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Das Museum der Stille

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Verlagsbuchhandlung Liebeskinderschienen am20.02.2023Durchgesehene Neuausgabe
Ein junger Mann kommt in ein abgelegenes Dorf in der Provinz. Unter Anleitung einer alten Dame soll er dort ein Museum einrichten, das eine Sammlung von Alltagsgegenständen beherbergt. All diese Gegenstände wurden von ihr gestohlen, um die Erinnerung an verstorbene Dorfbewohner zu bewahren: die Heckenschere eines Gärtners, das Diaphragma einer Prostituierten, das Skalpell eines Arztes, das Glasauge eines Organisten ... Aufgabe des jungen Mannes ist es zunächst, alles zu erfassen, zu ordnen und zu katalogisieren. Doch bald schon wird er von der alten Dame bedrängt, an ihrer Stelle den Erinnerungsstücken der Dorfbewohner nachzujagen. Als jedoch eine junge Frau ermordet und der junge Mann am Tatort gesehen wird, verdächtigt ihn die Polizei, die Tat selbst begangen zu haben ...

Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Akutagawa-Preis und dem Tanizaki-Jun'ichir?-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri-Preis. Bei Liebeskind erschienen u.a. die Romane »Liebe am Papierrand«, »Schwimmen mit Elefanten« und »Der Herr der kleinen Vögel«. Mit der englischsprachigen Ausgabe von »Insel der verlorenen Erinnerung« wurde Yoko Ogawa für den National Book Award und den International Booker Prize nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin junger Mann kommt in ein abgelegenes Dorf in der Provinz. Unter Anleitung einer alten Dame soll er dort ein Museum einrichten, das eine Sammlung von Alltagsgegenständen beherbergt. All diese Gegenstände wurden von ihr gestohlen, um die Erinnerung an verstorbene Dorfbewohner zu bewahren: die Heckenschere eines Gärtners, das Diaphragma einer Prostituierten, das Skalpell eines Arztes, das Glasauge eines Organisten ... Aufgabe des jungen Mannes ist es zunächst, alles zu erfassen, zu ordnen und zu katalogisieren. Doch bald schon wird er von der alten Dame bedrängt, an ihrer Stelle den Erinnerungsstücken der Dorfbewohner nachzujagen. Als jedoch eine junge Frau ermordet und der junge Mann am Tatort gesehen wird, verdächtigt ihn die Polizei, die Tat selbst begangen zu haben ...

Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Akutagawa-Preis und dem Tanizaki-Jun'ichir?-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri-Preis. Bei Liebeskind erschienen u.a. die Romane »Liebe am Papierrand«, »Schwimmen mit Elefanten« und »Der Herr der kleinen Vögel«. Mit der englischsprachigen Ausgabe von »Insel der verlorenen Erinnerung« wurde Yoko Ogawa für den National Book Award und den International Booker Prize nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783954381647
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum20.02.2023
AuflageDurchgesehene Neuausgabe
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3121 Kbytes
Artikel-Nr.11099923
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Bei meiner Ankunft im Dorf hatte ich nichts weiter bei mir als eine kleine Reisetasche. Ein paar Kleidungsstücke, Rasierzeug, Schreibutensilien, ein Mikroskop und zwei Bücher - eines über Museumskunde und das Tagebuch der Anne Frank. Mehr war nicht darin.

Im Schreiben meiner Auftraggeberin stand, ich würde vom Bahnhof abgeholt, aber da ich ihr nichts über mein Äußeres mitgeteilt hatte, fragte ich mich etwas beunruhigt, ob wir uns womöglich verfehlen könnten. Ich verließ das Gleis über eine Treppe und ging durch die Bahnsteigsperre. Außer mir war niemand an dieser Station ausgestiegen.

»Herzlich willkommen.«

Die Frau, die sich von einer Bank im Wartesaal erhob und auf mich zukam, war erheblich jünger, als ich es erwartet hatte, eigentlich noch ein Mädchen. Ihre Umgangsformen wirkten so fein und höflich, dass mir vor Verlegenheit keine passende Begrüßung einfiel.

»Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte sie, meine Unsicherheit übergehend, und brachte mich zu einem Wagen.

Nachdem wir eingestiegen waren, wies sie den Chauffeur an loszufahren.

Obwohl die Luft des beginnenden Frühlings noch recht frisch war, trug sie über ihrem leichten ausgestellten Baumwollkleid nicht einmal eine Strickjacke. Der Himmel war wunderbar klar, und der Wind blies nur ein paar dünne Wölkchen vor sich her. An sonnigen Flecken blühten Krokusse, Narzissen und Margeriten.

