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Hundert Lügen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
300 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am25.11.20221. Auflage
Wie viele Lügen haben in zehn Jahren Platz? Hundert? Tausend? Hunderttausend? Zu viele. Die Geschwister Manon und Kris waren unzertrennlich. Bis ein Sommercamp ihre unbeschwerte Kindheit brutal beendete. Ihre Familie zerbrach, ihre Leben drifteten auseinander. Drohbriefe an den Vater bringen die beiden wieder zusammen - aus den Spielen von einst wird blutiger Ernst. Verdächtigungen, Anschuldigungen. Lügen. Und am Ende aller Lügen wartet unbarmherzig die Wahrheit.

Alice Gabathuler schreibt Geschichten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Meistens werden daraus Bücher, manchmal auch Hörgeschichten fürs Radio. Und ab und zu gewinnt sie damit einen Preis oder eine Auszeichnung. Zum Beispiel den Hansjörg-Martin-Preis für den besten deutschsprachigen Jugendkrimi 2014.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR13,50
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextWie viele Lügen haben in zehn Jahren Platz? Hundert? Tausend? Hunderttausend? Zu viele. Die Geschwister Manon und Kris waren unzertrennlich. Bis ein Sommercamp ihre unbeschwerte Kindheit brutal beendete. Ihre Familie zerbrach, ihre Leben drifteten auseinander. Drohbriefe an den Vater bringen die beiden wieder zusammen - aus den Spielen von einst wird blutiger Ernst. Verdächtigungen, Anschuldigungen. Lügen. Und am Ende aller Lügen wartet unbarmherzig die Wahrheit.

Alice Gabathuler schreibt Geschichten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Meistens werden daraus Bücher, manchmal auch Hörgeschichten fürs Radio. Und ab und zu gewinnt sie damit einen Preis oder eine Auszeichnung. Zum Beispiel den Hansjörg-Martin-Preis für den besten deutschsprachigen Jugendkrimi 2014.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756282197
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum25.11.2022
Auflage1. Auflage
Seiten300 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10302517
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. KRIS

Wir kreisten seit einer halben Stunde über Zürich. Turbulenzen schüttelten die Maschine durch. Vor den Fenstern schossen Nebelschwaden vorbei. Der Anzugträger neben mir hatte seine lässige Coolness längst verloren und krallte seine Finger in die Armlehnen. Schweiß auf der Stirn, den Blick geradeaus gerichtet, saß er da und murmelte etwas vor sich hin. Es klang wie ein Gebet. Vielleicht waren es auch nur die Börsenkurse. Was weiß ich. Es war egal. Unter uns öffnete sich ein Luftloch. Wir sackten ins Endlose. Einige Passagiere schrien. Ich lachte.

»Das ist nicht lustig«, zischte mein Sitznachbar.

Wahrscheinlich nicht. Weder für ihn noch die schluchzende Frau ein paar Reihen hinter mir. Bestimmt hatten die beiden etwas, für das es sich zu leben lohnte, selbst wenn es bei dem Typen neben mir nur der nächste Gewinn im Spiel um noch mehr Gewinn war.

Sie hatten etwas zu verlieren. Ich nicht.

Du lügst , meldete sich Murphy in meinem Kopf.

Seit Wochen klebte dieser verdammte Irre in meinen Gedanken wie eine Fliege an einem Fliegenfänger. Sogar jetzt, auf diesem Höllenritt zwischen Himmel und Erde, dessen Ausgang völlig offen war.

»Elliot Murphy.«

Mehr sagte er bei unserer ersten Begegnung nicht. Er drehte mir den Rücken zu und nahm auf einem der beiden braunen Ledersessel Platz.

Sein vorgetäuschtes Desinteresse langweilte mich genauso wie sein schwarzes T-Shirt mit dem Schriftzug einer Rockband aus den Siebzigern. Ich drehte mich um und ging. Murphy hielt mich nicht zurück. Er folgte mir nicht. Er setzte nicht einmal seine Vorzimmerdame auf mich an. Er ließ mich einfach gehen. Ich schloss eine Wette mit mir ab, wer sich zuerst bei mir melden würde. Murphy oder Dad. Ich tippte auf Murphy. Aber der rief nicht an. Mein Vater auch nicht. Entweder hatte Murphy ihm nicht gesagt, dass ich den Termin platzen lassen hatte, oder die beiden verbündeten sich mit einer neuen Masche gegen mich.

