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Einzeller

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
312 Seiten
Deutsch
Verlag Kremayr & Scheriauerschienen am06.03.2023
Wem gehört der Feminismus? Auf der Suche nach Frauensolidarität seziert Gertraud Klemm in ihrem neuen Roman das, was vom Feminismus übriggeblieben ist. Solange wir uns wie Einzeller gebärden, wird das nie etwas mit der Geschlechtergerechtigkeit. In Simone Hebenstreits neuer WG versammeln sich fünf Frauen aus verschiedenen Generationen, mit verschiedenen Ansichten. Was sie eint, ist ihr Widerstand gegen den drohenden Rechtsruck. Wahlen stehen an, und diesmal werden Herdprämien, Müttergeld und Abtreibungsverbote versprochen. In einem Reality-TV-Format diskutieren die Frauen öffentlich ihre Positionen, und bald zeigen sich die Bruchlinien zwischen ihnen und ihren feministischen Vorstellungen von Religion, Gender-Identität und Sexarbeit: Während sie einander vor laufender Kamera zerfleischen, nimmt die politische Wende ihren Lauf.

Gertraud Klemm, 1971 in Wien geboren, studierte Biologie und arbeitete als hygienische Gutachterin bei der Stadt Wien. Seit 2006 ist sie freie Autorin. Ihr Roman 'Aberland' stand 2015 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Für ihre Texte erhielt sie zahlreiche Preise, u.a.: Publikumspreis beim Bachmannpreis 2014, Outstanding Artist Award für Literatur 2020, Ernst-Toller-Preis 2021, Anton-Wildgans-Preis 2022. Zuletzt erschien ihr Roman 'Hippocampus' bei Kremayr & Scheriau.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextWem gehört der Feminismus? Auf der Suche nach Frauensolidarität seziert Gertraud Klemm in ihrem neuen Roman das, was vom Feminismus übriggeblieben ist. Solange wir uns wie Einzeller gebärden, wird das nie etwas mit der Geschlechtergerechtigkeit. In Simone Hebenstreits neuer WG versammeln sich fünf Frauen aus verschiedenen Generationen, mit verschiedenen Ansichten. Was sie eint, ist ihr Widerstand gegen den drohenden Rechtsruck. Wahlen stehen an, und diesmal werden Herdprämien, Müttergeld und Abtreibungsverbote versprochen. In einem Reality-TV-Format diskutieren die Frauen öffentlich ihre Positionen, und bald zeigen sich die Bruchlinien zwischen ihnen und ihren feministischen Vorstellungen von Religion, Gender-Identität und Sexarbeit: Während sie einander vor laufender Kamera zerfleischen, nimmt die politische Wende ihren Lauf.

Gertraud Klemm, 1971 in Wien geboren, studierte Biologie und arbeitete als hygienische Gutachterin bei der Stadt Wien. Seit 2006 ist sie freie Autorin. Ihr Roman 'Aberland' stand 2015 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Für ihre Texte erhielt sie zahlreiche Preise, u.a.: Publikumspreis beim Bachmannpreis 2014, Outstanding Artist Award für Literatur 2020, Ernst-Toller-Preis 2021, Anton-Wildgans-Preis 2022. Zuletzt erschien ihr Roman 'Hippocampus' bei Kremayr & Scheriau.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783218013833
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum06.03.2023
Seiten312 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1088 Kbytes
Artikel-Nr.11159998
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1
Simone
Januar

Eleonora hält die Leiter, an der die Farbdose hängt. Oberhalb von ihr pinselt Maren etwas über die Eingangstür, mit einem groben, verklebten Borstenpinsel und karamellfarbenem Lack. Ein Bienenstock: Marens Idee, nachdem sie die ganze Wohnung ausgemalt hatten. Nachdem sie die Vorhänge aufgehängt hatten. Nachdem sie die Hausregeln auf die Tafel geschrieben hatten, gemeinsam. Eleonora umklammert die Leiter fester als nötig.

Niemand soll behaupten können, nicht vor uns gewarnt worden zu sein, sagt Maren. Alle ziehen am selben Strang, und jede hat einen Stachel, mit dem sie unter Einsatz ihres Lebens zuzustechen bereit ist. Ist doch eine schöne Metapher, oder?

Simone sagt lieber nichts. Zu dick aufgetragen, die Metapher. Zu träumerisch. Was auf Insektenebene so großartig funktioniert, muss sich bei den Menschen nicht durchsetzen, will sie sagen. Aber ganz ohne Träume keine Visionen. Und ohne Visionen keine Veränderung. Und ohne Veränderung immer dieselbe Scheiße. Simone lächelt den Bienenstock an, der eine kleine Beule hat.

