Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Von Menschen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Verlag Klaus Wagenbacherschienen am23.03.2023
Ein unauffälliges Bergdorf in Frankreich, ein Geburtstagsfest, ein zu teures Geschenk und ein Verdacht. Eine simple Geste legt frei, was jahrzehntelang beschwiegen und verleugnet, aber nie vergessen wurde. Zu Beginn scheint es ein alltägliches Familiendrama. Bernard - Mitte 60, Alkoholiker, mittellos und im Dorf verschrien - schenkt seiner Schwester Solange eine goldene Brosche zum Geburtstag. Doch woher hat er das Geld? Die Verdächtigungen schlagen in Aggression um, und Bernard seinerseits lässt seine Wut an den algerischen Nachbarn aus. Nur sein Cousin Rabut, mit dem er Jahrzehnte zuvor in Algerien stationiert war, kennt die entsetzlichen Gründe dafür. Er teilt seine Erinnerungen an ungelebte Liebesgeschichten und an Hitze, Gewalt und Verzweiflung im felsigen Hochland, wo völlige Sinnlosigkeit und blanke Brutalität sie verstummen lassen. Es gibt keine Worte für das, was sie dort sehen und tun, für das Grauen des Krieges. Auch vierzig Jahre später nicht. Von diesem Schweigen handelt der Roman: vom kollektiven wie innerfamiliären Schweigen. Mauvignier umkreist die historische und die individuelle Wahrheit seiner Figuren in kunstvoll geflochtenen, atemlosen Sätzen, seine Bilder sind nachdenklich und genau, seine Fragen bleiben offen.

Laurent Mauvignier wurde 1967 in Tours geboren und studierte dort an der École des Beaux-Arts Bildende Kunst. Seit 1999 ist er als Schriftsteller tätig, veröffentlicht Romane und Theaterstücke und schreibt Drehbücher für Film und Fernsehen. Mauvignier lebt in Toulouse.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextEin unauffälliges Bergdorf in Frankreich, ein Geburtstagsfest, ein zu teures Geschenk und ein Verdacht. Eine simple Geste legt frei, was jahrzehntelang beschwiegen und verleugnet, aber nie vergessen wurde. Zu Beginn scheint es ein alltägliches Familiendrama. Bernard - Mitte 60, Alkoholiker, mittellos und im Dorf verschrien - schenkt seiner Schwester Solange eine goldene Brosche zum Geburtstag. Doch woher hat er das Geld? Die Verdächtigungen schlagen in Aggression um, und Bernard seinerseits lässt seine Wut an den algerischen Nachbarn aus. Nur sein Cousin Rabut, mit dem er Jahrzehnte zuvor in Algerien stationiert war, kennt die entsetzlichen Gründe dafür. Er teilt seine Erinnerungen an ungelebte Liebesgeschichten und an Hitze, Gewalt und Verzweiflung im felsigen Hochland, wo völlige Sinnlosigkeit und blanke Brutalität sie verstummen lassen. Es gibt keine Worte für das, was sie dort sehen und tun, für das Grauen des Krieges. Auch vierzig Jahre später nicht. Von diesem Schweigen handelt der Roman: vom kollektiven wie innerfamiliären Schweigen. Mauvignier umkreist die historische und die individuelle Wahrheit seiner Figuren in kunstvoll geflochtenen, atemlosen Sätzen, seine Bilder sind nachdenklich und genau, seine Fragen bleiben offen.

Laurent Mauvignier wurde 1967 in Tours geboren und studierte dort an der École des Beaux-Arts Bildende Kunst. Seit 1999 ist er als Schriftsteller tätig, veröffentlicht Romane und Theaterstücke und schreibt Drehbücher für Film und Fernsehen. Mauvignier lebt in Toulouse.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783803143747
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum23.03.2023
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse805 Kbytes
Artikel-Nr.11342305
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

ABEND


Und was gedenken Sie jetzt zu tun?


