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Auf der Schwelle zum Glück

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
392 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am15.01.20241. Auflage
Tagsüber Beamter in der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt, nachts Verfasser von Erzählungen: Franz Kafka schrieb vor allem für sich selbst. Es ist Max Brod zu verdanken, dass sein »Gekritzel«, wie er sein Schreiben selbst bezeichnete, längst zur Weltliteratur zählt - und bis heute in seiner Rätselhaftigkeit und Sprachvirtuosität fasziniert. Alois Prinz erzählt Kafkas Lebensgeschichte und findet über dessen Alltag Zugang zu seinen Texten und ihrer Bilderwelt. Er zeigt ihn im Kreis seiner Familie, seiner Freunde und der Frauen, die er liebte - Felice Bauer, Milena Jesenská und Dora Diamant -, als einen Mann, der Charme und Humor hatte, Liebesfähigkeit und Sanftmut - und liefert damit zugleich den idealen Einstieg in sein Werk.


Alois Prinz, 1958 geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in München und lebt heute mit seiner Familie bei München. Er veröffentlichte Biografien über Hermann Hesse, Ulrike Meinhof, Franz Kafka, Dietrich Bonhoeffer und andere. 2012 erschien sein Buch Hannah Arendt oder Die Liebe zur Welt, das sich über 130.000 Mal verkaufte.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextTagsüber Beamter in der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt, nachts Verfasser von Erzählungen: Franz Kafka schrieb vor allem für sich selbst. Es ist Max Brod zu verdanken, dass sein »Gekritzel«, wie er sein Schreiben selbst bezeichnete, längst zur Weltliteratur zählt - und bis heute in seiner Rätselhaftigkeit und Sprachvirtuosität fasziniert. Alois Prinz erzählt Kafkas Lebensgeschichte und findet über dessen Alltag Zugang zu seinen Texten und ihrer Bilderwelt. Er zeigt ihn im Kreis seiner Familie, seiner Freunde und der Frauen, die er liebte - Felice Bauer, Milena Jesenská und Dora Diamant -, als einen Mann, der Charme und Humor hatte, Liebesfähigkeit und Sanftmut - und liefert damit zugleich den idealen Einstieg in sein Werk.


Alois Prinz, 1958 geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in München und lebt heute mit seiner Familie bei München. Er veröffentlichte Biografien über Hermann Hesse, Ulrike Meinhof, Franz Kafka, Dietrich Bonhoeffer und andere. 2012 erschien sein Buch Hannah Arendt oder Die Liebe zur Welt, das sich über 130.000 Mal verkaufte.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458778189
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.01.2024
Auflage1. Auflage
Seiten392 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11379634
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I. Prag, Niklasstraße 36, vierter Stock

Eigentlich sollte die Welt im Jahr 1910 untergehen. So jedenfalls prophezeiten es die Wahrsager. Und der Grund für diese düstere Prognose war der Halleysche Komet, der auf die Erde zuraste und den man Mitte Mai mit bloßem Auge würde sehen können. Gab es nicht schon Vorzeichen für die nahende Katastrophe? In Frankreich überflutete der Regen das Land und sogar der Eiffelturm in Paris stand im Hochwasser der Seine. In Deutschland legten Streiks das Land lahm und aufgrund der bedenkenlosen Rüstung verschärfte sich die Finanzkrise. Im April stürzten mehrere Ballons und Flugzeuge ab, das Reichsluftschiff Z II wurde von einem Sturm völlig zerstört, ebenso ein britisches Militärluftschiff, und die deutsche Fußballnationalmannschaft verlor ihr erstes Länderspiel gegen die Niederlande mit 2 : 4 Toren.

In Berlin gab es eine Postkarte zu kaufen, mit einer Karikatur zum bevorstehenden Weltuntergang. Auf einer Weltkugel eilen panische Menschen zu einem Luftballonverkäufer, der seine Ware zum Ausverkaufspreis von 50 Pfennig pro Stück anbietet. An den Ballons entschweben dann Männer und Frauen mit Koffern und Regenschirmen in der Hand in den Weltraum, weg von der dem Untergang geweihten Erde.

