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Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am13.02.2023
»Schon wieder die Nazis?«, fragt Adams Mutter, wenn der Vater bereits beim Frühstück einen leidenschaftlichen Vortrag über die Verbrechen des Dritten Reichs hält. Oder im Skiurlaub dem deutschen Ehepaar stolz seine Postkartensammlung zerstörter Synagogen präsentiert. Dass er die Familie dann auch noch regelmäßig zum Israelischen Volkstanz schleift, bringt nicht nur die Mutter zur Verzweiflung. Adam jedoch weiß sich zu retten: Eine echte Berühmtheit zieht in ihren Londoner Vorort, und Adam ergattert ein Autogramm. Bald schreibt er von Sinatra bis Mandela alles an, was Rang und Namen hat, und verfällt einer Leidenschaft, die alles andere in den Schatten stellt. Eine Komödie mit Widerhaken über das Erwachsenwerden, jüdischen Familienirrwitz und das unbedingte Verlangen nach Freiheit.

Adam Andrusier (*1974), Autor und Autographenhändler, studierte Musik am King's College in Cambridge und Kreatives Schreiben an der University of East Anglia. Seine Leidenschaft für das Sammeln von und Handeln mit Autogrammen ist die Grundlage seines Romandebüts und inspirierte Zadie Smiths Roman Der Autogrammhändler. Er lebt mit Frau und Kind in London.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

Klappentext»Schon wieder die Nazis?«, fragt Adams Mutter, wenn der Vater bereits beim Frühstück einen leidenschaftlichen Vortrag über die Verbrechen des Dritten Reichs hält. Oder im Skiurlaub dem deutschen Ehepaar stolz seine Postkartensammlung zerstörter Synagogen präsentiert. Dass er die Familie dann auch noch regelmäßig zum Israelischen Volkstanz schleift, bringt nicht nur die Mutter zur Verzweiflung. Adam jedoch weiß sich zu retten: Eine echte Berühmtheit zieht in ihren Londoner Vorort, und Adam ergattert ein Autogramm. Bald schreibt er von Sinatra bis Mandela alles an, was Rang und Namen hat, und verfällt einer Leidenschaft, die alles andere in den Schatten stellt. Eine Komödie mit Widerhaken über das Erwachsenwerden, jüdischen Familienirrwitz und das unbedingte Verlangen nach Freiheit.

Adam Andrusier (*1974), Autor und Autographenhändler, studierte Musik am King's College in Cambridge und Kreatives Schreiben an der University of East Anglia. Seine Leidenschaft für das Sammeln von und Handeln mit Autogrammen ist die Grundlage seines Romandebüts und inspirierte Zadie Smiths Roman Der Autogrammhändler. Er lebt mit Frau und Kind in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293311367
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.02.2023
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2648 Kbytes
Artikel-Nr.11058270
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Mein Vater war der hinter der Kamera. Ein Auge zugekniffen, ein halbes Lächeln, der Rest seines Gesichts hinter der Kodak verborgen. Bei jeder Gelegenheit knipste er wie ein Paparazzo ein Foto nach dem anderen. Die Bilder waren verwackelt oder zeigten Menschen in seltsamen Übergängen von einem Gesichtsausdruck zum anderen, doch sein Enthusiasmus war nicht zu bremsen. Wenn er pro Tag zwanzig Schnappschüsse machte - eine eher zurückhaltende Schätzung -, dann müssen es allein in den Achtzigern dreiundsiebzigtausend Fotos gewesen sein.

»Willst du nicht lieber wirklich was erleben, anstatt immer nur zu dokumentieren?«, fragte Mum ihn.

»Ich erlebe ja was«, widersprach Dad. »Und gleichzeitig dokumentiere ich es.«

Mein Vater hatte eine Vorliebe für ein bestimmtes Motiv: meine Mutter, meine Schwester und ich, freudlos aufgereiht.

»Na kommt schon«, rief er, »macht ein fröhliches Gesicht.«

»Wir versuchen´s. Aber es ist nicht so leicht.«

Wir bleckten die Zähne vor Triptychen, auf venezianischen Gondeln und neben Schildern, die Besucher irgendwo willkommen hießen.

