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Die unsichtbare Guillotine

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Verlag Friedrich Pusteterschienen am28.02.20231. Auflage
2014 konnte Ulrich Trebbin aufdecken, dass die Guillotine, mit der die Geschwister Scholl ermordet wurden, seit Jahrzehnten im Depot des Bayerischen Nationalmuseums in München vor der Öffentlichkeit verborgen wurde. Im Königreich Bayern wurden damit Menschen hingerichtet, die aus Lust, Hass oder Habgier gemordet hatten. Ab 1933 dann eliminierte der NS-Staat mit der Guillotine vor allem sogenannte 'Volksschädlinge' und Widerstandskämpfer. Bekannt sind vielen noch die Mitglieder der Weißen Rose oder der 'Räuber Kneißl', doch die allermeisten der insgesamt mehr als 1.300 Opfer des Fallbeils sind heute vergessen. 1945 schließlich ließ der Staat die Guillotine von der Bildfläche verschwinden. Bis heute. Denn sie ist mit einem Ausstellungsverbot belegt, und niemand darf sie sehen. Dieses Buch erzählt die Geschichte dieses schrecklichen und spannenden Gegenstandes - mit Fingerspitzengefühl, ohne Sensationsgier.

Ulrich Trebbin ist Journalist beim Bayerischen Rundfunk sowie Gestalt- und Traumatherapeut. Er hat zahlreiche Radiosendungen zu der Frage geschrieben, wie wir heute mit unserem nationalsozialistischen Erbe umgehen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

Klappentext2014 konnte Ulrich Trebbin aufdecken, dass die Guillotine, mit der die Geschwister Scholl ermordet wurden, seit Jahrzehnten im Depot des Bayerischen Nationalmuseums in München vor der Öffentlichkeit verborgen wurde. Im Königreich Bayern wurden damit Menschen hingerichtet, die aus Lust, Hass oder Habgier gemordet hatten. Ab 1933 dann eliminierte der NS-Staat mit der Guillotine vor allem sogenannte 'Volksschädlinge' und Widerstandskämpfer. Bekannt sind vielen noch die Mitglieder der Weißen Rose oder der 'Räuber Kneißl', doch die allermeisten der insgesamt mehr als 1.300 Opfer des Fallbeils sind heute vergessen. 1945 schließlich ließ der Staat die Guillotine von der Bildfläche verschwinden. Bis heute. Denn sie ist mit einem Ausstellungsverbot belegt, und niemand darf sie sehen. Dieses Buch erzählt die Geschichte dieses schrecklichen und spannenden Gegenstandes - mit Fingerspitzengefühl, ohne Sensationsgier.

Ulrich Trebbin ist Journalist beim Bayerischen Rundfunk sowie Gestalt- und Traumatherapeut. Er hat zahlreiche Radiosendungen zu der Frage geschrieben, wie wir heute mit unserem nationalsozialistischen Erbe umgehen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783791762319
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum28.02.2023
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8865 Kbytes
Artikel-Nr.11116722
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Verschollen, versteckt, verboten

Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen.

(William Faulkner)

Mit der Guillotine aus dem Gefängnis München-Stadelheim sind während der NS-Zeit etwa 1.200 Menschen geköpft worden. Die meisten dieser Hinrichtungen waren Justizmorde: Die Betroffenen mussten entweder wegen Bagatelldelikten sterben oder weil sie Widerstand gegen das NS-Regime geleistet oder auch nur Kritik an der Obrigkeit geübt hatten. Unter den Opfern des Stadelheimer Fallbeils waren auch die Geschwister Scholl und fünf andere Freiheitskämpfer der Weißen Rose.

Nach 1945 war die Guillotine plötzlich verschwunden. Laut einem Gerücht hatte man sie zu Kriegsende bei Straubing in der Donau versenkt.1 Erst im Herbst 2013 bin ich bei einer journalistischen Recherche darauf gestoßen, dass das Fallbeil noch existiert und seit 1974 mit Wissen des Bayerischen Justizministeriums im Depot des Bayerischen Nationalmuseums in München verwahrt wird. Die Öffentlichkeit hatte davon keine Ahnung.

Bald darauf durfte ich mir die Guillotine ansehen - eine Erfahrung, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Obwohl ich fürs Radio viele Beiträge und Sendungen zum Dritten Reich und zur Weiße Rose gemacht hatte, geschahen beim Anblick des Fallbeils zwei für mich überraschende Dinge.