Diese Frage hatte Patou nicht explizit gestellt, aber aufgeworfen, sodass sie im Raum hing, zwischen uns, die wir vom viel zu weißen, selbst die Schatten weißenden Neonlicht über dem Billardtisch wie ausgeblendet waren.

Ménard sah den Bürgermeister an, dann auf seine Uhr. Dann drehte er den Kopf zu mir. Wir blickten einander an, aber gesagt habe ich nichts. Er auch nicht. Er sah zu Patou hin.

Der Bürgermeister richtete sich auf und sah mich mit zerknirschter, Verständnis heischender Miene an,

Es bleibt uns keine Wahl, hörte ich.

Als hätte ich die Frage aufgeworfen, nicht Patou, und sie,

Was soll das heißen, keine Wahl?

Schließlich wandte er ihr sein Gesicht zu. Aber wiederholt hat er sich nicht, er hat nichts gesagt und sich dann wieder zu mir gedreht, als wollte er mich zum Reden animieren.

Nein, Patou, ihnen bleibt keine Wahl.

Daraufhin zuckte sie nur mit den Achseln, als würde ich mich ohnehin nicht trauen, das soeben Gesagte zu wiederholen, oder als hätte ich, als ich es mich selbst sagen hörte, plötzlich begriffen, na klar, so etwas kann man nicht sagen, was ich da gesagt hatte, das ist absurd, und, als wollte sie vorwegnehmen, was ich ihrem Gefühl nach gerade dachte, sagte sie mit Nachdruck,

Wieso das denn, keine Wahl? Rabut, er ist doch Ihr Cousin, den müssen Sie doch verteidigen, er war eben besoffen, vielleicht werden sie ihn ja gar nicht anzeigen, werden gar nicht, er ist, wie er ist, Feu-de-Bois, hat eben eine Dummheit begangen -

Das nennen Sie eine Dummheit?

Ja, eine Dummheit.

Das ist mehr als eine Dummheit, betonte Ménard, weit schwerwiegender als eine Dummheit.

Und der andere Gendarm, der, der nie etwas sagte und nur an seinem Glas herumnuckelte, der hob jetzt den Blick, plusterte sein Doppelkinn auf wie ein Gockel frühmorgens seinen Kehllappen,

Ein Schock, ein Schock ist das für jedermann.

Ja, Sie sagen es, bekräftigte der Bürgermeister.

Das Beste wäre wohl, Sie kämen mit uns, Rabut.

Wir besprachen, dass es jetzt zu spät sei, um zu ihm hinaufzufahren, weil wegen des Schnees für die Wagen kein Durchkommen war auf der engen Straße; und außerdem, eine überstürzte Reaktion wäre vielleicht auch nicht das Klügste. Ganz im Gegenteil, jeder sagte sich, nein, lassen wir lieber noch die Nacht verstreichen, und morgen früh fahren wir dann rauf. So gegen acht oder neun.

Ich schaute auf die Uhr und hätte diesem Treffen am nächsten Morgen auf dem Platz vor der Kirche am liebsten nicht zugestimmt. Wir werden dort sein, zu mehreren, erklärte Ménard vorausschauend, man weiß ja nie, was ihm plötzlich einfällt, wie er reagieren wird. Der Bürgermeister gab keinen Laut von sich, als ginge ihn das Ganze nichts an. Er stand auf, die Gendarmen ebenfalls. Ich blieb noch ein paar Sekunden sitzen und dachte über den Satz nach, den ich gar nicht ausgesprochen hatte, der mir plötzlich so aggressiv vorkam - wie eine Kugel im Mund, und wieso war er mir plötzlich eingefallen, als die drei aufstanden? Diesen Satz, diese Wörter, ich hatte sie hinuntergeschluckt, nur in Gedanken abgefeuert,

Herr Bürgermeister, erinnern Sie sich noch, wann Sie zum ersten Mal einen Araber gesehen haben?

