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Winterblume

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
132 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am06.03.20232. Auflage
Die hier versammelten Buchbesprechungen Martin Walsers können als eine kleine, sehr persönliche Literaturgeschichte verstanden werden.

Martin Walser, 1927 in Wasserburg geboren, gilt als der bedeutendste deutsche Gegenwartsautor.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,80
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie hier versammelten Buchbesprechungen Martin Walsers können als eine kleine, sehr persönliche Literaturgeschichte verstanden werden.

Martin Walser, 1927 in Wasserburg geboren, gilt als der bedeutendste deutsche Gegenwartsautor.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757831417
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum06.03.2023
Auflage2. Auflage
Seiten132 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11159891
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Italienische Erzähler
Über neue Bücher von Ingeborg Guadagna, Giuseppe Berto, Carlo Còccioli und Dino Buzatti
Ganz kluge Literatur-Ökonomen haben sich seit 1945 immer wieder darüber beklagt, dass die deutsche Literatur »überfremdet« werde, dass zu viel ausländische Literatur ins Deutsche übersetzt werde. Auch in der deutschen Filmwirtschaft hörte man diese Klage. Nun weiß man ja, was uns blühen würde, wenn wir nur auf deutsche Filme angewiesen wären! In der Literatur ist es nicht ganz so schlimm, da haben wir noch Reserven aus der Zeit vor 1933; aber um ein wirklich zeitgenössisches Bewusstsein zu erlangen, müssen wir auch in der Literatur häufig, sehr häufig in die Ferne greifen, weil in der Nähe eben tatsächlich sehr wenig Gutes liegt.

Wir wollen Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, heute mit vier italienischen Büchern bekannt machen. Ingeborg Guadagna, Giuseppe Berto, Carlo Còccioli und Dino Buzatti sind die Verfasser dieser Bücher.

Beginnen wir mit Ingeborg Guadagna, die uns in wenigen Jahren nun schon den vierten Roman vorlegt, wieder im Artemis-Verlag, Zürich und Stuttgart. »Die Fahrt zur Insel« heißt der neue Roman dieser jungen Erzählerin, die, wenn ich recht unterrichtet bin, aus Schwaben stammt und durch Heirat Italienerin geworden ist. Sie schreibt ihre Bücher in deutscher Sprache. Und doch verdankt sie ihre Romane Italien. »Die Fahrt zur Insel« unternimmt ein frischgebackener römischer Dottore, und zwar zur Insel Elba. Un aufgeweckt, blass, appetitlos, und sehr gebildet, betritt er die Insel. Mit einem Schäfer kann er sich nicht unterhalten, und barfuß kann er auch nicht gehen, weil seine immer behüteten Fußsohlen zu zart sind.

Erst, als er dann Leda, die arme Tochter armer Inselbauern kennenlernt, scheint ihm eine neue Haut zu wachsen. Der blöde Jüngling, der tumbe Tor, der Parzival ist es, der Unerweckte, der hier durch die schwerblütige Leda ins Leben hineingerissen wird, um verwundet zu werden bis ins Mark. Natalino flieht von der Insel, kehrt nach Rom zurück und weiß nicht, warum ihn Leda mit einem rothaarigen Handlungsgehilfen betrogen hat.

Er wird Journalist bei einer Fascistenzeitung, heiratet die Tochter seines Chefs, hat Erfolge in seinem Beruf, wird Soldat, Offizier - kehrt am Ende des Krieges nach Rom zurück, macht endlich sein Staatsexamen, um als Lehrer neu und brav anzufangen. Aber Natalino hat die »Fahrt zur Insel« weder vergessen noch verwunden. Die Erzählerin sagt, dass ihm »das tägliche Leben ohne Wichtigkeit weiterrann«.

Nun fügt es sich, das heißt, Ingeborg Guadagna fügt es so, dass Natalino mit seiner ungeliebten Frau noch einmal auf die Insel kommt, und hier sieht er Leda wieder. Sie erkennt ihn nicht mehr. Aus dem schlanken schwarzäugigen Mädchen ist eine biedere wohlbeleibte Geschäftsfrau geworden.

So bringt Guadagna alles ins rechte Geleise, vermeidet happy end, vermeidet aber auch Tragik: Natalino erhält alle Erklärungen über die Vergangenheit, die nötig sind, um den Jugendtraum von der Insel zu überwinden: Er wird ein braver Bürger mit edlen Neigungen.

Die vielfältige Handlung rollt nicht ganz von selbst durch die 500 Seiten. Ingeborg Guadagna muss manchmal etwas hart lenken und drehen, dass es zum neutral-befriedigenden Ende kommt. Diese Hilfskonstruktionen zeigen, dass das erzählerische Lenken vieler Schicksale gelernt sein will. Ingeborg Guadagna wird das lernen, daran ist kein Zweifel. Sie ist eine wirkliche Erzählerin. Ihre Sprache zeigt es. Aus ihrer süddeutschen Herkunft schießen ihr unverbrauchte kräftige Bildungen zu, die sie in ihre gelenkreiche und farbengesättigte Prosa einfließen lässt.

Nun zu Giuseppe Berto, zu seinem Roman »Mein Freund der Brigant«, erschienen im Claassen Verlag, Hamburg, ins Deutsche übertragen von Charlotte Birnbaum. Der Schauplatz ist Sizilien: die Not der Bauern, denen der Brigant Michele Rende helfen will. Er wiegelt sie auf, führt sie auf die unbebauten Ländereien der Großgrundbesitzer, die Landnahme misslingt, Michele wird zum gesetzlosen Briganten, der es auf sich nimmt, die Not der Armen zu rächen. Nino, der Sohn eines rechtschaffenen Bauern, erzählt diese Geschichte.

