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Das Geheimnis meines Erfolgs

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Leykam Buchverlagerschienen am27.02.2023
Es gibt die anderen Kinder. Und es gibt Alex. Die Welt der Gleichaltrigen interessiert Alex nicht. Alex mag gelbes Essen, weißes Plastik, dicke Kataloge, die klackernden Klappen von Postkästen und Nina, die wundervolle, starke Pinguin-Mama-Arme hat. Schon im Kindergarten kann Alex schreiben und lesen, doch die Welt da draußen bleibt trotzdem schwer zu entschlüsseln. Kommt sie mit ihren falschen Bildern zu nahe, schmilzt Alex wie ein fallengelassenes Eis. Schließlich gelingt in einem geheimnisvollen Kraftakt das Unmögliche: Alex fügt sich ein. Aber zu welchem Preis? Einfühlsam und leidenschaftlich erzählt Margit Mössmer diese Geschichte über Anderssein, kindliche Emanzipation und Mutterliebe - durch die Augen des Kindes.

Margit Mössmer, 1982 in Hollabrunn geboren, ist Autorin und Kulturvermittlerin und lebt in Wien. Zahlreiche Preise und Stipendien, u. a.: Ö1-Literaturwettbewerb, Startstipendium des Bundeskanzleramts Österreich, Hans-Weigel-Literaturstipendium. Nach ihrem Debüt »Die Sprachlosigkeit der Fische« (2015), das als bestes Debüt für den Franz-Tumler-Preis nominiert wurde, erschien 2019 der Roman »Palmherzen« (beide bei Edition Atelier).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextEs gibt die anderen Kinder. Und es gibt Alex. Die Welt der Gleichaltrigen interessiert Alex nicht. Alex mag gelbes Essen, weißes Plastik, dicke Kataloge, die klackernden Klappen von Postkästen und Nina, die wundervolle, starke Pinguin-Mama-Arme hat. Schon im Kindergarten kann Alex schreiben und lesen, doch die Welt da draußen bleibt trotzdem schwer zu entschlüsseln. Kommt sie mit ihren falschen Bildern zu nahe, schmilzt Alex wie ein fallengelassenes Eis. Schließlich gelingt in einem geheimnisvollen Kraftakt das Unmögliche: Alex fügt sich ein. Aber zu welchem Preis? Einfühlsam und leidenschaftlich erzählt Margit Mössmer diese Geschichte über Anderssein, kindliche Emanzipation und Mutterliebe - durch die Augen des Kindes.

Margit Mössmer, 1982 in Hollabrunn geboren, ist Autorin und Kulturvermittlerin und lebt in Wien. Zahlreiche Preise und Stipendien, u. a.: Ö1-Literaturwettbewerb, Startstipendium des Bundeskanzleramts Österreich, Hans-Weigel-Literaturstipendium. Nach ihrem Debüt »Die Sprachlosigkeit der Fische« (2015), das als bestes Debüt für den Franz-Tumler-Preis nominiert wurde, erschien 2019 der Roman »Palmherzen« (beide bei Edition Atelier).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701182923
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum27.02.2023
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1353 Kbytes
Artikel-Nr.11134261
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

Ärzte

Wie ein Schwarm Heuschrecken war ich in Ninas Leben gerauscht und über sie hergefallen. Jede Minute mit mir, eine Heuschrecke. Anfangs hatte sie sich noch nach jedem Tier einzeln gebückt, aber der Schwarm wurde Tag für Tag dichter und irgendwann, nach Wochen und Monaten, konnte Nina keine einzelnen Übel mehr sehen, sondern stand inmitten einer flimmernden, lärmenden, alles zerfressenden Katastrophe.

Nina rief Doktor Birnbacher an und fragte, was sie mit mir machen solle. Der Birnbacher sagte, das Leben sei ein Lotteriespiel oder eine Pralinenschachtel oder so etwas Ähnliches und dass man eben auch ein Schreibaby aus Abrahams Wurstkessel fischen konnte. Schreien sei nichts anderes als Kommunikation, sie solle das nicht negativ sehen. Er sage es gerne noch einmal, vor allem einer jungen Mutter wie ihr: Es handle sich um Anfangsschwierigkeiten, wie es sie nun einmal zwischen Mutter und Kind gebe, mein Schreien würde sich legen. Sie solle sich entspannen, ein Baby reagiere sofort, wenn die Mutter angespannt ist.