Das war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Die meisten Menschen amüsierten sich über die Ängste vor einem Weitende, und sie ließen sich nicht davon abhalten, an die Zukunft zu denken. Wie diese Welt von morgen aussehen wird, davon konnte man sich auf der Weltausstellung in Brüssel einen Eindruck verschaffen. Der belgische König Albert I. eröffnete am 23. März die gigantische Leistungsschau. Über 50 000 Menschen besuchten täglich das 100 Hektar große Gelände. Neben einem riesigen Volksfest präsentierten Länder aller Kontinente ihre neuesten Errungenschaften auf den Gebieten Forschung, Technik und Kultur. In der deutschen Abteilung stand eine riesige Kraftmaschinenhalle, darin lärmten Verbrennungsmotoren und Kompressoren zur Erzeugung von Pressluft. Und das Neueste war ein Kleinmotor, den der deutsche Ingenieur Rudolf Diesel entwickelt hatte.

Die Welt Anfang des Jahres 1910 schien keineswegs an ihrem Ende. Vielmehr war der Glaube verbreitet, man stehe am Anfang einer goldenen Zukunft, auch wenn es zwischen den führenden europäischen Mächten Spannungen gab. Österreich hatte im Oktober 1908 Bosnien-Herzegowina annektiert und dadurch Russland, Italien, England und die Türkei gegen sich aufgebracht. Nur Deutschland stand in Nibelungentreue zu seinem Nachbarn. Österreich, das war seit 1867 ein Zusammenschluss von Österreich und Ungarn und immerhin das zweitgrößte Staatsgebilde in Europa nach Russland. Es reichte von Böhmen bis zur Balkanhalbinsel und von Tirol bis zur Bukowina und Siebenbürgen.

An der Spitze dieses Vielvölkerstaates stand der greise Kaiser Franz Joseph, zugleich König von Ungarn. Diese k.u.k. Doppelmonarchie wurde nicht nur durch die gemeinsame Außenpolitik in Schwierigkeiten gebracht. Auch der innere Zusammenhalt war durch die vielen Nationalitäten gefährdet. Zwar gab es in der österreichischen Reichshälfte ein Parlament, in dem die Deutschen, Italiener, Polen und Tschechen ihre Rechte vertreten konnten. Doch die Feindschaft zwischen den Volksgruppen war so unversöhnlich, dass es in der Volksvertretung zu regelrechten Raufereien kam und die Abgeordneten einander Tintenfässer an den Kopf warfen.

Besonders die Rivalität zwischen den Deutschen und den Tschechen bestimmte zeitweise die ganze Innenpolitik. Die in Böhmen zahlenmäßig überlegenen Tschechen waren stolz auf ihre Kultur und träumten von einem eigenen Nationalstaat. Die deutsche Minderheit betrachtete sich kulturell dem Deutschen Reich zugehörig und wollte diese Tradition aufrechterhalten. Dieser Streit führte auch zu blutigen Auseinandersetzungen, aber hauptsächlich wurde er auf dem diplomatischen Parkett ausgetragen. Zeitweise war der böhmische Landtag beschlussunfähig und musste sich nach Notverordnungen aus Wien richten. Am 15. April 1910 beschloss der Prager Gemeinderat, die Veröffentlichungen des Statistischen Amts nicht mehr in deutscher, sondern nur noch in tschechischer und französischer Sprache erscheinen zu lassen. Und am 27. April brachten die tschechischen Abgeordneten im Wiener Reichsrat einen Antrag durch, nach dem zukünftig nur zweisprachige Beamte eingestellt werden durften.

Der 28. April 1910 ist ein Donnerstag. Es ist früher Morgen in Prag, der »Hauptstadt des Königreichs Böhmen«. Über der Moldau liegt leichter Nebel und die vielen Türme der Altstadt stehen wie Schattenrisse in der Morgendämmerung. In einigen Kaffeehäusern und Suppenstuben drängen sich noch Nachtschwärmer. Für andere beginnt der neue Arbeitstag. Die ersten Passanten in den Gassen sind Bäckerjungen, Fleischergehilfen, Nachtwächter, Plakatankleber und Zeitungsausträger. Dienstmädchen schleppen Schüsseln und Eimer voll Wasser in die Häuser. Milchwagen sind unterwegs. Und vom Wenzelsplatz her zieht eine ganze Armee von Straßenkehrern mit ihren Besen durch die Stadt.

