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Göttin der Anarchie

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Edition Nautiluserschienen am16.01.2023
Lucy Parsons, nie gehört? Nun, sie war eine der bekanntesten Anarchist*innen Amerikas, Wortfu?hrerin der US-Arbeiterbewegung, eine der radikalsten Schwarzen Frauen des späten 19. Jahrhunderts. Trotzdem ist sie hierzulande höchstens als Witwe von Albert Parsons bekannt, einem der fu?nf Anarchisten, die nach dem Haymarket-Aufstand von 1886 hingerichtet wurden. Dabei hat sie ihren Mann um Jahrzehnte u?berlebt und war so viel mehr als bloß »die Witwe«: Mitgru?nderin der IWW, Gewerkschafterin, Rednerin, Autorin, Herausgeberin, Briefpartnerin von Pjotr Kropotkin, Errico Malatesta, Johann Most, Emma Goldman und vielen anderen. Zu ihrem Schwarzsein hatte sie jedoch ein ambivalentes Verhältnis, die Klassenfrage stand für sie zeitlebens im Vordergrund. Jacqueline Jones zeichnet nicht nur das fesselnde Porträt der noch als Sklavin geborenen politischen Kämpferin, unerschrockenen Revolutionärin und Zeitgenossin in all ihren Facetten und Widerspru?chen. Es gelingt ihr auch, das wechselvolle Jahrhundert dieses Lebens zu erfassen sowie die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung - zwischen Reform und Revolution, zwischen Paternalismus und Propaganda der Tat - differenziert darzustellen. Ihre Biografie schlägt eine Bru?cke zu widerständischen politischen Bewegungen der Gegenwart.

Jacqueline Jones, geboren 1948 in Delaware, ist Professorin für Sozial- und Ideengeschichte an der University of Texas in Austin. Ihr Spezialgebiet sind feministische Ökonomie sowie Geschichte der Sklaverei, Klasse und Race. Für ihr Buch »Labor of Love, Labor of Sorrow: Black Women, Work, and the Family from Slavery to the Present« wurde sie 1986 mit dem Bancroft Prize in American History ausgezeichnet und war Finalistin für den Pulitzer-Preis, ebenso wie ein zweites Mal 2017 mit »A Dreadful Deceit: The Myth of Race from the Colonial Era to Obama's America«. Felix Kurz übersetzt Essays, Sachbücher und wissenschaftliche Literatur aus dem Englischen und Französischen. Für die Edition Nautilus hat er zuletzt »Der wilde Sozialismus« (2019) von Charles Reeve ins Deutsche übertragen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR34,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR26,99

Produkt

KlappentextLucy Parsons, nie gehört? Nun, sie war eine der bekanntesten Anarchist*innen Amerikas, Wortfu?hrerin der US-Arbeiterbewegung, eine der radikalsten Schwarzen Frauen des späten 19. Jahrhunderts. Trotzdem ist sie hierzulande höchstens als Witwe von Albert Parsons bekannt, einem der fu?nf Anarchisten, die nach dem Haymarket-Aufstand von 1886 hingerichtet wurden. Dabei hat sie ihren Mann um Jahrzehnte u?berlebt und war so viel mehr als bloß »die Witwe«: Mitgru?nderin der IWW, Gewerkschafterin, Rednerin, Autorin, Herausgeberin, Briefpartnerin von Pjotr Kropotkin, Errico Malatesta, Johann Most, Emma Goldman und vielen anderen. Zu ihrem Schwarzsein hatte sie jedoch ein ambivalentes Verhältnis, die Klassenfrage stand für sie zeitlebens im Vordergrund. Jacqueline Jones zeichnet nicht nur das fesselnde Porträt der noch als Sklavin geborenen politischen Kämpferin, unerschrockenen Revolutionärin und Zeitgenossin in all ihren Facetten und Widerspru?chen. Es gelingt ihr auch, das wechselvolle Jahrhundert dieses Lebens zu erfassen sowie die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung - zwischen Reform und Revolution, zwischen Paternalismus und Propaganda der Tat - differenziert darzustellen. Ihre Biografie schlägt eine Bru?cke zu widerständischen politischen Bewegungen der Gegenwart.

