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Nur in Wien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Czernin Verlagerschienen am15.03.2023
Ob der Wiener Wu?rfeluhr, der Litfaßsäule oder der Schriftart, die auf Straßenschildern zu sehen ist; ob der Straßenbeleuchtung, Papierkörben oder Kanalgittern: Wolfgang Freitag geht in »Nur in Wien« dem Urbanen auf den Grund. In Wort und Bild stellt er charakteristische Elemente der Wiener Stadtmöblierung und ihre Entwicklungsgeschichte vor. Wolfgang Freitag kreiert ein Mosaik aus all den alltäglichen Selbstverständlichkeiten, die erst in ihrer Zusammenschau Wiens Identität stiften - und in ihrer Veränderung kenntlich werden. Genau diese alltäglichen »Nebensächlichkeiten« und ihre Geschichte nimmt er in den Blick: von der Parkbank in Schönbrunn bis zu den Enzis im Museumsquartier, vom »Feuerwechsel« des 19. Jahrhunderts bis zum modernen Hydranten. Das Ergebnis: ein Bild von Wien, wie es jeder kennt, aber niemand je wahrgenommen hat. Abgerundet wird dieses Bild durch Gespräche mit Designern und Architekten, die den Band um entsprechendes Insiderwissen bereichern.

Wolfgang Freitag, Jahrgang 1958, geboren in Wien. Seit 1984 als Journalist tätig, seit 1995 Redakteur der »Presse«, seit 2013 Verfasser einer wöchentlichen Kolumne zum Thema Stadtbild. Bu?cher u. a.: »Zu den Schattenorten von Wien«, »Wo Wien beginnt«, zuletzt »Der Fall Karl Horvath«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextOb der Wiener Wu?rfeluhr, der Litfaßsäule oder der Schriftart, die auf Straßenschildern zu sehen ist; ob der Straßenbeleuchtung, Papierkörben oder Kanalgittern: Wolfgang Freitag geht in »Nur in Wien« dem Urbanen auf den Grund. In Wort und Bild stellt er charakteristische Elemente der Wiener Stadtmöblierung und ihre Entwicklungsgeschichte vor. Wolfgang Freitag kreiert ein Mosaik aus all den alltäglichen Selbstverständlichkeiten, die erst in ihrer Zusammenschau Wiens Identität stiften - und in ihrer Veränderung kenntlich werden. Genau diese alltäglichen »Nebensächlichkeiten« und ihre Geschichte nimmt er in den Blick: von der Parkbank in Schönbrunn bis zu den Enzis im Museumsquartier, vom »Feuerwechsel« des 19. Jahrhunderts bis zum modernen Hydranten. Das Ergebnis: ein Bild von Wien, wie es jeder kennt, aber niemand je wahrgenommen hat. Abgerundet wird dieses Bild durch Gespräche mit Designern und Architekten, die den Band um entsprechendes Insiderwissen bereichern.

Wolfgang Freitag, Jahrgang 1958, geboren in Wien. Seit 1984 als Journalist tätig, seit 1995 Redakteur der »Presse«, seit 2013 Verfasser einer wöchentlichen Kolumne zum Thema Stadtbild. Bu?cher u. a.: »Zu den Schattenorten von Wien«, »Wo Wien beginnt«, zuletzt »Der Fall Karl Horvath«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783707608014
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum15.03.2023
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse15309 Kbytes
Artikel-Nr.11225833
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Es muss Anfang der 2010er-Jahre gewesen sein. Eine Wiener Innenstadtgalerie zeigte Arbeiten einer aus Deutschland stammenden Fotografin und Filmemacherin, Carolin Thummes, die samt und sonders einem Gegenstand gewidmet waren, dem sonst bei derlei Kunstgelegenheiten kaum je Aufmerksamkeit zuteilwird: dem Hydranten. Wie sich herausstellte, war Frau Thummes ihrem Faible fürs Hydrantische weltweit nachgegangen, wobei ihr weder am äußeren Zweck ihres Gegenstands noch an der inneren Technik gelegen schien; vielmehr rückte sie den Hydranten als eine Art Stadtbewohner ins Bild, und wie er sich ins Ensemble seiner jeweiligen Mitbürgerinnen und Mitbürger fügt.

Nun wäre das für sich schon bemerkenswert genug gewesen, was aber quasi nebenbei überraschte: die formale Vielfalt, die dieses doch triviale Zweckobjekt auf den Fotografien je nach Ort der Aufnahme offenbarte. Genauer: Es hätte sich je nach Hydrant, entsprechende Expertise vorausgesetzt, das jeweils gezeigte Geschehen problemlos lokalisieren lassen, egal, ob es sich nun in New York oder Shanghai, in München oder Kopenhagen begeben hatte. Der Hydrant als identitätsstiftendes Objekt, das Differenz kenntlich macht: Das war mir vor dem Besuch dieser Ausstellung noch nie in den Sinn gekommen.