Auf dem Altstädter Ring, rund um die Mariensäule, stehen an die hundert Wagen mit vorgespannten Pferden. Bauern und Marktfrauen verkaufen hier Kartoffeln, Kohlköpfe, Salat, Obst, Pilze, Waldfrüchte und Gänse. Um diese Zeit ist alles billiger, weil bis sieben Uhr keine Marktgebühr verlangt wird. Punkt sieben Uhr rollen die letzten Wagen wieder davon und der Platz ist wie leer gefegt.1

Im Morgengrauen nehmen auch die elektrischen Straßenbahnen, die es schon seit über zehn Jahren gibt, ihren Dienst auf. Eine neue Linie fährt vom Großen Ring, dem zentralen Platz in der Altstadt, am Rathaus vorbei in die Niklasstraße, auf geradem Weg zur Moldau. Die Brücke, die hier über den Fluss führt, ist erst vor zwei Jahren fertig gestellt worden. Die Gegend am Flussufer gehörte früher zum Judenviertel. Die alten Slumbauten sind nach und nach abgerissen worden und an ihrer Stelle hat man mehrstöckige moderne Mietspaläste errichtet.

Direkt am Uferquai ist noch ein großer, leerer Bauplatz. Daneben, Niklasstraße 36, vor der Brücke, steht das Haus »Zum Schiff«. Die Familien, die hier wohnen, gehören schon zur besseren Gesellschaft. Die Wohnungen haben fließend Wasser und ein Bad, was in Prag wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist. Im Haus gibt es auch einen Aufzug. Daran ist ein Schild befestigt mit dem Hinweis, dass Kindern unter vierzehn Jahren der Besitz eines Fahrstuhlschlüssels verboten ist.2 Das Verbot ist auf Deutsch, mit Rücksicht auf die deutschen Mieter. Wenn man also einen Schlüssel hat, kann man hinauffahren bis in den vierten Stock. Dort wohnt die Familie Kafka.

Es ist nicht leicht zu sagen, welcher Bevölkerungsgruppe die Kafkas angehören. Die Eltern, Hermann und Julie Kafka, stammen beide aus jüdischen Familien. Aber die jüdische Religion und ihre Riten spielen in ihrem Leben keine große Rolle mehr. Hermann Kafka ist Geschäftsmann, er verkauft Regenschirme, Sonnenschirme, Spazierstöcke, Handschuhe, Unterwäsche oder Knöpfe, eben alles, was die elegante Dame, der elegante Herr brauchen. Und dem Erfolg seines Geschäftes ordnet er alles unter. Er wird auch nicht gern daran erinnert, dass er einmal als armer tschechischer Jude aus einem kleinen Kaff nach Prag gekommen ist. Wer in Prag etwas werden will, muss sich Zugang zur deutschen Oberschicht verschaffen. In der Familie Kafka wird Deutsch gesprochen und die vier Kinder haben deutsche Schulen besucht.

Kurz nach sechs Uhr wird es in der Wohnung der Kafkas langsam lebendig. Ein Dienstmädchen bereitet in der Küche das Frühstück vor und deckt den Tisch in der Wohnstube. Als Erstes erscheint das jüngste Kind der Familie, die siebzehnjährige Ottilie, die alle nur Ottla nennen. Sie muss sich mit ihren älteren Schwestern Gabriele und Valerie, Elli und Valli genannt, ein Zimmer teilen. Aber während die beiden noch liegen bleiben dürfen, muss Ottla um Viertel nach sieben in der Zeltnergasse sein, um das Galanteriewaren-Geschäft ihres Vaters aufzuschließen und die Angestellten einzulassen. Hermann Kafka traut diesen Angestellen nicht, er nennt sie bezahlte Feinde3. Ihm ist es wichtig, dass immer jemand aus der Familie im Laden ist. Deshalb bleibt Ottla auch über Mittag dort, das Essen bringt man ihr, und erst nachmittags zwischen vier und fünf Uhr kommt sie wieder nach Hause.

Ottla ist meistens schon weg, wenn ihr Bruder aufsteht. Er heißt Franz wie der Kaiser und wird am 3. Juli schon 27 Jahre alt. Er wundert sich selbst am meisten darüber, dass er immer noch bei seinen Eltern wohnt. Er hat zwar sein eigenes Zimmer, aber das liegt ungünstig zwischen der Wohnstube und dem elterlichen Schlafzimmer. In diesem Durchgangszimmer ist es kalt. Franz braucht immer frische Luft, auch nachts und im Winter. Das gehört zu seiner Abhärtung. Seit einem Jahr »müllert« er auch, das heißt, er macht regelmäßig Turnübungen nach dem Lehrbuch des dänischen...
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Autor

Alois Prinz, 1958 geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in München und lebt heute mit seiner Familie bei München. Er veröffentlichte Biografien über Hermann Hesse, Ulrike Meinhof, Franz Kafka, Dietrich Bonhoeffer und andere. 2012 erschien sein Buch Hannah Arendt oder Die Liebe zur Welt, das sich über 130.000 Mal verkaufte.