Er selbst verfällt dem kühnen, hochmutigen Michele; auch seine Schwester Emilia verfällt dem großen rücksichtslosen Mann: Und als Michele geächtet und gejagt durch die Berge irrt, da folgt ihm Emilia. Die rechtschaffene Bauernfamilie, die ihren wenigen Besitz treu pflegt und sich ehrlich am Leben hält, zerbricht. Das Gemüt der Mutter wird zerstört, der harte Stolz des Vaters wird unmenschlich verhärtet. Aber Nino, der Erzähler, erkennt allmählich, dass es ein falsches Gesetz ist, das Michele zum Briganten gemacht hat, zum Mörder und Brandstifter. Und als Ninos Schwester erschossen wird, da ist zwar dem Gesetz Genüge getan, da sind auch Micheles Morde gesühnt, aber die Not der Armen und die verständnislose Härte der in der Großstadt lebenden Großgrundbesitzer sind gleich geblieben. Also ist alles wie zuvor? Nein: Der sechzehnjährige Nino ist aufgewacht, er liest die Bücher, die ihm Michele hinterließ, er beweist auf einem steinigen Stück Land, dass dieses Land nicht der Unfruchtbarkeit überlassen bleiben muss, er weiß vom Recht der Armen auf das unbebaute Land.

Guiseppe Berto schließt seinen Roman mit dem Tod des Briganten, aber die Folgerungen, die sich für den Leser ergeben, sind unabweisbar. Giuseppe Berto muss keine Mahnungen aussprechen, keine Warnungen erteilen, er schildert das spärliche und mühsame Dasein dieser sizilianischen Bergbauern: flimmernde Hitze über steinigen Ackern, Schweiß und Staub, Werkzeug und Brot und Wein und einfache Andacht. Als die deutschen und dann die alliierten Truppen durchs Dorf ziehen, sagt der Erzähler Nino: »Irgendwer hatte uns immer regiert; es machte uns nicht viel aus, ob diese eine andere Sprache sprachen, wenn sie nur gerecht waren und uns nicht die Speise wegholten oder die Frauen nahmen.«

In dieser uralten Geduld ertragen sie auch die Herren, die Großgrundbesitzer, von denen sie Michele befreien wollte.

Es ist ein einfaches Buch ohne vielfältige Handlung und weitläufige Schicksale: Es ist so einfach und karg und gleichzeitig so schön wie die Landschaft und die Menschen, durch die es entstand.

Kunst und Natur haben einträchtig zusammengewirkt, um dieses Werk hervorzubringen. Es ist ja bekannt, welch großer Kunst es bedarf, um das Natürliche künstlerisches Ereignis werden zu lassen.

Die deutschen Blut- und Bodenromane beweisen es von Mal zu Mal aufs Neue. Welcher unserer deutschen Erzähler weiß noch so um die ursprünglichen Gesetze des Erzählers wie Giuseppe Berto. Er erzählt durch den jungen Nino, und er verletzt die Perspektive dieser Figur nicht ein einziges Mal. Was erzählt wird, wird durch Nino erzählt. Und dieser Rahmen wird nicht zum Mittel erniedrigt, wird nicht zur Beschränkung. Nino hört und sieht, was gesprochen wird, was geschieht. Und gerade dieses Nacherzählen dessen, was man im Dorf sagt und meint, die vielfache Brechung der Ereignisse, die dann noch einmal durch Ninos Augen gesehen werden, gerade daraus schlägt Giuseppe Berto phantastisches Kapital.

Man sollte dieses Buch unseren jungen Erzählern dringend empfehlen, das würde manche klug gespreizte Diskussion überflüssig machen.

Nun zu Carlo Còccioli. »Das Spiel« heißt dieser Roman, den Fritz Jaffé für die Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart übersetzte. Bei Giuseppe Berto war alles Natur, auch die jahrhundertealte Erinnerung der Bauern ist dort nicht Geschichte, sondern unveränderliche Natur; bei Carlo Còccioli ist alles Geschichte.

Der junge Schriftsteller Fabio kommt in die uralte Universitätsstadt Hesperia. Zwei Frauen sind um ihn, Lucia und Lisabetta. Das sind die drei Hauptrollen des Spiels. Der Sinn des Spiels ist es, dass jeder Spieler sich über seine Rolle klar wird. Lucia ist durch ihre Großmutter mit dem vorchristlichen Bewusstsein ihres uralten Volkes bekannt geworden. Von ihr erfährt sie: »Unser Gott war blind, ohne Augen, ein Sinnbild des großen Spiels, das das Schicksal mit uns treibt.«

Fabio lernt durch sie und durch den Umgang mit den uralten Mauern Hesperias, dass man das Spiel, das das Schicksal mit uns treibt, erkennen muss: Die vergessenen Regeln, die Normen, die jeder Bewegung zugrunde liegen, müssen wieder bewusst gemacht werden.

Das heißt, man muss Einsicht in das eigene Marionettendasein gewinnen. Man kann zwar nichts ändern, aber man darf nicht blind an den Drähten hängen.

Wir können hier natürlich nur ein paar grobe Andeutungen über dieses vielfach versponnene Schicksalsspiel geben. Ein gedankenreiches Buch, mit dem man als Leser gerne streitet, das man aber auch gerne liest, weil das wirklich-unwirkliche Traumgehege, in dem Fabio und die beiden Frauen irren und suchen, nicht in intellektueller Esoterik verdorrt. Còccioli ist zwar in Gefahr, manchmal nur die...
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