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Damenopfer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am15.08.20231. Auflage
Moskau, 1923. Larissa Reissner hat als sowjetische Gesandte in Kabul strategische Pläne entdeckt, die das Britische Empire stürzen könnten. In der flirrenden Hauptstadt, wo man die Welt neu denkt und aus den Angeln heben will, sucht sie nach dem Verfasser, einem Deutschen namens Niedermayer. Denn der Sieg der Freiheit ist Reissners Lebenssinn, die junge Schriftstellerin und Revolutionärin wird als Wundertochter ihrer Epoche gefeiert. Aus illustrer Familie, lernte sie schon als Kind Lenin kennen, sie kämpfte als Politkommissarin der Wolgaflottille; Pasternak und Trotzki bewundern sie. Von Moskau bricht Reissner auf nach Berlin - zu ihrer größten Mission: Sie soll ein geheimes Bündnis zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Militär vermitteln, verkörpert durch General Tuchatschewski, den «roten Napoleon», und jenen schillernden Ritter von Niedermayer. Doch Larissa verfolgt ihre eigenen Ziele. Zwischen ihr und den beiden Männern entspinnt sich ein Beziehungsgeflecht, das enorme Sprengkraft hat - in amouröser wie politischer Hinsicht. Ein außergewöhnlicher Roman, in dem Ho Chi Minh ebenso zu Wort kommt wie die Lordsiegelbewahrer des britischen Weltreichs oder die Dichterfürstin Anna Achmatowa - Steffen Kopetzky fängt das Leben der Larissa Reissner ein, die nichts weniger als die Welt verändern wollte.

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextMoskau, 1923. Larissa Reissner hat als sowjetische Gesandte in Kabul strategische Pläne entdeckt, die das Britische Empire stürzen könnten. In der flirrenden Hauptstadt, wo man die Welt neu denkt und aus den Angeln heben will, sucht sie nach dem Verfasser, einem Deutschen namens Niedermayer. Denn der Sieg der Freiheit ist Reissners Lebenssinn, die junge Schriftstellerin und Revolutionärin wird als Wundertochter ihrer Epoche gefeiert. Aus illustrer Familie, lernte sie schon als Kind Lenin kennen, sie kämpfte als Politkommissarin der Wolgaflottille; Pasternak und Trotzki bewundern sie. Von Moskau bricht Reissner auf nach Berlin - zu ihrer größten Mission: Sie soll ein geheimes Bündnis zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Militär vermitteln, verkörpert durch General Tuchatschewski, den «roten Napoleon», und jenen schillernden Ritter von Niedermayer. Doch Larissa verfolgt ihre eigenen Ziele. Zwischen ihr und den beiden Männern entspinnt sich ein Beziehungsgeflecht, das enorme Sprengkraft hat - in amouröser wie politischer Hinsicht. Ein außergewöhnlicher Roman, in dem Ho Chi Minh ebenso zu Wort kommt wie die Lordsiegelbewahrer des britischen Weltreichs oder die Dichterfürstin Anna Achmatowa - Steffen Kopetzky fängt das Leben der Larissa Reissner ein, die nichts weniger als die Welt verändern wollte.

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644013230
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum15.08.2023
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse8566 Kbytes
Artikel-Nr.11381352
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Eins Es war einmal in Afghanistan

Kabul, Emirat Afghanistan, August 1922-Mai 1923

«Wie viele Generationen von Arbeitern werden noch in den Wülsten englischen Fetts lebendig verwesen müssen, bis dieser Fettklumpen seinerseits als Düngemittel seine Bestimmung erfüllen wird?»

Mit ihrer jüngsten afghanischen Reportage in der «Prawda» hat sich Larissa Reissner den Zorn des britischen Establishments in Kabul zugezogen. «Das Haus der Maschinen» hat scheinbar ins imperialistische Schwarze getroffen.

Besonders dieses in der Tat eindrückliche Bild hatte den Botschaftssekretär in seinem empfindlichen britischen Herzen gekränkt. Larissa schilderte auch aufs Eindrücklichste den aus Sheffield stammenden Direktor der einzigen Textilfabrik Afghanistans, «der unwahrscheinlich, unanständig dick und so falten- und fettreich ist, dass in den Wülsten seines Bauches einmal beim Baden ein Frosch stecken geblieben und erstickt ist, was sich erst einige Tage später durch den unangenehmen Geruch bemerkbar machte».