»Du bist ein Fantast«, sagte Mum. »Keiner wird sich all diese Fotos ansehen.«

»Ich werde sie mir ansehen. Ich will das alles dokumentieren!«

In Wirklichkeit sah mein Vater sich meist seine Postkartensammlung an: Synagogen, die von den Nazis zerstört worden waren. Wenn meine Schwester Ruth und ich morgens unser Müsli aßen, hörten wir detaillierte Schilderungen der Reichspogromnacht, gespeist aus der umfangreichen Bibliothek meines Vaters über Hitler, das Dritte Reich und den Völkermord. Unsere Twister-Spiele unterbrach er mit der Information darüber, wie viele in Treblinka ermordet worden waren. An den Wochenenden ging er in sein Arbeitszimmer, wo er mit einer auf dem Schreibtisch montierten Kamera seine Synagogen-Postkarten fotografierte. Die Kamera hatte er sich zum vierzigsten Geburtstag geschenkt. Er lud Freunde ein, mit ihm hinaufzugehen und sie sich anzusehen. »Sehr gut, Adrian«, hörte man sie sagen. »Es ist schön, wenn man ein Hobby hat.«

Ich fragte ihn, warum er Synagogen sammelte, wo wir doch kaum je in die Pinner United Synagogue gingen.

»Wegen der Kontinuität«, sagte er knapp. »Diese Gebäude wurden von Hitler zerstört, und die wenigen, die noch stehen, sind jetzt Bibliotheken oder Sporthallen oder Kinos. Es ist wichtig, das zu dokumentieren.«

»Schon wieder die Nazis«, rief meine Mutter aus der Küche. »Kannst du nicht mal damit aufhören? Er ist erst zehn.«

Eines Tages machte mein Vater sich über eine Schachtel voller Familienfotos her und schnitt mit einer Schere unsere Gesichter aus. Anschließend suchte er in Büchern nach Fotos berühmter Menschen, überklebte ihre Gesichter mit unseren und fotografierte sie mit seiner Spezialkamera. So wurden aus Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn Mum und Dad. Aus Fred Astaire und Ginger Rogers wurden ich und meine Schwester. Der Matrose und die junge Frau, die am Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Times Square von ihm geküsst wird, verwandelten sich in Dads Buchhalter und seine Frau. Wir gingen am Arbeitszimmer vorbei und hörten die Kamera klicken und Dad lachen, als wäre er der komischste Mensch der Welt. Er ließ die Filme in einem Fotogeschäft in der Nachbarschaft seines Büros entwickeln und kam mit einem Stapel großer hochglänzender Abzüge nach Hause, die er uns wie ein Zauberer einen nach dem anderen vorlegte.

»Das ist völlig verdreht«, sagte Mum und sah mich, den Zehnjährigen, ratlos an. »Warum tut man so was?«

»Ach, das ist doch nur ein Spaß«, sagte Dad. »Wie findet ihr das hier?«

Meine Schwester und ich als US-Marines, die in Iwo Jima die amerikanische Flagge aufstellten.

»Und das?«

Michael Rose, der Partner meines Vaters, hielt in Nürnberg eine Rede.

»Und das hier nehme ich mir als Nächstes vor!«

Dad legte sein wertvollstes Stück auf den Tisch, ein signiertes Foto von Danny Kaye als Hans Christian Andersen, das er auf einem seiner Postkartenmärkte gekauft hatte. »Mit besten Grüßen, Danny Kaye« stand da, mit Tinte geschrieben. Mein Vater verehrte Danny Kaye und liebte es, sich mit uns seine Filme anzusehen. Kaye geriet immer in missliche Situationen: Er musste völlig unvorbereitet auf einer Bühne ein Ballett tanzen oder so tun, als wäre er Ire, oder durch den Wagen wildfremder Leute kriechen, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Er hatte eine alberne Sprechweise und war den Leuten peinlich - genau wie mein Vater. Ich mochte Danny Kaye, hatte aber auch Mitleid mit ihm, weil er immer ein derartiger Schmock war.

»Und das werde ich draufkleben.«

Dad legte sein eigenes ausgeschnittenes Gesicht - mit einem falschen chassidischen Bart - auf das von Danny Kaye.

»Ich glaube, du brauchst Hilfe«, sagte Mum.

*

Als ich das erste Mal jemanden um ein Autogramm bat, war ich selbst überrascht - es war ein seltsamer Zufall. Ich war zehn und bei Adam Brichto, meinem besten Freund. Er wohnte am Amberley Close in einem Haus, vor dem einige Säulen standen wie vor dem Eingang eines römischen Bades. Unser Haus war von oben bis unten mit einem dicken braunen Teppich bewachsen, aber das der Brichtos war weiß, und alles sah immer so aus, als hätte Astrid, das Au-pair-Mädchen, das ständig staubsaugte oder Wäsche zusammenlegte, es gerade geputzt. Adams Vater war Rabbi der Liberalen Gemeinde und hatte ein Arbeitszimmer zur Straße hin, das wir nicht betreten durften. Bei den Brichtos war es immer still und friedlich. Adams Vater blieb für sich. Er sammelte nichts, er bat einen nicht, sich Fotos anzusehen, und er machte keine SS-Offiziere nach.

Meistens spielten Adam und ich Murmeln. Wir fingen in seinem Zimmer an und arbeiteten uns von dort durch den Rest des Hauses, bis wir von Adams Mutter oder Astrid sanft getadelt wurden. Einmal, als Rabbi Brichto ausgegangen war und Adams Mutter telefonierte, konnten wir nicht widerstehen, unser Murmelspiel bis zu seinem Arbeitszimmer auszudehnen. Unsere Murmeln blieben vor der Tür liegen. Wir öffneten sie.

Im Arbeitszimmer meines Vaters lagen überall Bücher und Papiere herum, es roch muffig und sah laut Mum aus wie Dresden nach der Bombardierung. Im Arbeitszimmer von Adams Vater dagegen standen deckenhohe weiße Regale an den Wänden, voll mit akkurat ausgerichteten Büchern. Auf dem riesigen Schreibtisch in der Mitte waren silberne Bilderrahmen mit Fotos, auf denen der Rabbi bei offiziellen Anlässen neben wichtig wirkenden Menschen zu sehen war. Auf einem davon stand er lachend neben der aktuellen Premierministerin. Ich untersuchte es genau, um festzustellen, ob Adams Vater vielleicht sein eigenes Gesicht darauf geklebt hatte.

»Dein Vater kennt Maggie Thatcher?«, fragte ich.

»Ja, er wurde ihr mal vorgestellt«, sagte Adams Mum, die gerade in der Tür erschien. »Er kennt einige berühmte Leute.«

Adams Mutter war nicht verärgert, weil wir uns ins Arbeitszimmer ihres Mannes geschlichen hatten. Sie war freundlich, hübsch und schlank. Sie nannte mich »Adam A« und ihren eigenen Sohn »Adam B«. Als Adam sich weigerte, Gemüse zu essen, tat sie, als wäre sie völlig verzweifelt, und brachte uns beide zum Lachen. »Aber wenn du es nicht wenigstens probierst, Adam B, werde ich sehr traurig sein«, sagte sie mit übertrieben weinerlicher Stimme. »Du bist gemein zu mir! Warum bist du nur so gemein, Adam B?« Ständig trocknete sie sich die Haare oder machte sich zurecht, um auszugehen. Wenn beim Abendessen das Telefon läutete, nahm sie, bevor sie zum Hörer griff, einen ihrer Ohrringe ab, und dann folgte ein langes Gespräch, in dessen Verlauf sie viel lachte und mit ihrer Freundin den neuesten Klatsch austauschte. Als ich Mum auf dem Heimweg davon erzählte, sagte sie, das gehöre sich nicht; wenn man beim Abendessen angerufen werde, müsse man sagen, man werde später zurückrufen.

»Hat Adam B dir erzählt, dass Ronnie Barker hier um die Ecke wohnt?«, fragte Adams Mutter.

Unglaublich. Meine Familie tat gewöhnlich nicht, was alle taten, aber samstags abends setzten wir uns wie alle vor den Fernseher und sahen uns The Two Ronnies an. Selbst meinen Großeltern gefiel das. »Dieser Ronnie Barker«, sagte mein Großvater mit seinem tschechischen Akzent und hob den Finger, »der hat was im Kopf. Sehr schlau.« Dass jemand, der so berühmt war wie Ronnie Barker, ganz in der Nähe von Adam Brichto lebte, fühlte sich fast unheimlich an, wie ein sehr seltsamer Glücksfall.

»Gleich über die Straße, in der Moss Lane«, sagte Adams Mutter.

Als sie hinausgegangen war, fragte ich Adam: »Wohnt Ronnie Barker wirklich hier um die Ecke, oder war das ein Witz?«

»Nein, es stimmt«, sagte Adam. »Komm, vielleicht kriegen wir ihn zu sehen.«

Wir sagten Adams Mutter, dass wir vor dem Haus Fußball spielen wollten. Sie machte in der Küche einen Salat und sagte, das sei in Ordnung, aber wir sollten vorsichtig sein. Wir schlugen die Haustür zu, schlichen zum Ende der Amberley Close und bogen nach rechts in die Moss Lane ab.

»Wird deine Mutter nicht nach uns schauen und merken, dass wir weg sind?«, fragte ich und dachte daran, dass meine Mutter in diesem Fall einen Herzanfall bekäme.

»Nein, wird sie nicht«, sagte Adam....


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Autor

Adam Andrusier (*1974), Autor und Autographenhändler, studierte Musik am King's College in Cambridge und Kreatives Schreiben an der University of East Anglia. Seine Leidenschaft für das Sammeln von und Handeln mit Autogrammen ist die Grundlage seines Romandebüts und inspirierte Zadie Smiths Roman Der Autogrammhändler. Er lebt mit Frau und Kind in London.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt