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Was wir zu hoffen wagten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
490 Seiten
Deutsch
hockebookserschienen am01.12.2022Überarbeite Neuausgabe
Berlin 1912. Die junge Bankierstochter Felice tut alles für ihren großen Traum: Sie will Jura studieren, Anwältin werden und für Gerechtigkeit kämpfen - alles Dinge, die einer Frau in der festgefahrenen Enge des Kaiserreichs verwehrt bleiben. Felice aber gibt nicht auf, und ihre Geschwister Ille und Willi, die um eigene Träume kämpfen, unterstützen sie. Nicht einmal ihrer aufflammenden Liebe zu dem Journalisten Quentin gestattet Felice, ihre Pläne zu durchkreuzen - dann aber bricht der Erste Weltkrieg aus, und die Sturmflut des Grauens reißt alle Pläne mit sich fort. Erst als das Entsetzen des Krieges endlich ein Ende findet und aus den Trümmern des alten Europa zaghaft ein neues den Kopf hebt, wagt Felice von Neuem zu hoffen - für sich selbst, für ihre Familie und auch für ihre Liebe.

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
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Produkt

KlappentextBerlin 1912. Die junge Bankierstochter Felice tut alles für ihren großen Traum: Sie will Jura studieren, Anwältin werden und für Gerechtigkeit kämpfen - alles Dinge, die einer Frau in der festgefahrenen Enge des Kaiserreichs verwehrt bleiben. Felice aber gibt nicht auf, und ihre Geschwister Ille und Willi, die um eigene Träume kämpfen, unterstützen sie. Nicht einmal ihrer aufflammenden Liebe zu dem Journalisten Quentin gestattet Felice, ihre Pläne zu durchkreuzen - dann aber bricht der Erste Weltkrieg aus, und die Sturmflut des Grauens reißt alle Pläne mit sich fort. Erst als das Entsetzen des Krieges endlich ein Ende findet und aus den Trümmern des alten Europa zaghaft ein neues den Kopf hebt, wagt Felice von Neuem zu hoffen - für sich selbst, für ihre Familie und auch für ihre Liebe.

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957513878
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.12.2022
AuflageÜberarbeite Neuausgabe
Seiten490 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3201 Kbytes
Artikel-Nr.10360851
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Berlin 1912. Die junge Bankierstochter Felice tut alles für ihren großen Traum: Sie will Jura studieren, Anwältin werden und für Gerechtigkeit kämpfen - alles Dinge, die einer Frau in der festgefahrenen Enge des Kaiserreichs verwehrt bleiben. Felice aber gibt nicht auf, und ihre Geschwister Ille und Willi, die um eigene Träume kämpfen, unterstützen sie. Nicht einmal ihrer aufflammenden Liebe zu dem Journalisten Quentin gestattet Felice, ihre Pläne zu durchkreuzen - dann aber bricht der Erste Weltkrieg aus, und die Sturmflut des Grauens reißt alle Pläne mit sich fort. Erst als das Entsetzen des Krieges endlich ein Ende findet und aus den Trümmern des alten Europa zaghaft ein neues den Kopf hebt, wagt Felice von Neuem zu hoffen - für sich selbst, für ihre Familie und auch für ihre Liebe.mehr
Leseprobe

1

Über der Stadt hing ein Himmel aus Eisen. Darunter aber, in den Schluchten zwischen den Häusern, gerieten Ströme in Bewegung, die nichts und niemand hätte aufhalten können. Flüssiges Blei. Wen diese Wogen aus Menschen erfassten, den rissen sie mit, und was immer sie niederwalzten, konnte sich unmöglich wieder erheben.

Hier, hinter dem Hochbahnhof Prinzenstraße, wo sich eine Fabrik an die andere reihte, füllten die Straßen sich im Handumdrehen. Felice, die sich anders als ihre Geschwister nichts aus Kino machte, hatte das Gefühl, in einem Film zu sitzen, der durch Tricks mit der Technik für unwirkliches Grauen sorgte: Beim Anblick der endlosen Kolonnen, die aus Türen, Toren und Portalen quollen, fiel es schwer zu glauben, dass die Stadt so vielen Menschen Platz bot, geschweige denn, dass ihr die jungen Männer fehlten, dass unzählige nicht zurückkommen würden.

Hatten all diese Leute - aus den Stahlgießereien, den Pulverfabriken - ihre Arbeit niedergelegt? Standen jetzt wahrhaftig die Räder des gewaltigen Mahlwerks, der Kriegsmaschinerie still?

Felice versuchte, sich durch die wogende Masse zum Eingang des Fabrikhofs durchzuschlagen, wo Recha in der Wohnung, die ihr Liebhaber ihr eingerichtet hatte, noch immer hauste. Ihr Atem ging keuchend. Vom Savignyplatz bis hierher war sie ohne Pause gerannt, während Bilder an ihr vorbeifluteten: Menschen, die alles stehen und liegen ließen und aus Häusern, Hallen und Fabriken, aus Geschäften, Schulen und Lokalen auf die Straßen eilten. Seit Wochen hatten sie starr vor Spannung auf ihre Nachricht gewartet - war sie an diesem Morgen endlich eingetroffen?