Sie fand es damals bemerkenswert, dass die britische Botschaft, kaum dass der Text erschienen war, offiziell Beschwerde eingelegt hatte. Die Veröffentlichung eines solchen von feindlich-herablassenden Formulierungen strotzenden Textes gezieme sich nicht für die Frau des russischen Repräsentanten, auch wenn Russland neuerdings sozialistisch genannt werde. Obgleich man die Bolschewiki nicht anerkenne, gebe es doch gewisse Gepflogenheiten zwischen anständigen Vertretern von Staaten, sofern diese mehr sein wollten als Räuberbanden. Da sprachen die Richtigen, deren Politik seit Jahrhunderten nur aus Raub und Trug bestand.

«Afghanistan, dieses großartige, arme, in weiten Teilen buchstäblich im Mittelalter stecken gebliebene Land», hatte Larissa deshalb geschrieben, «dessen Natur und Gesellschaft uns gleichermaßen ergreifen wie auslaugen, ist so etwas wie das wichtigste Land der Welt - denn es ist der schwache Punkt von England, diesem Kopf des weltbeherrschenden Kraken, wo Arbeit und Kapital auf Tod und Leben miteinander ringen. Wenn man das begriffen hat, dann versteht man, warum man geradezu überall in Afghanistan die korrekten Engländer trifft, die das korrekteste Lächeln bereithalten, jenes Lächeln, das die Gesichter wie die Spitzen von Gewehrgeschossen durchschneidet.»

Die Beschwerdenote hatte sich förmlich überschlagen - von «barbarisch schlechtem Stil» gesprochen und eine Entschuldigung gefordert, die Larissa natürlich nicht geleistet hatte. Gut, das mit dem Fettklumpen und seiner Bestimmung war natürlich ein starkes Bild - aber was war schon dabei? Sterben mussten doch alle Menschen einmal, und dann düngten sie den Planeten, ob sie wollten oder nicht.

Ganz jenseits dieses formvollendeten diplomatischen Geplänkels war die Botschaft aber eindeutig: Es gibt im anglo-indischen Nachrichtendienst mindestens eine Person, die die in Afghanistan nicht und auch in Indien nur schwer zu bekommende «Prawda» liest und weiß, dass sich hinter dem Autorinnennamen Larissa Reissner die hier in Kabul nur als L.M. Raskolnikowa firmierende Gattin des Vertreters der russischen sozialistischen Sowjetrepublik verbirgt. Abgesehen davon beschwerte man sich ja schon häufig über die anti-britischen Statements des Botschafters selbst - ohne zu ahnen, wer die meisten davon verfasst hatte.

Das permanente Ärgernis, das die stolz über einem stattlichen Palast am Südufer des Kabul-Flusses wehende Rote Fahne mit Hammer und Sichel für den indischen Raj darstellt, ist aber vermutlich noch nichts im Vergleich zu dem, was Larissa jetzt gerade unternimmt.

 

«Hier bitte ... Madame ...» Der junge Arbeiter hat den Blick gesenkt, zögert, bevor er die hochgewachsene Frau dann doch anzublicken wagt: «Genossin Larissa.»

Der Mann aus der Maschinenfabrik, der sie hergeführt hat, Kopf und Gesicht mit einem Schal nach Paschtunenart umwickelt, zeigt ihr die beinahe zugewucherte, rostige Tür zwischen Kletterrosen und an der Mauer wachsenden Feigenbäumen, durch die sie in den hinteren Teil des Gartens gelangen können, ohne dass es irgendjemand mitbekommt. Ein Schleichweg, den der junge Mann seit seiner Kindheit kennt. Nach kurzer Zeit erreichen sie den einfachen Bau aus Lehmziegeln.

Das Nachmittagslicht sticht durch das nur mit einem Gitter versehene Fenster und legt sechs Schattenkreuze über den Boden und die kargen Wände. Die Rufe eines Falken dringen herein. Larissa, in blütenweiße englische Bluse, Jodhpurs und Reitstiefel gekleidet, kniet auf dem Boden, wickelt das sorgfältig mit starken Leintüchern verschnürte Bündel auf, das sie aus seinem Mauerversteck geholt hat, und legt es vor sich auf ein hölzernes Schemelchen. Sie streicht sich eine Locke ihres kastanienbraunen Haars hinters Ohr und betrachtet ihren Fund: Es sind Notizbücher unterschiedlichen Formats, nicht nummeriert und auch nicht anders in eine Reihenfolge gebracht. Sie schlägt sie auf, blättert: Es sind, soweit sie sehen kann, allesamt Aufzeichnungen auf Deutsch, manche tagebuchartig, andere mehr in Aufsatzform. Themen sind das Leben in Kabul und Umgebung, das Angebot auf den Märkten, Maß- und Längeneinheiten, Straßenverbindungen, aber auch Notizen über Personen von Rang, die der Verfasser kennengelernt hat, überraschend tiefgehende Analysen über den Hof und die politischen Verhältnisse. Alles aus der Zeit des früheren Emirs Habibullah. Man kann aus jeder Zeile ersehen, dass der Verfasser ein Militär war, den ein großes geografisches Interesse an den Gegebenheiten Afghanistans geleitet haben muss. Seine Schrift ist gestochen, sauber wie die eines Kanzlisten.

«WENN KONTINENTE ERWACHEN», liest Larissa schließlich einen mit Großbuchstaben geschriebenen und unterstrichenen Satz, «WERDEN INSELWELTREICHE ZERSTÖRT!» - dem leider keine nähere Erläuterung folgt. Aber an sich ist die Sache klar, um die es hier geht: Asien und Europa gegen England.

Doch der dringende Wunsch, den Verfasser dieses gigantischen Konvoluts wirklich kennenzulernen, entbrennt endgültig in Larissa, als sie eine großformatige Mappe aufschlägt und darin auf Dutzenden losen Seiten die bis ins letzte Detail skizzierte Schilderung eines denkbaren, von Afghanistan ausgehenden erfolgreichen Feldzuges gegen Britisch-Indien findet. Das militärische Ziel besteht scheinbar darin, die englische Herrschaft über den Subkontinent zu beenden und das Kronjuwel des Britischen Empires zu befreien.

Für Larissa, die nun beinahe zwei Jahre durchgehend in Afghanistan verbracht hat, sind die Engländer nichts anderes als gnadenlose Imperialisten, die es für sich genommen schon verdient hätten, aus Indien vertrieben zu werden. Der erste Besuch in der britischen Botschaft, die etwas außerhalb Kabuls liegt, unterhalb des Bagh-e-Bala-Palastes, hat sie aufgeweckt: Es ist die größte und prächtigste Niederlassung, die die Briten unterhalten, größer als die in Paris, Berlin oder Washington - und der Pomp, den der englische Botschafter Francis Humphrey und seine Frau Gertrude dort zelebrieren, hat sie zunächst beinahe eingeschüchtert.

In den letzten Monaten allerdings hat sie mehr und mehr begriffen, warum die Engländer gerade hier in Afghanistan so besorgt darum sind, auch nur den geringsten Eindruck, Indien könnte jemals frei oder von jemand anderem regiert (und ausgebeutet) werden als von ihnen, zu zerstreuen - die uneingeschränkte Kontrolle über den Subkontinent spielt die entscheidende Rolle: Würde England Indien verlieren, wäre dies mit Sicherheit der Anfang vom Ende seines Empires. Vom Matt in sieben Zügen auf dem Schachbrett der Geopolitik der erste. Bei diesem Fund, diesen Notaten und Darstellungen geht es also um nichts anderes als die Weltherrschaft - und damit wäre der in den Aufzeichnungen, die sie seit gut einer Stunde durchgeblättert hat, fast generalstabsmäßig genau skizzierte Angriff über den Khyber-Pass auf die Durand-Line, durchgeführt mit einem kleinen Korps regulärer Truppen und präzise wie Eliteeinheiten vorgehenden paschtunischen Stammeskriegern, die sich mit ihren Bruder-Stämmen auf der indischen Seite der Linie verbündeten, der größte Dienst, den man der kommunistischen Weltrevolution zu diesem Zeitpunkt hätte tun können.

Larissa packt die Aufzeichnungen wieder ein, verschnürt sie sorgfältig und steckt sie in ihre aus vielen Lederstückchen kunstvoll zusammengenähte Umhängetasche. Sie ruft nach dem jungen Mann, der sorgenvoll darauf gewartet hat, dass sie endlich fertig würde. Sie hat ihn bei der Besichtigung der Maschinenfabrik kennengelernt und sich ein wenig mit ihm angefreundet. Sein verstorbener Vater war eine Art Hilfshausmeister der Villa gewesen und hat ihm erzählt, dass hier während des Großen Europäischen Krieges deutsche Soldaten gelebt hätten. Sie hätten sich die ganze Zeit mit einer großen Karte beschäftigt und auf dieser Holzfiguren hin- und hergeschoben. Wie eine Art von Schach, auch wenn sein Vater die Regeln nicht verstanden habe. So wenig wie das schrecklich kratzende und polternde Deutsch, in dem sie ganze Nächte hindurch miteinander diskutiert und gestritten hätten. Dann habe sich die Gruppe aufgelöst, einer von ihnen sei verschwunden und wurde sogar mit einem gescheiterten Anschlag auf den Emir Habibullah in Nuristan in Verbindung gebracht. Der Anführer der Almanis habe vor seinem Aufbruch diese Aufzeichnungen in der Hütte versteckt, die seinem Vater als Gärtner- und Werkzeugschuppen gedient habe.

Nun, da Larissa sie eingesehen hat, versteht sie auch, was das Konvolut so wertvoll machte: Es ist ein...
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Autor

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
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