In den Jahren der Arbeit an vorliegendem Buch tauchte die Erinnerung an Frau Thummes Hydranten-Expeditionen immer wieder in mir auf, begann sich doch meine Wahrnehmung von Stadt mehr und mehr der ihren anzunähern. Was mich betrifft, waren freilich nicht nur Hydranten der, objektiv betrachtet, banale Anlass, meine Aufmerksamkeit zu schärfen, vielmehr eine höchst disparate Gemeinschaft mehrerer solcher und ähnlicher Gegenstände. Ich begann auf Kanalgittern die dort notierte Jahreszahl zu prüfen, kontrollierte Straßenschilder auf Unterschiede in der verwendeten Schrift, verglich Papierkorbsprüche, Pflastersteine, Fahrgastunterstände der Straßenbahn und sah plötzlich Dinge, die ich, wiewohl doch seit mehr als sechs Jahrzehnten Bürger dieser Stadt, noch nie zuvor in Wien gesehen hatte: dass die Bundesgärten in ihren Parkanlagen Sitzbänke verwenden, wie sie in keiner Anlage der Stadt Wien zu finden sind; wie viele verschiedene Grüntöne die Stadtbahngeländer Otto Wagners tragen; und wo der älteste Hydrant der Stadt mehr als 90 Jahre nach seiner Montage noch immer seine Dienste verrichtet. Wie es dazu kam? Der Reihe nach.

»Nehmen wir ein schlichtes zeitgenössisches Bild irgendeiner Straße irgendeiner Stadt in irgendeinem Magazin«, schreibt der Architekturpublizist Dietmar Steiner Anfang der 1990er-Jahre. »Woran erkennt man, welches Land und welche Stadt gemeint sein könnte?« Selbstredend eine bloß rhetorisch gestellte Frage, Steiner kennt die Antwort genau: »Benutzeroberfläche der Stadt« nennt er sie, und meint damit das »Kleinzeug« einer Stadt, die Möblierungen des Raums, die zur Einlösung urbaner Funktionsversprechen erforderlichen Alltagsgegenstände, unverzichtbares Inventar des »Wohnzimmers Straße« und genauso wenig wahrgenommen wie jede Steckdose und jeder Küchensessel in unseren Häusern.

»Stadtmöblierung« ist auch der im Fachdiskurs für solche Objekte gebräuchlichste Begriff, wobei Feingeister noch jene Teile, die quasi von Vornherein einen ästhetischen Mehrwert versprechen (Straßenlampen, Parkbänke, öffentliche Brunnen), von reinen Zweckobjekten (Hydranten, Einlaufgitter) trennen.

Ein »Arbeitskreis Stadtmöblierung« ist es auch, dessen Abschlussbericht obiges Zitat Dietmar Steiners entnommen ist. 1991 vom damals in Wien amtsführenden Planungsstadtrat, Hannes Swoboda, eingerichtet, gehören ihm neben Steiner die Architekten Carl Auböck, Luigi Blau, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer und Boris Podrecca an. Eine Art Best-of der hiesigen Architektenzunft jener Tage, dem Swoboda ein durchaus ambitioniertes Ziel setzt: »die Wiener Stadtmöbel teils mit bestehenden, teils mit neuen Elementen auf die funktionellen Ansprüche unserer Zeit abzustimmen«. Was heißt: »nicht alles über einen Kamm scheren, sondern individuelle und identitätsstiftende Gestaltungsarbeit leisten«.

»Gezähmte Vielfalt« nimmt man sich dabei vor: Einerseits widerspreche eine von oben verordnete Durchgestaltung »der Idee der Stadt als Konglomerat verschiedenster Bedürfnisse und Elemente«; andererseits allerdings erfordere die gewünschte Benutzungsfreundlichkeit »eine gewisse Ordnung«. Beides gelte es im Gleichgewicht zu halten.

Gut 50 Seiten umfasst der Katalog an Vorschlägen, den die Herren innerhalb der zwei Arbeitskreisjahre entwickeln: vom Poller bis zur Parkbank, von der Straßenlampe bis zur Blumenschale. In die Wiener Wirklichkeit findet das wenigste davon: ein Papierkorb, der, kaum ist er da, auch gleich wieder aus dem Programm der zuständigen Magistratsabteilung verschwindet, ein Fahrgastunterstand und ein Hydrant, beide schon vor Einsetzung des Arbeitskreises konzipiert, beide bis heute stadtbildprägend. Sonst nichts.

