Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Villa Royale

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Dörlemann eBookerschienen am08.02.2023
Palma ist gerade mal elf, als ihr Vater unerwartet stirbt. Ebenso unangekündigt ist der plötzliche Umzug auf die Insel La Réunion, wo es sie mit ihrer Mutter und ihren Brüdern Charles und Victor hinverschlägt. Was als Flucht vor der Trauer beginnt, wird zu einer jahrelangen Irrfahrt quer durch Frankreich. Während der hochbegabte Victor im Auto gegen sich selbst Schach spielt, Charles Gefallen an Glücksspielen und Autoknacken findet und sich die Mutter ihrer Melancholie hingibt, ist auch die sarkastische, leicht desillusionierte Palma auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Bis die Jugendlichen von Lanvin erfahren, dem der Vater Geld schuldete und der die Familie nun verklagt. Gemeinsam fassen sie einen Plan, ihn loszuwerden. Spritzig, rasant und voller Leben - ein Roman wie ein Roadmovie. Temporeich und doch unendlich zärtlich erzählt Emmanuelle Fournier-Lorentz von einer turbulenten Familie, in der gestritten, gestichelt und geschwiegen wird - und in der aus Liebe füreinander alles möglich wird.

EMMANUELLE FOURNIER-LORENTZ, geboren 1989 in Tours, lebt seit 2012 in Lausanne und arbeitete bis 2016 bei der Genfer Tageszeitung Le Courrier. Für ihren Debütroman VILLA ROYALE wurde sie 2022 mit dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet. SULA TEXTOR, geboren 1992, studierte Englische Philologie, Europäische Kunstgeschichte und Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaft.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextPalma ist gerade mal elf, als ihr Vater unerwartet stirbt. Ebenso unangekündigt ist der plötzliche Umzug auf die Insel La Réunion, wo es sie mit ihrer Mutter und ihren Brüdern Charles und Victor hinverschlägt. Was als Flucht vor der Trauer beginnt, wird zu einer jahrelangen Irrfahrt quer durch Frankreich. Während der hochbegabte Victor im Auto gegen sich selbst Schach spielt, Charles Gefallen an Glücksspielen und Autoknacken findet und sich die Mutter ihrer Melancholie hingibt, ist auch die sarkastische, leicht desillusionierte Palma auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Bis die Jugendlichen von Lanvin erfahren, dem der Vater Geld schuldete und der die Familie nun verklagt. Gemeinsam fassen sie einen Plan, ihn loszuwerden. Spritzig, rasant und voller Leben - ein Roman wie ein Roadmovie. Temporeich und doch unendlich zärtlich erzählt Emmanuelle Fournier-Lorentz von einer turbulenten Familie, in der gestritten, gestichelt und geschwiegen wird - und in der aus Liebe füreinander alles möglich wird.

EMMANUELLE FOURNIER-LORENTZ, geboren 1989 in Tours, lebt seit 2012 in Lausanne und arbeitete bis 2016 bei der Genfer Tageszeitung Le Courrier. Für ihren Debütroman VILLA ROYALE wurde sie 2022 mit dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet. SULA TEXTOR, geboren 1992, studierte Englische Philologie, Europäische Kunstgeschichte und Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaft.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783038209072
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum08.02.2023
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1116 Kbytes
Artikel-Nr.11046169
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


3

Das Ziel unseres ersten Umzugs, des kürzesten und misslungensten von allen, erfuhren wir zwei oder drei Monate nach dem Tod meines Vaters. Charles, Victor und ich verbrachten einen letzten trübseligen Abend in der Rue Chauvelot damit, zu dritt in einem unserer Zimmer lustlos irgendwelche Spielchen zu spielen - wir versteckten uns in der staubigen Kiste mit den Stofftieren, erzählten uns schauerliche Geschichten, die wir in den Lokalnachrichten gelesen hatten und die ganz in der Nähe passiert waren, in der Essonne oder der Oise - während meine Mutter fast alle unsere Sachen entsorgte (oder das, was noch davon übrig war). Mitten in einer heftigen Rauferei, als ich Charles Beine ins Gesicht bekam und Victor zu würgen versuchte, verkündete sie uns plötzlich:

»Übrigens, wir gehen nach La Réunion. Auf eine kleine Insel, neben Madagaskar.«

Das Entsetzen in unseren Gesichtern muss unerträglich gewesen sein, denn sie machte die Tür sofort wieder zu. Victor richtete sich ruckartig auf, stieß meinen Arm weg und rannte ihr hinterher.