Also strengte sich Nina an, entspannt zu sein. Sie hielt ihre Tränen zurück und trug mich durchs Zimmer, obwohl sie wusste, dass mein Toben im Liegen, im Stehen, im Gehen ein und dasselbe war. Sie schaukelte und tätschelte mich. Sie legte mich auf die blaue Couch, fütterte mich mit Tropfen gegen Blähungen, streichelte meinen Bauch, schob meine Beine behutsam hin und her, als wären sie das Gestänge an den Rädern einer alten Lokomotive. Sie wollte mich zum Laufen bringen, ich sollte endlich funktionieren. Sie nahm mich an die Brust und versuchte, mich zum Trinken zu überreden. Alle ihre Anstrengungen waren mir ganz egal. Ich schrie.

Normal ist das nicht , sagte Patrick, der uns am Küchentisch zwischen CD-ROM-Türmen sitzend beobachtet hatte, während er Nina ein E-Mail-Konto auf ihrem neuen Computer einrichtete. Nina wollte eigentlich keinen Computer. Schon gar keinen, der den vierten Platz an unserem Tisch besetzte. Nina brauchte auch kein E-Mail-Konto, aber es war angenehm, dass Patrick eine Beschäftigung hatte. Er kannte sich gut mit EDV-Sachen aus. Auf dem Computer gestaltete er Werbematerial für Firmen. Zum Beispiel arbeitete er an der Beklebung für die Fensterfront der Pizzeria Jovanotti in der Wiener Straße. Patrick war selbstständig. Und er war Ninas Bruder. Er schlief oft auf unserer blauen Couch.

Patrick stellte sich vor uns hin und sah mich an. Er roch nach Leder. Schaut aus wie zehn Tage durchgewatscht , sagte er.

Ich bemerkte, wie Nina die Kraft aus den Armen schwand. Sie ließ mich sanft auf ihren Schoß sinken. In dem Moment, als mein Kopf ihren Oberschenkel berührte, klebte da ein dünner, roter Faden, der von meinem rechten Ohr zum Hals führte. Wir fuhren ins Krankenhaus.

Die Ärztin in der Ambulanz drückte Nina aufrichtig die Hand und sagte, sie solle sich keine Vorwürfe machen, es könne schon vorkommen, dass man so etwas übersieht. Wir standen im Gang, rechts und links von uns saßen Patienten und starrten uns an.

Die beidseitige Mittelohrentzündung, meinte sie, würde wenigstens erklären, warum Ihr Kind, wie Sie es mir schildern, so viel schreit .

Diese Rechnung war aber falsch. Ich war seit sieben Monaten auf der Welt, das heißt, ich schrie seit sieben Monaten. Die Mittelohrentzündung gab es erst seit einem Tag.

Nina hörte der Ärztin gar nicht richtig zu, ihr Blick war an ihrem Long Bob hängen geblieben. Trotz der schlecht gemachten Meschen wirkte die Ärztin jung und verständnisvoll. Also nahm Nina noch einmal alle Kraft zusammen, um unsere Lage zu erklären.

Mein Kind schläft nicht , sagte sie.

Das tut mir sehr leid. Haben Sie Stillen als Einschlafhilfe probiert?

Ich meine gar nicht. Nie. Nie, nie, nie.

Die Ärztin pflichtete Nina bei, dass das eine schwierige Situation war. Als sie anfing, von ihren eigenen Kindern zu reden, unterbrach Nina sie und sagte möglichst laut, um gegen mein Schreien anzukommen: Ich glaube, mein Kind schreit nicht, weil die Ohren entzündet sind, sondern die Ohren sind entzündet, wegen dem vielen Schreien! Es ist umgekehrt, verstehen Sie?!

Die Ärztin lächelte freundlich oder unbeholfen oder mitleidig und griff in ein Prospektregal, das dort in unserer Nähe stand. Durch mein Toben konnte man sie nicht mehr verstehen, sondern nur noch sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, während sie uns eine babyblaue Broschüre entgegenhielt.

Die Menschen kommen sich einzigartig vor mit ihren Gefühlen, dabei schwimmt die Menschheit seit Jahrtausenden im selben Gefühlspool. Jedes Gefühl wurde schon Trilliarden Mal gefühlt. Gefühle werden nicht geboren wie Babys, und plötzlich ist da etwas Individuelles, Unvergleichliches. Sie entstehen weder sozusagen aus dem Nichts wie neuartige Viren noch werden sie bei archäologischen Ausgrabungen als etwas längst Verschollenes gefunden und wiederbelebt. Alles bleibt in der Gefühlswelt immer beim Alten. Der Menschenaffe war wütend und Nina war es auch. Nina war wütend auf mich. Nina war still und reglos wütend auf mich. Ausgerechnet hier und jetzt, in der Psychosomatischen Ambulanz, von deren Existenz uns nicht erst eine Broschüre, sondern auch der Birnbacher hätte erzählen können, ausgerechnet hier also, wo Nina mich dem Primarius präsentieren wollte, musste ich ihr in den Rücken fallen und ein unauffälliges Kind sein. Ich saß auf ihrem Schoß und schaute den Arzt über den Schreibtisch hinweg an. Nina füllte inzwischen das Formular aus: Ich mache mir viele Sorgen , Ich weine oft , Ich bin sehr müde und kann trotzdem nicht schlafen , Ich habe Angst , Ich kann nicht mehr lachen .