Erstens: Selbstverständlich hatte ich nie daran gezweifelt, dass Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Professor Kurt Huber, Alexander Schmorell, Willi Graf und Hans Leipelt unter dem Fallbeil gestorben waren. Aber als ich vor der Guillotine stand, mit der sie getötet wurden, erschien mir ihre Ermordung so wahrhaft und gegenwärtig wie nie zuvor: Auf eben dieser Hinrichtungsmaschine aus Holz und Eisen, die ich hätte anfassen können, hatten in den letzten Sekunden ihres Lebens Hans und Sophie Scholl sowie ihre Freunde gelegen, bevor das 14 Kilogramm schwere Messer in dem noch einmal 39 Kilogramm wiegenden Messerschlitten heruntersauste und ihnen die Köpfe abschlug.2 Ich begriff beim Anblick dieses schrecklichen Messers, dieser abgenutzten und vom vielen Spritzwasser ausgelaugten Bank noch einmal auf eine viel unmittelbarere Weise, was ich im Schulunterricht gehört und in Geschichtsbüchern gelesen hatte: Das Barbarische war geschehen! In diesen Momenten wurde das Fallbeil für mich zum Bürgen für die Geschichte.

Und zweitens: Ich empfand so stark wie nie zuvor die Ungeheuerlichkeit, dass meine Landsleute vor gut 70 Jahren diese aufrechten Menschen tatsächlich hatten ermorden lassen, nur weil sie ihrem Gewissen gefolgt waren und politisch gehandelt hatten. Alles bäumte sich in mir auf, und wenn ich intellektuell natürlich schon früher erkannt hatte, dass diese Todesurteile Unrecht gewesen waren, stiegen jetzt in mir - so scharf wie bisher noch nicht - Scham, Schmerz und Empörung auf.

Der Anblick des realen historischen Gegenstandes hatte in seiner Unmittelbarkeit das erreicht, was ich in früheren Jahren nur bei Interviews mit Auschwitzüberlebenden wie Hugo Höllenreiner oder Max Mannheimer erfahren hatte: Er hatte Geschichte aus der Vergangenheit in meine erfahrbare Gegenwart gebracht, Gefühle in mir ausgelöst und mich noch intensiver als bislang zu einer moralischen und politischen Haltung geführt.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nachholen musste, was Nationalmuseum und Freistaat jahrzehntelang versäumt hatten: Die Öffentlichkeit darüber informieren, dass das Fallbeil 1945 nicht verschollen war, sondern die Zeit überdauert hatte und hier im Depot darauf wartete, die furchtbare Vergangenheit zu bezeugen und zum Mahnmal zu werden. Dieser außerordentliche und schreckliche Gegenstand sollte nicht hier versteckt bleiben. Zum einen, weil ich in ihm das Potenzial sah, für die Authentizität der Geschichte zu bürgen und andere Menschen ebenso zu erreichen wie mich gerade eben, und zum anderen, weil es mir so vorkam, als wolle der Staat mit der Guillotine auch die Geschichte der nationalsozialistischen Todesurteile verstecken.3

Doch auch als ich 2014 die Existenz des Fallbeils im Bayerischen Rundfunk öffentlich gemacht hatte, was einen Widerhall in weiten Teilen der deutschen Medienwelt und auch in der internationalen Presse hervorrief, änderte sich nichts am staatlichen Umgang mit der Guillotine: Sie wird bis heute versteckt. Der damalige Kunst- und Wissenschaftsminister berief zwar einen Runden Tisch aus Historikern, Politikwissenschaftlerinnen, Menschen aus der Erinnerungsarbeit, Museumspädagogen, Ethikerinnen und Nachkommen der Weißen Rose ein, die sich bei einem einzigen Treffen darüber austauschten, ob man die Guillotine ausstellen kann. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten mir jedoch im Anschluss, dass der vom Minister bestellte Diskussionsleiter nach ihrem Eindruck bereits zu Beginn eine vorgefasste Meinung und Agenda über das Votum des Runden Tisches hatte und deshalb am Ende die differenzierten Beiträge so zusammenfasste, dass es offensichtlich nicht möglich und sinnvoll sei, die Guillotine auszustellen. Die erwähnten Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlten sich überrumpelt. Hatte der Runde Tisch also lediglich eine Alibifunktion?