»Eine Insel«, sagte Charles am Flughafen und schüttelte ungläubig den Kopf, als hätte uns wirklich nichts Absurderes passieren können. »Zehntausend Kilometer. Zehntausend!« Victor dagegen war immer noch ganz benommen. Mit offenem Mund und mit seinem kleinen Rucksack auf dem winzigen Rücken stand er da und starrte auf den Boden. Meine Mutter war völlig aufgedreht und versuchte ihn mit einem Schwall schwärmerischer Worte auf andere Gedanken zu bringen: was für ein Glück - jeder träumt doch davon, auf einer Insel zu leben - das Meer, die Chamäleons, ein eigener Garten - braun wirst du werden - ein aktiver Vulkan, Victor, ein Vulkan! mit Lava - und ganz viele Seesterne! Charles machte jetzt auch mit. Aber Victor war untröstlich. Und es stimmte ja auch, natürlich würde unser Leben nicht mehr werden wie früher, ohne die Wohnung direkt am Boulevard Périphérique und ohne meinen Vater, aber mitten im großen, bunten Spektakel des Flughafens war ich glücklich, denn mir stieg ein berauschender, derber Geruch in die Nase, der viel stärker war als meine Traurigkeit: Es roch nach Flucht.

*

Irgendwo über dem Sudan bin ich elf geworden. Ich döste in meinem Sitz vor mich hin, den Kopf zur Schulter meiner Mutter geneigt, als Charles sich ganz aufgeregt und mit strahlenden Augen über den Gang zwischen uns lehnte und so laut flüsterte, dass sich mehrere Passagiere zu uns umdrehten:

»Alles Gute zum Geburtstag, Palma! Jetzt bist du schon elf!«

Er packte mich am Handgelenk und schwenkte triumphierend meinen Arm hin und her, wie zum Zeichen des Sieges. Dabei hatte ich seit Stunden versucht, wachzubleiben, weil ich den Moment nicht verpassen wollte, und war dann doch eingeschlafen. Meine Mutter drehte sich zu mir und lächelte breit, aber in ihren Augen lag eine fast greifbare Angst, als blickte sie geradewegs in die Scheinwerfer eines heranrasenden Autos. Charles redete weiter:

»Jetzt kannst du deinen Freunden erzählen, wenn du irgendwann wieder welche hast, meine ich, dass du deinen elften Geburtstag in der Luft gefeiert hast, genau über der Grenze zwischen Ägypten und der â¦ dem â¦«

»Dem Sudan, dem Sudan«, ergänzte Victor, der aufgewacht war und vage in Richtung des kleinen Flugzeugsymbols auf dem Bildschirm vor uns zeigte.

Wie immer brauchte er ein paar Minuten, bis er richtig wach war, und mit seinem starren Blick und den zerzausten Haaren sah er aus wie ein gerade gelandeter Kobold, der noch nicht ganz in seiner neuen Umgebung angekommen war. Er gähnte, küsste mich auf die Wange, stieß dabei gegen die Knie meiner Mutter, stemmte seine Füße gegen den Sitz vor ihm und eröffnete mir, während er aus dem Fenster blickte:

»Jetzt bist du näher an zwanzig als an null.«

Was ja auch stimmte. Und Charles, der energisch die Seiten eines Air-France-Katalogs Frühjahr/Sommer 2001 umblätterte, fügte hinzu: »Und wusstest du, dass nach Einsteins Relativitätstheorie die Zeit umso langsamer vergeht, je schneller man sich bewegt?« Ein paar Minuten später war Victor auf der Armlehne zwischen ihm und meiner Mutter wieder eingeschlafen. Wir waren so weit weg von früher, von unseren üblichen Geburtstagen. Flugbegleiterinnen glitten den Gang entlang und sammelten Tabletts ein, flüsterten sich etwas ins Ohr und lachten leise. Leute, die in Decken gehüllt schliefen, gedämpftes Licht, das Vibrieren der Maschine, das Flüstern meiner Mutter und die ferne Insel, all das schien so unwirklich, dass ich mich mehrmals fragte, ob wir nicht alle gestorben waren, ohne es zu merken.