Werde Teil der Frauenrevolution. Mitbewohnerin

für nachhaltiges Wohnexperiment

»Bienenstock« gesucht. 300 ⬠warm. Keine

Tiere, keine Männer, leider nicht barrierefrei.

Bewerbungen unter family@bienenstock.at.

Simone hört Eleonora staubsaugen, erst das Rattern über den Parkettboden, dann das Schlagen gegen die Stuhlbeine und Wände, dann das Umstecken des Aufsatzes und das Stochern in die Ritzen hinter den Heizkörpern, und endlich die Stille. Diese unvermeidliche Putzerei. Hochgeputzt hat sich in dieser Gesellschaft noch niemand, aber ohne Putzen geht nichts. Beim Putzen fängt die Gemeinschaft zum Stinken an. Das hat sich schon oft bewahrheitet. Simone hat Eleonora den Blick der beiden Neuen einfangen gesehen, letzte Woche, als sie vorgesprochen haben. Wie sie um sich geschaut haben, eine vorsichtige Inspektion. Eleonora will nicht, dass es so beginnt: mit leichtem Grausen. Es soll mit glücklichem Strahlen beginnen, mit Gelächter, mit einem berauschenden Festmahl. Das wird es morgen. Maren stampft schon Pesto, wickelt Speck um Zwetschken, stopft Nüsse in Datteln. Die Fenster hat Simone gestern selbst geputzt, so gut sie konnte; wie gründlich, erfährt man erst, wenn die Sonne spätnachmittags hereinscheint. Wahrscheinlich sind da ein paar Einhornfürze zurückgeblieben: So nennt Simone die Schlieren, die entstehen, wenn man die Fenster bei Schlechtwetter putzt. Mit denen müssen sie leben können, findet sie. Ihre Schwester fand das nicht. Wäre sie hier, würde sie noch leben, sie würde mit ihrem schlanken Zeigefinger humorvoll mahnend auf den Mangel zeigen. Simones Schwester hat sich zeitlebens die Seele aus dem Leib geputzt, so wie ihre Mutter. Da hat sich etwas vererbt, was dann ausgestorben ist.

Diese Flora hat sich als eine der Ersten beworben. Sie ist mit forschen, ein wenig nach außen gedrehten Schritten durch die Wohnung geeilt, hat das Zimmer und alles Übrige gesehen. Eleonora, Maren und Simone sind ihr gegenübergesessen, als sie sich die Hausregeln durchgelesen und mit einem Nicken zugestimmt hat, bei dem ihre akkuraten Stirnfransen keinen Millimeter gewackelt haben.

Dein Zimmer ist dein Kaffee, hat Simone gesagt, aber einmal die Woche wird gemeinsam geputzt, wie du gelesen hast. Was dir danach nicht sauber genug ist â¦

⦠ist wieder mein Kaffee, hat Flora ergänzt, ohne Lächeln. Simone hat langsam und ernst genickt. Was, wenn ich keinen Kaffee trinke?

Eleonora und Maren haben nicht wirklich verstanden, warum Simone sofort für Flora plädiert hat. Humorlos sei sie, fand Maren. Irgendwie linkisch, warf Eleonora ein. Bei dieser Lilly waren sich alle schnell einig gewesen: sympathisch, neugierig und deutlich jünger als sie. Zuerst sind sie etwas ratlos vor den rund dreißig Bewerbungen gesessen; Maren, Eleonora und sie konnten sich in der Vorauswahl auf fünf Frauen einigen. Die Geschichte-Studentin war einfach allen unsympathisch, die Köchin wirkte zu zappelig und bürgerlich, die Biochemikerin war reizend, bis sie von den erfolgreichen Auftritten (Tourneen, sagte sie) des Kirchenchors, in dem sie sang, erzählte, und Simone Gänsehaut bekam.

Eine Religiöse kommt mir nicht ins Haus, sagte sie sofort streng, nachdem die Biochemikerin aus der Wohnung draußen war.

Kirchenchor ist nicht zwingend religiös, warf Maren ein.

Für Jesus hab ich echt keine Nerven, sagte Simone. Noch nicht. Aber mit dieser Flora werden wir diverser. Ihre Eltern sind aus Guatemala. Sie wirkt wie eine Realistin. Außerdem ist eine Juristin im Haus nie schlecht.

Warum will die zu uns?, fragte Maren. Am Geld kann s nicht liegen.

Exakt, sagte Simone. Der geht es um die Sache. Die hat lange genug alleine gelebt. Jetzt will sie eine funktionierende Frauen-WG. Die ist neugierig und visionär, und nicht nur prekär. Die Prekären nehmen wir, wenn wir expandieren.

Maren zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Eleonora nickte, stand auf und warf die Bewerbungen ins Altpapier.

Ich würde sie am liebsten gleich alle nehmen, sagte Maren seufzend.

Simone nickte. Alle nehmen. Das will Maren immer. Das ist ihr wunder Punkt.