Jacqueline Jones, geboren 1948 in Delaware, ist Professorin für Sozial- und Ideengeschichte an der University of Texas in Austin. Ihr Spezialgebiet sind feministische Ökonomie sowie Geschichte der Sklaverei, Klasse und Race. Für ihr Buch »Labor of Love, Labor of Sorrow: Black Women, Work, and the Family from Slavery to the Present« wurde sie 1986 mit dem Bancroft Prize in American History ausgezeichnet und war Finalistin für den Pulitzer-Preis, ebenso wie ein zweites Mal 2017 mit »A Dreadful Deceit: The Myth of Race from the Colonial Era to Obama's America«. Felix Kurz übersetzt Essays, Sachbücher und wissenschaftliche Literatur aus dem Englischen und Französischen. Für die Edition Nautilus hat er zuletzt »Der wilde Sozialismus« (2019) von Charles Reeve ins Deutsche übertragen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960543022
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum16.01.2023
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5271 Kbytes
Artikel-Nr.10745063
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

EINLEITUNG

DIE RADIKALE ARBEITERAGITATORIN Lucy Parsons verbrachte ihr langes Leben überwiegend im Blick der Öffentlichkeit und blieb doch in Rätsel gehüllt. Sie beherrschte meisterhaft eine provokative Rhetorik, mit der sie Gerechtigkeit für die arbeitenden Klassen einklagte, aber über ihre Abstammung verbreitete sie Erfindungen und leugnete wesentliche Elemente der eigenen Geschichte. 1851 in Virginia als Kind einer Sklavin geboren, heiratete sie 21 Jahre später im texanischen Waco Albert R. Parsons, einen Weißen. Das Paar machte eine stürmische Karriere in der sozialistischen und später der anarchistischen Bewegung und rief die Arbeiter:innen dazu auf, den Verheerungen des Industriekapitalismus mit allen verfügbaren Mitteln entgegenzutreten - auch mit Gewalt. Ihre rohe Klassenkampfrhetorik führte dazu, dass Albert im Zusammenhang mit dem Chicagoer Haymarket-Massaker von 1886 wegen Mordes und Verschwörung verurteilt wurde; im November 1887 starb er am Galgen. Als Witwe avancierte Lucy Parsons unter zeitgenössischen Arbeiter:innen wie späteren Historiker:innen zu einer säkularen Heiligen. Doch ihre Laufbahn lässt sich nicht auf das Schicksal ihres berühmten Ehemannes reduzieren.

Als Albert hingerichtet wurde, war Lucy bereits im ganzen Land als kraftvolle Agitatorin und Kämpferin für Rede- und Versammlungsfreiheit bekannt. Diesen Ruf behielt sie von 1886 bis zu ihrem Tod im Jahr 1942. Mehr als jede andere damals - und später - hielt sie die Flamme des Haymarket Square am Leben, indem sie die Öffentlichkeit daran erinnerte, zu welchem Fehlurteil ein unfairer Prozess geführt hatte. Parsonsʼ Leben bietet Einblick in die Geschichte städtisch-industrieller Arbeiter während der Umbrüche von den 1880er Jahren bis in die 1930er. Doch so präsent sie als öffentliche Figur war, so wenig ist über ihr privates Leben bekannt. Dem begeisterten Publikum und neugierigen Journalisten verriet sie nicht mehr als die elementarsten Fakten über ihre Familie, auch nicht über Albert und ihre zwei Kinder Albert Junior und Lulu. Bei einer sechsmonatigen Tournee vom Herbst 1886 bis zum Frühjahr 1887 reiste sie durch 17 Bundesstaaten und trat (eigenen Angaben zufolge) bei 43 Veranstaltungen als Rednerin auf, die mal ein paar hundert, mal mehrere tausend Menschen anzogen. In Cincinnati, der ersten Station, fragte ein Journalist nach ihrem persönlichen Hintergrund. Parsons, damals 35 Jahre alt, erwiderte: »Ich kandidiere für kein Amt, die Öffentlichkeit hat kein Auskunftsrecht, was meine Geschichte betrifft. Ich zähle nichts in dieser Welt und den Menschen bin ich egal. Ich kämpfe bloß für ein Prinzip.« Mit dieser Behauptung, das öffentliche Interesse an ihr gelte allein der Botschaft eines bevorstehenden revolutionären Sturzes des Kapitalismus, täuschte sich Parsons.1