Aber nichts dergleichen hab ich gesagt. Ich sah mich nur flüchtig zu ihm hinschauen, um mich zu vergewissern, ja, sein Alter, wie alt war er denn gewesen damals? War er etwa dort, hat er es erlebt, war er zum ersten Mal weg von daheim, dem wärmenden Kokon gerade erst entschlüpft, und hat er vielleicht über Monate hinweg eine Familie, eine Verlobte zurücklassen müssen? Hat er Angst empfunden, Langeweile, ein Gewehr in der Hand gehalten und gespürt, wie die Hände feucht wurden, als sie es hielten, und die erstickende Hitze und - ja, das weiß ich doch alles.

Ich weiß, dass er dafür ein wenig zu jung ist.

Patou sah die Gendarmen und den Bürgermeister an, fixierte sie mit einem quasi unerbittlichen Blick, der in Resignation umschlug, als der Bürgermeister seine Geldbörse zog, und sie sagte, schon gut, das geht aufs Haus. Und im selben Tonfall, diesmal mit beinahe sanfter Stimme:

Vielleicht machen sie ja keine Anzeige?

Da können Sie sich aber drauf verlassen, sie werden es tun. Ich habe einen Arzt zu der Frau geschickt. Die Kinder sind traumatisiert, und sie auch, sie ist auch traumatisiert, das kann man nicht einfach auf sich beruhen lassen.

Sehr ernsthaft, sehr ruhig hatte Ménard das gesagt. Aber Widerspruch war nicht möglich, und natürlich hat Patou auch nicht sofort protestiert. Sie ging nur hinter den Tresen und nahm sich, ohne Ménard oder den Bürgermeister eines Blickes zu würdigen, eine Zigarette, zündete sie an und setzte sich neben ihren Mann, dicht bei der Kasse. Ich war inzwischen auch aufgestanden und hatte mich den anderen angeschlossen. Ménard hatte schon die Hand auf der Klinke, zögerte aber noch, die Tür aufzumachen.

Ich weiß ja, dass das nicht geht. Ich weiß auch, dass es nicht zu vertreten ist, sagte Patou. Mir war klar, dass er irgendwann eine Dummheit machen würde. Es hätte schlimmer kommen können. Ich meine -

Ich weiß, was Sie sagen wollen, unterbrach Ménard sie, aber zählen Sie nicht auf mich, wenn es darum geht, es ihm einfach durchgehen zu lassen.

Und erst in diesem Moment sah der Bürgermeister aus, als sei er wirklich an der Sache interessiert, als gehe sie ihn doch etwas an, erst als sie fast schon draußen waren, ließ er irgendwie beiläufig, fast leichthin fallen, oder eher, nein, besser wäre wohl mit vielsagender Miene, wir könnten uns natürlich einvernehmlich einigen, und das klang keineswegs polemisch, sondern als wäre es sonnenklar, aber sehen Sie, und das werden auch Sie verstehen, die Alkoholiker, die Säufer, Fettwänste, Fieslinge, Schmarotzer, die hängen doch alle am Tropf der Gemeinde, und die Zeche zahlt der anständige Bürger. Ein kurzes Schulterzucken, zum Glück haben wir nicht allzu viele Penner und Bettler hier, schien der Bürgermeister eigentlich sagen zu wollen, als er fortfuhr, darüber brauchen wir doch nicht lange zu reden, weiß doch jeder, wie das läuft, oder? Kennt man doch. Und mit undurchdringlicher Miene und ohne ein Wort der Widerrede sah Patou ihn an, sie war nur kurz aufgestanden, um ihre Zigarette auszudrücken, und ließ ihn sagen, ohne ihn zurechtzuweisen oder ihn auch nur scharf anzublicken: Das Ganze war doch geplant, dieses Theater mit der Brosche, diese Provokation, es war eine Provokation, eine Inszenierung, oder etwa nicht? Anders ist es doch gar nicht denkbar, so hirnverbrannt, so verrückt, so naiv, so verblödet ist er doch nicht, um den Skandal nicht vorauszusehen, ein solches Schmuckstück zu kaufen, völlig übergeschnappt, bescheuert, der hat doch nen Hau, aber ehrlich, ist diese Geschichte wirklich wahr?

