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Toxische Gemeinschaften

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am17.04.20231. Auflage
Was ist geistlicher Missbrauch? Wie geraten Menschen in toxische Gemeinschaften? Und warum ist es für Betroffene so schwer, sich daraus zu befreien? Fundiert und verständlich führt Stephanie Butenkemper in das Thema ein und stellt die Ergebnisse einer Studie mit Betroffenen vor. Dabei macht sie klar: Missbräuchliche Strukturen sind kein Monopol der Kirche. Es kann sie auch in Sportvereinen oder sogar Klimaschutzorganisationen geben. Zugleich legt die systemische Therapeutin erstmals ein Konzept für die Beratungspraxis vor, das die Phasen auf dem Weg der Loslösung, Verarbeitung und Heilung aufzeigt. Überdies gibt sie wichtige praktische Hinweise für Beraterinnen und andere Personen, die Betroffene begleiten. Ein Grundlagenwerk und ein Meilenstein für Betroffene von geistlichem Missbrauch, für die Arbeit mit Betroffenen und allen, denen dieses wichtige Thema ein Anliegen ist.

Stephanie Butenkemper, geb. 1983 im Rheinland, ist systemische Therapeutin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin (Master of Counseling). Sie arbeitet in der katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Köln, ist Mitglied im Arbeitskreis 'Spiritueller Missbrauch' des Bistums Dresden-Meißen und Referentin zum Thema Geistlicher Missbrauch. Dieter Rohmann, geb. 1960, Diplom-Psychologe, arbeitet mit Menschen, die während bzw. nach einem Ausstieg ihre Sekten-, Kultmitgliedschaft verstehen und verarbeiten möchten und berät auch deren Partner und Familienangehörigen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
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E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextWas ist geistlicher Missbrauch? Wie geraten Menschen in toxische Gemeinschaften? Und warum ist es für Betroffene so schwer, sich daraus zu befreien? Fundiert und verständlich führt Stephanie Butenkemper in das Thema ein und stellt die Ergebnisse einer Studie mit Betroffenen vor. Dabei macht sie klar: Missbräuchliche Strukturen sind kein Monopol der Kirche. Es kann sie auch in Sportvereinen oder sogar Klimaschutzorganisationen geben. Zugleich legt die systemische Therapeutin erstmals ein Konzept für die Beratungspraxis vor, das die Phasen auf dem Weg der Loslösung, Verarbeitung und Heilung aufzeigt. Überdies gibt sie wichtige praktische Hinweise für Beraterinnen und andere Personen, die Betroffene begleiten. Ein Grundlagenwerk und ein Meilenstein für Betroffene von geistlichem Missbrauch, für die Arbeit mit Betroffenen und allen, denen dieses wichtige Thema ein Anliegen ist.

Stephanie Butenkemper, geb. 1983 im Rheinland, ist systemische Therapeutin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin (Master of Counseling). Sie arbeitet in der katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Köln, ist Mitglied im Arbeitskreis 'Spiritueller Missbrauch' des Bistums Dresden-Meißen und Referentin zum Thema Geistlicher Missbrauch. Dieter Rohmann, geb. 1960, Diplom-Psychologe, arbeitet mit Menschen, die während bzw. nach einem Ausstieg ihre Sekten-, Kultmitgliedschaft verstehen und verarbeiten möchten und berät auch deren Partner und Familienangehörigen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451829468
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum17.04.2023
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1166 Kbytes
Artikel-Nr.10366933
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


3. Wege und Verharren in toxischen Gemeinschaften - eine Studie

Meinen Erkenntnissen liegt ein Forschungsprojekt zugrunde, für das ich Betroffene interviewt habe. Die Leitfrage lautete: »Wie geraten Menschen in Strukturen geistlichen Missbrauchs und wie kommt es, dass sie darin über einen längeren Zeitraum verharren?« Ich bin überzeugt, dass jede Person, die verstehen und ergründen möchte, was geistlicher Missbrauch ist, wie er sich im Tiefsten anfühlt und was er im Leben eines Menschen bewirken kann, den persönlichen Geschichten der Betroffenen aufmerksam zuhören muss. Aus diesem Grund habe ich mich mit Menschen unterhalten, die bereit waren, mir Einblick zu gewähren in einen Ausschnitt ihrer Lebensgeschichte und ihr ganz persönliches und leidvolles Erleben. Aus solchen Berichten können wir eine Menge lernen.
Betroffene hören

Um Personen zu finden, die bereit waren, mit mir über ihre Erfahrung des geistlichen Missbrauchs zu sprechen, machte ich durch ein Posting in den sozialen Netzwerken auf mein Projekt aufmerksam und ließ zudem eine allgemeine Mailanfrage an Betroffene schicken. Die Kontaktaufnahme erfolgte über eine gut vernetzte Mittelsperson. Dabei war mir wichtig, dass die Betroffenen über ein notwendiges Maß an Reflexionsfähigkeit bezüglich des geistlichen Missbrauchs verfügten und sich in der Lage sahen, aus einer mehr oder weniger großen Distanz (selbst-)kritisch auf ihr Leben in dem Missbrauchssystem zurückzublicken.