Als Rednerin, Redakteurin, Aktivistin für Meinungsfreiheit, Essayistin, Verfasserin fiktionaler Literatur, Publizistin und politische Kommentatorin war Parsons damals eine von sehr wenigen Frauen und neben Frederick Douglass praktisch die einzige Person afrikanischer Abstammung, die regelmäßig vor großem Publikum sprach. Entlang der Ostküste, im Mittleren Westen und weit darüber hinaus in Richtung Westküste stand sie mehr als fünf Jahrzehnte lang vor begeisterten Menschenmengen. Sie war eine mutige Verfechterin der Freiheitsrechte, die das First Amendment der US-Verfassung versprach, und fiel dabei durch eine konfrontative Taktik und drastische Wortwahl auf. Pressefreiheit war für sie nicht verhandelbar, und die alternativen Zeitschriften, die sie herausgab oder mit Artikeln belieferte, bildeten ein erfrischendes Korrektiv zur etablierten Presse, die den Interessen der Herrschenden diente. Parsonsʼ jahrzehntelange Beharrungskraft (als sie geboren wurde, betrug die Lebenserwartung vierzig Jahre) zeugt von einem starken Antrieb: Sie liebte das Rampenlicht, sei es im Veranstaltungssaal oder in Gestalt von Schlagzeilen.

Lucy Parsons erlebte den Bürgerkrieg und die anschließende Reconstruction und befasste sich mit den großen Fragen des »Gilded Age«, der Progressiven Ära, der Zeit der »Roten Angst« während des Ersten Weltkriegs und danach (eine politische Bewegung, die auf Versuche in den späten 1880er Jahren zurückging, Parsons mundtot zu machen), der reaktionären 1920er Jahre sowie der Großen Depression und des New Deal. Mit Blick auf geschichtliche Tendenzen des Kapitalismus bewies sie erstaunliche Hellsicht - sie erkannte früh die Auswirkungen neuer Technologien auf die Betriebe und die Struktur der Erwerbsbevölkerung, die Rolle von Gewerkschaften als Gegengewicht zu den Konzernen, den korrumpierenden Einfluss von Geld auf die Politik, die Unfähigkeit des Zweiparteiensystems, grundlegende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten in der amerikanischen Gesellschaft anzugehen, die wiederkehrenden Wirtschaftskrisen und Depressionen, die arbeitende Menschen hart trafen, den Einsatz von Polizei und privaten Sicherheitsfirmen, um Streiks niederzuschlagen und ihre Anführer mit Gewalt einzuschüchtern, und die alltäglichen Kämpfe einfacher Menschen, Männer wie Frauen, die ein anständiges Leben für sich und ihre Familien wollten. Zahllose Male widersetzte sich Parsons den Versuchen von Behörden, sie zum Schweigen zu bringen, und sie blieb kompromisslos in ihrer Verurteilung eines Wirtschaftssystems, das für Arbeitslose und die weiße Industriearbeiterklasse verheerend war. Seit den frühen 1880er Jahren hielt Parsons am Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft fest, die aus den Gewerkschaften hervorgehen sollte - einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit und ohne jede Art von staatlichem Zwangsapparat.