Antworten Sie, Rabut, sie ist doch wahr, das bestätigen Sie doch? Nach wie vor, meine ich.

Und während ich die Hände hob, um abermals, wirklich zum x-ten Mal, zuzustimmen, ja, sie ist wahr, da richtete sich Patou, die sich gar nicht mehr hingesetzt hatte, zu voller Größe auf und sagte,

Nein, das stimmt so nicht.

Und dann erzählte sie, dass sie unmittelbar zuvor noch mit ihm zusammengesessen hatte und dass sie beide, Jean-Marc und sie (eine flüchtige Drehung zu ihrem Mann, damit er es bestätigte, was er nickend und mit einem unverhältnismäßig lauten ja auch sofort tat), dass sie beide es seit Wochen schon wussten, seit Wochen hatte Feu-de-Bois es genauestens bedacht, nein, nicht ausgeheckt oder ausgeklügelt, nein, er hatte darüber nachgedacht, dass er einer Frau, die verwitwet ist, das können Sie ja vielleicht verstehen, etwas Besonderes schenken wollte, so wie Männer, Sie doch wohl auch, für gewöhnlich ihre Ehefrau beschenken. Jetzt werden Sie, das weiß ich schon, einwenden, sie sei seine Schwester und nicht seine Frau. Warten Sie, auch darüber hat er lange nachgedacht; genau das hatte er bedacht. Er sagte sich, sie hat doch niemanden, der ihr so etwas schenken könnte. Schmuck. Daran hatte er gedacht. Er hatte nachgedacht, und ich finde, das war nobel von ihm, Sie etwa nicht?, an seine Schwester zu denken und sich zu sagen, kein anderer wird ihr je solchen Schmuck schenken, weil sie dafür doch niemanden hat.

Danach waren der Bürgermeister und die Gendarmen gegangen. Ohne ihr wirklich zu antworten, nur eine Kopfbewegung andeutend, die wohl ausdrücken sollte, sie hättenverstanden, oder sie hätten nicht verstanden und wüssten nicht, was davon zu halten sei. Vielleicht auch nur, um sich für die Getränke zu bedanken und sich zu verabschieden.

Ich wollte schon sagen, ich ginge noch einmal hinüber zum Festsaal, als Patou, kaum dass die drei Männer draußen waren, ihren Gedanken wieder aufgriff, man müsse ihn doch verteidigen, weil er zwar wie ein Verrückter, Verzweifelter, Verblödeter, klar, gehandelt hatte, wie ein versoffener, wortkarger, cholerischer Idiot, keine Frage, aber was immer man ihm nachsagen kann oder will, ein böser Mensch ist er bestimmt nicht; er ist nicht böse, wiederholte sie mir gegenüber wieder und wieder, während ich von ihr zu ihm hinschaute, auch zu ihm, ihrem Mann, dessen Blick die Geste seiner Frau, als sie ihre Zigarette ausdrückte, fixierte; die kaum angerauchte und resolut entzweigebrochene Zigarette - dick aufgetragener, glänzender, zinnoberroter Nagellack, Asche und weißes Zigarettenpapier, ihr roter Lippenstift auf dem strohgelben...
mehr

Autor

Laurent Mauvignier wurde 1967 in Tours geboren und studierte dort an der École des Beaux-Arts Bildende Kunst. Seit 1999 ist er als Schriftsteller tätig, veröffentlicht Romane und Theaterstücke und schreibt Drehbücher für Film und Fernsehen. Mauvignier lebt in Toulouse.