Da steht, wenn ich mehr als vier Punkte ankreuze, kann es sein, dass ich eine psychische Krise habe. Aber ich habe keine psychische Krise, also wenn, dann haben wir beide eine Krise, weil diese vier Punkte, die müsste mein Kind eigentlich genauso ankreuzen. Sie sah mich wütend oder vorwurfsvoll oder hoffnungslos an. Also wenn es einen Stift halten könnte.

Ein paar Wochen später und ein Viertel Kilogramm weniger, hatten wir einen neuen Termin. Und zwar bei Frau Hamidi im zweiten Bezirk in Wien.

Frau Hamidi war eine ausgebildete Cranio-Sakral-Therapeutin. Nina hatte sie auf einer Homepage gefunden, auf der Mediziner aller Art nach Gemeinden und Bezirken aufgelistet waren. Wir saßen gemeinsam mit Patrick am Küchentisch und warteten. Die Homepage brauchte etwa 15 Sekunden, um zu laden. Der Klick auf den Button Kassen/Kosten dauerte noch einmal so lange. Als sie die Zahlen auf dem Bildschirm sah, legte Nina ihre Hände über den Mund und Patrick fing laut zu lachen an. Das verlangt die in der Stunde, Nina! , rief er. In der Stunde! Für so einen Eso-Hexen-Scheiß!

Nina zog ihren Kopf einmal zur rechten, einmal zur linken Schulter, so dass es in der Wirbelsäule knackte wie bei einer Boxerin, atmete laut aus, stand auf und ging in die Küche.

Patrick las sich den Text durch und redete einfach weiter. Fluid-Tide, was soll denn das heißen? Primäre Respiration. Subtile Pulsation. Ich glaub, ich spinn. Und schau, da, das Behandlungszimmer. Das ist gar kein echtes Arztzimmer, das ist einfach eine Wohnung.

Nina schreckte die Eier ab, kam an den Tisch zurück und legte mit glühroten Fingerkuppen ein Ei in den Becher vor Patrick. Apropos Wohnung, hätte sie sagen können. Zwei Worte.

Aber borgst du s mir trotzdem? , fragte sie, ohne ihn anzusehen. Sie starrte stattdessen auf seine Füße. Patrick saß mit den Straßenschuhen da. Mit der rechten Hand griff er nach dem Löffelchen und schlug damit so kräftig aufs Ei, dass die Schalensplitter nur so über die Tischplatte schossen. Mit jedem Schlag hätte Nina ihn fragen können, wie lange das Austauschen der Fenster in seiner Wohnung eigentlich noch dauern würde, bis wann er bei uns bleiben wollte. Es wären kleine Worte gewesen. Wann ziehst du aus? Vier Worte. Ein Fragezeichen am Schluss. Worte, klein wie frischgeschlüpfte Babyvögel. Aber Menschen gewöhnen sich an, nicht alles geradeheraus zu sagen. Für viele ist es eine Option, Worte zurückzuhalten. Irgendetwas in ihrem Gehirn funktioniert in gewissen Situationen auf eine gewisse Art, weswegen sie es tun, beziehungsweise eben nicht tun, weswegen sie schweigen.

Frau Hamidi, Hamidi, Hamidi. Hamidi ist ein Name, den ich gerne laut ausgesprochen höre, bei dessen Klang ich an Vanillepudding oder weißes Plastik denke. Im Behandlungszimmer mit dem Orangenduft, den Orchideen auf dem Fenstersims und den gerahmten Zeugnissen an der Wand atmete Nina das erste Mal seit Monaten. Nicht ein, sondern aus. Ausatmen wird unterschätzt.

Anders als der Name vermuten ließ, hatte Frau Hamidi nichts Großartiges gesagt. Sie hörte...
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Autor

Margit Mössmer, 1982 in Hollabrunn geboren, ist Autorin und Kulturvermittlerin und lebt in Wien. Zahlreiche Preise und Stipendien, u. a.: Ö1-Literaturwettbewerb, Startstipendium des Bundeskanzleramts Österreich, Hans-Weigel-Literaturstipendium. Nach ihrem Debüt »Die Sprachlosigkeit der Fische« (2015), das als bestes Debüt für den Franz-Tumler-Preis nominiert wurde, erschien 2019 der Roman »Palmherzen« (beide bei Edition Atelier).