Weder sie noch ihre anarchistischen Genoss:innen verstanden allerdings die starken ethnischen und religiösen Bindungen vieler Amerikaner, die weitreichende politische Bedeutung hatten. Und sie ignorierte die besondere Schutzlosigkeit der afroamerikanischen Bevölkerung, deren Geschichte nicht einfach eine Variante der Ausbeutung der Arbeiterklasse war, sondern ein Produkt des Rassemythos in all seinen furchtbaren Ausprägungen. Sie und Albert verloren den Glauben an die Macht von Worten, zu überzeugen und zu erziehen, und setzten sie stattdessen zur Drohung und Einschüchterung ein - eine fatale Entscheidung, die Albert und seine Gefährten in den Tod schickte. Nunmehr allein, erging sich Lucy gerne in schrillen Prophezeiungen darüber, welches Schicksal Räuberbarone, Richter und Polizisten erwarte, sollte es nach ihr gehen; solche Äußerungen ließen den Eindruck entstehen, Anarchist:innen seien durchweg für gewaltsamen Aufruhr, und schreckten reformerische Kräfte ab, die schrittweise gesetzliche Verbesserungen und regulierende Eingriffe des Staates anstrebten. Im Gilded Age konnten die von Parsons und ihren Mitstreiter:innen befürworteten Streiks ganze Städte und den landesweiten Eisenbahnverkehr zum Erliegen bringen, doch die Wirkungsmacht solcher Aktionen verdeckte die Tatsache, dass die meisten amerikanischen Lohnabhängigen Radikalismus ablehnten und stattdessen an die Schimäre eines humanen Kapitalismus glaubten.2

Eine Heilige, säkularer oder anderer Art, war Lucy Parsons nicht. Ihr Leben wies etliche Ironien und Widersprüche auf: Sie war das Kind einer Sklavin, stand dem Los afroamerikanischer Arbeiter:innen sowohl im Süden als auch in ihrer Wahlheimat Chicago aber völlig gleichgültig gegenüber. Sie war sexuell freizügig, trat in der Öffentlichkeit aber als traditionelle Ehefrau und Mutter auf. Sie pries Familienbande, doch ihre Mutter und Geschwister ließ sie in Waco zurück und vernachlässigte sie bis an ihr Lebensende. Sie instrumentalisierte ihre Kinder politisch und entledigte sich ihres Sohnes, als er sie öffentlich zu blamieren drohte. Sie war eine Arbeiteragitatorin, hatte aber weder die Geduld noch wirklich ein Interesse daran, Arbeiter:innen zu organisieren, und eine Anarchistin, die große historische Zeiträume im Blick hatte, aber bedeutende politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die Amerika nach dem Bürgerkrieg tiefgreifend veränderten, hartnäckig übersah. Sie war einerseits an fundierten Debatten und gelehrten Abhandlungen interessiert und pries andererseits die Vorzüge von Sprengstoff.

Als vehemente Kritikerin jeder Form von Staat wendete sich Parsons bedenkenlos an die Gerichte und die Polizei, um private Konflikte mit Gläubigern, Nachbarinnen, Liebhabern und selbst Verwandten zu regeln. Sie predigte die Notwendigkeit einer Einheitsfront der arbeitenden Klassen und ihrer Verbündeten gegen räuberische Kapitalisten, war aber zugleich für ihre Fehden mit anderen Radikalen bekannt - auch mit solchen, die ihre Auffassungen über Macht und Gerechtigkeit grundsätzlich teilten. Sie verherrlichte die Massen als Akteure einer bevorstehenden Revolution, doch um diese Revolution in Gang zu setzen, mussten einfache Menschen ihrer Überzeugung nach anspruchsvolle Schriften über Geschichte und politische Theorie studieren. Sie begriff nie,...
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Autor

Jacqueline Jones, geboren 1948 in Delaware, ist Professorin für Sozial- und Ideengeschichte an der University of Texas in Austin. Ihr Spezialgebiet sind feministische Ökonomie sowie Geschichte der Sklaverei, Klasse und Race. Für ihr Buch »Labor of Love, Labor of Sorrow: Black Women, Work, and the Family from Slavery to the Present« wurde sie 1986 mit dem Bancroft Prize in American History ausgezeichnet und war Finalistin für den Pulitzer-Preis, ebenso wie ein zweites Mal 2017 mit »A Dreadful Deceit: The Myth of Race from the Colonial Era to Obama's America«.

Felix Kurz übersetzt Essays, Sachbücher und wissenschaftliche Literatur aus dem Englischen und Französischen. Für die Edition Nautilus hat er zuletzt »Der wilde Sozialismus« (2019) von Charles Reeve ins Deutsche übertragen.