Zur nächsten Sitzung erschien ich gar nicht erst. Wozu auch? Murphy war nur ein weiterer Name auf einer langen Liste von Seelenklempnern, die versuchten, in meinen Kopf zu sehen. Alle anderen vor ihm hatte ich ausgetrickst und abgeblockt. Ich würde auch diesen Möchtegern-Freak austricksen. Für irgendetwas war mein hoher IQ also doch gut, wenn er mich schon nicht zu einem gesellschaftstauglichen Menschen machte.

Auch nach meinem zweiten verpassten Termin bei Murphy geschah nichts. Keine Anrufe, kein Sperren meiner Kreditkarte, kein diskreter Besuch von Alex, Dads Mann für heikle Angelegenheiten.

Ich ließ zwei weitere Termine sausen. Wieder geschah nichts. Vielleicht hatte Dad aufgegeben. Oder Murphy verheimlichte ihm, dass ich nicht auftauchte, und kassierte einfach die Kohle. Hätte ich ihm glatt zugetraut.

Nach ungefähr einem Monat wurde mir klar, dass sich Murphy in meinem Hirn eingenistet hatte, ohne dass wir eine einzige Therapiestunde zusammen verbracht hatten. Ich musste auf andere Gedanken kommen. Also legte ich mich mit Rodriguez an. Das war der einfachste und sicherste Weg, mir einen Knockout mit nachfolgenden Höllenschmerzen einzufangen. Als Rodi mich beim Sport anrempelte, zischte ich ihm eine Beleidigung ins Ohr. Er wartete bis nach dem Training. In der Umkleide knallte er meinen Kopf gegen einen Spind. Es gab ein hässliches Geräusch, meine Stirn platzte auf und Blut rann über mein Gesicht. Ich wirbelte herum und schlug zurück. Rodi war so überrascht von meiner Gegenwehr, dass er zu Boden ging. Benommen stützte er sich auf seine Ellbogen und spuckte Blut auf den Boden. »Macht ihn fertig«, befahl er.

Ich konnte nicht sehen, wer sich von hinten gegen mich warf, aber es gab genügend Leute, die nur auf eine Gelegenheit wie diese gewartet hatten. Was danach geschah, weiß ich nicht. Nur, dass ich aufwachte, weil es eiskaltes Wasser auf mich regnete.

»Was ist los, Mortensen?«, schnarrte die Stimme meines Trainers durch das Rauschen der Dusche.

Ich rollte mich auf den Rücken.

»Nichts, Trainer.«

»Nichts?«

»Muss beim Duschen ausgerutscht sein.«

»Du duschst in deinen Klamotten?«

»Sieht so aus.«

Der Trainer gab sich damit zufrieden. Rodriguez war sein bester Mann. Er brauchte ihn. Mich nicht. Aber er wusste, wer mein Dad war, und deshalb brachte er mich vorsichtshalber zum Arzt. Anschließend begleitete er mich aufs Sekretariat, wo ich meinen Unfall meldete und betonte, dass ich wegen so einer Kleinigkeit keine Benachrichtigung meines Vaters wünschte.

Ich schluckte keine der Tabletten, die mir der Doc gegeben hatte. Es sollte richtig heftig wehtun. Nicht nur am Kopf, sondern auch dort, wo mich die Tritte meiner Mitschüler getroffen hatten. Ich glaube, ich dachte wirklich, dass ich mit dieser sinnlosen Aktion Murphy aus meinem Schädel bekommen konnte. Tatsache ist, dass Murphy dadurch erst recht in meinem Kopf drinsteckte und mein IQ mal wieder völlig für den Arsch war.

In der elften oder zwölften Woche ging ich hin, um Murphy zu sagen, dass ich nicht kommen würde. Weder jetzt noch irgendwann.

»In Ordnung«, antwortete er.

Ich starrte auf das T-Shirt mit dem ewig gleichen Schriftzug und fragte mich, ob er davon einen ganzen Stapel im Kleiderschrank hatte.

»Kennst du Stormbringer?«, wollte er wissen.

