschaftsmacht bei. 
Anhand der Geschichte seiner Familie erzählt Felix Lee die rasante Entwicklung Chinas noch einmal neu: Pointiert, facettenreich, voller Anekdoten - und mit dem kritischen Blick eines Wirtschaftsjournalisten.

»Kein deutscher Journalist versteht die Widersprüche des modernen China so gut wie Felix Lee.«
Bernhard Zand, DER SPIEGEL


Felix Lee, geb. 1975 in Wolfsburg, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und Politik und absolvierte die Berliner Journalistenschule. Von 2003 bis 2022 arbeitete er als Wirtschafts- und Politikredakteur der taz. Ab 2010 war er neun Jahre China-Korrespondent in Peking. Er schreibt u. a. für Zeit Online und China Table Professional Briefing. 2011 erschien sein Buch »Der Gewinner der Krise - was der Westen von China lernen kann« und 2014 die Biografie »Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiaoping«. Er lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextDer Aufstieg Chinas neu erzählt

Am 17. April 1978 ist Wenpo Lee Anfang vierzig und Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Hinter ihm liegt ein langer Weg: Als Kind floh er aus China nach Taiwan, lebte dort auf der Straße, bis ihn ein Lehrerehepaar aufnahm und er schließlich zum Studium nach Deutschland ging. Mit China hatte er abgeschlossen - bis zu dem Tag, an dem eine chinesische Delegation vor dem VW-Werk steht. In der Folge wird Wenpo Lee zu einem der Architekten des China-Geschäfts von VW und trägt damit maßgeblich zum Aufstieg des Landes zur Wirtschaftsmacht bei. 
Anhand der Geschichte seiner Familie erzählt Felix Lee die rasante Entwicklung Chinas noch einmal neu: Pointiert, facettenreich, voller Anekdoten - und mit dem kritischen Blick eines Wirtschaftsjournalisten.

»Kein deutscher Journalist versteht die Widersprüche des modernen China so gut wie Felix Lee.«
Bernhard Zand, DER SPIEGEL


Felix Lee, geb. 1975 in Wolfsburg, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und Politik und absolvierte die Berliner Journalistenschule. Von 2003 bis 2022 arbeitete er als Wirtschafts- und Politikredakteur der taz. Ab 2010 war er neun Jahre China-Korrespondent in Peking. Er schreibt u. a. für Zeit Online und China Table Professional Briefing. 2011 erschien sein Buch »Der Gewinner der Krise - was der Westen von China lernen kann« und 2014 die Biografie »Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiaoping«. Er lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841232359
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1802 Kbytes
Illustrationen20 Abbildungen
Artikel-Nr.10230853
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe




1
Wende in Wolfsburg



Chinesen am Werktor


»Wenpo, kannst du noch deine Muttersprache?«, rief ein Mitarbeiter der Presseabteilung von Volkswagen am 17. April 1978 aufgeregt ins Telefon. Wenpo ist mein Vater und zu der Zeit Leiter einer Forschungsabteilung zur Entwicklung sparsamer Motoren bei VW in Wolfsburg. Mit dem ersten durch Alkohol angetriebenen Motor hatte er es unlängst in die Bild-Zeitung geschafft. »Neuen Kraftstoffen auf der Spur«, lautete der Titel. Darunter ein großes Foto von ihm. Einspritzmotoren waren eine noch junge Technik, die bis dahin vor allem in teure Fahrzeuge eingebaut wurde. Nun sollte eine Variante entwickelt werden, die für das Massensegment tauglich war, für ein Auto, das jeder bezahlen konnte. Dabei ging es auch um Alternativkraftstoffe. Klimawandel und CO2-Ausstoß waren zwar noch kein Thema, aber die Ölpreiskrise von 1973 steckte vielen noch in den Knochen. Es gab auch schon die ersten Berichte über sauren Regen und Waldsterben. Und dass es mit den schädlichen Abgaswerten nicht ewig so weitergehen konnte, beschäftigte auch die Abteilung meines Vaters. Zwanzig Jahre später würde der FSI-Motor, an dem sein Team damals arbeitete, im VW Lupo zum Einsatz kommen. Das aber war zu dem Zeitpunkt noch Zukunftsmusik - und auch nicht der Grund des Anrufs an jenem Morgen.