Selbst wenn es so war, stand Felices Nachricht noch immer aus, und in ihrer Bauchhöhle rumorte blanke Angst.

Gesichter glitten an ihr vorüber, leichenblass, ausgemergelt, die Augen in Höhlen. Zwischen Köpfen blitzte das Rot von Fahnen, die feuchter Wind zum Knattern brachte. Felice hatte sich bis zur Litfaßsäule vorgekämpft, wo Zeitungsjungen ihre Blätter anpriesen, als sie Recha in einem Schwall von Fabrikarbeitern auf sich zutreiben sah.

»BZ am Mittag«, brüllte ein drahtiger Bursche ohne Mütze, »schneller weg als warme Semmeln. Schnappt euch eene, oder wollt ihr eure Zukunft verpennen? Der Kaiser hat abjedankt!«

»Recha!« Felice schrie, dass ihr die Lungen schmerzten. Groß genug war sie. Wenn sie sich reckte, hallte ihr Ruf über Köpfe hinweg. »Recha, warten Sie, ich muss mit Ihnen sprechen!«

Im Gegensatz zu Felice war Recha klein und kompakt. Ihr Kopf mit den dichten, in sämtliche Richtungen strebenden Locken tauchte alle paar Schritte in der Menge unter. Würde mit ihr zu reden sein, so vertrackt die Dinge auch zwischen ihnen standen? Sie mochten sonst nichts gemeinsam haben, doch sie waren beide Schwestern. Ältere Schwestern, denen irgendwann einmal eingeschärft worden war, auf ihre kleinen Brüder zu achten.

Felice, halt Wilhelm an der Hand! Das Kindermädchen ist eine Schlampe, wenn dem Kleinen etwas zustößt, ist es deine Schuld.

Recha würde das kennen. Sie musste um Gabriel gebangt haben, wie Felice um Willi bangte, und wenn sie Nachricht von ihm hatte, würde sie nicht so grausam sein, sie ihr vorzuenthalten.

Alle hier haben Brüder, durchfuhr es Felice. Alle Frauen. Und wer keinen Bruder hat, hat Väter, Söhne, Bräutigame, ist Witwe, bevor sie verheiratet war. Wir sitzen im selben gottverdammten Boot, aber wie so oft habe ich nichts davon bemerkt. Wind zerrte an ihrem Haar und ihr Gedankenfluss stockte. Außer ihr schien jeder jemanden bei sich zu haben, der ihn bei der Hand nahm oder ihm den Arm zum Unterhaken reichte. Allein war nur Felice, die still und in verkehrter Richtung stand.

»Ebert ist Reichskanzler!«, schrie der Junge bei der Säule. »Gerade erst aus der Reichskanzlei verkündet, und die BZ ist wie immer mittenmang dabei!«

Quintus Zeitung, dachte Felice. Sein Blatt für Schweinehirten. Die BZ am Mittag rühmte sich, die schnellste Zeitung nicht nur des Deutschen Reiches, sondern der gesamten Welt zu sein. Noch in der letzten Viertelstunde vor Beginn des Straßenverkaufs könnten Nachrichten eingearbeitet werden, hatte Quintus behauptet.

»Wie soll denn das machbar sein?«, hatte Felice dagegengehalten. »So schnell arbeitet doch kein Setzer.«

Selbstgefällig hatte Quintus gegrinst. »Moderne Technik wirkt eben Wunder. Eines Tages werden wir schnell genug sein, von Ereignissen zu berichten, noch ehe sie überhaupt geschehen sind.«

»Habt ihr Bohnen inne Ohren?«, brüllte der Junge an der Säule. »Der Kaiser hat sich vom Acker jemacht, ihr Trantüten.«

Felice reckte sich, um Recha im Gewimmel wiederzufinden. Sie waren höchstens noch fünf Schritte voneinander getrennt, doch in dem Abstand quetschten sich Menschenleiber. Zwischen hüpfenden Köpfen sah sie Rechas Gesicht jetzt deutlich. Es war von Kälte gerötet, herzförmig und so lieblich, dass der Blick sich anschmiegen wollte, während der Lauf der Welt weiterhastete. Rechas schläfriger Liebreiz verblüffte. Auf der Leinwand verkörperte sie zerrissene Frauengestalten in düsteren, wüsten Dramen, die über ihre Zeit hinauswiesen.

Ihre Blicke trafen sich. Die Farbe von Rechas Augen ließ sich auf die Entfernung so wenig erkennen wie im Schwarz-Weiß eines Kinofilms, und doch schwärmte das filmbegeisterte Berlin davon: Recha Süßapfels Augen schillern wie Moorseen, sie sind genauso tief und nicht minder gefährlich. Felice hatte keine Ahnung, wie tief Moorseen waren. Sie hatte den Reiz von Rechas Augen für gefährlich gehalten, doch in diesem Moment war sie nichts als froh, dass die andere da war - eine, die ihr nicht fremd war, die erfassen würde, welche Angst ihr die Kehle zuschnürte.

Eine, die ich kannte, als wir noch stark und voll Hochmut und vollzählig waren, die von dem Leben weiß, das wir geführt haben oder das wir hätten führen wollen. Von all den Träumen, von Hoffnung und Dummheit. Von uns.

In der Straßenmitte gab es kein Durchkommen. Felice hob die Hand und wies nach der Linken, stieß mit dem Ellenbogen einen Mann beiseite und boxte sich in Richtung Gehsteig weiter. Recha begriff und begann, sich in dieselbe Richtung ihren Weg zu bahnen. Am Rand, bei der Häuserwand blieb eine schmale Rinne frei von Menschen. Dort standen sie still, an die Mauer gepresst und so dicht voreinander, dass ihre Atemwolken sich vermischten.

»Recha.«

»Ja, so heiß ich.« Rechas Blick, der sich nicht beirren ließ, hatte Felice von je her irritiert.

Die Worte entglitten ihr: »Bitte helfen Sie mir. Ich habe solche Angst.«

»Um Willi?«

Felice nickte. »Seit der Verhaftung sind wir ohne Nachricht. Es ist nicht gerecht. Willi ist so ⦫

»Jung«, beendete Recha ihren Satz. »Das habe ich von Gabriel auch gedacht. Von uns allen. Selbst von denen, die alt sind: Wir sind zu jung.«

Felice öffnete den Mund, doch dann schwieg sie. Sie hatte auffahren wollen, man könne einen Jungen, der vier Jahre Gemetzel überlebt hatte, nicht dafür umbringen, dass er das Metzeln leid war. Die Worte aber waren allzu naiv, sie hätten zu ihrer Schwester Ille gepasst, nicht zu ihr. Wenn die vier Jahre sie nicht gelehrt hatten, dass zwischen Recht und Gerechtigkeit Abgründe klafften, dann verfolgte sie das falsche Lebensziel. Sie musste sich an die Gesetzeslage halten, musste erreichen, dass kein Standgericht, sondern eine gründliche Untersuchung stattfand.

»Ich habe auch keine Nachricht«, sagte Recha. »Aber ich treffe mich vor dem Reichstag mit Curt Birnbaum. Wenn Sie wollen, kommen Sie mit.«

Birnbaum war Kriegsberichterstatter, nicht für Messters Woche, die Aufnahmen von vorderster Front allwöchentlich auf Kinoleinwänden präsentierte, sondern für irgendwelche unbekannten Zeitschriften. Ob er wie Quintus süchtig nach Gefahr war, süchtig nach Bildern, die sonst niemand festzuhalten wagte, wusste Felice nicht. Sie kannte ihn kaum. Er gehörte zu Wolfgangs und Rechas Bekannten, zu dem Kreis, in den Willi eingetaucht war, als wäre er nie als Sohn der Bankiersfamilie zur Nieden aufgewachsen. Vielleicht war ich neidisch, dachte Felice. Vielleicht habe ich Recha und ihre Leute abgelehnt, weil ich nicht aushalten konnte, dass mein kleiner Bruder sich die Fesseln so viel gründlicher abschütteln konnte als ich.

»Birnbaum war in Kiel?«, fragte sie.

Recha nickte. »Er hat mich angerufen. Gestern Abend. Wir wurden mitten im Gespräch unterbrochen, weil aller Telefonverkehr unterbrochen wurde.«

»Sie haben Telefon?«, entfuhr es Felice. In der Reichshauptstadt kam auf zwanzig Menschen nicht mehr als ein Anschluss und die Inhaber waren Bankiers wie ihre eigene Familie, Unternehmer, wohlhabende Bürger, keine Schauspielerinnen, die auf Kreuzberger Fabrikhöfen hausten.

»Dafür hat Wolfgang gesorgt.« Abrupt senkte Recha den Kopf. »Für alles. Du bist beim Film , hat er gesagt, du musst ans Fernsprechnetz. Wenn jemand eine Hauptrolle zu besetzen hat, musst du die Erste sein, die er erreicht. «

Die Menge scherte zu beiden Seiten aus, weil ein Krümperwagen die Straße hinunter zockelte. Der Gaul, der ihn zog, war ein klappriges Gerippe, das in den Sielen hing und kaum die Hufe hochbekam. Obenauf drängten sich Soldaten, die meisten blutjung wie Willi. Manche riefen und winkten mit Mützen, aber kaum einer lachte. Es gab keinen Überschwang, in den düsteren Mienen keine Spur von Freude.

Das waren die Männer, die zurückkamen. Vielleicht hatten sie gehofft, in diesen Straßen die Heimat zu finden, nach der sie sich gesehnt hatten. In Wahrheit...
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Autor

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.