Fragt man Hannes Swoboda dieser Tage nach den Gründen dafür, meint er nur knapp, es habe eben Widerstände gegeben. Nicht ganz unmaßgeblich mag auch gewesen sein, dass wenig später Swobodas Amtszeit als Planungsstadtrat zu Ende ist und sich sein Nachfolger anderweitig engagiert. Ja, schlimmer noch: Swobodas Ideen und die seines Arbeitskreises nachgerade konterkariert, wie Insiderinnen und Insider - selbstverständlich nur unter Zusicherung verbriefter Anonymität - heute zu Protokoll geben. Die für das Stadtbild und seine Gestaltung zuständige Magistratsabteilung, jene mit der Nummer 19, sei nach Swoboda jedenfalls von politischer Seite konsequent in ihrem einschlägigen Beginnen behindert, letztlich in die Resignation getrieben worden. Was jene selbstredend energisch dementiert.

Knapp 30 Jahre nach dem Wiener Arbeitskreis macht sich der italienische Architekt und Architekturwissenschaftler Vittorio Magnago Lampugnani daran, die Bedeutung der »Kleinen Dinge im Stadtraum« angemessen zu würdigen. Der Architekt hat sich zu diesem Zeitpunkt mit umfangreichen, akribisch recherchierten Arbeiten zur Geschichte der Stadt längst den Ruf eines weltweit führenden Städtebau-Historikers erworben, was seinen Publikationen schon a priori entsprechende Aufmerksamkeit und seiner Meinung entsprechende Autorität sichert.

Lampugnani setzt - ohne vom Wiener Arbeitskreis zu wissen - beim selben Gedanken wie Dietmar Steiner an: »Schauen Sie einmal eine Fotografie eines Pariser Boulevards an«, schreibt er in der Einleitung seines Bandes über die »Bedeutsamen Belanglosigkeiten« der Stadt. »Sie werden, selbst wenn Sie diesen speziellen Boulevard nicht kennen, sofort erraten, in welcher Stadt er sich befindet.« Nicht anders sei es bei Bildern aus Berlin, London oder Wien: »Sie finden sich ebenfalls verblüffend rasch zurecht, auch ohne Bildlegenden und ohne Wahrzeichen wie Stephansdom, Tower Bridge, Brandenburger Tor und Eiffelturm.«

Primärer Grund solcher Form der Identifizierung, so Lampugnani: »kleine, scheinbar belanglose Dinge«, Pflasterungen und Schachtdeckel, Baumscheiben und Haltestellen, Straßenlampen und öffentliche Uhren, »überraschend vielfältig«, wie sie sind, und »durchaus widersprüchlich« - einerseits »seriell gefertigt und zugleich vielerorts spezifisch«, »in jeder Hinsicht bescheiden«, zugleich »eindringlich bildprägend«, »utilitaristisch und doch fest in der Kultur verankert, zu der sie überraschend bedeutsam beitragen«.

Über all das hinaus seien jene kleinen Dinge auch »ergiebige Geschichtenspeicher«: »Ihr Material sagt viel aus über die Zeit, in der sie entstanden sind, und den technischen und ästhetischen Anspruch, der mit ihnen verbunden war.« Kurz: Jedes kleine Objekt des Stadtraums sei ein Ort, »wo konkrete Bedürfnisse zu einer materialisierten Form finden, wo Leben und Gestaltung zusammenkommen, im Idealfall Leben und Schönheit«.

Im Jänner 2021 legt der Wiener Architekturjournalist Wojciech Czaja das Ergebnis einer ungewöhnlichen Reise vor. Pandemiebedingt am In-die-Ferne-Schweifen verhindert, hat er die Welt in Wien gesucht und 100 andere Städte in dieser einen gefunden: Havanna am Praterstern, Paris in der Barnabitengasse, New York in der Grinzinger Straße, Konstantinopel im Böhmischen Prater - allesamt freilich nur »fast«. Da ein Stückchen Fassade, dort ein paar Kabel und Rohre, hier ein Fensterladen, Details, Ausschnitte, die entsprechende Assoziationen wecken.

»Almost« ist denn auch der Band genannt, dem mittlerweile schon eine Fortsetzung gefolgt ist - und der in mir die Frage weckt: Wenn man allein in Wien dermaßen viel Anderweitiges entdecken kann, woran erkennt man dann unverbrüchlich, dass dieses Anderweitige dennoch Wien ist?...
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