In den Interviews, die ich mit ihnen führte, haben sie ihren Eintritt in das missbräuchliche System und das teils sehr lange Verharren darin als einen zeitlichen Prozess und als eine persönliche Zustandsveränderung in den Blick genommen und aus ihrer subjektiven Perspektive heraus autobiografisch rekonstruiert. Als Erhebungsmethode eignete sich hierfür hervorragend das narrative Interview. Dabei erzählen die Interviewpartner in einer spontanen Stegreiferzählung ihre persönlichen Erfahrungen als Geschichte. Hintergrund dieser Methode ist die Annahme, dass durch die Dynamik des Erzählvorgangs die zurückliegenden Erlebnisse wieder lebendig werden und der Erzähler in die damalige Situation zurückversetzt wird. Dabei können mögliche Erinnerungsbarrieren abgebaut und Erinnerungslücken ausgefüllt werden. Auch gelingt es den Erzählenden häufig, die Perspektive anderer am Geschehen beteiligter Personen zu berücksichtigen und einzubinden. Im Vergleich zum Beschreiben oder Argumentieren ist das Erzählen daher die Darstellungsform, die der kognitiven Aufbereitung der Erfahrung am meisten entspricht.

Das Interview wurde so geführt, dass der Erzählfluss des Befragten von mir in Gang gebracht und aufrechterhalten wurde, ohne allerdings etwas abzufragen. Mein Part war es, aufmerksam zuzuhören, Pausen auszuhalten und nur dann einzugreifen, wenn die Erzählung versiegte. In jedem Interview galt es, aufs Neue feinfühlig einzuschätzen, wann Nachfragen zur Aufklärung von Unklarheiten sinnvoll waren und wann sie den Erzählduktus nur stören würden. Voraussetzung war in jedem Fall eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen der Interviewerin und dem Befragten. Denn die Missbrauchserfahrung als Thema der Narration wird vom Erzählenden häufig als sehr intim empfunden, rührt an eine innere Wunde und ist womöglich mit persönlichen Schuldgefühlen und schmerzhaften Erinnerungen verbunden.

Alle geführten Interviews wurden auf Tonband aufgenommen und anschließend vollständig transkribiert, um später als Grundlage für die Auswertung und Interpretation der Forschungsergebnisse zu dienen. Alle personenbezogenen Daten der Interviewpartner sowie die Namen der Gemeinschaften wurden selbstverständlich anonymisiert, um Rückschlüsse auf die einzelnen Personen zu vermeiden.
Erzählungen auswerten

Bei der Auswertung der Daten habe ich mich an der Grounded-­Theory-Methodology (GTM) orientiert, was so viel bedeutet wie »in den Daten begründete Theorie«. Diese Methode unterteilt das Datenmaterial nicht nur in Kategorien, sondern fragt auch nach den dahinterliegenden Sinnstrukturen und versucht, diese zu rekonstruieren. Auch indirekt formulierte Bedeutungen werden dabei erfasst.

Zur Aufgliederung der Daten in Sinneinheiten werden sie auf verschiedene Fragen hin beleuchtet, wie zum Beispiel: Welche Akteure waren beim Eintritt in die Gemeinschaft beteiligt? Wie und womit wurde geworben? In welchen zeitlich-biografischen Kontext fiel der Einstieg? Wer hat (nicht) gewarnt oder geschützt? Welchen Sinn hat es damals für die betroffene Person gehabt, sich einer radikalen Gruppierung anzuschließen? Welche Strategien wurden von der Gemeinschaft angewandt, um die Person zu gewinnen? Wozu war es gut, so lange Zeit in der Gruppierung zu bleiben?

Auf Grundlage der so analysierten und interpretierten Daten werden nach und nach neue Hypothesen und Theorien bezüglich der Forschungsfragen entwickelt, differenziert, bestätigt oder verworfen. Im Laufe des Verfahrens werden die Daten immer weiter verdichtet, bis schließlich eine Schlüsselkategorie herausgearbeitet und eine gegenstandsgegründete Theorie ausformuliert wird. Im Fall meines Forschungsprojekts habe ich zwei Forschungsfragen gestellt und damit auch zwei Schlüsselkategorien entwickelt. Die Ergebnisse werde ich später noch erläutern und dabei auch das Kodierparadigma »Familienersatz« vorstellen, zu dem ich an dieser Stelle schon ein paar Worte sagen möchte.