Ob er kommen könne? Am Werktor stünden ein paar Chinesen. Was sie wollen, wisse keiner. Einer von ihnen behaupte, er sei der chinesische Maschinenbauminister.

Natürlich konnte mein Vater noch Chinesisch. Allerdings bezweifelte er, dass ein chinesischer Minister vor dem Werktor stand. Er hielt es nicht einmal für wahrscheinlich, dass es sich um Leute aus der Volksrepublik handelte. Vermutlich waren die Herren eher aus Japan, vielleicht auch aus Südostasien. Sein Kollege aus der Presseabteilung war nicht der Einzige, für den Asiaten alle gleich aussahen. Schon oft war mein Vater für einen Japaner oder einen Vietnamesen gehalten worden.

Mein Vater zog sich sein Jackett an. Die Frühlingssonne schien durch das große Bürofenster. Es war Montag. Das Wochenende klang noch ein bisschen nach, ein Kollege gähnte hörbar, als er mit seinem Kaffee vorbeischlenderte. Auf dem übergroßen Schreibtisch meines Vaters lag eine Konstruktionszeichnung. Computer gab es zwar schon, aber die meisten Ingenieure arbeiteten noch auf Papier. Und dafür brauchten sie Platz. Sein Büro befand sich in einem langgezogenen kastenförmigen Gebäude, außerhalb des eigentlichen Werkgeländes. FE hieß das Gebäude, abgekürzt für »Forschung und Entwicklung«. Alle Wolfsburger kannten das markante weiße Bauwerk mit den vorgelagerten braunen Treppenhäusern. Es war damals das modernste Gebäude der Stadt. Auf dem Weg zu den unerwarteten Besuchern beschäftigten meinen Vater Datenauswertungen und Testergebnisse, ein wenig neugierig, wen er antreffen würde, war er auch, aber dass mit diesem Morgen nicht nur sein Leben ein völlig anderes werden würde, sondern auch deutsche und chinesische Wirtschaftsgeschichte geschrieben würde, ahnte er nicht. Mit China hatte er abgeschlossen.



Wolfsburger Nanjing-Menschen


Eine der ersten Fragen, die einem Leute in China stellen, lautet: Was für ein Mensch bist du? Gemeint ist damit, woher man stammt. Weil das Land so groß ist, geben sich die Menschen nicht mit der Angabe einer Provinz zufrieden, sondern erwarten eine Antwort wie: Qingdaoer, Pekinger, Guangzhouer, Ningboer oder Shanghaier. Ich antworte auf die Frage meistens, dass ich ein Nanjing-Mensch bin. Denn von dort kommt mein Vater. Und wenn dann festgestellt wird, dass mein Chinesisch überhaupt nicht wie der Nanjing-Dialekt klingt, sondern eher wie aus Fujian oder Taiwan auf der gegenüberliegenden Seite der Straße von Formosa, erkläre ich, dass mein Vater schon früh nach Taiwan gegangen ist und ich auch dort viele Verwandte habe. In Südchina und Taiwan werden die im Chinesischen häufig genutzten Sch-Laute wie ein scharfes S ausgesprochen, also si statt shi.

In Taiwan allerdings finden viele, ich klänge wie jemand aus Peking. Denn in Peking werden viele Wörter gerne mit der Zunge gerollt, so wie es Amerikaner mit dem R tun. Das sei nicht verwunderlich, antworte ich dann, schließlich habe ich als Zehnjähriger für zweieinhalb Jahre in Peking gewohnt. In dieser Zeit muss ich wohl den dortigen Slang aufgegriffen haben. Wenn sich die Leute schließlich eine Weile mit mir auf Chinesisch unterhalten haben, merken sie: Nichts von alldem trifft auf mich zu. An meinem etwas limitierten Wortschatz und der einen oder anderen falschen Ausdrucksweise erkennen sie, dass ich überhaupt nicht aus China bin. Tatsächlich bin ich nämlich Wolfsburger.