Heute war ihr letzter Abend zu dritt. Morgen würden sie fünf sein. Von drei auf fünf in sieben Wochen.

Simone musste die anderen beiden nicht lange überreden. Von der ehemaligen Berufsschule sind drei Geschoße Bruchbude übriggeblieben - zumindest von außen. Der Makler hatte ihnen den Schlüssel gegeben, mit den Worten: Sehen Sie es sich mal an. Erst überwog das Entsetzen. Der Verfallensgrad des Gebäudes war aus der hofseitigen Perspektive in vollem Ausmaß sichtbar. Ein Dickicht aus Lianen und Holler wälzte sich durch den Innenhof und ergoss sich über ein abgestelltes Autowrack.

Eine Bruchbude, hatte Maren tonlos gesagt. Sichtlich hatte sie sich mehr erwartet, als sie die Anzeige entdeckt hatte.

Gehen wir mal rein, sagte Simone.

Mit Vorsicht bewegten sie sich durch das staubige, postapokalyptische Szenario. Durch undefinierbare Kammern und Lager im Erdgeschoß und alte Schulklassen im Mittelgeschoß, wo die Bänke und Sessel mit den Füßen nach oben zeigten, als hätte jemand sie im Zorn umgetreten. Immer wieder zerbrochene Scheiben, die notdürftig mit Brettern und Platten verriegelt waren. Erst im Obergeschoß sprachen sie wieder.

Immerhin das Stiegenhaus ist ok, sagte Maren.

Allem haftete das überschrittene Ablaufdatum an. Direktion stand auf einem altmodischen Steckschild neben der Tür zu ihrer Linken. Maren sperrte auf, und das Erste, was Simone dachte, war: so viel Platz! Vor ihr breitete sich ein langer, breiter Gang aus, gesäumt von Türen rechts und links, durch Oberlichten überraschend hell, entrümpelt, die Wände schmutzig, aber trocken. Sie staunten.

Da war kurz ein Start-up-Unternehmen drin, hat der Makler erwähnt.

Die müssen das renoviert haben, sagte Maren verblüfft, während sie die großzügige, möblierte Teeküche inspizierten, das ehemalige Lehrerklo mit den Duschkabinen, das WC Direktor mit der Badewanne (wozu, fragten sie sich sofort); sogar eine alte, kaputte Waschmaschine stand da.

Die Fenster sind zu groß und undicht, sagte Maren. Kalt ist es.

Die Heizung schaut auch nicht gerade modern aus, sagte Simone, als sie über den breiten, staubigen Rücken der Radiatoren strich. Ein Konferenzraum, eine Direktion, ein Sekretariat, zwei Besprechungszimmer, ein Aktenraum.

Genug Platz für fünf, grinste Simone, und jede hätte ihr eigenes Klo! So billig kriegen wir das nie wieder!

Sie haben Simone, der ehemaligen Lehrerin, das beste Zimmer überlassen, das Direktorenzimmer mit dem WC Direktor gleich daneben. Drei Wochen wohnen sie nun schon hier, nach vier Wochen heftiger, wenngleich oberflächlicher Renovierungsarbeiten. Viele der Originalmöbel haben sie behalten: die Schreibtische, die Aktenschränke, die Regale. Ein bisschen Entsorgen, Spachteln, Malen, Kitten, aber hauptsächlich Putzen, Putzen, Putzen. Dann haben sie ihre Habe aus dem 12. Bezirk umgesiedelt und versucht, sich einzuleben. Kalt ist allen, aber den Schulgeruch kann nur Simone wahrnehmen.

Anfangs hat sie nicht in der Wanne liegen können, ohne die Anwesenheit des Direktors zu spüren. Sie sah ihn von der Wanne aus vor sich, wie eine Karikatur ihres ehemals vorgesetzten Direktors Dr. Berger, mit schlechtsitzendem Anzug und beigen Socken, vor dem Klo, wie er seinen Hosenstall aufmacht, um breitbeinig seinen Urin fahrlässig ins und ums Klo zu pritscheln. Dr. Berger hätte nie so etwas Weibisches getan wie ein Bad zu nehmen oder sich am Klo niederzusetzen. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, wie es auf...
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Gertraud Klemm, 1971 in Wien geboren, studierte Biologie und arbeitete als hygienische Gutachterin bei der Stadt Wien. Seit 2006 ist sie freie Autorin. Ihr Roman "Aberland" stand 2015 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Für ihre Texte erhielt sie zahlreiche Preise, u.a.: Publikumspreis beim Bachmannpreis 2014, Outstanding Artist Award für Literatur 2020, Ernst-Toller-Preis 2021, Anton-Wildgans-Preis 2022. Zuletzt erschien ihr Roman "Hippocampus" bei Kremayr & Scheriau.