Der Typ war genauso krank im Kopf wie ich. Ich schenkte ihm und mir die Antwort und zog Leine. Murphy hielt mich nicht auf.

Zurück in meinem Zimmer, googelte ich Stormbringer . Es war ein Song der Band auf dem T-Shirt. Da drin gab s eine Songzeile, in der s ums Bluten ging. Verdammt. Ahnte Murphy, was ich getan hatte? Was wollte er? Rennen sinnlos! Eine weitere Songzeile. Doch genau das tat ich. Ich lud den Song runter und rannte. So schnell und so weit, wie ich noch nie gerannt war.

Als es Zeit für den nächsten Termin war, trat ich über die Schwelle und setzte mich in den Sessel. Murphy nahm den anderen. Ich sagte eine Stunde lang kein Wort. Er auch nicht. Das zogen wir drei Wochen durch. Wir saßen da und schwiegen. Zwischen den Terminen rannte ich. Dabei lief immer nur dieser eine Song. Stormbringer . Ich ritt auf dem Regenbogen, starrte Risse in den Himmel, tanzte auf dem Donner und entkam trotzdem nicht.

»Scheißsong«, sagte ich bei der nächsten Sitzung.

»Du lügst.«

Da wir schon mal mit dem Sprechen angefangen hatten, redete Murphy weiter und erzählte mir von der Band. Er hatte sie mehr als dreißig Mal live gesehen.

»Sie sind verrückt.«

»Sind wir das nicht alle?«

Nun, zumindest wir beide waren es definitiv. Ich begann, mir andere Songs der Band anzuhören. Child in Time brachte mich zum Heulen. Ich hatte seit beinahe zehn Jahren nicht mehr geweint. Ich meine, so richtig. Nicht, weil mir etwas körperlich wehtat, sondern weil sich die Worte durch die dicke Schutzschicht bohrten, unter der der kleine Junge von damals den Drachen verborgen hatte.

Ich hielt nicht alle Termine ein. Aber ich rannte immer noch. Schneller als je zuvor. Mittlerweile war ich so fit, dass mir der Trainer vor versammelter Klasse vorschlug, mich fürs Laufteam zu melden. Rodriguez schnappte nach Luft. Ich lehnte ab.

Und dann kam Dads Anruf.

»Ich will, dass du nach Hause kommst.«

Ich hatte kein Zuhause. Längst nicht mehr.

»Du mich auch«, antwortete ich und drückte Dad weg.

Seine Textnachricht folgte keine fünf Minuten später. Flug gebucht . Mir blieben zwei Möglichkeiten: abhauen oder mich dem Befehl meines Vaters beugen.

Ich platzte bei Murphy rein. Ohne Termin.

»Ich muss nach Hause.«

Keine Ahnung, warum ich ihm das verriet. Und schon gar keine, worauf ich wartete. Dass er mir widersprach? Mir empfahl, mich der Konfrontation zu stellen?

»Kennst du Murphys Gesetz?«, fragte er.

»Das mit dem Brot, das mit der Butterseite auf den Boden knallt?«

»Ja. Vergiss es.«

»Was?«

»Das Gesetz mit dem Butterbrot. Es taugt nicht.«

»Ich nehme dann mal an, Sie haben Ihr eigenes.«

Er grinste. »Hab ich. Elliot Murphys Gesetz.«

»Schön für Sie.« Ich stand auf.

»Du kannst es bezwingen«, sagte er.

»Was? Das Butterbrot?«

»Das Monster in dir.«

Ich wusste genau, wovon er sprach. »Nein.«

Er kannte den Drachen nicht. Er kannte mich nicht. Er wusste nicht, was ich getan hatte.

»Doch. Aber das geht nur, wenn du dich deiner Angst stellst.«

»Netter Versuch, Murphy.« Und dann schob ich diesen Worten tatsächlich ein »Danke« nach. Ich nehme an, weil er der Erste war, der gar nicht erst versuchte, mir das Monster auszureden.

»Wir stürzen nicht ab«, sagte ich zu dem Typen neben mir.

»Woher willst du das wissen, du Klugscheißer?«

»Murphys Gesetz.«

»Murphys Gesetz?« Sein Gesicht war grau vor Angst. »Nach diesem Gesetz wird es schiefgehen. Wir stürzen...
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