*

Der Flughafen Roland Garros in Saint-Denis war ganz anders als die Flughäfen in Paris. Nach der zu stark eingestellten Klimaanlage im Flugzeug brannte uns die drückend heiße, stickige Luft auf dem Rollfeld in der Kehle. Die von der Feuchtigkeit aufgebauschten Haare meiner Mutter schwebten vor uns her, während wir uns über einen Untergrund schleppten, der mehr trockener Erde als Asphalt glich. »Es ist nicht mal schönes Wetter«, grummelte Victor, als er mit seinem Rucksack im Arm die Stufen der kleinen Metalltreppe hinunterstieg. Auch das Licht war anders. Es war gelber, aus einem ganz anderen Stoff als in Frankreich und umgab die Silhouetten meiner Brüder mit einem goldenen Rand, der sich deutlich vom Himmel abhob. Wir waren zum ersten Mal auf einer Insel. Ein Fels, entstanden bei der Kollision von zwei Vulkanen, umgeben von Wasser und Haien, weit weg von allem, was wir kannten. Im Flughafengebäude liefen große braune Lüftungsanlagen, die aber völlig nutzlos waren und nur laut brummend die feuchten Luftmassen umwälzten und Pfützen aus trübem, kaltem Wasser bildeten, die Charles zum Spaß mit der Fußspitze antippte, während meine Mutter am Schalter einer Autovermietung stand und wartete. Ab und zu drehte sie sich zu uns um, eine Hand in der Tasche ihres gelben Overalls - sie tastete nach ihren Zigaretten, klar. Sie hatte immer eine Schachtel und ein Feuerzeug in der Tasche, wie alle Raucher der Welt, sie alle verbindet dieses Päckchen, das sie immer irgendwo versteckt bei sich tragen, und mich fasziniert noch immer die Präzision ihrer Handgriffe und ihres Verlangens, wie sie nach dem rechteckigen Objekt tasten, ohne ihr Gegenüber aus den Augen zu lassen, die Zigarette zwischen die Lippen schieben, sie mit einem Klicken des Feuerzeugs anzünden, tief ein- und Rauch wieder ausatmen und kurz darauf mit einer beiläufigen Geste die Asche wegschnippen - und sie flüsterte: »Seid bitte still.« Also blieben wir still und ein wenig verängstigt stehen, wurden ab und zu von vorbeieilenden Reisenden angerempelt, im nicht abreißenden Strom der Gestalten, die von irgendwo fortgingen oder anderswo ankamen. Danach versinkt alles in einer fast schon halluzinatorischen Schläfrigkeit, aus der nur einzelne Bilder in meiner Erinnerung blitzartig wieder auftauchen: die Schweißtropfen im Nacken meines Bruders, das trübe Licht auf dem Parkplatz und später in der Stadt und wie es sich auf den unzähligen Blechdächern spiegelte, die lila Schnecken, die vom fahrenden Auto zerquetscht wurden, die dichte, unbezwingbare Natur, die am Fenster vorbeizog (Bananenstauden, Wunderblumensträucher, Wespennester, Kakteen und Kängurubäume, wild wuchernde Gräser, Bremsen und rote Ameisen und ein riesiger, braungrüner Leguan), und rechts von mir natürlich das funkelnde Grau des Ozeans: eine ruhige und geheimnisvolle, monochrome Fläche, unter der unheimliche Tiere lebten, eine so unermessliche Weite, dass die Vorstellung, in ihr zu baden, beängstigend war, und die ich in den Augen meiner Brüder gespiegelt sah, wenn sich unsere Blicke kreuzten. Wir waren schockiert.

Bis dahin war La Réunion für mich eine Insel gewesen, auf der ein paar Kinder aus meiner Schule Urlaub machten, meistens im Winter. Gepolsterte Liegestühle, makellose Strände, die Bambusdächer kleiner Strohhütten, dahinter Wolkenkratzer. Aber die Insel, die ich von meinem Sitz aus sah, war nicht, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Überall wilde Natur. Dschungel. Er war maßlos, schien unendlich, kaum gezähmt in den Jahrhunderten des Zusammenlebens mit den Menschen. Überall Grün und Braun, obwohl ich doch mit Blau und Weiß gerechnet hatte: Bäume, Blätter, Halme, Sträucher, Pflanzen, dazu knallbunte Blumen, Erde. Wir fuhren um Saint-Denis herum, das weder paradiesisch noch besonders touristisch wirkte. Wenn meine Mutter an einer Ampel hielt, sah ich die ausgebleichten Jalousien fast leerer Geschäfte, Ball spielende Kinder, die kaum etwas anhatten, und Kisten, wie man sie nach einem Markttag herumliegen sieht. Neben diesen wie ausgestorbenen, farblosen Straßen standen schicke neue Wohnviertel, kleine moderne Einfamilienhäuser für die Mittelschicht auf einzelnen Parzellen, wo noch keine Pflanzen Zeit gehabt hatten zu wachsen, Trockengebiete voller Leben. Meine Mutter hatte gesagt, dass wir in einem Viertel im Norden der Stadt wohnen würden, und wir waren fest entschlossen, in dessen Namen kein schlechtes Omen zu sehen. Als wir irgendwo am Rand der Stadt, wo Bäume und Pflanzen herrschten, über schlampig geteerte und über unbefestigte, fast schon ländliche Straßen fuhren, setzte meine Mutter den Blinker. Das Geräusch erinnerte mich an den Heimweg an Sonntagnachmittagen. Irgendwo an einer von riesigen Bäumen gesäumten Kreuzung, wo ein Typ neben einer Kühltasche voller Kamelien saß, bog sie auf eine lange, steile Straße ab, Palmblätter klatschten an die Autotüren.

»Wir sind gleich â¦ Ich glaube, es ist â¦«, setzte sie an.

»Mama.«

Victor hatte sie unterbrochen.

»Mama â¦ Guck mal. Die...

mehr

Autor

EMMANUELLE FOURNIER-LORENTZ, geboren 1989 in Tours, lebt seit 2012 in Lausanne und arbeitete bis 2016 bei der Genfer Tageszeitung Le Courrier. Für ihren Debütroman VILLA ROYALE wurde sie 2022 mit dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet.

SULA TEXTOR, geboren 1992, studierte Englische Philologie, Europäische Kunstgeschichte und Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaft.
Weitere Artikel von
Fournier-Lorentz, Emmanuelle