Obwohl ich von klein auf auch chinesisch aufgewachsen bin: In unserem Wohnzimmer standen ein paar chinesische Vasen aus schwarzer Lacquerware und ein paar Porzellan-Teebecher. Abends wurde meist chinesisch gekocht: Reis und ein paar Gerichte, die meine Mutter aus den Zutaten improvisierte, die sie auf dem Markt vor dem Wolfsburger Rathaus erstand. Mein Bruder und ich lernten, mit Stäbchen zu essen - wobei ich sie bis heute falsch halte. Ich habe schwarze Haare, Schlitzaugen - so sagten wir damals selbst -, und ich bin klein. Ich habe das lange auf meine chinesische Herkunft zurückgeführt. Später musste ich feststellen: Auch für chinesische Verhältnisse bin ich ziemlich klein. Mein Bruder ist deutlich größer geworden als ich.

Am 17. April 1978 war ich noch nicht ganz drei Jahre alt und ging in einen katholischen Kindergarten. China war weit weg. Für uns, für die anderen Wolfsburger und wohl auch für die Mehrzahl der Westdeutschen. Es gab keine Studentinnen und Studenten aus der Volksrepublik, keine Chinesisch-Sprachkurse an der Volkshochschule und auch sonst kaum Austausch, geschweige denn Geschäftsbeziehungen. China war seit dreißig Jahren völlig isoliert, diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik existierten nicht. Bis 1971 war das chinesische Festland völkerrechtlich nicht einmal anerkannt. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertrat die Regierung der kleinen Inselrepublik Taiwan das große China. Deutsche Zeitungen hatten keine Korrespondenten in Peking oder Shanghai. Die wenigen Berichte, die es in die westdeutschen Medien schafften, handelten von Diktator Mao Tse-tung. Für eine kleine Minderheit von linksradikalen Studenten mochte er der »Große Vorsitzende« gewesen sein, der zwischen dem imperialistischen Westen, dem freiheitsraubenden Realsozialismus der DDR und der Sowjetunion einen eigenen Weg gewählt hatte. Für die meisten Westdeutschen war er ein brutaler Machthaber, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Das Einzige, was in Wolfsburg chinesisch war, war das China-Restaurant in der Rothenfelder Straße.

Als Kind mochte ich die chinesische Sprache nicht. Entsprechend schlecht lernte ich sie. Ich verstand meine Eltern zwar, wenn sie mich auf Chinesisch ansprachen, aber meistens antwortete ich auf Deutsch. »Jiang Zhongwen«, habe ich immer noch im Ohr. »Sprecht chinesisch!«, forderten sie meinen Bruder und mich auf. Doch um uns herum sprachen alle deutsch: im Kindergarten, die Nachbarn, Freunde, die zu Besuch kamen. Wenn ich meinen Eltern doch einmal auf Chinesisch antwortete, war jedes dritte Wort ein deutsches. Manchmal unterhalten wir uns in der Familie heute noch so. Verhunztes Chinesisch nenne ich das.

Im Frühjahr 1978 standen meine Eltern kurz davor, ein Einfamilienhaus zu kaufen. Bis dahin wohnten wir in Westhagen, einem komplett neuen Stadtteil. Er war wenige Jahre vor meiner Geburt hochgezogen worden. Hässliche Plattenbauten, wie viele heute meinen. So empfanden es die Westhagener damals aber nicht. Es herrschte Wohnungsnot. Die Hochhaussiedlung lag zudem am Rande eines Waldes, es gab jede Menge Grün und Spielplätze. Die Wohnungen galten als modern. Vor jedem Haus befanden sich ausreichend Parkplätze. Die Straßen waren breit und autofreundlich. Sie waren nach Städten in der...


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Autor

Felix Lee, geb. 1975 in Wolfsburg, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und Politik und absolvierte die Berliner Journalistenschule. Von 2003 bis 2022 arbeitete er als Wirtschafts- und Politikredakteur der taz. Ab 2010 war er neun Jahre China-Korrespondent in Peking. Er schreibt u. a. für Zeit Online und China Table Professional Briefing. 2011 erschien sein Buch »Der Gewinner der Krise - was der Westen von China lernen kann« und 2014 die Biografie »Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiaoping«. Er lebt in Berlin.