Vom Bahnhof aus fuhren wir eine breite Straße am Marktplatz entlang und erreichten bald eine offene Landschaft aus Feldern und Gärten. Rechts von der Straße wucherte Gestrüpp, links breiteten sich Kartoffeläcker aus, hinter denen sich Wiesen und Weiden erstreckten. Wo am Horizont Hügel und Himmel aufeinandertrafen, ragte ein Glockenturm auf. Die gesamte Szenerie war gleichmäßig von der Sonne überflutet, die sich offenbar vorgenommen hatte, sämtliche Überreste des kalten Winters wegzuschmelzen, die sich noch im Schatten des Unterholzes verbargen.

»Es ist schön hier«, sagte ich.

»Es freut mich, dass es Ihnen gefällt.«

Mit geradem Rücken, beide Hände sittsam auf die Knie gelegt und den Blick nach vorne gerichtet, saß die junge Frau da. Nur wenn sie etwas sagte, neigte sie den Kopf und senkte den Blick in Richtung meiner Schuhe.

»Ich glaube, wir werden gut mit der Arbeit vorankommen.«

»Ja, meine Mutter hofft das auch.«

Erst jetzt dämmerte es mir, dass sie die Tochter meiner Auftraggeberin war.

Sooft der Wagen um eine Kurve bog, schwang ihr Haar zur Seite und verbarg einen Teil ihres Profils. Es wirkte so glatt und natürlich, als wäre sie noch nie bei einem Friseur gewesen.

»Meine Mutter ist ein bisschen sonderbar, also wundern Sie sich bitte nicht«, sagte das Mädchen nun etwas zutraulicher.

»Da machen Sie sich mal keine Sorgen.«

»Es ist aber schon mehrfach vorgekommen, dass jemand wegen Unstimmigkeiten die Arbeit mittendrin abgebrochen hat.«

»Man merkt es mir vielleicht nicht an, aber ich arbeite schon zu lange in diesem Beruf, um mich derart unprofessionell zu verhalten.«

»Ja, das weiß ich aus dem Lebenslauf, den Sie uns geschickt haben.«

»Meine Arbeit besteht darin, möglichst viele von den Dingen, die über den Rand der Welt geglitten sind, wieder aufzusammeln und ihren Wert trotz der Disharmonie, die sie vielleicht umgibt, zur Geltung zu bringen. Meine Auftraggeber sind in der Regel starke Persönlichkeiten. Würde ich sie aufzählen, käme eine recht interessante Liste zusammen. Ein paar Schrullen können mich jedenfalls nicht mehr schrecken. Seien Sie unbesorgt.«

Das kleine Lächeln, das ich auf ihrem Gesicht zu entdecken glaubte, wich sofort wieder einem beherrschten und sittsamen Ausdruck.

Nach einer Weile ging die asphaltierte Straße in eine schmale Schotterpiste über. Meiner Einschätzung nach hatten wir das Dorf in westlicher Richtung verlassen. Die Umgebung bestand noch immer aus niedrigem Gestrüpp, und kleine Tiere wie Wiesel oder Eichhörnchen huschten durchs Gras. In meiner Tasche schlugen mit leisem Klicken die Einzelteile des Mikroskops gegeneinander.

Nachdem wir über eine Steinbrücke einen Bach überquert hatten, fuhren wir einen sanften Hügel hinauf, bis ein pompöses schmiedeeisernes Tor vor uns aufragte. Es stand weit offen, und der Wagen glitt mit unverminderter Geschwindigkeit hindurch. Im Halbschatten der riesigen Pappeln schlängelte sich ein schmaler Weg, dessen Kiesel unter den Reifen hervorsprangen und gegen die Scheiben prasselten.

»Wir sind da. Dort ist es.«

Das Mädchen deutete aus dem Fenster. Unvermutet öffnete sich der Blick, und auf einer Anhöhe vor uns lag eine Villa. Der Finger, den das Mädchen gegen die Scheibe drückte, war feingliedrig, weiß und wirkte geradezu zerbrechlich.

Das Gespräch fand in der Bibliothek statt. Meine Auftraggeberin thronte in der Mitte des Raumes auf einem mit Samt bezogenen Sofa, das vermutlich einmal cremefarben gewesen war. Mit der Zeit hatten sich jedoch Schweiß, Fingerspuren, Speichel, Staub, irgendwelche Getränke und fettige Süßigkeiten zu einem schmuddeligen Farbton vermengt. Das Polster war durchgesessen, und an den abgewetzten Armlehnen war schon die Füllung sichtbar.