Ein Kodierparadigma ist eine Art Orientierungshilfe bei der Datenanalyse. Es stellt die Beziehungen zwischen den einzelnen Kategorien heraus und bezieht sich auf Kontext, ursächliche und intervenierende Bedingungen, Strategien und Konsequenzen. Auf diese Weise entsteht ein komplexes Netz von aufeinander bezogenen Kategorien, das zunächst unübersichtlich wirken kann. Bei näherer Beschäftigung verschafft es jedoch einen guten Überblick und lässt das beschriebene Phänomen anschaulicher und differenzierter werden.

Abschließend noch ein wichtiger Hinweis zur Homogenität des Datenmaterials: Da die Stichproben breit gestreut waren, bilden sich in den durchgeführten Interviews die notwendigen Kontrastdimensionen ab. Zu den relevanten Differenzen gehören beispielsweise das Geschlecht (Frauen und Männer), das aktuelle Alter (33 Jahre - 63 Jahre), das damalige Eintrittsalter (14 Jahre - 28 Jahre), die Dauer der Mitgliedschaft (2-18 Jahre), die Zeit, in der die Betroffenen seitdem außerhalb des Systems leben (1-27 Jahre), sowie das jetzige Verhältnis zur katholischen Kirche (positiv/aktiv - kritisch/ausgetreten). Auch die Gemeinschaftsform reichte vom klösterlichen Zusammenleben bis hin zu einer lockeren Mitgliedschaft, bei der die Personen allein lebten und sich nur zu Treffen der Gemeinschaft versammelten. Die Interviews variieren minimal darin, dass alle Personen als junge Menschen in eine katholische Gemeinschaft eingetreten sind.
Fragen stellen

In meinen Gesprächen mit Betroffenen von geistlichem Missbrauch habe ich die interessante Beobachtung gemacht, dass viele von ihnen sich im Rückblick auf das Erlebte dieselben Fragen stellen. Fragen, die sehr quälend sein können, wenn es keine klaren, einfachen Antworten darauf gibt und man es selbst nicht recht begreifen kann: Was ist mir da passiert? Und warum ist es ausgerechnet mir passiert? Warum war ich so ansprechbar für ein missbräuchliches System? Warum konnte ich mich nicht früher abgrenzen und »Nein« sagen? Warum habe ich so lange ausgehalten, obwohl es mir nicht gut ging? Wieso konnte ich mich selbst nicht schützen? Und warum hat mich von außen niemand schützen können?

In meiner Forschungsfrage habe ich mich zwei zentralen Fragen gewidmet, die sowohl Betroffene als auch Angehörige, Freunde, Beraterinnen oder Therapeuten interessieren und beschäftigen. Sie beziehen sich zum einen auf den Einstieg in die Gruppierung, auf das, was attraktiv und anziehend war; und zum anderen auf den lange nicht vollziehbaren Ausstieg, auf das, was Betroffene gehindert hat, sich abzulösen.
Wie geraten Menschen in religiös missbräuchliche Situationen?

Zunächst einmal: Grundsätzlich kann jeder Mensch in ein System geistlichen Missbrauchs geraten. Es muss nicht zwingend ein Zusammenhang mit einer persönlichen Disposition bestehen. Diese Aussage ist wichtig für alle Betroffenen, die an Schuldgefühlen, Scham und Selbstzweifeln leiden und sich die Frage stellen, warum ausgerechnet ihnen der geistliche Missbrauch widerfahren ist. Gleichzeitig gibt es verschiedene Aspekte, die beim Eintritt in die missbräuchliche Gemeinschaft eine entscheidende Rolle spielen können und manche Menschen ansprechbarer machen als andere. Das können die aktuellen Lebensumstände sein zu dem Zeitpunkt, wenn der Einzelne auf die Gemeinschaft trifft, seine persönliche Lebensgeschichte mit vorherigen prägenden Beziehungserfahrungen sowie der intensive Wunsch nach einem bewusst gelebten christlichen Glauben.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die »Anwerbung« bei geistlichen Gemeinschaften. Häufig werden neue Mitglieder von Gleichaltrigen angeheuert, die vielleicht selbst noch nicht allzu lange Mitglied sind und die mit ihrer Begeisterungsfähigkeit andere junge Menschen ansprechen können. Zum einen gibt es ein Interesse der Gruppe, junge Menschen für sich zu gewinnen. Zum anderen sind manche jüngeren und vermutlich auch unsicheren Mitglieder selbst daran interessiert, Gleichaltrige an ihrer Seite zu wissen. Auch wenn sie selbst womöglich ängstlich sind oder Zweifel hegen, können sie dank ihrer Zugehörigkeit und Identifizierung mit der Gemeinschaft mit einer...

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Autor

Stephanie Butenkemper, geb. 1983 im Rheinland, ist Diplom-Sozialpädagogin/Diplom-Sozialarbeiterin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin (Master of Counseling). Sie arbeitet in der katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Köln, ist Mitglied im Arbeitskreis "Spiritueller Missbrauch" des Bistums Dresden-Meißen und Referentin zum Thema Geistlicher Missbrauch.
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Butenkemper, Stephanie