Bereits drei Monate, nachdem ich die Existenz des Stadelheimer Fallbeils öffentlich gemacht hatte, entschied der bayerische Kunst- und Wissenschaftsminister im April 2014 unter Berufung auf besagten Runden Tisch, dass die Guillotine bis auf Weiteres im Depot bleiben solle und für die Öffentlichkeit nicht zu sehen sein dürfe. Die Begründung: Man wolle die Würde der Opfer und die Gefühle ihrer noch lebenden Angehörigen schützen und bei Besuchern nicht Sensationslust und Voyeurismus wecken. Andere Erinnerungsorte wie Brandenburg-Görden oder Ludwigsburg zeigen jedoch, dass eine Ausstellung rund um eine Guillotine durchaus pietätvoll gestaltet und empfunden werden kann. Und in Interviews mit den Nachfahren der Opfer der Weißen Rose hat sich mir gegenüber niemand von ihnen gegen eine Ausstellung ausgesprochen.

Auch nach der Wiederentdeckung 2014 darf also kaum jemand die Guillotine von Stadelheim sehen. Dahingehende Anfragen von Filmjournalisten, Dokumentarfilmerinnen und Historikern wurden fast ausschließlich abschlägig beschieden - die Leihanfrage eines Museums ebenso. Kann man das anders nennen als Zensur? Meines Wissens gibt es in der deutschen Nachkriegsgeschichte keinen zweiten Fall, in dem der Staat untersagt hätte, ein Museumsobjekt auszustellen - verfassungsfeindliche Gegenstände ausgenommen. Das ist zweifellos auch gut so, denn ein Staat, dessen Vorgängerregime bestimmt hat, was Menschen lesen dürfen und was nicht, sollte darauf bedacht sein, seine Bürgerinnen und Bürger nicht zu bevormunden, indem er ihnen Gegenstände, die der Allgemeinheit gehören, vorenthält. Ob dieses Objekt ausgestellt werden kann, sollten Fachleute entscheiden und nicht die Politik.

Durch das Wegschließen ist die Guillotine zum Tabu geworden. Und Tabu bedeutet, dass niemand an eine Sache rühren darf, weil man sich nicht in der Lage sieht, mit ihr umzugehen und ihre Berührung auszuhalten. Doch der Preis für das Tabu ist Verdrängung. Stattdessen sollten wir die Geschichte der NS-Justizmorde aus dem Keller holen, denn neben den Themen Holocaust, Weltkrieg oder Zwangsarbeit, die den meisten Deutschen einigermaßen geläufig sind, ist der nationalsozialistische Justizmord von etwa 12.000 vollstreckten zivilgerichtlichen Todesurteilen so gut wie vergessen. Es gibt in Deutschland kaum Orte, an denen angemessen an ihn erinnert wird - in Bayern meiner Kenntnis nach keinen einzigen.

Selbstverständlich tragen wir keine Schuld an den Verbrechen, die unsere Vorfahren unterm Hakenkreuz begangen haben, aber wir haben die Verpflichtung, sie für alle ans Tageslicht zu holen, im Gedächtnis zu behalten und aus ihnen heraus ethische und politische Haltungen zu entwickeln - gerade in Zeiten, in denen demokratisches Denken in Europa immer wieder in Frage gestellt wird. Im Anblick der Guillotine hätten junge Menschen die Gelegenheit, die Verbrechen des NS-Staates ganz unmittelbar zu reflektieren und in einem zweiten Schritt zu erkennen, was Deutschland seit 1945 alles geleistet hat, um ein freies Land zu werden. Sie könnten stolz darauf sein und würden begreifen, dass es sich lohnt, dafür einzutreten, die Freiheit zu erhalten.

In dieser Überzeugung bestärkt hat mich ein Interview, das ich im Juli 2021 für ein Radiofeature mit einer 11. Klasse des Willi-Graf-Gymnasiums in München geführt habe.4 Zuvor hatte ihr Geschichtslehrer sie mit den historischen Begebenheiten von Todesstrafe und Guillotine vertraut gemacht und dabei auch ein großformatiges Farbfoto des Stadelheimer Fallbeils an die Wand geworfen, das die Schülerinnen und Schüler erkennbar tief beeindruckte. In der anschließenden Diskussion vor dem Mikrofon waren sie rege beteiligt - und empört, dass ihnen die Guillotine und ihre Geschichte bislang vorenthalten worden war. Sie forderten vehement, sie aus dem Depot zu...
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