Meine Auftraggeberin war unglaublich schmächtig. Sie wirkte so mager und knochig, als würde ihr Körper sämtliche Nahrungsaufnahme verweigern. Ihre Hüften waren beinahe rechtwinklig. Ich hätte sie mit Leichtigkeit in den Armen wiegen können. Ihre Statur war eigentlich nicht mehr als klein und zierlich zu bezeichnen. Sie war geradezu winzig.

Ihre Aufmachung war - sei es aus Gründen ihrer Statur oder des Geschmacks - sehr exzentrisch. Auf dem Kopf hatte sie eine Wollmütze, dazu trug sie eine Menge ohne erkennbaren Stil zusammengewürfelter karierter, gestreifter und geblümter Kleidungsstücke, sodass sie Ähnlichkeit mit einem der zahllosen Flecken auf ihrem Sofa hatte.

Am meisten verwunderte mich jedoch, dass die Frau die Mutter des Mädchens sein sollte, das mich abgeholt hatte, denn dazu war sie viel zu alt. Sie musste mindestens auf die Hundert zugehen und war vom Alter völlig ausgezehrt. Es war undenkbar, dass ein derart vertrockneter Leib das junge Mädchen geboren hatte.

Eine Weile sprach niemand. Die Greisin ließ gleichgültig die Schultern hängen und hielt den Blick gesenkt. Sie räusperte sich nicht einmal. Diese starre Haltung ließ ihren Körper noch eingeschrumpfter, älter und kraftloser erscheinen.

Vielleicht wollte sie mich mit ihrem Schweigen prüfen oder meine Persönlichkeit ergründen. Oder hatte ich womöglich bereits einen Fehler begangen und damit die Missbilligung der alten Frau auf mich gezogen? Zum Beispiel, indem ich es versäumt hatte, ein Gastgeschenk mitzubringen, oder die falsche Krawatte trug ...

Es gab da viele Möglichkeiten. Hilfe suchend sah ich zu dem Mädchen hinüber, das an einem Erkerfenster saß. Aber sie schenkte mir nicht einmal das kleinste aufmunternde Lächeln und strich nur beflissen den Saum ihres Kleides glatt.

Eine Hausangestellte servierte Tee. Das Klappern der Tassen und Untertassen lockerte die steife Atmosphäre ein wenig auf, gleich darauf breitete sich jedoch wieder Stille aus.

Die Bibliothek hatte eine hohe Decke, und ich fröstelte. Kein Sonnenstrahl drang in den Raum, denn ungeachtet des schönen Wetters waren die dicken Vorhänge zugezogen. Das Licht, das durch die verstaubten Lampenschirme drang, war schwach, sodass der ganze Raum im Halbdunkel lag. Die Bücher in den Regalen, die die nördliche Wand bedeckten, verströmten einen eigentümlichen Geruch nach Leder und Papier.

Auf den ersten Blick handelte es sich um eine gut bestückte Sammlung. Natürlich konnte ich nichts Bestimmtes sagen, ehe ich sie nicht genauer in Augenschein genommen hatte. In der Eingangshalle, im Treppenhaus und im Korridor waren mir einige Gemälde und Skulpturen aufgefallen, und auch die Bibliothek hatte einige Raritäten zu bieten: Standuhren, Vasen, Lampen und Kunstwerke aus Glas. Das Problem war nur, dass ihr Zustand nicht gerade der beste war und sich Kostbares willkürlich mit irgendwelchem Trödel abwechselte. Neben einem silbernen Lampenfuß in Form eines Hirsches aus dem vergangenen Jahrhundert stand ein Aschenbecher, den offenbar jemand aus einer billigen Kneipe hatte mitgehen lassen. All diese Objekte zu sichten, zu ordnen und zu reparieren würde viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen. Verglichen mit meinen bisherigen Projekten stand hier ein wesentlich größerer Aufwand bevor.

Schließlich konnte ich die Stille nicht mehr ertragen. »Das könnte ein gutes Museum werden«, sagte ich. Abrupt hob die alte Frau den Kopf und sah mich zum ersten Mal an.

»Für eine...
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Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Akutagawa-Preis und dem Tanizaki-Jun'ichiro-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri-Preis. Bei Liebeskind erschienen u.a. die Romane »Liebe am Papierrand«, »Schwimmen mit Elefanten« und »Der Herr der kleinen Vögel«. Mit der englischsprachigen Ausgabe von »Insel der verlorenen Erinnerung« wurde Yoko Ogawa für den National Book Award und den International Booker Prize nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo.